Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.110/2003
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6P.110/2003 /kra

Urteil vom 30. Oktober 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly,
Gerichtsschreiber Heimgartner.

A. ________SA,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Maître Christophe Wagner, place des
Halles, rue du Trésor 9, 2001 Neuchâtel 1,

gegen

XZ.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Hans-Jürg Künzi, Thunstrasse
84, Postfach 457, 3074 Muri b. Bern,
Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, Postfach 7475, 3001 Bern.

Art. 9 BV (Strafverfahren, willkürliche Beweiswürdigung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Bern, 1. Strafkammer, vom 30. Juni 2003.

Sachverhalt:

A.
XZ.________ war als Angestellter der A.________AG für die Verteilung einer
Zeitung in Biel und im Berner Jura, namentlich für das Auffüllen der
Zeitungskästen sowie das Einsammeln der dazugehörenden Geldkassetten,
verantwortlich. Mit einem nachgemachten Schlüssel nahm er im Zeitraum
zwischen Februar 1999 und März 2001 rund Fr. 200'000.-- aus den Geldkassetten
an sich.

Das Kreisgericht Biel-Nidau verurteilte XZ.________ am 22. August 2002 wegen
gewerbsmässigen Diebstahls zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von
17 Monaten. Schuldspruch und Strafe blieben unangefochten und sind in
Rechtskraft erwachsen.

B.
Die A.________AG machte im Verfahren vor Kreisgericht adhäsionsweise
Schadenersatzansprüche gegen XZ.________ in der Höhe von Fr. 1'177'083.--
geltend. Das Kreisgericht hiess die Zivilklage dem Grundsatz nach gut und
verwies die Parteien zur Festsetzung der Höhe der Zivilforderung an den
Zivilrichter.

Das Kreisgericht hielt fest, XZ.________ habe einen Schadensbetrag von Fr.
200'000.-- anerkannt, mache jedoch Verrechnung mit Forderungen aus dem
Arbeitsvertrag geltend. Ein Feststellungsurteil betreffend die anerkannten
Fr. 200'000.-- falle ausser Betracht, da die gesamte Zivilforderung,
inklusive der geltend gemachten Verrechnung, nicht liquid sei.

C.
Im Rahmen der Voruntersuchung waren verschiedene Vermögenswerte beschlagnahmt
worden. Das Kreisgericht zog einen Teil derselben ein und hob die
Beschlagnahme der Übrigen auf.

Aufgehoben wurde die Beschlagnahme einer Liegenschaft in B.________,
eingetragen auf die einfache Gesellschaft XZ.________ und YZ.________. Das
Kreisgericht hielt fest, es sei zwar plausibel, aber nicht rechtsgenüglich
bewiesen, dass deliktisch erlangtes Geld in diese Liegenschaft geflossen sei.
Überdies erscheine angesichts des erstellten Deliktsbetrags eine Einziehung
der Liegenschaft unverhältnismässig. Zudem stünde diese im Gesamteigentum von
XZ.________ und YZ.________.
Aufgehoben wurde sodann die Beschlagnahme der auf XZ.________ lautenden
Konten mit einem Saldo von rund Fr. 75'000.--, mit Ausnahme von Fr. 5'500.--,
welche für die Bezahlung der auf XZ.________ entfallenden Gerichtskosten
eingezogen wurden. Das Kreisgericht hielt fest, es könne nicht ermittelt
werden, welcher Teil des fraglichen Geldbetrages allenfalls deliktischer
Herkunft sei. Im Übrigen stehe die Zivilforderung nicht ziffernmässig fest,
weshalb eine Einziehung zugunsten der Zivilklägerin nicht möglich sei.

D.
Die A.________AG führte beim Obergericht Appellation gegen die Aufhebung der
beiden Beschlagnahmungen. Sie beantragte, es sei die Einziehung
(confiscation) der Liegenschaft und der Konten anzuordnen.

Das Obergericht wies die Appellation am 30. Juni 2003 mit der Begründung ab,
es seien weder die Voraussetzungen für eine direkte Aushändigung an die
Geschädigte noch für eine Einziehung zuhanden des Kantons erfüllt und die
Frage einer Ersatzforderung stelle sich aus prozessrechtlichen Gründen nicht
mehr. Demzufolge bestätigte es die von der Vorinstanz verfügte Aufhebung der
Beschlagnahme der  Vermögenswerte. In tatsächlicher Hinsicht hielt es
insbesondere fest, es sei nicht rechtsgenüglich bewiesen, dass die
gestohlenen Gelder auf den beschlagnahmten Konten oder in Form eines
Sachwertes in der Liegenschaft in B.________ liegen.

E.
Die A.________AG erhob staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des
Obergerichts. Diese richtet sich ausschliesslich gegen die Aufhebung der
Beschlagnahme der Liegenschaft in B.________ und der auf XZ.________
lautenden Konten. Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.

Die A.________AG erhob ferner eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Willkürverbotes (Art. 9 BV)
im Zusammenhang mit der Feststellung des Obergerichts, es sei nicht
rechtsgenüglich bewiesen, dass die gestohlenen Geldwerte auf den
beschlagnahmten Konten oder in Form eines Sachwertes in der Liegenschaft in
B.________ liegen.

Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon, wenn eine andere Lösung ebenfalls
vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst, wenn er
offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.
Willkür liegt ferner nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines
Entscheids, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 129 III 417 E. 2;
123 I 1 E. 4a, mit Hinweisen).

1.1 Die Beschwerdeführerin geht nicht eigentlich auf die Begründung des
Obergerichts ein und setzt sich nicht mit ihr auseinander, um aufzuzeigen,
warum sie willkürlich sei. Sie legt vielmehr dar, welche Schlüsse nach ihrem
Dafürhalten aus den Akten und der finanziellen Situation des
Beschwerdegegners hätten gezogen werden müssen. Eine solche appellatorische
Kritik ist im Rahmen einer staatsrechtlichen Beschwerde unzulässig.

1.2 Die Beschwerdeführerin hebt insbesondere die Aussage des
Beschwerdegegners vor dem Kreisgericht hervor, dass er mit dem Deliktsbetrag
von Fr. 200'000.-- einen Teil des Hausbaus in B.________ finanziert habe.
Diese Aussage hat das Obergericht ausdrücklich berücksichtigt. Das
Obergericht hat aber zusätzlich in Betracht gezogen, dass der
Beschwerdegegner anlässlich der Voruntersuchung erklärt hatte, ein grosser
Teil der deliktischen Beträge sei für den Lebensunterhalt sowie das Bezahlen
von Rechnungen verwendet worden. Weiter hat es den Umstand berücksichtigt,
dass die Diebstähle zu einem Zeitpunkt anfingen, an welchem der Hausbau in
B.________ schon beendet war. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend,
Letzteres treffe nicht zu. Im Übrigen lässt nichts darauf schliessen, dass
der Beschwerdegegner das Geld nicht auch zumindest teilweise für den
Lebensunterhalt und zum Bezahlen von Rechnungen, wenn auch allenfalls von
solchen für Hypothekar-Zinsen, gebraucht hat.
Unter diesen Umständen ist die Annahme des Obergerichts vertretbar, das
gestohlene Geld sei nicht beziehungsweise nicht in einem feststellbaren
Umfang in die Liegenschaft investiert worden.

1.3 Nach der Auffassung des Obergerichts kann aus den Kontoauszügen und den
Aussagen des Beschwerdegegners nicht geschlossen werden, welcher Teil des
gestohlenen Geldes auf seine Konten geflossen sei. Zudem sei es plausibel,
dass er dieses Geld für den Lebensunterhalt benutzt habe. Hierbei ist
unbestritten, dass dem Beschwerdegegner im massgebenden Zeitraum auch aus
andern Quellen Geld zufloss, namentlich aus der Erhöhung der
Grundpfandschulden auf einem Grundstück in C.________ sowie als
Arbeitseinkommen, Invalidenrente und Arbeitslosenentschädigung.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, diese Einnahmen hätten nicht genügt, um
den Hausbau in B.________ zu finanzieren und die festgestellten Einzahlungen
auf die Konten zu tätigen. Das mag zutreffen. Das Obergericht selber stellt
nicht in Abrede, dass gestohlenes Geld auf die Konten geflossen sein und sich
auch noch dort befinden könnte. Es hält aber fest, es sei nicht in der Lage,
dies im Einzelnen nachzuweisen. Die generellen Ausführungen der
Beschwerdeführerin sind nicht geeignet, hierüber mehr Klarheit zu bringen und
die Auffassung des Obergerichtes als unhaltbar erscheinen zu lassen.

1.4 Das Obergericht hat somit die einzelnen, teilweise widersprüchlichen
Aussagen des Beschwerdegegners sowie die sich in den Akten befindlichen
Bankbelege gewürdigt und festgehalten, es könne daraus nicht mit genügender
Sicherheit schliessen, ob und in welchem Umfang gestohlenes Geld in die
Liegenschaft B.________ investiert worden sei beziehungsweise sich auf den
beschlagnahmten Konten befinde. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass diese
Schlussfolgerung des Obergerichts vertretbar und somit nicht willkürlich ist.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher abzuweisen.

2.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Kosten
des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. Oktober 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: