Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.28/2003
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6P.28/2003 /pai

Urteil vom 26. August 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, Karlen,
Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiberin Krauskopf.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian Widmer,
Rämistrasse 3, Postfach 74,
8024 Zürich,

gegen

A.________,
B.________,
Beschwerdegegner,
beide vertreten durch Fürsprecher lic.iur. Franz Hollinger, Stapferstrasse
28, Postfach, 5201 Brugg AG,
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, 2. Strafkammer, Obere Vorstadt 38, 5000
Aarau.

Art. 9 BV (Strafverfahren),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, 2. Strafkammer, vom 21. Januar 2003.

Sachverhalt:

A.
X. ________ war bis zum 31. Dezember 1993 beim C._________ Institut im Kanton
Aargau angestellt. Nach einem tätlichen Angriff auf einen Mitarbeiter des
C.________ Instituts wurde ihm am 2. Februar 1994 der Zutritt zum gesamten
Gelände des C.________ Instituts verboten. Im Frühjahr 1999 fing er an,
regelmässig und stundenlang auf dem Parkplatz des C.________ Instituts auf
A.________, den Direktor des C.________ Instituts, und auf B.________, den
Stabschef beim C.________ Institut, zu warten, um mit ihnen über eine
Wiederanstellung zu diskutieren. Im Zeitraum zwischen Februar 1999 und April
2000 begab er sich zu diesem Zweck 126 Mal auf den Parkplatz des C.________
Instituts. Beiden Männern fuhr er mehrmals mit dem Auto hinterher. Als sich
B.________ am 23. April 1999 wiederum auf dem Parkplatz des C.________
Instituts weigerte, mit ihm zu sprechen, antwortete X.________, er garantiere
ihm, er werde mit ihm sprechen müssen, sei es im Spital, auf dem
Polizeiposten, vor Gericht oder sonst wo. Im Laufe eines Telefongesprächs vom
27. April 1999 mit Prof. D.________ sagte X.________, er werde eine Pistole
nehmen und Leute erschiessen, wenn er Krebs habe. Prof. D.________ gab diese
Information an A.________ weiter, den er als Exponenten des C.________
Instituts für bedroht hielt. Diesen erschreckte die Drohung derart, dass er
sich von einem Leibwächter beschützen liess und seine Vorlesungen mit einer
kugelsicheren Weste gab.

B.
Das Bezirksgericht Baden wies am 11. April 2000 die gegen X.________ wegen
Drohung und Nötigung erhobene Anklage vom 19. Oktober 1999 zurück. Daraufhin
erstattete die Staatsanwaltschaft eine Zusatzanklage. Am 16. Oktober 2001
sprach das Bezirksgericht X.________ mit der Begründung frei, der
Anklagegrundsatz sei nicht eingehalten worden.

Am 26. März 2002 hob das Obergericht auf Berufung der Staatsanwaltschaft das
Urteil vom 16. Oktober 2001 auf und wies die Sache zu materieller Beurteilung
an die Vorinstanz zurück.

Das Bezirksgericht Baden sprach darauf X.________ am 20. August 2002 von der
Anklage der mehrfachen Nötigung frei und verurteilte ihn wegen mehrfacher
Drohung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von zwei Monaten.
Auf Berufung des Verurteilten und der Staatsanwaltschaft hin sprach das
Obergericht des Kantons Aargau X.________ am 21. Januar 2003 von der Anklage
in einem Punkt frei, erkannte ihn jedoch der mehrfachen Nötigung und der
mehrfachen Drohung schuldig. Es bestätigte im Übrigen das erstinstanzliche
Urteil.

C.
X.________ erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sei im Schuld- und im Strafpunkt aufzuheben.
Das Obergericht des Kantons Aargau beantragt in der Vernehmlassung die
Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Für das ausserordentliche Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde sieht
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG besondere Begründungsanforderungen vor. Die
Beschwerdeschrift muss die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste
Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche
Rechtssätze mit dem angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Das
Bundesgericht untersucht nicht von Amtes wegen, ob ein kantonaler Hoheitsakt
verfassungswidrig ist (BGE 127 III 279 E. 1c S. 282; 125 I 492 E. 1b S. 495).
Auf appellatorische Kritik tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 117 Ia 393
E. 1c S. 395; 107 Ia 186 E. b S. 186).

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe bei der Beurteilung
des Vorfalles vom 23. April 1999 die Aktennotiz des Chefs des
Sicherheitsdienstes des C.________ Instituts, der den Wortwechsel vom 23.
April 1999 zwischen ihm und B.________ beobachtet habe, willkürlich in der
Beweiswürdigung ausser Acht gelassen. Aus dieser Aktennotiz erhelle, dass der
Beschwerdeführer keine Drohung gegen B.________ ausgesprochen habe. Indem
sich das Obergericht einzig auf die Aussage und die Aktennotiz von B.________
gestützt habe und den Chef des Sicherheitsdienstes nicht einvernahm, habe es
die Beweise willkürlich gewürdigt und den Grundsatz "in dubio pro reo"
verletzt.

2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro
reo" als Beweiswürdigungsregel. Bei dieser Rüge kann das Bundesgericht nur
eingreifen, wenn der Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obgleich bei
objektiver Würdigung des ganzen Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche
und schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an der Schuld des
Angeklagten fortbestanden (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41; 124 IV 86 E. 2a S. 88).
Insofern hat die Rüge der Verletzung dieses Grundsatzes keine selbständige
Tragweite gegenüber der Willkürrüge (vgl. BGE 120 Ia 31 E. 2c und d S. 37).
Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid
von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender
Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen. Es genügt nicht, dass sich
der angefochtene Entscheid nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine
Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn der Entscheid auch im Ergebnis
verfassungswidrig ist (BGE 128 I 177 E. 2.1 S. 182 mit Hinweisen).

2.2 B.________ hielt in seiner Aktennotiz fest, der Beschwerdeführer habe ihm
mitgeteilt, er nehme zur Kenntnis, dass er nicht mit ihm sprechen wolle. Er
garantiere ihm aber, dass er mit ihm werde sprechen müssen, sei es auf dem
Parkplatz des C.________ Instituts oder, wenn er wolle, im Spital, auf dem
Polizeiposten, vor Gericht oder sonst wo. Auf die Frage, ob dies eine Drohung
sei, habe der Beschwerdeführer geantwortet, er könne dies als Drohung
empfinden, wenn er wolle (act. B 13). B.________ bestätigte seine Notiz im
Untersuchungsverfahren (act. 1B 87 f.) und erwähnte vor Bezirksgericht, dass
die Aussage des Beschwerdeführers bei ihm und seiner Familie Angst ausgelöst
habe (Protokoll vom 11. April 2000, act. 39). Er fügte hinzu, dass der
Vorfall von der Loge aus beobachtet worden sei (act. 1B 88). Der
Beschwerdeführer bestritt nicht, B.________ am 23. April 1999 auf dem
Parkplatz des C.________ Instituts angesprochen zu haben. Er bestätigte, ihm
damals gesagt zu haben, er werde mit ihm entweder auf dem Parkplatz, bei der
Polizei, vor Gericht oder im Spital sprechen müssen. Er habe mit Letzterem
gemeint, nicht B.________, sondern er selber werde im Spital sein, da er an
einem gesundheitlichen Problem leide (act. 1 B 36). Der Chef des
Sicherheitsdienstes hält in seiner Aktennotiz fest, der Beschwerdeführer habe
B.________ angesprochen und keine verbale Drohung direkt ausgesprochen (act.
B 16).

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers trägt das Obergericht der
Aktennotiz des Chefs des Sicherheitsdienstes Rechnung. Es führt dazu aus, sie
sei mit der Aussage von B.________ nicht unvereinbar. Die Aussage des
Beschwerdeführers enthalte in der Tat nicht eine direkte Drohung, sondern nur
einen indirekten Hinweis auf Gewalt. B.________ habe daher auch nachgefragt,
ob er die Worte des Beschwerdeführers als Drohung zu verstehen habe. Somit
ist der Vorwurf, die Aktennotiz des Chefs des Sicherheitsdienstes sei in der
Beweiswürdigung willkürlich nicht berücksichtigt worden, unbegründet.

Ebenso wenig verfiel das Obergericht in Willkür, als es auf Grund der Aussage
von B.________ davon ausging, dass der Chef des Sicherheitsdienstes das
Gespräch zwischen den beiden Männern nicht direkt verfolgt habe, sondern der
Inhalt des Gesprächs ihm von B.________ mitgeteilt worden sei. Selbst wenn
dies nicht zutreffen sollte, durfte das Obergericht ohne Willkür den
Sachverhalt auf die Aussage von B.________ stützen. Einerseits steht - wie
bereits dargelegt -  die Aussage von B.________ nicht im Widerspruch zum
Inhalt der Aktennotiz des Chefs des Sicherheitsdienstes. Anderseits gab der
Beschwerdeführer selber zu, das Spital als einen der Orte erwähnt zu haben,
an denen B.________ mit ihm werde sprechen müssen (act. 1B 36). Die Rüge ist
demnach unbegründet. Im Übrigen kann der Beschwerdeführer dem Obergericht
keinen Vorwurf machen, den Chef des Sicherheitsdienstes nicht vorgeladen zu
haben, da er es unterliess, rechtzeitig und formgerecht den entsprechenden
Beweisantrag zu stellen (vgl. BGE 125 I 127 E. 6c/bb S. 134).

3.
Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, das Wort "hang up" am Ende der
elektronischen Post, die Prof. D.________ dem Sicherheitsdienst nach seinem
Gespräch mit dem Beschwerdeführer am 27. April 1999 sandte, sei unklar. Es
dürfe daher insgesamt nicht auf diese Notiz abgestellt werden. Es sei
folglich zweifelhaft, ob der Tatbestand der Drohung in diesem Gespräch
erfüllt sei. Die Annahme des Tatbestands der Drohung mit der Begründung, es
sei kein Grund ersichtlich, weshalb Prof. D.________ die Drohung erfunden
haben sollte, sei willkürlich und verletze den Grundsatz "in dubio pro reo".

3.1 Prof. D.________ setzt in seiner elektronischen Post die Aussage, auf
Grund derer der Beschwerdeführer wegen Drohung verurteilt wurde, in
Anführungszeichen. Der Zusatz "and hang up" am Schluss seines Schreibens
gehört nicht mehr zu den Aussagen, die dem Beschwerdeführer zugeschrieben
werden und bildet daher nicht Bestandteil der dem Beschwerdeführer zur Last
gelegten Vorwürfe. Die Frage, ob "hang up" richtig übersetzt wurde, ist somit
ohne Belang. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern die Übersetzung
in den entscheidrelevanten Passagen ungenau oder falsch wäre und dadurch
seine verfassungsmässigen Rechte verletzt worden wären. Insoweit kann auf
seine Rüge mangels hinreichender Begründung (vgl. E. 1) nicht eingetreten
werden.

3.2 Prof. D.________ schrieb in seiner elektronischen Post an den
Sicherheitsdienst des C.________ Instituts, der Beschwerdeführer habe ihm am
27. April 1999 am Telefon gesagt, er werde eine Pistole nehmen und Leute
erschiessen, wenn der Arzt ihm mitteile, dass er Krebs habe (act 1B 26).
Prof. D.________ bestätigte den Inhalt seines Schreibens während des
Untersuchungsverfahrens (act. 1B 83). Der Beschwerdeführer bestritt die ihm
zur Last gelegte Aussage vehement (act. 1B 37).

Das Obergericht hält fest, es seien keinerlei Gründe ersichtlich, weshalb
Prof. D.________ das Telefongespräch erfunden hätte. Es könne nicht
angenommen werden, dass dieser den Vorfall tatsachenwidrig geschildert habe,
um A.________ einen Gefallen zu erweisen, weil er sich davon einen
wirtschaftlichen oder beruflichen Vorteil erhofft hätte. Prof. D.________ sei
wegen der Drohung beunruhigt gewesen, habe A.________ als Direktor des
C.________ Instituts in Gefahr gesehen und daher die Drohung dem
Sicherheitsdienst gemeldet. Seine Weigerung, im Verfahren direkt mit dem
Beschwerdeführer konfrontiert zu werden, ändere nichts an der Glaubwürdigkeit
seiner Aussage vor Gericht. Diese Beweiswürdigung ist nicht willkürlich. Das
Obergericht hat die vom Beschwerdeführer bestrittene Aussage von Prof.
D.________ auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft und keine Elemente gefunden, die
daran Zweifel aufkommen liessen. Es war daher nicht offensichtlich unhaltbar,
den Inhalt des von Prof. D.________ beschriebenen Telefongesprächs für
nachgewiesen zu erachten. Im Übrigen leitet das Obergericht entgegen der
Meinung des Beschwerdeführers die Erfüllung des Tatbestandes der Drohung
nicht daraus ab, dass es keine offensichtlichen Gründe gebe, den
Beschwerdeführer zu Unrecht zu beschuldigen. Die angesprochene Passage im
angefochtenen Urteil (S. 19) bezieht sich auf die Erstellung des Sachverhalts
und nicht auf dessen Subsumtion unter den Tatbestand der Drohung. Ob das
Obergericht auf Grund des festgehaltenen Sachverhalts Art. 180 StGB richtig
anwendete, kann im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde ohnehin nicht
geprüft werden (vgl. Art. 84 Abs. 2 OG, Art. 269 Abs.1 BStP). Die Rüge ist
unbegründet, soweit darauf einzutreten ist.

4.
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da
seine Beschwerde von vornherein aussichtslos schien, ist sein Gesuch
abzuweisen (Art. 152 Abs.1 OG). Folglich wird der Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Seinen finanziellen Verhältnissen ist
jedoch bei der Bemessung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen. Den
Beschwerdegegnern wird mangels Umtrieben keine Parteientschädigung
ausgerichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau
und dem Obergericht des Kantons Aargau, 2. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 26. August 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: