Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.74/2003
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6A.74/2003 /bie

Urteil vom 12. Januar 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Kolly und Karlen.
Gerichtsschreiberin Bendani.

X. ________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt lic.oec. Thomas Frey,

gegen

Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen, Abteilung
Massnahmen,Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen,
Verwaltungsrekurskommission des Kantons
St. Gallen, Abteilung IV, Unterstrasse 28,
9001 St. Gallen.

Entzug des Führerausweises,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der
Verwaltungsrekurskommission des Kantons
St. Gallen, Abteilung IV, vom 3. September 2003.

Sachverhalt:

A.
X. ________ überschritt am 20. Juli 2002 um 05.46 Uhr die signalisierte
Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts um 16 km/h (nach Abzug der
Sicherheitsmarge).

Das Untersuchungsamt St. Gallen verurteilte ihn deswegen am 23. September
2002 zu einer Busse von Fr. 490.--. Im Anschluss daran entzog das
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen X.________ am 3.
Dezember 2002 den Führerausweis für einen Monat. X.________ erhob gegen die
Entzugsverfügung Rekurs. Die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St.
Gallen wies den Rekurs am 3. September 2003 mit der Begründung ab, X.________
sei am 20. November 1998 bereits der Führerausweis für die Dauer eines Monats
wegen Überschreitung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um
23 km/h entzogen worden.

B.
X.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid
der Verwaltungsrekurskommission aufzuheben und eine Verwarnung auszusprechen.
Er stellt ein Gesuch um aufschiebende Wirkung.

Die Verwaltungsrekurskommission verzichtet auf Vernehmlassung, beantragt
jedoch die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Strassen verzichtet
auf Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Letztinstanzliche kantonale Entscheide über Führerausweisentzüge unterliegen
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (Art. 24 Abs. 2 SVG).

Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann beim Bundesgericht die Verletzung von
Bundesrecht, einschliesslich der Überschreitung oder des Missbrauchs des
Ermessens, gerügt sowie eine unrichtige und unvollständige Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhaltes geltend gemacht werden (Art. 104 lit. a und b
OG). Nicht überprüfen kann das Bundesgericht grundsätzlich die Angemessenheit
des angefochtenen Entscheids (Art. 104 lit. c OG). Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG
ist das Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhaltes gebunden, wenn
eine richterliche Behörde als Vorinstanz den Sachverhalt nicht offensichtlich
unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt hat.

2.
Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst geltend, eine
Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts um 16 km/h stelle objektiv einen
leichten Fall im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG dar. Der objektiv
leichte Fall, die konkreten Umstände sowie der Leumund als Automobilist seien
mit einer Verwarnung vereinbar und liessen den verfügten Ausweisentzug als
unverhältnismässig erscheinen.

2.1 Die Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 16
km/h stellt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts objektiv einen
leichten Fall im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG dar. Objektiv leichte
Fälle führen in der Regel zu einer Verwarnung. Allerdings kann die Prüfung
der konkreten Umstände wie etwa ungünstige Verkehrsverhältnisse, schlechte
Witterung, getrübter automobilistischer Leumund ergeben, dass die
Verkehrsregelverletzung nicht mehr als leicht erscheint, weshalb ein
Führerausweisentzug auszusprechen ist (BGE 128 II 86 E. 2b/c; 126 II 196 E.
2c; 124 II 475 E. 2a; 124 II 97 E. 2b).

Gemäss Art. 31 Abs. 2 VZV kann nur eine Verwarnung verfügt werden, wenn die
Voraussetzungen für den fakultativen Entzug nach Absatz 1 der Norm erfüllt
sind, der Fall aber unter Berücksichtigung des Verschuldens und des Leumundes
als Motorfahrzeugführer als leicht erscheint. Wie dargelegt, hat der
Beschwerdeführer einen fakultativen Entzugsgrund nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2
SVG verwirklicht. Die Vorinstanz hat festgestellt, es fehlten Anhaltspunkte,
die das Verschulden des Beschwerdeführers in subjektiver Sicht als besonders
leicht oder als schwerer erscheinen lassen könnten. Es stellt sich deshalb
nur die Frage, ob der Leumund des Beschwerdeführers als Automobilist mit
einer Verwarnung vereinbar ist.

2.2 Gegen den Beschwerdeführer wurde am 20. November 1998 der Entzug des
Führerausweis für die Dauer eines Monats wegen eines mittelschweren Falles
gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG verfügt. Der Entscheid wurde vom 24. Dezember 1999
bis zum 23. Januar 2000 vollzogen. Rund zweieinhalb Jahre später beging der
Beschwerdeführer die hier zu beurteilende Geschwindigkeitsüberschreitung. Der
automobilistische Leumund des Beschwerdeführers ist somit nicht ungetrübt.
Allerdings liegen zwischen dem ersten und dem hier zu beurteilenden Vorfall
über dreieinhalb Jahre, zwischem dem Vollzug des früheren
Führerausweisentzugs und dem neuen Vorfall rund zweieinhalb Jahre. Angesichts
dieser längeren Zeitdauer, in der sich der Beschwerdeführer im
Strassenverkehr wohl verhalten hat, fragt sich, ob die frühere
Administrativmassnahme eine Verwarnung ausschliesst.
Der Beschwerdeführer ist seit dem Jahre 1962, mithin seit über 40 Jahren, im
Besitze des Führerausweises. Aufgrund seines Berufes als Geschäftsführer
einer Firma für Bodenbeläge und Teppiche legt er jedes Jahr zwischen 50'000
und 60'000 km auf der Strasse zurück. Er fährt also seit langen Jahren und
legt jährlich grosse Strecken mit dem Personenwagen zurück. In den zwei
Jahren vor der zu beurteilenden Überschreitung der signalisierten
Geschwindigkeit innerorts um 16 km/h war dem Beschwerdeführer weder der
Führerausweis entzogen worden noch wurde gegen ihn eine andere
Administrativmassnahme ausgesprochen. Der zeitlich weiter zurückliegende
Führerausweisentzug betraf keinen schweren Fall. Unter diesen Umständen
verstösst es gegen Bundesrecht, allein aus der früheren Massnahme abzuleiten,
dass eine neue Verwarnung mit dem Vorleben des Beschwerdeführers nicht
vereinbar wäre (Art. 31 Abs. 2 VZV).

2.3 Im Übrigen wollte der Gesetzgeber mit der Teilrevision des SVG vom 14.
Dezember 2001 (vgl. AS 2002 2767 ff) härter gegen Fahrzeugführer vorgehen,
die innert bestimmter Fristen erneut den Verkehr gefährden. Das revidierte
Recht legt gesamtschweizerisch einheitliche Mindesttarife für die Anordnung
von Administrativmassnahmen fest, die für den Wiederholungsfall stufenweise
verschärft werden und bis zum unbefristeten Führerausweisentzug führen können
(BBl 1999 IV 4464).

Nach dem neuen Art. 16a SVG wird der Führerausweis nach einer leichten
Widerhandlung für mindestens einen Monat entzogen, wenn in den vorangegangen
zwei Jahren der Ausweis entzogen war oder eine andere Administrativmassnahme
verfügt wurde (Abs. 2). Die fehlbare Person wird verwarnt, wenn in den
vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis nicht entzogen war und keine andere
Administrativmassnahme verfügt wurde (Abs. 3). Wer sich während zwei Jahren
nach einem Entzug oder einer Verwarnung unauffällig verhält, wird also bei
einer neuen Widerhandlung grundsätzlich wieder wie ein Ersttäter behandelt
(BBl 1999 IV 4487).

Die Revision des Administrativmassnahmenrechts des SVG ist zwar noch nicht in
Kraft, doch kann sie angesichts des Umstandes, dass sie eine erhebliche
Verschärfung der Massnahmen zur Verbesserung der Sicherheit auf der Strasse
mit sich bringen wird (BGE 128 II 86 E. 2c; Urteil 6A.6/2003 vom 2. Mai
2003), hier zur Auslegung des geltenden Rechts herangezogen werden (vgl. dazu
grundsätzlich BGE 128 IV 3 E. 4c mit Hinweisen). Es verhält sich insoweit
anders als in Fällen, in denen die Rechtsprechung weniger streng ist als das
künftige Recht (vgl. BGE 128 II 86 E. 2c S. 90; Urteil 6A.6/2003 vom 2. Mai
2003 E. 1.2).

Nach künftigem Recht könnte also gegen den Beschwerdeführer auch nur eine
Verwarnung ausgesprochen werden, da ihm in den vorangegangenen zwei Jahren
weder der Ausweis entzogen noch eine andere Administrativmassnahme verfügt
worden war (vgl. Art. 16a Abs. 3 SVG revidierte Fassung). Gründe, das
geltende Recht strenger auszulegen und anzuwenden, als dies nach dem
grundsätzlich verschärften revidierten Recht der Fall sein wird, sind keine
ersichtlich.

3.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde gutzuheissen. Hebt das Bundesgericht
den angefochtenen Entscheid auf, so entscheidet es in der Sache selbst oder
weist diese zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurück (Art. 114 Abs. 2
OG). Die für den Entscheid wesentlichen Elemente liegen vor. Damit kann das
Bundesgericht selbst den Entscheid treffen, und gegen den Beschwerdeführer
eine Verwarnung aussprechen. Einzig für die Regelung der Kosten-und
Entschädigungsfolgen im kantonalen Verfahren ist die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden keine Kosten erhoben (Art. 156 Abs.
1 und 2 OG). Der Kanton St. Gallen hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid der
Verwaltungsrekurskommission vom 3. September 2003 aufgehoben.

2.
Der Beschwerdeführer wird in Anwendung von Art. 16 Abs. 2 SVG verwarnt.

3.
Im Übrigen wird die Sache zur Neuverlegung der Kosten- und
Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens an die
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.

4.
Es werden keine Kosten erhoben.

5.
Der Kanton St. Gallen hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

6.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und
Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen und der Verwaltungsrekurskommission
des Kantons St. Gallen, Abteilung IV, sowie dem Bundesamt für Strassen,
Abteilung Massnahmen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Januar 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: