Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.16/2003
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6P.16/2003 /kra

Urteil vom 6. Mai 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly,
Gerichtsschreiberin Giovannone.

X. ________,
Y.________,
Beschwerdeführer,
beide vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Diego Quinter, Goldgasse 11,
7002 Chur,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7001 Chur,
Kantonsgericht von Graubünden, Strafkammer, Poststrasse 14, 7002 Chur.

Art. 9, 32 BV, Art. 6 Ziff. 2, Art. 3 EMRK (Strafverfahren; Willkür,
Grundsatz "in dubio pro reo"),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von
Graubünden, Strafkammer, vom 29. Mai 2002.

Sachverhalt:

A.
X. ________ übernahm 1994 die Mehrheit der Aktien der 1984 gegründeten,
jedoch damals inaktiven A.________Kredit AG. 1996  verlegte er den Sitz der
Gesellschaft von Basel nach B.________, so dass sie am 28. Februar 1996 im
Handelsregister des Kantons Graubünden eingetragen wurde. Nachdem X.________
in Deutschland die Ausübung der Kreditvermittlungstätigkeit richterlich
untersagt und gegen ihn ein Strafverfahren eingeleitet worden war, mietete er
in B.________ eine 2-Zimmerwohnung und stellte ab 20. April 1998 für die
A.________Kredit AG mehrere Telefonistinnen ein. Die Einarbeitung der
Telefonistinnen erfolgte anfangs durch X.________ selber und ab anfangs Juli
1998 durch Y.________, die bereits früher in Deutschland mit diesem
zusammengearbeitet hatte. Vom 18. April bis 22. Juni 1998 liess X.________ in
Zeitungen und Zeitschriften praktisch täglich Inserate mit dem folgenden
Wortlaut erscheinen:
Gesamt-Schweiz * Seit 1984
SCHNELL UND EINFACH
BARGELD per POST bis 40'000.--
Kredit-Info 08 13 .. .. ..
Mo. - Fr. 8-20 Uhr
Ohne Bürgen/Ehepartner * lfd. Kredite kein Hindernis.
bei Kontoüberziehung * Sonderangebote f. d. öffentl. Dienst.

A. ________Kredit AG, .... B.________, C.________hof
Ab dem 23. Juni 1998 wurden die Inserate mit folgendem Inhalt publiziert:
BARGELD per POST bis 40'000.--
Kredit-Info 157 .. .. Mo. - Fr. 8-21 Uhr, Sa. und So. 10-18 Uhr
Ohne Bürgen * Ehepartner * lfd. Kredite kein Hindernis.
SCHNELL UND EINFACH * AUCH AUSLÄNDER AB B-BEWILLIGUNG
A.________Kredit AG * Seit 1984 * Gesamt-Schweiz
Von April bis Dezember 1998 meldeten sich auf diese Inserate hin über 3'000
Kreditinteressenten bei der A.________Kredit AG.

Insgesamt erwirtschaftete die A.________Kredit AG aus den Gebühren der
Rufnummer 157 .. .. netto Fr. 227'585.80 und aus Formularbearbeitungsgebühren
Fr. 91'753.--. Lediglich Fr. 10'413.60, also etwa 3 % des Gesamtumsatzes,
betrugen insgesamt die Provisionen aus Kreditvermittlung.

B.
Mit Urteil vom 27./28./29. Mai 2002 befand das Kantonsgericht von Graubünden
X.________ und Y.________ des gewerbsmässigen Betrugs schuldig. Es bestrafte
X.________ mit zwei Jahren Gefängnis sowie einer Busse von Fr. 10'000.-- und
verwies ihn für fünf Jahre des Landes. Y.________ bestrafte es mit vierzehn
Monaten Gefängnis und verwies sie für drei Jahre des Landes. Überdies
verurteilte es die beiden unter solidarischer Haftbarkeit zur Begleichung
mehrerer Zivilforderungen. Weitere adhäsionsweise geltend gemachte
Forderungen verwies es auf den Zivilweg. Auf einen Teil der Adhäsionsklagen
trat es nicht ein.

C.
X.________ und Y.________ fechten das Urteil des Kantonsgerichts mit
staatsrechtlicher Beschwerde und mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde
an. Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragen sie dem Bundesgericht die
Aufhebung des angefochtenen Urteils und ersuchen um die Gewährung der
aufschiebenden Wirkung.

D.
Am 7. März 2003 hat der Präsident des Kassationshofes verfügt, dass bis zum
Entscheid über das Gesuch um aufschiebende Wirkung alle
Vollziehungsvorkehrungen zu unterbleiben haben (act. 6).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde von
Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 124 I 11 E. 1; 122 I 39 E. 1, je
mit Hinweisen).

1.1 Gemäss Art. 84 Abs. 2 OG ist auf die staatsrechtliche Beschwerde
lediglich einzutreten, wenn die gerügte Verletzung nicht mit einem anderen
Rechtsmittel vor Bundesgericht geltend gemacht werden kann. Auf die Rüge, die
Begründung des angefochtenen Urteils genüge nicht, um zu überprüfen, ob der
Sachrichter das Bundesstrafrecht richtig anwende, ist im Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde lediglich einzutreten, wenn sie nicht als
eigenständiger Vorwurf der Verletzung materiellen Bundesstrafrechts zu
verstehen ist (BGE 117 Ia 1 E. 1b).

Die Beschwerdeführer rügen, der Schuldspruch wegen gewerbsmässigen Betrugs
beruhe auf einer partiellen Prüfung der Tatbestandsmerkmale. Das
Kantonsgericht prüfe lediglich die Tatbestandsmerkmale der arglistigen
Täuschung und des Vorliegens eines Vermögensschadens. Ausführungen zu den
übrigen objektiven Tatbestandsmerkmalen fehlten. Die Begründung des Urteils
sei demnach mangelhaft und verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör. Die
Anwendung von Art. 146 Abs. 1 StGB sei auf der Grundlage dieser lückenhaften
Begründung nicht nachvollziehbar und somit unhaltbar (Beschwerde S. 9 - 12).

Wenn auch die Beschwerdeführer mit dieser Rüge den verfassungsmässigen
Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) anrufen, so wollen sie
damit doch zur Hauptsache die unrichtige Anwendung von Art. 146 StGB geltend
machen. Anders als in BGE 117 Ia 1 rügen sie im Grunde nicht die fehlende
Begründung, sondern werfen dem Kantonsgericht vor, es habe die
Tatbestandsmerkmale des gewerbsmässigen Betrugs gar nicht geprüft, ja es habe
nicht einmal den dafür massgeblichen Sachverhalt erhoben. Eine solche
Verletzung des materiellen Strafrechts ist mit Nichtigkeitsbeschwerde geltend
zu machen. Im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde ist darauf nicht
einzutreten.

1.2 Die Beschwerdeführer werfen dem Kantonsgericht vor, es verletze bei der
Beweiswürdigung den Grundsatz "in dubio pro reo".

1.2.1 Der angerufene Grundsatz ist in den Art. 32 Abs. 1 BV (Art. 4 aBV) und
6 Ziff. 2 EMRK verankert und bedeutet als Beweiswürdigungsregel, dass sich
der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen
Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung
erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob dieser sich so
verwirklicht hat. Ob der Grundsatz insofern verletzt ist, prüft das
Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt der Willkür (BGE 124 IV 86 E. 2a; 120
Ia 31 E. 2d).

1.2.2 Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung nicht schon vor, wenn vom
Sachrichter gezogene Schlüsse nicht mit der Darstellung des Beschwerdeführers
übereinstimmen oder wenn eine andere Lösung oder Würdigung vertretbar
erscheint, sondern nur, wenn der angefochtene Entscheid auf einer
schlechterdings unhaltbaren oder widersprüchlichen Beweiswürdigung beruht,
eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in
stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 125 I 166 E.
2a; 124 I 247 E. 5 je zu Art. 4 aBV). Da das Bundesgericht im Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde nur Rügen prüft, die genügend klar und
detailliert erhoben werden (BGE 122 I 70 E. 1c; 118 Ia 184 E. 2 S. 189, mit
Hinweisen), hat der Beschwerdeführer, der Willkür geltend macht, im Einzelnen
aufzuzeigen, inwiefern der angefochtene Entscheid - nicht nur in seiner
Begründung, sondern auch im Ergebnis (BGE 123 I 1 E. 4a) - willkürlich ist.

1.2.3 Anstatt im Einzelnen darzulegen, inwiefern die Beweiswürdigung des
Kantonsgerichts unhaltbar sei, begnügen sich die Beschwerdeführer auf weite
Strecken mit der Schilderung, wie die Sachlage aus ihrer Sicht hätte
gewürdigt werden müssen (z.B. S. 12 ff.). Diese Schilderungen enthalten
überdies unzählige Fakten, deren Aktenkundigkeit die Beschwerdeführer weder
behaupten noch belegen. Zudem vermengen die Beschwerdeführer die Willkürrüge
immer wieder mit der Rüge wegen Verletzung ihres rechtlichen Gehörs. Auf so
undifferenzierte appellatorische Kritik kann im Rahmen der staatsrechtlichen
Beschwerde nicht eingetreten werden.

1.2.4 Willkür glauben die Beschwerdeführer unter anderem in der Feststellung
zu erkennen, dass die Kreditinteressenten die Angaben im Inserat nicht hätten
überprüfen können. Insbesondere die Angabe, dass die A.________Kredit AG seit
1984 bestehe, sei ohne weiteres überprüfbar gewesen. Nur deshalb, weil ein
Kreditinteressent nicht das Handelsregister konsultieren wolle, könne doch
keine Täuschung angenommen werden (Beschwerde S. 11).
Es ist unbestritten, dass die A.________Kredit AG 1984 gegründet worden war,
dass sie aber die hier inkriminierte operative Tätigkeit erst im April 1998
aufnahm (Urteil S. 51). Der Registereintrag über das Gründungsdatum gab unter
diesen Umständen eben gerade keinen Aufschluss darüber, seit wann die
A.________Kredit AG in der im Inserat beschriebenen Weise tätig war. Der
Willkürvorwurf ist demnach unbegründet.

1.2.5 Als willkürlich rügen die Beschwerdeführer weiter die Annahme des
Kantonsgerichts, man habe den Kreditinteressenten vorgetäuscht, sie seien
kreditwürdig, und die Kreditinteressenten seien dieser Täuschung erlegen. Die
Beschwerdeführer bringen vor, dass zahlreiche Kreditinteressenten in den
Antragsformularen falsche Angaben gemacht hätten. Sie hätten also gewusst,
dass sie keine Aussicht auf einen Kredit hatten, wenn sie wahrheitsgetreu
Auskunft geben würden. Eine Täuschung sei nicht erfolgt.

Die Beschwerdeführer legen nicht dar, worauf sie die Behauptung, die
Kreditinteressenten hätten falsche Angaben gemacht, stützen. Die Rüge genügt
somit den Anforderungen gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht, weshalb darauf
nicht einzutreten ist.

2.
Die Beschwerdeführer rügen schliesslich, durch die Abweisung diverser
Beweisanträge verletze das Kantonsgericht ihren Anspruch auf rechtliches
Gehör (S. 5 ff.).
2.1 Im Rahmen der verfassungsmässigen Garantie des rechtlichen Gehörs (Art.
29 Abs. 2 BV) ist die Behörde verpflichtet, Beweisanträge der Parteien
entgegenzunehmen und zu prüfen sowie die rechtzeitig und formrichtig
angebotenen Beweismittel abzunehmen, es sei denn, diese beträfen eine nicht
erhebliche Tatsache oder seien offensichtlich untauglich, über die streitige
Tatsache Beweis zu erbringen (BGE 124 I 241 E. 2 S. 242 mit Hinweisen). Auf
beantragte Beweisaufnahmen kann das Gericht überdies verzichten, wenn es ohne
Willkür annehmen kann, dass seine Überzeugung durch weitere Beweisaufnahmen
nicht geändert würde. Beantragt eine Partei eine Zeugeneinvernahme, so genügt
selbst bei Belastungszeugen im Sinne von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
grundsätzlich die einmalige Befragung (BGE 125 I 127 E. 6b/ee S. 136).

2.2 Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführer rechtfertigt die
Vorinstanz die Abweisung der Beweisanträge nicht pauschal und ausschliesslich
damit, dass der Untersuchungsumfang ohnehin gross genug gewesen sei
(Beschwerde S. 9). Die Abweisung wird im angefochtenen Urteil vielmehr
ausführlich und im Einzelnen begründet (S. 33 f. und 69 ff., vor allem S. 72
- 75).

Den Antrag auf Konfrontation diverser Zeuginnen mit den Beschwerdeführern
weist das Kantonsgericht ab mit der Begründung, die Beschwerdeführer und ihr
Verteidiger seien zu allen Einvernahmen der genannten Zeuginnen eingeladen
worden und hätten von ihrem Recht auf Ergänzungsfragen gebührend Gebrauch
gemacht (Urteil S. 73). Auch sonst legt es detailliert dar, wieso es auf
weitere Beweisaufnahmen verzichtet. Die Beschwerdeführer gehen auf diese
Begründung nicht ein. Mit der Darstellung ihrer eigenen Sichtweise
(Beschwerde S. 7 f.) gelingt es ihnen nicht aufzuzeigen, inwiefern die
Abweisung ihrer Beweisanträge willkürlich sein soll. Ihre Rüge betreffend
Verletzung des rechtlichen Gehörs erweist sich deshalb als unbegründet,
soweit darauf einzutreten ist.

3.

Demnach ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
überhaupt einzutreten ist. Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch der
Beschwerdeführer um Erteilung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos.

Bei diesem Ausgang haben die Beschwerdeführer unter solidarischer Haftung die
Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht zu tragen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.-- wird den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftung auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Graubünden und dem Kantonsgericht von Graubünden, Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 6. Mai 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: