Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.131/2003
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6P.131/2003
6S.362/2003 /kra

Urteil vom 1. März 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Kipfer Fasciati.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Kurt Gänsli,

gegen

Staatsanwaltschaft Oberwallis, Gebreitenweg 2, Postfach 540, 3930 Visp,
Kantonsgericht Wallis, Strafgerichtshof I, Justizgebäude, 1950 Sitten 2.

6P.131/2003
Art. 9, 32 BV Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK (Strafverfahren; willkürliche
Beweiswürdigung)

6S.362/2003
Diebstahl, SVG-Delikte, Strafzumessung (Art. 63 StGB),

Staatsrechtliche Beschwerde (6P.131/2003) und Nichtigkeitsbeschwerde
(6S.362/2003) gegen das Urteil des Kantonsgerichts Wallis, Strafgerichtshof
I, vom

29. August 2003.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 29. August 2003 erkannte das Kantonsgericht Wallis,
Strafgerichtshof I, als Berufungsinstanz X.________ des wiederholten
Diebstahls (begangen am 17. September 1998 und am 27. November 1998), des
Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand, der versuchten
Vereitelung der Blutprobe und der wiederholten Zuwiderhandlung gegen das ANAG
schuldig und verurteilte sie zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe
von vier Monaten bei einer Probezeit von drei Jahren und auferlegte ihr eine
Busse von Fr. 4'000.--.

B.
Gegen das Urteil des Kantonsgerichts erhebt X.________ staatsrechtliche
Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Mit beiden Beschwerden
beantragt sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils im Schuldpunkt, soweit
es das Führen eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand, die versuchte
Vereitelung der Blutprobe und den Diebstahl vom 17. September 1998 betrifft.
Im Weiteren beantragt sie die Aufhebung des Urteils im Straf- und im
Kostenpunkt. Die Verurteilungen wegen des Diebstahls vom 27. November 1998
und der wiederholten Zuwiderhandlung gegen das ANAG ficht sie nicht an.

C.
Das Kantonsgericht verzichtet auf Gegenbemerkungen zu den Beschwerden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

I. Staatsrechtliche Beschwerde

1.
1.1 Im Zusammenhang mit der Verurteilung wegen des Führens eines
Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand und versuchter Vereitelung der
Blutprobe sowie Diebstahls, begangen am 17. September 1998, rügt die
Beschwerdeführerin die Verletzung des Willkürverbots gemäss Art. 9 BV und der
Unschuldsvermutung gemäss Art. 32 Abs. 1 BV und Art 6 Ziff. 2 EMRK.

1.2 Gemäss dem in Art. 32 Abs. 1 BV und in Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten
Grundsatz "in dubio pro reo" ist bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld zu
vermuten, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.

Als Beweiswürdigungsregel besagt der Grundsatz, dass sich der Strafrichter
nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts
überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob
sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Die Beweiswürdigungsregel ist
verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklagten hätte zweifeln
müssen. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend,
weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden
kann. Es muss sich um erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln,
d.h. um solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen (BGE 127 I
38 E. 2a, mit Hinweisen).

Bei der Beurteilung von Fragen der Beweiswürdigung beschränkt sich das
Bundesgericht auf eine Willkürprüfung. Es kann demnach nur eingreifen, wenn
der Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obgleich bei objektiver
Würdigung des ganzen Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche und
schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an dessen Schuld
fortbestanden (BGE 127 I 38 E. 2a, mit Hinweisen). Wird mit staatsrechtlicher
Beschwerde eine willkürliche Beweiswürdigung gerügt, reicht es nicht aus,
wenn der Beschwerdeführer zum Beweisergebnis frei plädiert und darlegt, wie
seiner Auffassung nach die vorhandenen Beweise richtigerweise zu würdigen
gewesen wären, wie er dies in einem appellatorischen Verfahren mit freier
Rechts- und Tatsachenüberprüfung tun könnte. Er muss gemäss ständiger
Rechtsprechung zu Art. 90 Abs. 1 lit. b OG vielmehr aufzeigen, inwiefern die
angefochtene Beweiswürdigung die Verfassung dadurch verletzen sollte, dass
sie im Ergebnis offensichtlich unhaltbar wäre. Willkürlich ist ein Entscheid
nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht schon dann, wenn eine
andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder sogar vorzuziehen wäre. Das
Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen Willkür (Art. 9 BV) nur
auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in
klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz
krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken
zuwiderläuft. Insbesondere hat die Begründung auch Ausführungen darüber zu
enthalten, inwiefern der angefochtene Entscheid im Ergebnis willkürlich sein
soll (BGE 129 III 683 E. 2.1, mit Hinweisen).

1.3 Insoweit die Beschwerdeführerin Willkür in der Beweiswürdigung und damit
eine Verletzung der Unschuldsvermutung geltend macht, genügt die
Beschwerdeschrift den Begründungsanforderungen nicht, und sie erschöpft sich
in appellatorischer Kritik am angefochtenen Entscheid. Die Beschwerdeführerin
tut weder dar, inwiefern die vorinstanzliche Beweiswürdigung im Einzelnen
noch der angefochtene Entscheid im Ergebnis willkürlich sein sollte. Auf die
Beschwerde kann demnach nicht eingetreten werden.

II. Nichtigkeitsbeschwerde

2.
Die Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit begründet werden, dass die
angefochtene Entscheidung eidgenössisches Recht verletze (Art. 269 Abs. 1
BStP). Dabei hat die Beschwerdeführerin kurz darzulegen, welche
Bundesrechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid
verletzt sind. Ausführungen, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen
des Entscheides und damit gegen die vorinstanzliche Beweiswürdigung richten,
das Vorbringen neuer Tatsachen, neue Einwände, Bestreitungen und Beweismittel
sowie Erörterungen über die Verletzung kantonalen Rechts sind unzulässig
(Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, das Kantonsgericht habe hinsichtlich
der Schuldsprüche wegen Diebstahls, begangen am 17. September 1998, sowie
wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand und versuchter Vereitelung der
Blutprobe den in Art. 249 BStP statuierten Grundsatz der freien
Beweiswürdigung verletzt.
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäss Art. 249 BStP gehört zum
eidgenössischen Recht im Sinne von Art. 269 Abs. 1 BStP (BGE 121 IV 64 E. 3).
Das Vorbringen, eine Entscheidung verletze diesen Grundsatz, zählt daher zu
den zulässigen Beschwerdegründen der Nichtigkeitsbeschwerde. Auf die
Beschwerde ist demnach grundsätzlich einzutreten.

3.2 Art. 249 BStP bestimmt, dass die entscheidende kantonale Behörde in
Bundesstrafsachen die Beweise frei würdigen soll und nicht an gesetzliche
Beweisregeln gebunden ist. Die Bestimmung will sicherstellen, dass die Organe
der Strafrechtspflege frei von Beweisregeln und nur nach ihrer persönlichen
Ansicht aufgrund gewissenhafter Prüfung darüber entscheiden, ob sie eine
Tatsache für bewiesen halten. Daraus folgt, dass die Bestimmung dem Richter
nur verbietet, bei der Erhebung von Beweisen und der Würdigung erhobener
Beweise gesetzlichen Regeln - z.B. Verwertungsverboten - zu folgen, die die
eigene Prüfung und Bewertung der Überzeugungskraft von Beweismitteln
ausschliessen. Eine Verletzung von Art. 249 BStP liegt mithin nur vor, wenn
bestimmten Beweismitteln von vornherein in allgemeiner Weise die
Beweiseignung abgesprochen wird oder wenn der Richter im konkreten Fall bei
der Würdigung der Beweise im Ergebnis nicht seiner eigenen Überzeugung folgt
(BGE 127 IV 172 ).

3.3 Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, die Vorinstanz habe einzelnen
Beweismitteln in allgemeiner Weise die Beweiseignung abgesprochen und deshalb
in der Folge unfrei und nicht der persönlichen Auffassung der beteiligten
Richter entsprechend entschieden. Sie beanstandet lediglich die
Beweiswürdigung durch die Vorinstanz - ein im Verfahren der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde unzulässiges Vorbringen - und verkennt damit die
Bedeutung der angerufenen Norm. Auf die Beschwerde ist in diesem Punkt nicht
einzutreten.

4.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Vorinstanz habe im Rahmen der
Strafzumessung Art. 63, 67 und 68 StGB verletzt, indem sie gesamthaft eine
viel zu hohe Strafe ausgefällt habe. Die Beschwerde beruht in diesem Punkt
auf falschen Voraussetzungen. Die Beschwerdeführerin geht davon aus, dass die
Strafe gemessen an den Schuldsprüchen, die sie selbst akzeptiert, zu hoch
ausgefallen sei, nicht aber gemessen an den Schuldsprüchen, die tatsächlich
ergangen sind. Sie anerkennt damit implizit, dass das ausgefällte Strafmass
den ergangenen Schuldsprüchen angemessen ist. Die Beschwerde ist insoweit
gegenstandslos, weil sie sich gar nicht auf das Verhältnis von Schuld und
Strafe im angefochtenen Urteil bezieht, sondern auf die Frage, wie die Strafe
zu bemessen wäre, wenn die Beschwerdeführerin in einzelnen Anklagepunkten
freigesprochen würde bzw. freigesprochen worden wäre. Auch insoweit kann auf
die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eingetreten werden.

III. Kosten

5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass auf beide Beschwerden nicht einzutreten
ist. Bei diesem Verfahrensausgang hat die Beschwerdeführerin die Kosten zu
tragen (Art. 156 Abs. 1 OG; Art. 278 Abs. 1 BStP).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Auf die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.

3.
Die Gerichtsgebühr von insgesamt Fr. 2'000.-- (je Fr. 1'000.-- für beide
Verfahren) wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft Oberwallis
und dem Kantonsgericht Wallis, Strafgerichtshof I, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. März 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: