Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.160/2003
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6P.160/2003
6S.444/2003 /kra

Urteil vom 8. April 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Marco Albrecht,

gegen

Generalprokurator des Kantons Bern, Postfach 7475, 3001 Bern,
Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, Postfach 7475, 3001 Bern.

6P.160/2003
Art. 9 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK (Strafverfahren; willkürliche Beweiswürdigung,
Grundsatz "in dubio pro reo"

6S.444/2003
Strafzumessung (Art. 63 StGB) bedingter Strafvollzug (Art. 41 StGB)

Staatsrechtliche Beschwerde (6P.160/2003) und Nichtigkeitsbeschwerde
(6S.444/2003) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 1.
Strafkammer, vom 4. September 2003.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wird vorgeworfen, zusammen mit Y.________ von verschiedenen
Personen Geldzahlungen erwirkt zu haben, die entgegen entsprechender
Vereinbarung nicht zu Anlagezwecken verwendet wurden. Dabei soll X.________
Y.________ darin unterstützt haben, das Vertrauen der Betroffenen zu
gewinnen, um sie zu vermeintlich sicheren Vermögensinvestitionen zu
verleiten. Im Weiteren hat er für Y.________ eine Geldzahlung der Anleger
entgegengenommen und die Betroffenen vertröstet, als das Investmentkapital
nicht vereinbarungsgemäss zurückerstattet wurde.

B.
Die Gerichtspräsidentin 3 des Gerichtskreises X Thun sprach X.________ am 11.
März 2003 der mehrfachen Veruntreuung gemäss Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe
von fünf Monaten als Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts Werdenberg
vom 15. Mai 2001. Zudem wurde er unter solidarischer Haftbarkeit mit
Y.________ dazu verpflichtet, dem Privatkläger A.________ einen Betrag von
Fr. 25'000.-- zuzüglich Verzugszinsen von 5 % seit 1. Januar 2003
zurückzuzahlen.

Gegen diesen Entscheid appellierten sowohl X.________ als auch der
Generalprokurator des Kantons Bern.

C.
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte X.________ am 4. September 2003
wegen Gehilfenschaft zur mehrfachen Veruntreuung gemäss Art. 138 Ziff. 1 Abs.
2 StGB zu einer unbedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von vier Monaten als
Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts Werdenberg. Im Zivilpunkt
bestätigte es das Urteil der Gerichtspräsidentin 3 des Gerichtskreises X
Thun.

D.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sei aufzuheben und die Zivilforderung des Privatklägers
abzuweisen. Er erhebt überdies eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und
beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und zur Neubeurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht verzichtet auf eine Stellungnahme zu beiden Beschwerden. Eine
Vernehmlassung des Generalprokurators wurde nicht eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

I. Staatsrechtliche Beschwerde

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich rein kassatorischer Natur
(BGE 126 I 213 E. 1c; 124 I 327 E. 4a). Soweit der Beschwerdeführer die
Abweisung der Zivilforderung des Privatklägers verlangt, kann auf sein
Rechtsmittel nicht eingetreten werden.

2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 9 BV sowie von Art. 6
Ziff. 2 EMRK. Das Obergericht unterstelle ihm, erneut in strafrechtlich
relevanter Weise mit Y.________ zusammengewirkt zu haben, ohne jedoch
nachweisen zu können, dass er um die fehlende Seriosität der Anlagegeschäfte
gewusst und davon finanziell profitiert habe. Er habe Y.________ blosse
Freundschaftsdienste erwiesen. Das Beweisergebnis des Obergerichts finde
insoweit auch in den Aussagen von Y.________ und Zeuge B.________ keine
Stütze.

2.1 Gemäss dem in Art. 32 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Grundsatz
"in dubio pro reo" ist bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld zu vermuten,
dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist. Das
Bundesgericht greift auf staatsrechtliche Beschwerde nur ein, wenn der
Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung
des gesamten Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche bzw. schlechterdings
nicht zu unterdrückende Zweifel an der Schuld des Angeklagten fortbestanden.
Eine willkürliche Beweiswürdigung gemäss Art. 9 BV liegt nur vor, wenn die
Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch stehen. Dabei genügt es nicht, wenn der
angefochtene Entscheid sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine
Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig
ist (BGE 129 I 49 E. 4; 127 I 38 E. 2a; 124 IV 86 E. 2a).

2.2 Das Obergericht schloss sich der Sachverhaltswürdigung der
Gerichtspräsidentin 3 des Gerichtskreises X Thun vorbehaltlos an. Unter
Verweis auf das Verfahren vor Bezirksgericht Werdenberg erwog es zudem, dem
Beschwerdeführer müsse aufgrund der Vorgeschichte klar gewesen sein, dass es
sich bei den hier zu beurteilenden Anlagegeschäften um eine Wiederholung des
vor der Untersuchungshaft praktizierten Musters gehandelt habe. Der
Beschwerdeführer habe wiederum in koordiniertem Vorgehen mit Y.________ ein
Vertrauensverhältnis mit den Betroffenen aufgebaut und ihnen angeblich
sichere Geldanlagen vorgetäuscht. Zudem habe er vertretungsweise die zweite
Zahlung der Anleger entgegengenommen und die Betroffenen (bei
Nichtrückzahlung der investierten Gelder) hingehalten. Insoweit könne davon
ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer erneut mit Y.________
zusammengespannt habe. Dabei sei auch anzunehmen, dass der Beschwerdeführer
wie zuvor in den Genuss eines pekuniären Vorteils gekommen sei. Denn als
Geschäftsmann und angesichts seiner Interessenlage habe er derartige
Bemühungen mit Sicherheit nicht gratis erbracht.

2.3 Der Beschwerdeführer hatte sich bereits vor dem Bezirksgericht Werdenberg
wegen vergleichbarer Vorfälle zu verantworten und wurde am 15. Mai 2001 wegen
Gehilfenschaft zu den von Y.________ verübten Veruntreuungstatbeständen
verurteilt (kantonale Akten, S. 153 ff., 169). Gestützt darauf durfte das
Obergericht davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer die mangelnde
Seriosität des Geschäftsgebarens von Y.________ gekannt hat. Dies gilt umso
mehr, als die vom Obergericht zu beurteilenden, ähnlich gelagerten
Geschehnisse um Geldanlagen in den beinahe gleichen Zeitraum fallen wie die
vom Bezirksgericht behandelten Straftaten. Aus den gleichen Gründen durfte
das Obergericht willkürfrei annehmen, der Beschwerdeführer habe auch dieses
Mal von den fraglichen Machenschaften finanziell profitiert. Im Lichte der
gesamten Umstände ist es mithin nicht unhaltbar, wenn das Obergericht die von
Y.________ bestätigten Vorbringen des Beschwerdeführers, lediglich
unentgeltliche Botendienste erbracht zu haben, als blosse Schutzbehauptungen
beurteilte. Dass das Beweisergebnis des Obergerichts schliesslich der
Zeugenaussage von B.________ widersprechen sollte, ist nicht ersichtlich.
Diese Aussage enthält im Übrigen keine wichtigen Informationen für den
Schuldspruch des Beschwerdeführers, weshalb ihr im angefochtenen Entscheid zu
Recht auch kein entscheidendes Gewicht beigemessen worden ist. Damit erweisen
sich die Rügen des Beschwerdeführers insgesamt als unbegründet. Ein Verstoss
gegen Art. 6 Ziff. 2 EMRK und Art. 9 BV liegt nicht vor.
II. Nichtigkeitsbeschwerde

3.
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Art. 63 StGB geltend. Als
Gehilfe sei er im Vergleich zum Täter nur marginal geringer bestraft worden.
Die Begründung der Vorinstanz sei in dieser Hinsicht ungenügend und
widerspreche den eigenen Feststellungen zur Rolle des Beschwerdeführers.

3.1 Das Bundesgericht hat die massgebenden Elemente der Strafzumessung und
die Anforderungen an ihre Begründung in seiner bisherigen Rechtsprechung
eingehend dargelegt (BGE 127 IV 101 E. 2; 124 IV 286 E. 4a mit Hinweis).

3.2 Die Strafe des Gehilfen richtet sich gemäss Art. 25 StGB grundsätzlich
nach der für den Täter geltenden Strafdrohung. Der Gehilfe kann jedoch milder
bestraft werden (Art. 65 StGB). Dies hat für die Strafzumessung zwei
Wirkungen: Einerseits muss die Strafe gemindert werden; es ist unzulässig,
bei Vorliegen eines Strafmilderungsgrunds die Höchststrafe auszufällen.
Anderseits kann die Strafe gemildert werden, was eine Erweiterung des
Strafrahmens nach unten zur Folge hat (BGE 116 IV 11 E. 2e).

3.3 Die Vorinstanz hat der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen blosser
Gehilfenschaft bei der Strafzumessung Rechnung getragen und eine - wenn auch
eher bescheidene - Strafreduktion vorgenommen. Unter Berücksichtigung aller
massgeblichen Strafzumessungskomponenten hat sie eine viermonatige
Gefängnisstrafe ausgefällt. Demgegenüber hat die Vorinstanz den Täter mit
fünf Monaten Gefängnis bestraft. Die Nähe des Strafmasses des (lediglich)
teilnehmenden Beschwerdeführers zu demjenigen des Täters hat sie mit dem
beinahe gleich schweren Verschulden der beiden Angeschuldigten begründet.
Diese Beurteilung hält vor Bundesrecht stand. Denn die Vorinstanz hat die vom
Beschwerdeführer im Rahmen der Gehilfenschaft geleisteten Tatbeiträge
entgegen dem Einwand in der Nichtigkeitsbeschwerde stets als ausserordentlich
gravierend eingestuft. Die ausgesprochene Strafe erscheint unter diesen
Umständen nicht als unhaltbar hart. Dass sie aus andern Gründen nicht
schuldangemessen sein könnte, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und
ist auch nicht ersichtlich. Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich insoweit
als unbegründet.

4.
Der Beschwerdeführer rügt, die Verweigerung des bedingten Strafvollzugs
verletze Bundesrecht. Die Vorinstanz habe bei der Beurteilung der Prognose
wesentliche Gesichtspunkte falsch gewichtet. Insbesondere habe sie im
Gegensatz zur Gerichtspräsidentin 3 des Gerichtskreises X Thun einseitig
darauf abgestellt, dass der Beschwerdeführer nach der siebzehntägigen
Untersuchungshaft erneut straffällig geworden sei.

4.1 Gemäss Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB kann der Richter den Vollzug einer
Freiheitsstrafe von nicht mehr als 18 Monaten aufschieben, wenn Vorleben und
Charakter eines Verurteilten erwarten lassen, er werde auch durch eine
bedingt vollziehbare Strafe von weiteren Delikten abgehalten. Bezüglich der
für die Gewährung des bedingten Strafvollzugs geltenden Voraussetzungen kann
auf die reichhaltige bundesgerichtliche Rechtsprechung verwiesen werden (BGE
128 IV 193 E. 3a mit Hinweisen).

4.2 Die Vorinstanz hat ausgeführt, der bedingte Strafvollzug sei zwar formell
möglich, könne dem Beschwerdeführer aber wegen der insgesamt schlechten
Bewährungsaussichten nicht gewährt werden. Das Bezirksgericht Werdenberg habe
eine günstige Prognose trotz des getrübten Leumunds des Beschwerdeführers,
seiner Vorstrafen und der weitgehend fehlenden Einsicht in seine Straftaten
gerade noch bejaht. Dabei scheine entscheidend gewesen zu sein, dass der
Beschwerdeführer seine freiberufliche Tätigkeit - die Anlage fremder Gelder -
aufgegeben habe und ihn die Erfahrung der Untersuchungshaft kaum
unbeeindruckt lassen würde. Die Überlegungen des Bezirksgerichts hätten sich
in der Folge als Fehleinschätzung erwiesen: So habe der Beschwerdeführer im
Umgang mit arglosen Geldanlegern keine Kehrtwende vollzogen. Zudem habe ihn
auch die ausgestandene Untersuchungshaft nicht davon abhalten können, die
bisherigen Machenschaften wie gehabt fortzusetzen.

4.3 Die Vorinstanz hat die wesentlichen Gesichtspunkte gemäss Art. 41 Ziff. 1
Abs. 1 StGB angemessen berücksichtigt und gegeneinander abgewogen. Sie hat
sich mit der Prognosestellung des Bezirksgerichts Werdenberg einlässlich
auseinander gesetzt und nachvollziehbar begründet, weshalb sie zu einem
andern Ergebnis gelangt ist. Eine Ermessensverletzung liegt nicht vor. Es
kann deshalb im Wesentlichen auf ihre Erwägungen im angefochtenen Urteil
verwiesen werden.

Es ist einzuräumen, dass sich die persönliche Situation des Beschwerdeführers
angesichts seiner erfolgreichen Festanstellung zum Besseren gewendet hat.
Entscheidend ist jedoch, dass der Beschwerdeführer unbeeindruckt von seinen
Vorstrafen, der ausgestandenen Untersuchungshaft, der laufenden Probezeit für
eine Gefängnisstrafe von immerhin 12 Monaten und dem damit verbundenen
Bewährungsdruck erneut einschlägig delinquierte. Der Einwand des
Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe im Gegensatz zur Gerichtspräsidentin 3
des Gerichtskreises X Thun die ausgestandene Untersuchungshaft und erneute
Delinquenz einseitig zu seinen Ungunsten gewichtet, trifft insoweit nicht zu.
Dies gilt umso weniger, als sich die Gerichtspräsidentin zu den materiellen
Bewährungsaussichten des Beschwerdeführers gar nicht (näher) ausgesprochen
hat.

III. Kosten und Entschädigung

5.
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da
seine Begehren von vornherein aussichtslos erschienen, ist das Gesuch
abzuweisen (Art. 152 OG).
Folglich wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG und
Art. 278 Abs. 1 BStP). Bei der Bemessung der Gerichtsgebühr ist seinen
angespannten finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

4.
Die reduzierte Gerichtsgebühr von Fr. 1'600.-- wird dem Beschwerdeführer
auferlegt.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Generalprokurator des Kantons
Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 8. April 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: