Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.91/2003
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5C.91/2003 /bnm

Urteil vom 27. Mai 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Hohl, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Levante.

Z. ________ (Ehefrau),
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Kurt
Bischofberger, Mellingerstrasse 6, Postfach 2028, 5402 Baden,

gegen

X.________ (Ehemann),
Kläger und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Härdi,
Bachstrasse 40, Postfach, 5600 Lenzburg.

Abänderung des Scheidungsurteils,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1.
Zivilkammer, vom 18. Februar 2003.

Sachverhalt:

A.
Die Ehe von Z.________ (nachfolgend: Beklagte oder Rentengläubigerin) und
Y.________ (nachfolgend: Kläger oder Rentenschuldner) wurde mit Urteil des
Bezirksgerichtes Lenzburg vom 30. April 1987 geschieden. Der Beklagten wurde
damals eine Bedürftigkeitsrente im Sinne von Art. 152 aZGB in Höhe von
monatlich Fr. 700.-- zugestanden, die jeweils dem Landesindex der
Konsumentenpreise angepasst wurde.

B.
Der Kläger verlangte unmittelbar nach seiner Pensionierung Ende Juli 2000 die
Abänderung des Scheidungsurteils mit dem Klagebegehren, es sei der von ihm
bis anhin geleistete Unterhaltsbeitrag gänzlich aufzuheben. Zur Begründung
führte er aus, sein Renteneinkommen vermöge seinen um 20% erhöhten Notbedarf
nur knapp zu decken. Die Beklagte bestritt die Berechnung des Notbedarfs des
Klägers, wobei insbesondere die Hinzurechnung eines 20%igen Zuschlages bei
derart bescheidenen finanziellen Verhältnissen kritisiert wurde. Im Übrigen
führte sie aus, einer Reduktion auf der Einkommensseite des Rentenschuldners
um 19% müsse allenfalls eine ebenso bemessene Rentenherabsetzung entsprechen:
Der indexierte Unterhaltsbeitrag von zuletzt Fr. 910.-- sei demnach auf Fr.
740.-- herabzusetzen.

C.
In teilweiser Gutheissung der Klage setzte das Bezirksgericht Aarau mit
Urteil vom 26. September 2001 die Rente auf monatlich Fr. 250.-- herab. Es
ging dabei von einem Notbedarf des Rentenschuldners von Fr. 2'120.-- aus und
erweiterte diesen um 17,5%. Auf Seiten der Rentengläubigerin nahm es an, der
Sohn bezahle der Mutter für Kost und Logis Fr. 250.--, und dieser Beitrag -
zusammen mit ihrer Altersrente und dem vom Kläger noch zu erbringenden
Beitrag - würde ihren Notbedarf inklusive Steuern abdecken. Es auferlegte
weiter die Verfahrenskosten anteilsmässig den Parteien, mit Ausnahme der
Kosten für die Ausfertigung des begründeten Urteils, welche gänzlich der
Beklagten aufgebürdet wurden.

D.
Das Obergericht des Kantons Aargau schützte auf Appellation der  Beklagten
hin mit Urteil vom 18. Februar 2003 das erstinstanzliche Urteil im
Wesentlichen. Es befand insbesondere, dass im Rahmen eines Verfahrens auf
Abänderung des Scheidungsurteils in Anwendung von Art. 153 Abs. 2 aZGB die
vormals festgesetzte Rente nicht vollständig neu festzulegen, sondern
allenfalls verhältnismässig herabzusetzen sei, allerdings unter
Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen. Weil eben gerade
diesen Grundsatz verletzend könne die von der Beklagten anbegehrte
Herabsetzung der Rente um lediglich 19% - also im gleichen Verhältnis, wie
sich die Einkünfte des Rentenpflichtigen reduziert haben - nicht geschützt
werden. Der erstinstanzlich festgelegte Betrag von Fr. 250.-- ermögliche
hingegen, dem Rentenpflichtigen noch 18% über seinem Existenzminimum liegende
Einkünfte zu belassen, und vermöge gleichzeitig den Notbedarf der
Rentengläubigerin gerade noch zu decken. Das Obergericht bestätigte im
Weiteren die erstinstanzliche Kostenfolge, mit Ausnahme der Kosten für die
Urteilsausfertigung, welche es als ordentliche Prozesskosten betrachtete und
den Parteien im Verhältnis ihres Obsiegens und Unterliegens auferlegte.

E.
Mit eidgenössischer Berufung vom 4. April 2003 beantragt die
Rentengläubigerin im Hauptpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides
und die Rückweisung zur Neuentscheidung an die Vorinstanz, eventuell eine
Herabsetzung des ihr geschuldeten Unterhaltsbeitrages auf Fr. 420.--. Zur
Begründung führt sie im Wesentlichen aus, bei den bescheidenen
wirtschaftlichen Verhältnissen des konkreten Falles hätte die Vorinstanz auf
dem Notbedarf des Schuldners keinen 20%igen Zuschlag gewähren dürfen: Dies
widerspreche der vom Obergericht selber wiedergegebenen bundesgerichtlichen
Rechtsprechung und Lehre. Im Übrigen müsse auch für sie als Beklagte der
erweiterte Notbedarf berücksichtigt werden.

Das Obergericht hat anlässlich der Aktenüberweisung keine Gegenbemerkungen
angebracht.

Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Mit dem angefochtenen letztinstanzlichen kantonalen Urteil ist die der
Beklagten bei der Scheidung gerichtlich zugesprochene Bedürftigkeitsrente
nach Art. 152 aZGB herabgesetzt worden. Es liegt demnach eine
vermögensrechtliche Streitigkeit zivilrechtlicher Natur vor, gegen welche die
Berufung an das Bundesgericht zulässig ist (Art. 46 und 48 Abs. 1 OG); die
Streitwertgrenze ist erreicht. Die Beklagte ist persönlich beschwert. Da die
30-tägige Frist gemäss Art. 54 Abs. 1 OG gewahrt ist, kann die Berufung
formell an die Hand genommen werden.

2.
2.1 Das Scheidungsurteil ist am 30. April 1987 und damit vor Inkrafttreten der
ZGB-Revision von 1998/2000 ergangen. Die Abänderung des Ehegattenunterhalts
beurteilt sich deshalb nach den Bestimmungen des früheren Rechts unter
Vorbehalt der Bestimmungen über das Verfahren (Art. 7a Abs. 3 SchlT ZGB).

2.2 Für Fälle, in denen zufolge Scheidung die Geldmittel für den Unterhalt
der (ehemaligen) Ehegatten knapp bemessen sind, hat das Bundesgericht für die
Rentenbemessung klare Regeln entwickelt. In Zusammenhang mit der hier
interessierenden Frage der Leistungskraft des Pflichtigen hat es deren
Unantastbarkeit festgehalten. So heisst es im wegweisenden BGE 123 III 1 (E.
3b/bb S. 4), dass in das erweiterte Existenzminimum des Rentenschuldners -
das aus dem betreibungsrechtlichen Zwangsbedarf (um die laufende Steuerlast
erweitert) und einem Zuschlag von in der Regel 20% besteht (BGE 121 III 49 E.
1c S. 51) - nach Art. 152 aZGB nicht eingegriffen werden dürfe. Die Garantie
des erweiterten Notbedarfs für den Schuldner soll verhindern, dass beide
Parteien Sozialfürsorge beziehen müssen (BGE 128 III 257 E. 4a/aa S. 258).

2.3 Aus dem Dargelegten erhellt, dass das Kriterium der Leistungsfähigkeit
des Rentenschuldners grundsätzlich vor allen anderen Kriterien für die
Rentenbemessung Vorrang hat. Alle weiteren Schritte für die Rentenberechnung
hängen von der Leistungsfähigkeit des Schuldners, mithin von der Wahrung
seines erweiterten Notbedarfs ab. Es kann durchaus vorkommen, und es steht
mit dem Bundesrecht im Einklang, dass bei knappen Verhältnissen der
Rentengläubiger mit der zugesprochenen Rente seinen erweiterten Notbedarf gar
nicht zu decken vermag.

2.4 Die von der Beklagten gegen das obergerichtliche Urteil vorgetragenen
Einwendungen erweisen sich im Lichte obiger Erwägungen als haltlos. Zunächst
steht aufgrund der ausdrücklich anerkannten und für das Bundesgericht ohnehin
verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 OG)
fest, dass die zugesprochene Rente den betreibungsrechtlichen Notbedarf der
Beklagten deckt. Sodann kann die Beklagte - wie erwähnt (vgl. E. 2.2) - die
Deckung ihres erweiterten Notbedarfes nicht beanspruchen. Da auch die übrigen
Parameter für die Rentenberechnung (Einkünfte beider Parteien) rechnerisch
unbestritten sind, ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden, es sei
denn, es müsse mit der Beklagten angenommen werden, bei der Berechnung des
schuldnerischen Notbedarfes sei unter den gegebenen Umständen zwingend von
einem Zuschlag abzusehen.

3.
3.1 In BGE 123 III 1 wird in der Tat die Unantastbarkeit des erweiterten
Notbedarfes des Rentenschuldners für den Fall relativiert, dass bei Beachtung
dieses Kriteriums das Existenzminimum des Rentengläubigers nicht gedeckt
wird: In einem solchen Falle könne der Richter von einem Prozentzuschlag zum
erweiterten Notbedarf des Schuldners absehen (E. 3b/bb S. 4 f. mit
Hinweisen). In diesem Zusammenhang verweist das Bundesgericht insbesondere
auf ein unveröffentlichtes Urteil vom 2. Mai 1991 in Sachen W. (E. 5b). Der
fragliche Satz im BGE 123 III 1 - und insbesondere der dortige Hinweis auf
das frühere Urteil aus dem Jahre 1991 - erweisen sich aber insofern als
missverständlich, als das Bundesgericht nie befunden hat, dass der Richter
von einem Prozentzuschlag absehen dürfe oder gar müsse. Im besagten
unveröffentlichten Urteil wird lediglich gesagt, dass einem Schuldner einer
Bedürftigkeitsrente zwar zugemutet werden könne, "nötigenfalls eine
Einschränkung seiner Lebenshaltung auf sich zu nehmen. Das dürfe aber nicht
so weit gehen, dass er während der Dauer der Rentenverpflichtung
grundsätzlich auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum gesetzt werde"
(Urteil 5C.260/1990 vom 2. Mai 1991, E. 5b). Mit anderen Worten hat das
Bundesgericht zwar die Zumutbarkeit einer Einschränkung der Lebenshaltung des
Rentenschuldners erwogen, gleichzeitig allerdings mit Nachdruck betont, dass
es sich dabei nicht um eine Lösung handeln dürfe, die für die gesamte Dauer
der Rentenverpflichtung gelten soll.

3.2 Welche Tragweite dem fraglichen Satz in BGE 123 III 1 schliesslich
beizumessen sei, kann vorliegend allerdings offen bleiben. Denn was die
Beklagte apodiktisch verlangt, ist die endgültige Herabsetzung des
Lebensstandards des Rentenschuldners auf sein betreibungsrechtliches
Existenzminimum: Dies ist aber - selbst laut dem unveröffentlichten Urteil
aus dem Jahre 1991 - nicht zulässig. Abgesehen davon, dass die Forderung der
Beklagten schon deshalb nicht zu schützen ist, weil ihr
betreibungsrechtliches Existenzminimum selbst mit der vom Obergericht
zugesprochenen Rente gedeckt ist, macht sie im Übrigen nicht geltend - und
ist auch aus den Akten nicht ersicht-  lich -, weshalb in ihrem Fall eine
Ausnahme gemacht werden müsste.

3.3 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Vorinstanz keine Kritik daraus
erwachsen kann, dass sie sich an die von Lehre und Rechtsprechung
ausgearbeiteten klaren Regeln gehalten und keine Ausnahme getroffen hat.

4.
4.1 Die Berufung erweist sich als unbegründet und muss abgewiesen werden.
Angesichts der Begründung, die zu diesem Ergebnis geführt hat, erübrigt sich
eine gesonderte Abhandlung von Haupt- und Eventualantrag.

4.2 Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die Beklagte kostenpflichtig
(Art. 156 Abs. 1 OG). Lehre und Rechtsprechung sind zum hier diskutierten
Thema relativ klar, so dass die Berufung von Anfang an als aussichtslos
erscheinen musste. Damit ist eine der beiden Voraussetzungen zur Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege (Art. 152 Abs. 1 OG; BGE 125 II 265 E. 4b S.
275 mit Hinweisen) nicht erfüllt, weshalb das entsprechende Gesuch der
Beklagten abzuweisen ist. Dem Kläger sind im bundesgerichtlichen Verfahren
keine Kosten erwachsen, da er zur Einreichung einer Berufungsantwort nicht
aufgefordert wurde, so dass ihm keine Parteientschädigung zuzusprechen ist
(vgl. Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beklagten auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. Mai 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: