Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.8/2003
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5C.8/2003 /min

Urteil vom 16. April 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Levante.

G. ________ AG,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Fürsprecher Dr. Guido
Fischer, Frey-Herosé-Strasse 20, Postfach, 5001 Aarau,

gegen

Ausgleichskasse K.________,
Beklagte und Berufungsbeklagte.

Kollokation,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1.
Zivilkammer, vom 12. November 2002.

Sachverhalt:

A.
In der Nachlassliquidation der T.________ AG, in X.________, wurde im
Kollokationsplan eine Forderung der Ausgleichskasse K.________
(Rechtsnachfolgerin der Ausgleichskasse der I.________,) für
Arbeitgeberbeiträge von Fr. 340'096.65 kolloziert. Am 8. Januar 2001 erhob
die G.________ AG, in N.________, deren Forderung ebenfalls kolloziert wurde,
gegen die Ausgleichskasse Klage beim Bezirksgericht Zofingen und verlangte,
dass die Forderung aus dem Kollokationsplan weggewiesen und der auf die
Ausgleichskasse entfallende Verwertungserlös ihr zugewiesen werde.

B.
Das Bezirksgericht Zofingen wies die Klage mit Urteil vom 14. März 2002 ab.
Hiergegen erhob die G.________ AG Appellation, welche das Obergericht des
Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, mit Urteil vom 12. November 2002 abwies.

C.
Die G.________ AG führt mit Eingabe vom 8. Januar 2003 eidgenössische
Berufung und beantragt dem Bundesgericht, das angefochtene Urteil sei
aufzuheben und die Forderung der Beklagten sei aus dem Kollokationsplan des
Nachlassliquidationsverfahrens über die T.________ AG, in X.________,
wegzuweisen; eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung
zurückzuweisen.

Strittig ist vor Bundesgericht im Wesentlichen die Kompetenz des Obergerichts
zur Bereinigung des Kollokationsplanes in Bezug auf AHV-Beitragsforderungen,
die Verteilung der Beweislast im Kollokationsprozess sowie der Bestand der
von der Ausgleichskasse angemeldeten und von der Konkursverwaltung
anerkannten AHV-Beitragsforderung.

D.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Eine Berufungsantwort
ist nicht eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Klägerin erhebt eidgenössische Berufung mit der Begründung, es handle
sich bei der vorliegenden Streitigkeit um eine Zivilsache im Sinne von Art.
43 ff. OG.

2.
2.1 Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 123 III 346 E. 1a S. 348). Ob eine
Zivilrechtsstreitigkeit vorliegt (Art. 46 OG), beurteilt sich nach der
Rechtsnatur des Streitgegenstandes (BGE 128 III 250 E. 1a S. 252; 103 II 314
E. 2c S. 317). Entscheidend ist nicht, welches Verfahren die kantonalen
Behörden eingeschlagen haben, sondern ob die Parteien Ansprüche des
Bundeszivilrechts erhoben haben und ebensolche objektiv streitig sind (BGE
124 III 44 S. 1a S. 46; 120 II 11 E. 2a S. 13).

2.2 Bestreitet ein Gläubiger den Bestand oder die Zulässigkeit einer im
Konkurs eingegebenen öffentlichrechtlichen Forderung, die noch nicht
rechtskräftig entschieden ist, so wird diese grundsätzlich mittels
Kollokationsklage nach Art. 250 SchKG bereinigt (BGE 120 III 32 E. 2b S. 35),
sofern diese Klage nicht - wie z.B. im Verrechnungssteuerrecht (Art. 45 VStG)
- gesetzlich ausgeschlossen ist (BGE 120 III 147 E. 4a S. 149). Die Berufung
gegen das Kollokationsurteil ist jedoch nur zulässig, wenn die umstrittene
Forderung eine privatrechtliche ist (BGE 93 II 436 E. 1 S. 437; Urteil
2P.441/1997 des Bundesgerichts vom 28. September 1998, E. 1c/bb und cc, Pra
1999 S. 181 f.; Poudret/Sandoz-Monod, Commentaire de la loi fédérale
d'organisation judiciaire, Vol. II, N. 2.3.58.8 zu Titre II S. 56;
Amonn/Gasser, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Aufl.
1997, § 46 Rz. 67: Berufung "bei gegebenen Voraussetzungen").

2.3 Im angefochtenen Kollokationsurteil des Obergerichts sind die von der
Beklagten geltend gemachten AHV-Beiträge (vgl. Art. 12, Art. 63 Abs. 1 AHVG)
umstritten. Der Bezug von AHV-Beiträgen ist indessen öffentlichrechtlicher
Natur und entsprechende Forderungen stellen keine Ansprüche des
Bundeszivilrechts dar (vgl. BGE 109 Ib 146 E. 2 und 3 S. 149 ff.). Die
Klägerin beruft sich in diesem Zusammenhang vergeblich auf das Urteil
5C.1/2002 des Bundesgerichts vom 29. Juli 2002, zumal im dort angefochtenen
Kollokationsurteil eine privatrechtliche Darlehensforderung umstritten war.
Da die vorliegende Streitsache nicht in den Bereich des Zivilrechts fällt,
ist die Berufung nicht zulässig.

2.4 Ein Rechtsmittel kann nicht von Amtes wegen in ein anderes umgewandelt
werden, wenn eine von einem berufsmässigen Bevollmächtigten verbeiständete
Partei ausdrücklich ein bestimmtes Rechtsmittel wählt (BGE 120 II 270 E. 2 S.
272). Vorliegend hat die durch einen Rechtsanwalt vertretene Klägerin unter
Bezugnahme auf das Vorliegen einer Zivilsache bewusst die Berufung gemäss
Art. 43 OG ergriffen. Unter diesen Umständen ist von einer Umdeutung der
Berufung in ein anderes Rechtsmittel abzusehen, zumal die in Frage kommende
Verwaltungsgerichtsbeschwerde (vgl. BGE 123 III 346 E. 1c S. 350; Art. 97 ff.
OG) - wie im Folgenden dargelegt - ohnehin abzuweisen wäre, soweit darauf
überhaupt eingetreten werden könnte.

2.4.1 Das Obergericht hat festgehalten, dass die Forderung der Beklagten auf
(strittigen) Jahresabrechnungen, mithin blosser Rechnungstellung beruht.
Soweit die Klägerin vorbringt, für die kollozierte Forderung der Beklagten
liege keine rechtskräftige Verfügung vor, bestätigt sie einzig
Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Entscheid sowie die Auffassung
des Obergerichts, dass eine öffentlichrechtliche Forderung, die noch nicht
rechtskräftig entschieden ist, mittels Kollokationsklage nach Art. 250 SchKG
zu bereinigen ist (BGE 120 III 32 E. 2b S. 35). Im Übrigen stellt die
Klägerin die vorinstanzliche Auffassung, dass keine Bestimmung im Recht der
AHV existiert, welche die Beurteilung entsprechender Forderungen im
Kollokationsprozess ausschliesst, zu Recht nicht in Frage.

2.4.2 Die Klägerin wirft dem Obergericht im Weiteren eine Verletzung von
Bundesrecht vor, weil es die im Wegweisungsprozess geltende Beweislastregel
verletzt habe. Sie bezieht sich mit dieser Rüge auf die Erwägung des
Obergerichts, wonach der Sachverhalt, welcher den Anspruch für die
AHV-Beitragsforderungen begründet habe - Arbeit von und Lohnauszahlung durch
beitragspflichtige Arbeitnehmer -, von der Klägerin nicht rechtzeitig in
Zweifel gezogen worden sei. Die Kritik der Klägerin geht an der Sache vorbei,
da das Obergericht die Tatsache, dass Arbeit von und Lohnauszahlung durch
beitragspflichtige Arbeitnehmer vorgelegen hatten, nicht in Anwendung der
bundesrechtlichen Regel über die Beweislast, sondern aufgrund von kantonalen
Prozessvorschriften festgestellt hat. Dass eine willkürliche
Sachverhaltsermittlung (Art. 105 Abs. 2 OG; BGE 121 II 59 E. 2d S. 63)
vorliege, wird indessen nicht dargetan.

2.4.3 Das Pauschalabrechnungsverfahren zum Bezug der AHV-Beiträge gestattet
dem Arbeitgeber, je nach Anordnung der Ausgleichskasse, Akontozahlungen zu
entrichten, um am Ende des Kalenderjahres - nach Ermittlung der Differenz
zwischen der Summe der geleisteten Akontozahlungen und den für das
Kalenderjahr geschuldeten Beiträgen - definitiv über die Beiträge abzurechnen
(Art. 34 ff. AHVV, in der bis zum 31. Dezember 2000 gültigen, vorliegend
anwendbaren Fassung; vgl. Urteil H 75/90 des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts vom 27. Januar 1993, E. 4b und c; Kieser, in:
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd. 3, Alters- und
Hinterlassenenversicherung, N. 75 und Anm. 366). Das Obergericht ist davon
ausgegangen, nach den fälligen Forderungen für Akontozahlungen werde mit
Erstellung der Schlussabrechnung eine zusätzliche Forderung bestimmt und
fällig. Es hat gefolgert, dass das gesetzlich geregelte
Pauschalabrechnungsverfahren zum Bezug der AHV-Beiträge kein vertragliches
(oder vertragsähnliches) Kontokorrentverhältnis nach Art. 117 OR darstelle,
so dass die Behauptung, die Jahresrechnung entfalte in Bezug auf die
vorangegangenen Akontorechnungen Novationswirkung, verfehlt sei. Inwiefern
diese Schlussfolgerung der Vorinstanz, mit der sich die Klägerin nur am Rande
auseinander setzt, gegen Bundesrecht verstosse, ist schliesslich nicht
ersichtlich.

3.
Nach dem Dargelegten kann auf die Berufung nicht eingetreten werden. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens wird die Klägerin kostenpflichtig (Art. 156
Abs. 1 OG). Da auf die Einholung von einer Berufungsantwort verzichtet wurde,
entfällt eine Entschädigungspflicht.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. April 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: