Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.116/2003
Zurück zum Index Kassationshof in Strafsachen 2003
Retour à l'indice Kassationshof in Strafsachen 2003


6P.116/2003
6S.325/2003 /pai

Urteil vom 3. Januar 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger,
Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiber Heimgartner.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Thomas Ulrich,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Aabachstrasse 1, Postfach 760, 6301 Zug,
Obergericht des Kantons Zug, Strafrechtliche Abteilung, Postfach 800, 6301
Zug.

6P.116/2003
Art. 9 und 32 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Ziff. 2 EMRK (Strafverfahren;
Beweiswürdigung, Grundsatz "in dubio pro reo")

6S.325/2003
sexuelle Nötigung; Strafzumessung,

Staatsrechtliche Beschwerde (6P.116/2003) und Nichtigkeitsbeschwerde
(6S.325/2003) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug,
Strafrechtliche Abteilung, vom 1. Juli 2003.

Sachverhalt:

A.
X. ________ lernte A.________ im August 2000 über eine Radiosendung kennen,
die Kontakte vermittelt. In der Folge entwickelte sich zwischen ihnen eine
Bekanntschaft. Am Abend des 23. Dezembers 2000 besuchte X.________ die
sexuell unerfahrene A.________ verabredungsgemäss in ihrer Wohnung. Zunächst
unterhielten sie sich für eine Weile, wobei A.________ einmal in die
Waschküche hinunterging. In dieser Zeit versteckte X.________ einen von zu
Hause mitgenommenen Verband hinter Sofakissen. Nachdem A.________
zurückgekommen war, begannen sie zusammen auf dem Sofa einen Spielfilm zu
schauen. Während des Films nahm er plötzlich das Band hervor und fesselte sie
an den Händen und Beinen. Dann zwang er sie zu folgenden sexuellen
Handlungen: Er wies sie an, ihn mit der Hand zu befriedigen und drückte ihr
seinen Penis in den Mund. Weiter suchte er Befriedigung, indem er seinen
Penis zwischen ihren Brüsten rieb. Zeitweise hielt er ihr den Mund zu.
Während den Handlungen liess er ein Video mit pornographischem Inhalt laufen.

B.
Mit Urteil vom 30. Oktober 2002 verurteilte das Strafgericht des Kantons Zug
X.________ wegen sexueller Nötigung gemäss Art. 189 Abs. 1 StGB zu einer
bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 18 Monaten.

C.
Auf Berufung der Staatsanwaltschaft verurteilte das Obergericht des Kantons
Zug am 1. Juli 2003 X.________ in Bestätigung des Schuldpunkts zu einer
Zuchthausstrafe von 24 Monaten.

D.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts. Mit beiden
Rechtsmitteln beantragt er die Aufhebung des Urteils und die Rückweisung der
Sache an das Obergericht. Ferner ersucht er um Bewilligung der
unentgeltlichen Rechtspflege und der unentgeltlichen Verbeiständung für beide
bundesgerichtlichen Verfahren.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

I. Staatsrechtliche Beschwerde

1.
Der Beschwerdeführer rügt, die Annahme des Obergerichts, er habe einen
Samenerguss gehabt, stehe in klarem Widerspruch mit der tatsächlichen
Situation und beruhe auf einem offensichtlichen Fehler in der
Beweiswürdigung. Damit sei der Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt worden.

1.1 Gemäss der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten
Maxime "in dubio pro reo" ist bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld zu
vermuten, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.

Als Beweiswürdigungsregel besagt die Maxime, dass sich der Strafrichter nicht
von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt
erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der
Sachverhalt so verwirklicht hat (BGE 127 I 38 E. 2a). Die
Beweiswürdigungsregel ist verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des
Angeklagten hätte zweifeln müssen.

1.2 Die Frage, ob ein Samenerguss stattgefunden hat, ist weder hinsichtlich
der Tatbestandsmässigkeit noch bezüglich der Schwere des Verschuldens
erheblich. Das Obergericht hat diesem Umstand als eine mögliche Erklärung für
die Beendigung der Tat Bedeutung zugemessen. Ansonsten ging es davon aus,
dass er von der Geschädigten abliess, weil ihn diese betreffend seinen
Vorstellungen nicht gänzlich zufrieden stellen vermochte. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers hat das Obergericht dem fraglichen Umstand
keine wesentliche Bedeutung für die Höhe des Verschuldens beigemessen. Die
betreffende Rüge stösst folglich ins Leere. Die Beschwerde ist somit in
diesem Punkt abzuweisen.

2.
Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, das Obergericht habe bei der
Strafzumessung seine aufrichtige Reue zu Unrecht nicht strafmindernd
berücksichtigt. Dabei habe er vor Gericht mehrfach beteuert, er bereue seine
Tat aufrichtig. Es treffe zwar zu, dass er sich bei der Geschädigten noch
nicht entschuldigt habe. Der Grund hierfür liege aber darin, dass er eine
entsprechende Entschuldigung nicht ohne Hilfe formulieren könne. Nach dem
Grundsatz "in dubio pro reo" sei folglich davon auszugehen, dass er seine Tat
aufrichtig bereue.

Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwieweit das Obergericht von Tatsachen
ausgegangen ist, die mit der tatsächlichen Situation im Widerspruch stehen.
Die von ihm angeführten Umstände hat es in Betracht gezogen. Es gelangte
jedoch zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer keine aufrichtige Reue gezeigt
hat. Diese Rüge betrifft - obwohl unter dem Titel der Verletzung von
Verfassungsrecht erhoben - die Verletzung von Bundesrecht (Art. 63 StGB). Es
ist darauf im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde nicht einzutreten.

II. Nichtigkeitsbeschwerde

3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei in Verletzung von Art. 63 StGB zu
einer Strafe verurteilt worden, die nicht seinem Verschulden entspreche.

3.1 Der Richter bemisst die Strafe nach dem Verschulden des Täters. Er
berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen
Verhältnisse des Täters (Art. 63 StGB). Das Bundesgericht hat die bei der
Strafzumessung geltenden Grundsätze letztmals in BGE 129 IV 6 E. 6 erläutert.
Es kann darauf verwiesen werden.

3.2 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe bei der Strafzumessung zu
Unrecht ausser Acht gelassen, dass er seine Tat aufrichtig bereue.

3.2.1 Vor Gericht habe er seine Reue mehrfach beteuert. Es treffe zwar zu,
dass er sich bei der Geschädigten noch nicht entschuldigt habe. Er habe sich
dazu erst mit seinem Therapeuten absprechen und mit ihm ein angemessenes
Schreiben ausarbeiten wollen. Dass dieses Vorhaben bis anhin nicht realisiert
wurde, könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Unmittelbar nach der
erstinstanzlichen Verhandlung vom 30. Oktober 2002 habe er mit Hilfe seines
Hausarztes einen geeigneten Therapeuten gefunden. Der auf zwei Monate später
angesetzte Termin habe ihm dieser aber leider wegen Überlastung abgesagt.
Trotz intensiver Suchbemühungen habe er danach sechs Monate gebraucht, um
einen neuen Therapeuten zu finden. Die erste Therapiesitzung habe erst nach
der Verhandlung bei der Vorinstanz stattgefunden. Der Umstand, dass er sich
bis dahin nicht bei seinem Opfer entschuldigt habe, könne demzufolge nicht zu
seinen Ungunsten ausgelegt werden.

3.2.2 Die Vorinstanz hielt diesbezüglich fest, der Beschwerdeführer habe zwar
anlässlich der Verhandlung erklärt, dass er die Tat bereue. Dem stehe aber
entgegen, dass er den Tatort nicht aus Schamgefühl verlassen und der
Geschädigten nach der Tat ein SMS perversen Inhalts gesendet habe. Wenn er
zwischenzeitlich tatsächlich hätte Reue zeigen wollen, hätte er diese auf
irgendeine Weise auch gegenüber der Geschädigten kund tun müssen. Seine
Äusserung, er benötige die Hilfe eines Psychotherapeuten, um einen
entsprechenden Brief zu schreiben, erscheine gesucht. Er hätte auch
beispielsweise seinen Verteidiger um Hilfe bei der Formulierung eines
entsprechenden Textes bitten können.

3.2.3 Die Vorinstanz hat sich eingehend mit der angeblichen Reue des
Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Dabei hat sie sein gesamtes Verhalten
nach der Tat gewürdigt. Sie hat dargelegt, dass er zunächst überhaupt keine
Reue zeigte, indem er der Geschädigten unmittelbar nach der Tat ein SMS
perversen Inhalts sendete. Weiter hat sie zu Recht in Betracht gezogen, dass
er sich bei ihr nie entschuldigt hat. Dabei hat sie aufgezeigt, dass die von
ihm vorgebrachten Ausflüchte, es habe ihm an fachkundiger Hilfe gefehlt,
nichts an diesem Bild zu ändern vermögen. Aufgrund fehlender Taten gegenüber
der Geschädigten, die auf Bedauern und Schuldbewusstsein schliessen lassen,
kann dem Beschwerdeführer keine Reue mit strafminderndem Gewicht zu Gute
gehalten werden. Blosse Beteuerungen vor dem Gericht reichen nicht aus. Die
Vorinstanz hat somit diesen Gesichtspunkt zu Recht nicht zu seinen Gunsten
berücksichtigt, und eine Verletzung von Art. 63 StGB liegt nicht vor. Die
Beschwerde ist in diesem Punkt abzuweisen.

3.3 Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Vorinstanz habe bei der
Strafzumessung zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass bei Ausfällung einer
Gefängnisstrafe von 18 Monaten der bedingte Strafvollzug möglich gewesen
wäre.

3.3.1 Nach der Rechtsprechung hat sich der Richter dort, wo er eine
Freiheitsstrafe von nicht erheblich mehr als 18 Monaten in Betracht zieht und
die Voraussetzungen des bedingten Strafvollzugs gemäss Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1
StGB im Übrigen gegeben sind, mit der Frage auseinander zu setzen, ob
angesichts der persönlichen Verhältnisse des Täters der Vollzug einer
Freiheitsstrafe nicht der angestrebten Resozialisierung als Ziel des
Strafvollzugs zuwiderlaufe (BGE 121 IV 97 E. 2c; 118 IV 337 E. 2c).

3.3.2 Gemäss der Praxis des Kassationshofs ist eine Freiheitsstrafe bis 21
Monaten als "nicht erheblich länger" als 18 Monate zu werten (BGE 127 IV 97
E. 3, mit Hinweisen). Die gefällte Gefängnisstrafe von 24 Monaten liegt somit
deutlich über dieser Grenze. Aus diesem Grund musste sich die Vorinstanz auch
nicht mit der Frage befassen, ob dem Vollzug der Strafe nicht der damit
angestrebte Zweck entgegensteht. Eine Verletzung von Bundesrecht ist nicht
ersichtlich, und die Beschwerde ist auch in diesem Punkt abzuweisen.

3.4 Die Vorinstanz hat sich - entgegen der diesbezüglich nicht näher
begründeten Rüge des Beschwerdeführers - auch mit den übrigen Tat- und
Täterkomponenten so auseinander gesetzt, dass die Strafzumessung
nachvollziehbar ist. Alle wesentlichen straferhöhenden und strafmindernden
Momente wurden korrekt bewertet und gewichtet. Im Übrigen liegt das Strafmass
im gesetzlichen Rahmen. Die Rüge ist somit abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann.

III. Kosten und Entschädigung

4.
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung sind
abzuweisen, da die Anträge des Beschwerdeführers als von Anfang an
aussichtslos erschienen (Art. 152 Abs. 1 OG). Entsprechend dem Ausgang des
Verfahrens hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen.
Seinen finanziellen Verhältnissen ist mit einer reduzierten Gerichtsgebühr
Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

3.
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege werden abgewiesen.

4.
Die Gerichtsgebühr von insgesamt Fr. 1'600.-- wird dem Beschwerdeführer
auferlegt.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zug und dem Obergericht des Kantons Zug, Strafrechtliche Abteilung,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Januar 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: