Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.35/2003
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6A.35/2003 /pai

Urteil vom 16. Oktober 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly,
Gerichtsschreiber Kipfer Fasciati.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Philipp Simmen, Dammstrasse
14, 2540 Grenchen,

gegen

Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn, Amthaus 1, Postfach 157, 4502
Solothurn.

Entzug des Führerausweises auf unbestimmte Zeit,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Solothurn vom 1. April 2003.

Sachverhalt:

A.
Zwischen 1990 und 2002 hatte die Administrativbehörde des Kantons Solothurn
mehrere strassenverkehrsrechtliche Administrativmassnahmen gegen X.________
verfügt. Weil X.________ am 16. August 2001 und 5. September 2002 wiederum
die Verkehrsregeln verletzte, ordnete die Abteilung Administrativmassnahmen
der Motorfahrzeugkontrolle Solothurn den vorsorglichen Entzug des
Führerausweises an und wies X.________ einer verkehrspsychologischen
Untersuchung zu. Gestützt auf deren Ergebnis verfügte das Departement des
Innern am 19. Februar 2003 den Entzug des Führerausweises auf unbestimmte
Zeit verbunden mit einer Probezeit von einem Jahr, gerechnet ab Datum der
Verfügung. Die darauf erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn am 1. April 2003 ab.

B.
X.________ führt eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde, mit der er
beantragt, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die
Verfügung des Departements des Innern sei insofern abzuändern, als die
Probezeit für den Ausweisentzug ab Datum der vorsorglichen Abnahme des
Führerausweises durch die Polizei (23. Oktober 2002) zu berechnen sei.

C.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn und das Bundesamt für Strassen
beantragen die Abweisung der Beschwerde.

D.
Mit Eingabe vom 7. Oktober 2003 beantragt der Beschwerdeführer, es sei der
Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen, und es sei vorsorglich
anzuordnen, dass er ab dem 23. Oktober 2003 das Gesuch um Wiedererteilung des
Führerausweises stellen dürfe.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Letztinstanzliche kantonale Entscheide über Führerausweisent-züge
unterliegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (Art. 24
Abs. 2 SVG). Der Beschwerdeführer hat als unmittelbar Betroffener ein
schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids,
weshalb er zur Beschwerde legitimiert ist (Art. 24 Abs. 5 SVG). Die
Beschwerde ist rechtzeitig erhoben worden. Auf die Beschwerde ist demnach
einzutreten.

1.2 Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht,
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, sowie die
unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts gerügt werden (Art. 104 lit. a und b OG). Das Bundesgericht
wendet im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde das Bundesrecht von
Amtes wegen an; es ist nach Art. 114 Abs. 1 OG an die von den Parteien
vorgebrachten Begründungen nicht gebunden und es kann die Beschwerde auch aus
anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen (BGE 129
II 175 E. 1.2 mit Hinweisen).

2.
Der Führerausweis ist zu entziehen, wenn festgestellt wird, dass die
gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen
(Art. 16 Abs. 1 SVG). Sicherungsentzüge dienen der Sicherung des Verkehrs vor
ungeeigneten Fahrzeugführern (Art. 30 Abs. 1 der Verordnung vom 27. Oktober
1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr, VZV;
SR 741.51). Der Ausweis wird auf unbestimmte Zeit entzogen, unter anderem
wenn der Führer "aus charakterlichen oder anderen Gründen nicht geeignet ist,
ein Motorfahrzeug zu führen"; mit dem Entzug ist eine Probezeit von
mindestens einem Jahr zu verbinden (Art. 17 Abs. 1bis SVG; vgl. auch Art. 33
VZV). Nach Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG darf der Führerausweis nicht erteilt
werden, wenn der Bewerber aufgrund seines bisherigen Verhaltens nicht Gewähr
bietet, dass er als Motorfahrzeugführer die Vorschriften beachten und auf die
Mitmenschen Rücksicht nehmen wird. Anzeichen hierfür bestehen, wenn
Charaktermerkmale des Betroffenen, die für die Eignung im Verkehr erheblich
sind, darauf hindeuten, dass er als Lenker eine Gefahr für den Verkehr
darstellt (BGE 104 Ib 95 E. 1 S. 97). Für den Sicherungsentzug aus
charakterlichen Gründen ist die schlechte Prognose über das Verhalten als
Motorfahrzeugführer massgebend (Peter Stauffer, Der Entzug des
Führerausweises, Diss. Bern 1966, S. 40). Die Behörden dürfen gestützt
hierauf den Ausweis verweigern oder entziehen, wenn hinreichend begründete
Anhaltspunkte vorliegen, dass der Führer rücksichtslos fahren wird (vgl.
Botschaft vom 24. Juni 1955 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den
Strassenverkehr, BBl 1955 II S. 21 f.). Die Frage ist anhand der Vorkommnisse
(unter anderem Art und Zahl der begangenen Verkehrsdelikte) und der
persönlichen Umstände zu beurteilen; in Zweifelsfällen ist ein
verkehrspsychologisches oder -psychiatrisches Gutachten gemäss Art. 9 Abs. 1
VZV anzuordnen.

3.
3.1 Das verkehrspsychologische Gutachten vom 20. Dezember 2002 kommt zum
Schluss, dass die charakterliche Eignung des Beschwerdeführers für das Lenken
eines Motorfahrzeugs nicht gegeben ist. Die Gutachter empfehlen die Anordnung
einer verkehrspsychologischen Beratung des Beschwerdeführers während eines
halben Jahres und die Festsetzung einer Probezeit von derselben Dauer.
Gestützt auf dieses Gutachten teilte das Departement des Innern dem
Beschwerdeführer am 14. Januar 2003 mit, es werde der Sicherungsentzug des
Führerausweises, verbunden mit der gesetzlichen Minimaldauer der Probezeit
von einem Jahr ins Auge gefasst. Mit seiner Stellungnahme vom 7. Februar 2003
erklärte der Beschwerdeführer, dass er den Sicherungsentzug unter den
konkreten Umständen für unverhältnismässig halte. Am 19. Februar 2003
verfügte das Departement des Innern den Sicherungsentzug des Führerausweises
und setzte die Probezeit, gerechnet ab Datum der Verfügung, auf ein Jahr
fest. Mit der darauf erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragte der
Beschwerdeführer, die Probezeit von einem Jahr sei ab dem 23. Oktober 2002,
dem Datum der provisorischen Abnahme des Führerausweises durch die Polizei,
zu rechnen.

3.2 Das Verwaltungsgericht weist die Beschwerde mit der folgender Begründung
ab: Die verfügende Behörde habe ihren Entscheid auf Grund der Prognose zu
fällen, welche Zeitspanne nach ihrem Dafürhalten erforderlich erscheine,
damit der Betroffene seine Fahreignung wieder gewinnen könne. Sie habe dabei
ein erhebliches Ermessen. Zwar gingen die Sachverständigen von einem halben
Jahr aus. Berücksichtige man aber auch die verkehrssicherheitsrelevante
Biographie des Beschwerdeführers - sieben Administrativmassnahmen seit 1995
-, sei festzustellen, dass das Departement das ihm zustehende Ermessen nicht
verletzt habe, als es von einer Probezeit von einem Jahr ausgegangen sei, die
knapp vier Monate des provisorischen Entzugs aber nicht berücksichtigt habe.
Vor dem Hintergrund der zahlreichen strassenverkehrsrechtlich relevanten
Vorfälle, die den automobilistischen Leumund des Beschwerdeführers belasten,
liege eine Probezeit von sechzehn Monaten im Bereich des dem Departement
zustehenden Ermessens.

3.3 Vor Bundesgericht ist allein die Berechnung des Fristenlaufs für die
Probezeit Gegenstand des Verfahrens; der Sicherungsentzug als solcher ist
nicht mehr umstritten. Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, was
er bereits im kantonalen Verfahren rügte. Ausserdem dürfe die Vorinstanz ihr
Ermessen nicht an die Stelle desjenigen der verfügenden Behörde setzen.

4.
Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob der Zeitraum des
provisorischen Führerausweisentzugs beim Fristenlauf zu berücksichtigen ist,
kann vorliegend offen gelassen werden. Bei seinem Entscheid über die Dauer
der mit dem Sicherungsentzug zu verbindenden Probezeit lässt sich der Richter
von einer Prognose über die mutmassliche Entwicklung des Betroffenen leiten.
Es steht ihm dabei ein erhebliches Ermessen zu. Kraft gesetzlicher Fiktion
ist - ausser beim Sicherungsentzug aus medizinischen Gründen - jedoch davon
auszugehen, dass mindestens ein Jahr erforderlich ist, um die fehlende
Fahreignung wieder herzustellen (Art. 17 Abs. 1bis SVG). Die Vorinstanz
weicht zwar von der Empfehlung der Sachverständigen ab, indem sie von einer
Probezeit von faktisch sechzehn Monaten ausgeht; sie tut dies jedoch mit
einlässlicher Begründung. Angesichts des erheblich getrübten
automobilistischen Leumunds des Beschwerdeführers liegt der vorinstanzliche
Entscheid über den Lauf und damit auch über die Dauer der Probezeit -
unwesentlich mehr als das gesetzliche Minimum - jedenfalls im Rahmen des der
kantonalen Behörde zustehenden Ermessens. Die Beschwerde ist demnach
abzuweisen.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Kosten zu
tragen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Verwaltungsgericht des
Kantons Solothurn sowie dem Departement des Innern des Kantons Solothurn und
dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Oktober 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: