Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.62/2003
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6A.62/2003 /pai

Urteil vom 25. November 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Weissenberger.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Oberholzer, Oberer
Graben 43,
9000 St. Gallen,

gegen

Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Abteilung IV,
Unterstrasse 28,
9001 St. Gallen.

Führerausweisentzug für die Dauer von sieben Monaten,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Abteilung IV, vom 2. Juli
2003.

Sachverhalt:

A.
X. ________ überschritt am frühen Nachmittag des 5. Dezember 2002 mit seinem
Personenwagen die signalisierte Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn von
120 km/h um toleranzbereinigte 44 km/h. Ihm war zuvor der Führerausweis vom
28. Februar 2002 bis zum 27. März 2002 entzogen worden, weil er die
Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn um 31 km/h überschritten hatte.

Das Untersuchungsamt Altstätten sprach X.________ mit Verfügung vom 13.
Februar 2003 für den neuen Vorfall der groben Verletzung von Verkehrsregeln
schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 1'000.--. Diese
Bussenverfügung wurde rechtskräftig.

Wegen des gleichen Ereignisses entzog das Strassenverkehrs- und
Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen X.________ den Führerausweis am 4.
Februar 2003 für acht Monate. Seinen dagegen erhobenen Rekurs hiess die
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen am 2. Juli 2003 teilweise
gut und setzte die Dauer des Führerausweisentzuges auf sieben Monate herab.

B.
X.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Hauptantrag, den
Entscheid der Verwaltungsrekurskommission im Entzugs-, Kosten- und
Entschädigungspunkt aufzuheben. Eventualiter sei ein Führerausweisentzug von
höchstens sechs Monaten zu verfügen.

Die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen beantragt, die
Beschwerde abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Nach Art. 24 Abs. 2 SVG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen
letztinstanzliche kantonale Entscheide über Führerausweisentzüge zulässig.
Die Voraussetzungen für die Ergreifung dieses Rechtsmittels sind erfüllt. Auf
die Beschwerde ist prinzipiell einzutreten.

1.2 Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen im Rahmen der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter bestimmten Voraussetzungen vorgelegt
werden. Ob dies zulässig ist, hängt im Einzelnen vom Umfang der
Sachverhaltsprüfung ab, der dem Bundesgericht zusteht. Ist wie hier die
Sachverhaltsüberprüfung durch das Bundesgericht eingeschränkt (Art. 105 Abs.
2 OG), sind nur solche neuen Beweismittel zugelassen, welche die Vorinstanz
von Amtes wegen hätte erheben müssen und deren Nichterhebung eine Verletzung
wesentlicher Verfahrensvorschriften darstellt (BGE 126 II 26 E. 2b S. 29, 121
II 97 E. 1c S. 99 f., 107 Ib 167 E. 1b S. 169).

Der Beschwerdeführer reicht ein ärztliches Zeugnis vom 4. September 2003 ein
und stützt seine Einwände teilweise darauf (Beschwerde, S. 5 ff.). Da die
Vorinstanz kein ärztliches Zeugnis hätte einholen müssen bzw. ihr Vorgehen
keine wesentlichen Verfahrensvorschriften verletzt hat, was der
Beschwerdeführer auch nicht geltend macht, ist das neue Beweismittel
unzulässig und deshalb nicht zu berücksichtigen.

1.3 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von
Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens,
nicht aber Unangemessenheit gerügt werden (Art. 104 OG). Nachdem als
Vorinstanz eine richterliche Behörde entschieden hat, ist das Bundesgericht
an die Feststellung des Sachverhaltes gebunden, soweit dieser nicht
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist (Art. 105 Abs. 2 OG).

Der Beschwerdeführer weicht in seiner Eingabe wiederholt vom Sachverhalt ab,
den die Vorinstanz festgestellt hat. Das betrifft insbesondere die Umstände
bzw. die Gründe für die Überschreitung der signalisierten
Höchstgeschwindigkeit (Beschwerde, S. 3 f.; angefochtenes Urteil, S. 4 f.)
sowie die Fähigkeit des Beschwerdeführers, öffentliche Verkehrsmittel zu
benutzen (Beschwerde, S. 6 f.; angefochtenes Urteil, S. 8). Der
Beschwerdeführer legt nicht dar, dass und inwiefern die Feststellungen im
angefochtenen Urteil unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften
zustande gekommen sein sollen. Dies ist auch nicht ersichtlich. Die sich
gegen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz richtenden Vorbringen
des Beschwerdeführers sind nicht zu hören.

2.
2.1 Der Führerausweis muss unter anderem entzogen werden, wenn der
Fahrzeuglenker den Verkehr in schwerer Weise gefährdet hat (Art. 16 Abs. 3
lit. a SVG). Die Dauer des Entzugs ist nach den Umständen festzusetzen. Sie
richtet sich gemäss Art. 33 Abs. 2 VZV vor allem nach der Schwere des
Verschuldens, dem Leumund als Motorfahrzeugführer sowie nach der beruflichen
Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen. Die Mindestdauer beträgt einen
Monat (Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG). Muss dem Fahrzeuglenker der Ausweis wegen
einer Widerhandlung entzogen werden, die er innert zwei Jahren seit Ablauf
des letzten Entzuges begangen hat, beträgt die Entzugsdauer mindestens sechs
Monate (Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG).

2.2 Der Beschwerdeführer hat einen Entzugsgrund gesetzt, der nach Art. 16
Abs. 3 lit. a und Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG zwingend den Entzug des
Führerausweises für die Dauer von mindestens sechs Monaten nach sich zieht.
Ausgehend von ihren verbindlichen tatsächlichen Feststellungen hat die
Vorinstanz zu Recht verneint, dass sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der
Tat in einer Notstandslage befand (angefochtenes Urteil, S. 4 f.). Eine
Unterschreitung der Mindestentzugsdauer wegen schwerer Betroffenheit analog
Art. 66bis StGB kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil die Krankheit des
Beschwerdeführers und die sich daraus ergebende erhöhte Angewiesenheit auf
den Führerausweis nicht unmittelbare Folge seiner Tat ist. Es kommt nur eine
Sanktionsminderung wegen der erhöhten Sanktionsempfindlichkeit in Betracht.
Auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Urteil kann verwiesen werden
(angefochtenes Urteil, S. 9 f.).
2.3 Die Vorinstanz führt aus, das Verschulden des Beschwerdeführers wiege
schwer (angefochtenes Urteil, S. 4 f. und 6). Das ist angesichts des
Umstandes, dass der Beschwerdeführer den Verkehr mit seiner Fahrweise in
schwerer Weise gefährdet hat (Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG), nicht zu
beanstanden. Der Beschwerdeführer gab bereits gegenüber der Polizei an, er
sei gedanklich noch bei seinem Arztbesuch gewesen, weshalb er der
Geschwindigkeit keine Beachtung geschenkt habe. Die an sich verständlichen
Hintergründe seiner Gedankenlosigkeit hat die Vorinstanz bereits zu Gunsten
des Beschwerdeführers gewichtet, indem es dessen Verschulden nicht als sehr
schwer, sondern bloss als schwer einstufte. Da das Fehlverhalten des
Beschwerdeführers nicht nur knapp, sondern sehr deutlich den schweren Fall im
Sinne von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG erfüllt (vgl. BGE 123 II 37 und 106 E.
2), und der neue Vorfall verhältnismässig kurze Zeit nach dem früheren
Ausweisentzug erfolgte, durfte die Vorinstanz die Mindestentzugsdauer von
sechs Monaten angemessen erhöhen. Der erhöhte Grad des Verschuldens und das
Ausmass des Rückfalls konnten sich aber höchstens mit zwei Monaten auswirken.

2.4 Leicht sanktionsmindernd wertet die Vorinstanz die krankheitsbedingt
erhöhte Sanktionsempfindlichkeit des Beschwerdeführers (angefochtenes Urteil,
S. 7 f.). Er sei nierenkrank und müsse sich deshalb regelmässig Dialysen
unterziehen. Ungefähr bis August 2003 müsse er sich dafür dreimal wöchentlich
zur ambulanten Hämodialyse ins Spital nach Walenstadt begeben. Danach sollte
es wieder möglich sein, die Peritonaealdialysen zu Hause durchzuführen, so
dass nur noch die regelmässigen Kontrollen am Kantonsspital St. Gallen
notwendig sein würden. Der Wohnort des Beschwerdeführers sei gut an den
öffentlichen Verkehr angebunden. Es gäbe stündlich Verbindungen zwischen
Weite und Walenstadt. Die Fahrtdauer betrage rund eine Stunde, was durchaus
zumutbar sei. Dass der Beschwerdeführer unter Umständen gelegentlich auch ein
Taxi, die Fahrdienste des Schweizerischen Roten Kreuzes oder ähnliche
Dienstleistungen in Anspruch nehmen müsse, liege im normalen Rahmen der
Auswirkungen eines Ausweisentzugs. Auch die Fahrt nach St. Gallen sei mit
öffentlichen Verkehrsmitteln möglich, obschon sie ein wenig mehr Zeit in
Anspruch nehme als die Fahrt nach Walenstadt. Dass er sich kaum zu Fuss
bewegen und deshalb die öffentlichen Verkehrsmittel nicht benutzen könne, wie
der Beschwerdeführer geltend mache, sei eine unbelegte blosse Behauptung und
nicht glaubhaft (angefochtenes Urteil, S. 7 f.).

Die Einschätzung der erhöhten Sanktionsempfindlichkeit nur als "leicht" ist
angesichts der von der Vorinstanz geschilderten Umstände und der
Herzkrankheit der Ehefrau des Beschwerdeführers (angefochtenes Urteil, S. 8),
die ihn deshalb nur beschränkt unterstützen kann, wohl zu streng. Zu beachten
gilt allerdings, dass der Beschwerdeführer nicht erwerbstätig ist und er es
sich damit ohne weiteres einrichten kann, längere Reisen mit den öffentlichen
Verkehrsmitteln zu unternehmen. Selbst wenn man eine mittelgradig erhöhte
Massnahmeempfindlichkeit annehmen wollte, verstösst die Dauer des
angeordneten Führerausweisentzugs nicht gegen Bundesrecht. Die erhöhte
Massnahmeempfindlichkeit vermag den Sanktionserhöhungsgrund des schweren
Verschuldens und des Grades des Rückfalls nicht vollständig zu kompensieren.
Eine Sanktionsreduktion im Umfang von einem Monat für die erhöhte
Massnahmeempfindlichkeit liegt noch innerhalb des Ermessensspielraums der
Vorinstanz.

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 156 Abs. 1
OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Verwaltungsrekurskommission
des Kantons St. Gallen, Abteilung IV, sowie dem Strassenverkehrs- und
Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Strassen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. November 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: