Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.85/2003
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5C.85/2003 /min

Urteil vom 30. Juni 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Möckli.

S. ________,
Beklagter und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Patrick
Hofmanninger, Achslenstrasse 13, Postfach 220, 9016 St. Gallen,

gegen

T.________,
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Bruno
A. Hubatka, Obere Bahnhofstrasse 24, Postfach 637, 9501 Wil SG 1.

Ehescheidung (Güterrecht),

Berufung gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, II. Zivilkammer,
vom 19. Februar 2003.

Sachverhalt:

A.
Mit Entscheid vom 15./25. September 1998 schied das Bezirksgericht Wil die
zwischen den Parteien am 16. August 1985 vor dem Zivilstandsamt X.________
geschlossene Ehe wegen tiefer und unheilbarer Zerrüttung. Dabei verpflichtete
es die Klägerin, dem Beklagten unter dem Titel Güterrecht eine
Ausgleichsforderung von Fr. 35'585.35 zu bezahlen.

Beschränkt auf das Güterrecht erhob dieser kantonale Berufung mit dem
Begehren um Verurteilung der Klägerin zu Fr. 247'689.15. Anschlussberufung
wurde nicht erhoben. Mit Entscheid vom 19. Februar 2003 errechnete das
Kantonsgericht St. Gallen, II. Zivilkammer, eine (theoretische)
Ausgleichsforderung zu Gunsten der Klägerin von Fr. 27'111.45 und wies die
Berufung folglich ab.

B.
Gegen diesen Entscheid hat der Beklagte sowohl staatsrechtliche Beschwerde
als auch Berufung erhoben. Mit Letzterer verlangt er die Aufhebung des
angefochtenen Entscheides und die Verpflichtung der Klägerin zur Bezahlung
von Fr. 331'975.90 unter dem Titel Güterrecht, wovon Fr. 178'325.80 als
güterrechtlicher Ausgleich und Fr. 153'650.-- aus Eigentumsübertragung. Die
Klägerin schliesst in ihrer Berufungsantwort auf Abweisung der Berufung,
soweit darauf einzutreten sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Strittig sind der Zeitpunkt und die Art der Bewertung der in der
Errungenschaft des Beklagten stehenden Einzelfirma "S.________ Management".
In diesem Zusammenhang rügt der Beklagte in der staatsrechtlichen Beschwerde
die Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Willkürverbots, in der Berufung
macht er die Verletzung von Bundesrecht geltend.

Die Frage, ob bei einer Einzelfirma die handelsrechtliche Betrachtung
massgebend und auf welchen Zeitpunkt für die Firmenbewertung abzustellen ist,
betrifft die Auslegung von Bundesrecht. Es rechtfertigt sich deshalb, die
Berufung in Abweichung von der in Art. 57 Abs. 5 OG aufgestellten Regel vorab
zu behandeln.

2.
2.1 Das Bezirksgericht Wil hat auf die zuletzt verfügbare Bilanz per Ende 1997
abgestellt, die Guthaben von Fr. 128'825.50, Verbindlichkeiten von Fr.
149'449.80 und somit einen Minussaldo von Fr. 20'624.25 ausweist.

Das Kantonsgericht hat demgegenüber befunden, nach der Parteiaussage des
Beklagten handle es sich bei dieser Firma um ihn selbst. Das
Geschäftsergebnis erscheine damit bloss als Ausfluss seiner Arbeitskraft, da
es allein auf seinem Arbeitseinsatz gründe. Andere Komponenten, wie etwa
Wertschwankungen von Liegenschaften oder der Erlös aus der Arbeitskraft von
Angestellten, enthalte das Firmenergebnis nicht. Unter diesen Umständen
rechtfertige es sich nicht, das Ergebnis anders zu behandeln als dasjenige
eines Arbeitnehmers. Werde das Geschäftsergebnis wie Arbeitserwerb behandelt,
sei jedoch nicht auf den Zeitpunkt der güterrechtlichen Auseinandersetzung,
sondern auf denjenigen der Klageeinleitung abzustellen, denn nach
Rechtshängigkeit der Klage trage jeder Ehegatte den Erfolg seiner
Erwerbstätigkeit selber. Der am nächsten an der Einreichung der
Scheidungsklage liegende Zeitpunkt wäre der Bilanzwert per 31. Dezember 1996.
Dieser sei allerdings nicht durch die Steuerbehörden geprüft worden. Der
letzte Vermögensstand, der gemäss den Akten von der Steuerbehörde geprüft
worden sei und damit eine gewisse Gewähr für eine objektive Bewertung biete,
sei der Bilanzabschluss per 31. Dezember 1994. Damals sei die Einzelfirma mit
einem Nettovermögenswert von Fr. 129'079.-- veranlagt worden. Mangels anderer
Anhaltspunkte in der Bilanz sei davon auszugehen, dass die am 3. Mai 1994
ausbezahlte Freizügigkeitsleistung zu jenem Zeitpunkt noch nicht in die Firma
investiert worden sei, weshalb ein entsprechender Abzug vom
Nettovermögenswert ausser Betracht falle.

2.2 Der Beklagte erblickt in dieser Argumentation eine Verletzung von Art.
214 Abs. 1 ZGB. Die Einzelfirma sei im Handelsregister eingetragen und von
den Steuerbehörden konstant als solche qualifiziert worden. Das
Geschäftsvermögen könne deshalb nicht in Arbeitserwerb umdefiniert werden und
entsprechend sei die güterrechtliche Auseinandersetzung der massgebliche
Zeitpunkt für die Firmenbewertung. Hierfür sei im Übrigen auf die
handelsrechtskonform geführte Buchhaltung abzustellen; ob diese einer
Steuerbehörde eingereicht worden sei, könne nicht ausschlaggebend sein.

3.
3.1 Errungenschaft und Eigengut jedes Ehegatten werden nach ihrem Bestand bei
der Auflösung des Güterstandes ausgeschieden (Art. 207 Abs. 1 ZGB). Was die
Ehegatten in diesem Moment an Vermögen aufweisen, ist somit der einen oder
andern Masse zuzuordnen. Erfolgt die Auflösung des Güterstandes im Rahmen der
Scheidung, wird sie auf den Tag zurückbezogen, an dem das Begehren
eingereicht worden ist (Art. 204 Abs. 2 ZGB). Für die Bewertung der Aktiven
und Passiven im Vermögen der Ehegatten ist hingegen der Zeitpunkt
entscheidend, in welchem die güterrechtliche Auseinandersetzung vorgenommen
wird (Art. 214 Abs. 1 ZGB). Erfolgt sie im Rahmen eines gerichtlichen
Verfahrens, so ist der Tag der Urteilsfällung massgebend (BGE 121 III 152 E.
3a S. 154; Hausheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar, N. 10 zu Art. 214 ZGB).

Vorliegend geht es um den massgeblichen Bewertungszeitpunkt für die in der
Errungenschaft des Beklagten stehende Einzelfirma. Entgegen der sinngemässen
Erwägung der Vorinstanz lässt sich der Unternehmenswert hierfür nicht mit
Arbeitserwerb gleichsetzen:

Das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit umfasst einerseits das
Entgelt aus der Berufstätigkeit und andererseits den Geschäftsgewinn, soweit
dieser nicht auf Kapitalertrag zurückzuführen ist (Hausheer/Reusser/Geiser,
N. 36 zu Art. 197 ZGB). Dabei geht es also um die Frage, wie viel dem
Firmeninhaber während einer bestimmten Zeitperiode persönlich zugeflossen
ist. In diesem Sinn ist denn auch die von der Vorinstanz zitierte
Kommentarstelle zu verstehen, wonach Arbeitserwerb nach dem
Auflösungszeitpunkt nicht mehr in die Errungenschaft fallen kann
(Hausheer/Reusser/Geiser, N. 14 zu Art. 207 ZGB): Es geht nicht um Erfolgs-
oder Risikotragung, wie die Vorinstanz aus dem Zitat gefolgert hat, sondern
um die rechtslogische Tatsache, dass die Bildung von Errungenschaft mit der
Auflösung des Güterstandes ihren Abschluss findet.

Demgegenüber handelt es sich beim Unternehmenswert um eine Momentaufnahme,
bei der an einem bestimmten Stichtag die Verbindlichkeiten von den Guthaben
subtrahiert werden. Bei der Einzelfirma besteht zwischen Unternehmenswert und
Bezügen aus der Unternehmung kein Zusammenhang: Weder sind diese von jenem
abhängig noch verlaufen die beiden Werte parallel, im Gegenteil: Der
Bilanzwert kann gerade deshalb negativ ausfallen, weil der Geschäftsinhaber
für sich persönlich zu hohe Bezüge macht, somit mehr aus der Unternehmung
wegführt, als sie einträgt, und daher am Kapital zehrt.
Stellt der Unternehmenswert nicht Erwerbseinkommen dar, besteht auch kein
Anlass, für die Bewertung der in der Errungenschaft des Beklagten stehenden
Einzelfirma einen anderen als den in Art. 214 Abs. 1 ZGB genannten Zeitpunkt
als massgebend zu erachten. Vielmehr gilt die zur kaufmännischen Unternehmung
im Rechtskleid einer juristischen Person (BGE 121 III 152 E. 3 S. 154) sowie
zu den freien Berufen (BGE 125 III 1 E. 4 S. 3 betr. Arztpraxis) ergangene
bundesgerichtliche Rechtsprechung für jede handelsrechtskonform geführte
Unternehmung (nicht publizierter Entscheid 5C.229/2002, E. 3.2).
3.2 Bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung sind die Vermögenswerte zu
ihrem Verkehrswert einzusetzen (Art. 211 ZGB). Dies ist in der Regel der
Fortführungswert; wird die Unternehmung liquidiert, ist jedoch der
Liquidationswert zu ermitteln (BGE 121 III 152 E. 3c S. 155). In erster Linie
haben sich die Ehegatten über den Anrechnungswert zu einigen. Kommt keine
Verständigung zu Stande, hat der für die güterrechtliche Auseinandersetzung
zuständige Richter die Höhe der güterrechtlichen Forderungen und der
Anrechnungswerte festzulegen (Hausheer/Reusser/Geiser, N. 25 zu Art. 211
ZGB). Dabei wird er sich zunächst an der letzten Jahresbilanz oder
gegebenenfalls an einer möglichst nahe auf den Zeitpunkt der güterrechtlichen
Auseinandersetzung gestellten Zwischenbilanz orientieren, sofern diese nach
den einschlägigen handelsrechtlichen Normen erstellt worden ist. Soweit
entsprechende Parteianträge vorliegen, wird er zur Ermittlung des
Fortführungswertes nötigenfalls auch einen Sachverständigen beiziehen.

3.3 Indem das Kantonsgericht mit der Begründung, der Unternehmenswert sei als
Arbeitseinkommen anzusehen und massgebend könne nur eine von den
Steuerbehörden geprüfte Bilanz sein, auf diejenige aus dem Jahr 1994
abgestellt hat, sind die in E. 3.2 und 3.3 genannten Grundsätze verletzt. Der
angefochtene Entscheid ist demnach aufzuheben und die Sache ist zur
Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3.4 Ist nicht (mehr) auf die Bilanz aus dem Jahr 1994 abzustellen, wird die
Rüge im Zusammenhang mit der darin angeblich - dass die
Freizügigkeitsleistung auf ein in der 94er-Bilanz aufgeführtes Konto
ausbezahlt worden ist, dürfte eher für das Gegenteil und damit für den
klägerischen Standpunkt sprechen - noch nicht enthaltenen
Freizügigkeitsleistung gegenstandslos (Berufung Nr. 18).

4.
Die erst im Berufungsverfahren erhobene Forderung aus Eigentumsübertrag
(Berufung Nr. 19) ist neu und damit unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. b OG).
Ohnehin wäre sie auch unbegründet, weil die Vorinstanz die Liegenschaft der
Klägerin unter Anrechnung des Nettowertes an ihren güterrechtlichen Anspruch
zugeteilt hat, was den einschlägigen Berechnungsregeln entspricht.

5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid in teilweiser
Gutheissung der Berufung aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung im
Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen
ist. Angesichts des offenen Ausganges des kantonalen Verfahrens und der
Überklagung im Berufungsverfahren ist die Gerichtsgebühr den Parteien je zur
Hälfte aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 3 OG) und die Parteikosten sind
wettzuschlagen (Art. 159 Abs. 3 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Berufung wird der Entscheid des Kantonsgerichts
St. Gallen, II. Zivilkammer, vom 19. Februar 2003 aufgehoben und die Sache
wird zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.-- wird den Parteien je zur Hälfte
auferlegt.

3.
Es werden keine Parteikosten gesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. Juni 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: