Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.128/2003
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6P.128/2003 /kra

Urteil vom 22. Januar 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen,
Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiber Boog.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Richard Jezler,

gegen

B.________,
C.________,
D.________,
Beschwerdegegner,
alle drei vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marco Mona,
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich,
Kassationsgericht des Kantons Zürich, Postfach 4875, 8022 Zürich.

Art. 29 Abs. 2 BV (Strafverfahren; rechtliches Gehör; willkürliche
Beweiswürdigung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Kassationsgerichts des
Kantons Zürich vom 14.8.2003.

Sachverhalt:

A.
A. ________ sollte am 3. März 1999 durch Beamte der Kantonspolizei Bern
fremdenpolizeilich per Flugzeug aus der Schweiz nach Kairo ausgeschafft
werden. Der Ausschaffungshäftling war bereits auf dem Weg von Bern zum
Flughafen Zürich-Kloten gefesselt worden und wurde anschliessend in einer
Zelle der Flughafenpolizei von den begleitenden Polizeibeamten geknebelt, um
sicherzustellen, dass er die Ausschaffung nicht durch Schreien behindern
würde. Die Knebelung (Mundverklebung) wurde von X.________, der in einer
benachbarten Zelle als begleitender Arzt mit der Ausschaffung eines anderen
Häftlings betraut war, daraufhin überprüft, ob eine genügende Nasenatmung
möglich sei. Beim anschliessenden Transport mittels Rollstuhl von der Zelle
zu einem wartenden Kleinbus wurde festgestellt, dass A.________ nicht mehr
ansprechbar war. In der Folge rief einer der Polizeibeamten X.________
herbei, der die Mundknebelung entfernte und versuchte, den
Ausschaffungshäftling durch Mundbeatmung zu reanimieren. Die Bemühungen
blieben ohne Erfolg. A.________ verstarb an einem Herz-Kreislaufversagen mit
Atemstillstand.

B.
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Bülach erklärte
X.________ mit Urteil vom 2. Juli 2001 der fahrlässigen Tötung schuldig und
verurteilte ihn zu fünf Monaten Gefängnis, mit bedingtem Strafvollzug, unter
Auferlegung einer Probezeit von zwei Jahren. Ferner verpflichtete es den
Beurteilten zum Ersatz der Begräbniskosten und zur Bezahlung weiteren
Schadenersatzes, wobei er das Schadenersatzbegehren der Geschädigten im
Quantitativ auf den Zivilweg verwies. Im Weiteren verurteilte der
Einzelrichter X.________ zur Zahlung von Genugtuungen in der Höhe von Fr.
30'000.-- an die Geschädigte B.________ und von je Fr. 10'000.-- an die
Geschädigten C.________ und D.________. Auf die Genugtuungsforderungen der
übrigen Familienangehörigen trat er nicht ein. Auf Berufung von X.________
bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 29. Mai 2002 das
erstinstanzliche Urteil im Schuldspruch und setzte die ausgesprochene Strafe
auf drei Monate Gefängnis, mit bedingtem Strafvollzug bei einer Probezeit von
zwei Jahren, herab. Im Zivilpunkt bestätigte es das erstinstanzliche Urteil.
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies mit Beschluss vom 14. August
2003 eine hiegegen erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab.

C.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde, mit der er die Aufhebung des
angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Sache zur neuen Entscheidung an
das Kassationsgericht des Kantons Zürich beantragt. Ferner stellt er das
Gesuch, seiner Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

D.
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

E.
Mit Verfügung vom 20. Oktober 2003 ordnete der Präsident des Kassationshofs
superprovisorisch an, dass bis zum Entscheid über das Gesuch um aufschiebende
Wirkung alle Vollziehungsvorkehrungen betreffend Zivilforderung zu
unterbleiben haben.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die Beschwerdeschrift die wesentlichen
Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche
verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch
den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt worden sind. Im
staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht nur klar und
detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf ungenügend
begründete Rügen und eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen
Entscheid tritt es nicht ein (BGE 125 I 71 E. 1c und 492 E. 1b mit
Hinweisen).

1.2 Der Beschwerdeführer beschränkt sich in weiten Teilen darauf, die im
Laufe des kantonalen Verfahrens von ihm erhobenen Einwände darzulegen. Mit
dem angefochtenen Beschluss des Kassationsgerichts setzt er sich nur am Rande
auseinander. Es fragt sich daher, ob auf die Beschwerde mangels genügender
Begründung überhaupt eingetreten werden kann. Die Frage kann jedoch offen
bleiben, da die Beschwerde jedenfalls unbegründet ist und abgewiesen werden
muss.

2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches
Gehör. Er macht geltend, das vom Institut für Rechtsmedizin an der
Universität Zürich (IRM) zur Todesursache erstattete Obduktionsgutachten vom
29. Dezember 1999 und das Ergänzungsgutachten nebst Nachtrag vom 30. Oktober
2000 seien in verschiedener Hinsicht nicht schlüssig. Er habe vor allen
kantonalen Instanzen geltend gemacht, dass andere Todesursachen als der vom
Gutachter allein näher untersuchte Tod durch Ersticken wahrscheinlicher,
zumindest aber ebenso wahrscheinlich seien. Deshalb habe er mehrfach die
Einholung eines weiteren Gutachtens von einem unabhängigen Gutachter
beantragt.

2.1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV umfasst u.a.
das Recht des Betroffenen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden
und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich
zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den
Entscheid zu beeinflussen (BGE 126 I 15 E. 2a/aa; 124 I 49 E. 3a und 241 E. 2
je mit Hinweisen). Der Richter muss somit rechtzeitig und formrichtig
angebotene erhebliche Beweismittel abnehmen (BGE 122 I 53 E. 4a mit
Hinweisen). Dies verwehrt es ihm indes nicht, einen Beweisantrag abzulehnen,
wenn er in willkürfreier Würdigung der bereits abgenommenen Beweise zur
Überzeugung gelangt, der rechtlich erhebliche Sachverhalt sei genügend
abgeklärt, und er überdies in willkürfreier antizipierter Würdigung der
zusätzlich beantragten Beweise zur Auffassung gelangen durfte, weitere
Beweisvorkehren würden an der Würdigung der bereits abgenommenen Beweise
voraussichtlich nichts mehr ändern (BGE 124 I 208 E. 4a; 122 II 464 E. 4a;
122 III 219 E. 3c; 122 V 157 E. 1d je mit Hinweisen).

Ob ein Gericht die im Gutachten enthaltenen Erörterungen für überzeugend hält
oder nicht und ob es dementsprechend den Schlussfolgerungen des Experten
folgen oder eine Oberexpertise anordnen soll, ist eine Frage der
Beweiswürdigung. Zieht der Richter mangels eigener Fachkenntnis einen
Experten bei, ist er bei der Würdigung des Gutachtens grundsätzlich frei. Er
darf aber nicht ohne triftige Gründe in Fachfragen seine Meinung anstelle
derjenigen des Experten stellen. Weicht er von den Folgerungen des Gutachters
ab, so hat er dies zu begründen (BGE 101 IV 129 E. 3a mit Hinweisen).

2.2
2.2.1Die kantonalen Instanzen folgen für die Frage der Todesursache des
Opfers dem Obduktionsgutachten des IRM Zürich vom 29. Dezember 1999. Dieses
stellte beim Opfer als auffälligsten Befund eine beträchtliche Einengung des
Nasenganges auf der rechten Seite durch eine stark verbogene Nasenscheidewand
fest. Es gelangte zum Schluss, das Opfer sei an den Folgen der im Rahmen der
Ausschaffung vollzogenen Zwangsmassnahmen erstickt. Es liege ursächlich ein
Tod durch mechanisches Ersticken vor, wobei anteilsmässig - aber nicht
hauptgewichtig - auch Phänomene, wie sie bei der so genannten "positional
asphyxia" (lagebedingter Erstickungstod) beschrieben würden, mitgespielt
hätten. Der Sachverständige stützte sich hiefür u.a. auf die Art und Weise
der Fesselung des Opfers, die Verklebung der Mundöffnung bei vorbestandener
funktioneller Atmung durch ein Nasenloch, die diversen Hinweise, dass das
Opfer zuvor über Stunden stark erregt und unruhig gewesen sei und sich in
gefesseltem Zustand schreiend gegen die Verklebung des Mundes und das
Anbinden an den Rollstuhl gewehrt habe, die durch eine Fesselung und
Anbindung an den Rollstuhl plausiblen mechanischen und positionellen
Behinderungen der Zwerchfell- und Bauchatmung sowie die Beeinträchtigung der
Nasenatmung durch die Nasenscheidewandverkrümmung. Am 30. Oktober 2000
erstattete der Sachverständige ein Ergänzungsgutachten inklusive Nachtrag,
worin er zu den vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen Stellung nahm.
Darin hielt er im Wesentlichen an der Beurteilung der Todesursache fest.

2.2.2 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers erscheinen das Gutachten
und seine Ergänzung in allen Teilen als schlüssig. Der Gutachter hat sich mit
den kritischen Punkten und den vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen
auseinander gesetzt und die verschiedenen Komponenten des Geschehens
einleuchtend gewichtet. Dass die kantonalen Instanzen darauf abstellen und
den Antrag auf Einholung eines Obergutachtens abgelehnt haben, ist daher
nicht zu beanstanden.

Was der Beschwerdeführer dagegen einwendet, führt zu keinem anderen Ergebnis.
So trifft entgegen seiner Auffassung nicht zu, dass das Gutachten der
Erscheinung der "positional asphyxia" erst im Ergänzungsgutachten Beachtung
geschenkt hat. Vielmehr hat der Sachverständige dieses Phänomen bereits im
ersten Obduktionsgutachten in seine Überlegungen zur Todesursache
miteinbezogen und ist zum Schluss gelangt, dass beim Tod durch mechanisches
Ersticken "anteilsmässig - aber nicht hauptgewichtig - auch Phänomene wie sie
bei der sog. 'positional asphyxia' beschrieben werden, mitgespielt haben"
(Gutachten, act. 24/6 S. 9 und 19).

Ohne Grund beanstandet der Beschwerdeführer ferner, dass der Gutachter die
nach dem Anlegen der Mundverklebung vorgenommene Prüfung der
Nasenatmungsaktivität als nicht aussagekräftig eingestuft habe, weil diese in
Ruhe vorgenommen worden sei, sich die Situation unter Anstrengung und Stress
jedoch verändere. Zwar trifft zu, dass das Opfer nach den Feststellungen des
Obergerichts beim Verkleben des Mundes stark erregt und aufgewühlt war und
dass ihm ein Beruhigungsmittel verabreicht worden ist. Der eigentliche
Widerstand gegen die Fesselungsmassnahmen mit dem damit verbundenen erhöhten
Erregungszustand begann aber nach den kantonalen Instanzen erst, nachdem das
Opfer für den Transport zum Kleinbus auf den Rollstuhl umgeladen worden war.
Zwischen dem Zeitpunkt der Atmungskontrolle und dem späteren Zustand beim
Umladen auf den Rollstuhl bestand somit, wie das Kassationsgericht annimmt,
ein erheblicher Unterschied. Diese Annahme ist nicht schlechterdings
unhaltbar. Aus dem Urteil des Obergerichts, das sich insofern auf die
Aussagen des Beschwerdeführers stützt, ergibt sich, dass das Opfer vor der
Knebelung zwar unruhig gewesen sei und den Kopf weggedreht habe, sich aber
nicht stark gegen die Mundverklebung gewehrt habe. Das Obergericht weist auf
die weiteren für die Atmung negativen Faktoren hin, nämlich darauf, dass das
Opfer sich streckte und aufbäumte, dass es an den Beinen und Handgelenken
sowie an den Oberarmen und am Oberkörper gefesselt war und dass es im
Rollstuhl nach hinten gekippt wurde. Nach den einlässlichen Ausführungen im
Obduktionsgutachten zum Ersticken infolge Verlegung der Atemwege wurde durch
diese Umstände der verhängnisvolle Verlauf in Gang gesetzt, der zum
Erstickungstod des Opfers führte. Ein Widerspruch im Gutachten oder im
angefochtenen Beschluss ist nicht ersichtlich.

Unbegründet ist die Beschwerde auch, soweit der Beschwerdeführer beanstandet,
die kantonalen Instanzen hätten seine Erstehilfemassnahmen zu Unrecht als
ineffizient eingestuft. Die kantonalen Instanzen stützen sich diesbezüglich
auf das Ergänzungsgutachten, das anhand einer Zeittabelle im Einzelnen
dokumentiert, wie sich die letzte Phase bis zum Tod des Opfers zeitlich
abgespielt hat. Der Gutachter nimmt darin an, der die Herzmassage ausführende
Beamte habe diese nicht so bewerkstelligen können, dass eine effiziente
Blutzirkulation zum Hirn zustande gekommen sei. Hiefür spricht auch, dass der
Notfallarzt bei seinem Eintreffen das Opfer bereits als tot einschätzte.
Willkür liegt auch in diesem Punkt nicht vor, und es ist insofern auch keine
Verletzung der Begründungspflicht ersichtlich (vgl. BGE 126 I 97 E. 2b).

Schliesslich drängen sich auch aufgrund der übrigen vom Beschwerdeführer
vorgebrachten Gesichtspunkte, namentlich der angeblich vorbestandenen
Schädigung des Herzens des Opfers, des erhöhten Kreatininwertes, des im Urin
nachgewiesenen Amitriptylins und des angeblichen Mendelsohn-Syndroms, keine
begründeten Zweifel an der Schlüssigkeit des Gutachtens auf. Zu all diesen
Punkten hat der Gutachter im Obduktionsgutachten und auf Fragen des
Beschwerdeführers hin im Ergänzungsgutachten eingehend Stellung genommen. Der
Beschwerdeführer beschränkt sich denn auch lediglich auf den Einwand, andere
Todesursachen als der vom Gutachter in den Vordergrund gestellte Tod durch
Ersticken seien mindestens ebenso wahrscheinlich. Damit lässt sich aber die
Notwendigkeit für die Einholung eines Obergutachtens nicht begründen. Der
Umstand, dass das Gutachten im Ergebnis nicht mit der Auffassung des
Beschwerdeführers übereinstimmt, erlaubt nicht den Schluss darauf, es sei
nicht stichhaltig. Es mag zutreffen, dass auch eine andere Lösung oder
Würdigung als vertretbar erscheint, doch genügt dies nach ständiger
Rechtsprechung für die Begründung von Willkür nicht.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet.

3.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Mit
dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
und dem Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Januar 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: