Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.7/2003
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5C.7/2003 /bnm

Urteil vom 12. Mai 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Ersatzrichter Riemer,
Gerichtsschreiber Schett.

Z. ________,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Sidler,
Postfach 2555, 6302 Zug,

gegen

Versicherung X.________,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Alexander
Rabian, Stockerstrasse 38, 8002 Zürich.

Versicherungsvertrag,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden,
Zivilabteilung, Kleine Kammer, vom 3. Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
Z. ________ schloss gestützt auf das Antragsformular vom 4. November 1996 mit
der Versicherung X.________ einen Lebensversicherungsvertrag per 1. November
1996 ab, welcher ihr Leistungen im Falle der Erwerbsunfähigkeit zusicherte.
Am 13. April 1999 erlitt Z.________ einen Verkehrsunfall, der zu Verletzungen
im Bereich des Nackens führte. Die Versicherte war vorerst eine gewisse Zeit
vollständig und hernach beschränkt arbeitsunfähig, weshalb sie am 20. Januar
2000 mit der Schadenanzeige an die Versicherung X.________ aus dem
Versicherungsvertrag geltend machte. Auf Ersuchen der Versicherung X.________
erstattete der Hausarzt von Z.________, Dr. Y.________, der Versicherung am
28. Februar 2000 einen Auszug aus der Krankengeschichte seiner Patientin.
Am 14. März 2000 ersuchte die Versicherung X.________ Z.________ um
Unterzeichnung einer Vollmacht mit Angabe von Name und Adresse der
Krankenkasse(n), bei der sie von 1991 bis 1996 versichert gewesen sei, damit
der Leistungsanspruch abgeklärt werden könne. Z.________ kam dieser und
weiteren Aufforderungen nicht nach.

B.
Am 23. März 2001 klagte Z.________ beim Kantonsgericht Nidwalden gegen die
Versicherung X.________ mit dem Antrag, die Beklagte sei zu verpflichten, der
Klägerin ab dem 19. Juli 1999 bis zum Urteilszeitpunkt eine monatliche Rente
von Fr. 500.-- nebst Zins zu bezahlen. Die Beklagte erhob Widerklage. Mit
Urteil vom 28. Februar 2002 wies das Kantonsgericht die Klage zur Zeit ab
(Ziff. 1). Die Widerklage wurde gutgeheissen und die Klägerin verpflichtet,
der Beklagten Namen und Adressen der Krankenkassen bekannt zu geben, bei
welchen sie in den Jahren 1991 bis 1996 versichert war (Ziff. 2 ); ferner
wurde die Klägerin aufgefordert, die Beklagte zu bevollmächtigen, bei den
Krankenkassen einen Auszug über die erbrachten medizinischen Leistungen zu
verlangen und bei den beteiligten Ärzten Auskünfte einzuholen (Ziff. 3).
Dagegen appellierte die Klägerin und beantragte, das Urteil des
Kantonsgerichts aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für die Zeit
vom 8. Dezember 2002 bis 28. Februar 2003 Erwerbsunfähigkeitsrenten im
Betrage von Fr. 14'076.94 nebst Zins zu bezahlen. Am 3. Oktober 2002 hiess
das Obergericht des Kantons Nidwalden, Zivilabteilung, Kleine Kammer, die
Appellation gut und hob die Ziffern 2-5 des Urteils des Kantonsgerichts auf.

C.
Die Klägerin beantragt dem Bundesgericht mit Berufung, das Urteil des
Obergerichts vom 3. Oktober 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten,
der Klägerin den Betrag von Fr. 14'076.94 nebst Zins zu bezahlen; eventuell
sei die Sache zur Bestimmung der Höhe des Betrages an die Vorinstanz
zurückzuweisen.
Die Beklagte schliesst in ihrer Berufungsantwort auf Abweisung der Berufung.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Leistungspflicht des Privatversicherers beschlägt eine
Zivilrechtsstreitigkeit. Der Streitwert übersteigt Fr. 8'000.-- (Art. 46 OG),
womit die Berufung somit zulässig ist.

2.
2.1 Im angefochtenen Urteil wird ausgeführt, nach Art. 39 Abs. 1 VVG (SR
221.229.1) müsse der Anspruchsberechtigte auf Begehren des Versicherers jede
Auskunft über solche ihm bekannten Tatsachen erteilen, die zur Ermittlung der
Umstände, unter denen das befürchtete Ereignis eingetreten sei, oder zur
Feststellung der Folgen des Ereignisses dienlich seien. Zu den "Folgen des
Ereignisses" gehöre im weitesten Sinne auch die Auslösung der
Versicherungsleistungspflicht an sich und deshalb auch die Klärung der Frage,
ob eine Anzeigepflichtverletzung vorliege. Nach Art. 41 Abs. 1 VVG werde
sodann eine Forderung aus dem Versicherungsvertrag mit dem Ablauf von vier
Wochen fällig, von dem Zeitpunkt an gerechnet, in dem der Versicherer Angaben
erhalten habe, aus denen er sich von der Richtigkeit des Anspruches
überzeugen könne. Aus dieser Regelung könne ebenfalls abgeleitet werden, dass
der Versicherte, welcher seine Anspruchsberechtigung zu begründen habe, eben
auch eine Mitwirkungspflicht trage, wenn es um die Frage gehe, ob
anspruchshindernde Tatsachen bestünden.

Die Vorinstanz fährt fort, diese "Mitwirkungspflicht", etwa zur Offenlegung
von Daten oder eben der Bekanntgabe von Adressen, könne jedoch nicht mit
einer Leistungsklage durchgesetzt werden. Es sei offensichtlich, dass ein
solches Urteil gar nicht vollstreckt werden könnte. Vielmehr gelte, dass es
an der Fälligkeit des Versicherungsanspruches fehle, solange der Versicherte
diesen Obliegenheiten nicht nachkomme. Obwohl also die Versicherte
grundsätzlich gehalten sei, die verlangten Auskünfte zu erteilen, habe das
Kantonsgericht die Widerklage zu Unrecht gutgeheissen. Sollte die
Versicherung selbst unter Vorlage der im Versicherungsantrag erteilten
Vollmacht nicht zu den notwendigen Daten kommen, so habe es sich die
Versicherte selbst anzurechnen, wenn sich die Abklärung ihrer
Anspruchsberechtigung weiter hinauszögere.

2.2 Die Klägerin wendet dagegen ein, die Klageabweisung zur Zeit sei gemäss
BGE 95 II 255 E. 6 S. 262 bundesrechtswidrig. Die Beklagte hätte den geltend
gemachten Verdacht auf eine Anzeigepflichtverletzung ohne weitere Vollmacht
erhärten können, wenn sie Dr. Y.________ Zusatzfragen gestellt hätte. Auch
für weitere Abklärungen bei anderen Ärzten oder Krankenkassen hätte sie die
bereits von der Klägerin erteilte Blankovollmacht benützen können, wie die
Beklagte dies im Februar 2000 mit Erfolg bei Dr. Y.________ getan habe. Die
Beklagte habe ihr Recht auf Rücktritt vom Vertrag wegen der über Jahre
unterlassenen Abklärung der konkreten Verdachtsgründe verwirkt.

3.
Gemäss Art. 41 Abs. 1 VVG wird die Forderung aus dem Versicherungsvertrag mit
dem Ablauf von vier Wochen, von dem Zeitpunkt an gerechnet, fällig, in dem
der Versicherer Angaben erhalten hat, aus denen er sich von der Richtigkeit
des Anspruchs überzeugen kann. Es liegt in der Natur der Sache, dass solche
Angaben oft in Auskünften des Versicherten bestehen. Deshalb statuiert Art.
39 Abs. 1 VVG eine gesetzliche Mitwirkungspflicht des Anspruchsnehmers: Diese
besteht darin, dass er auf Begehren des Versicherers jede Auskunft über
solche ihm bekannte Tatsachen erteilen muss, die zur Ermittlung der Umstände,
unter denen das befürchtete Ereignis eingetreten ist, oder zur Feststellung
der Folgen des Ereignisses dienlich sind (Abs. 1), während Abs. 2 die
vertragliche Mitwirkungspflicht regelt. Kommt der Anspruchsberechtigte einer
solchen Verpflichtung nicht nach, indem er z.B. Belege nicht einreicht, tritt
die Fälligkeit nicht ein (Jürg Nef, in: Basler Kommentar [Hrsg.:
Honsell/Vogt/Schnyder], N. 9 zu Art. 41 VVG).

3.1 Die von der Beklagten verlangten Auskünfte bezweckten offen-sichtlich die
Erhellung der von ihr vermuteten Verletzung der Anzeigepflicht durch die
Klägerin im Sinne von Art. 6 VVG, was sich unmissverständlich aus der
beklagtischen Darstellung in der Klageantwort ergibt. Damit ging die von der
Klägerin verlangte Mitwirkung klar über den in Art. 39 Abs. 1 VVG
umschriebenen Gegenstand der Auskunftspflicht hinaus. In der Literatur wird
denn auch, soweit ersichtlich, nirgendwo die Meinung vertreten, die
Auskunftspflicht erstrecke sich auch auf erhellende Umstände mit Blick auf
eine allfällige Anzeigepflichtverletzung (Jürg Nef, a.a.O.;
Kuhn/Müller-Studer/Eckert, Privatversicherungsrecht, 2. Aufl., S. 244 § 41;
Maurer, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Aufl. 1995, S. 382 f.;
Roelli/Keller, Kommentar zum Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag, Bd.
I, 2. Aufl. 1968, S. 555 ff.; Koenig, Schweizerisches
Privatversicherungsrecht, 2. Aufl. 1960, S. 86/87).

3.2 Die Mitwirkungspflicht ergänzt gewissermassen die dem Anspruchsteller
obliegende Beweispflicht gemäss Art. 8 ZGB (Jürg Nef, a.a.O., N. 1 zu Art. 39
VVG). Nach dem Wortlaut von Art. 39 VVG bezieht sich die Mitwirkungs- bzw.
die Auskunftspflicht des Anspruchsnehmers auf Tatsachen, die zur Ermittlung
der Umstände dienlich sind, unter denen das befürchtete Ereignis eingetreten
ist, oder zur Feststellung der Folgen des Ereignisses. Unter "befürchtetem
Ereignis" - auch Versicherungsfall genannt - ist wie in Art. 38 VVG die
Verwirklichung der Gefahr zu verstehen, gegen welche die Versicherung
genommen worden ist (statt vieler: Kuhn/Müller-Studer/Eckert, a.a.O.).

Vorliegend hat die Anspruchsberechtigte eine Lebensversicherung mit
Leistungen auch im Falle der Erwerbsunfähigkeit abgeschlossen. Sie begründet
ihren Anspruch mit der durch den Unfall vom 13. April 1999 erlittenen
Arbeitsunfähigkeit, wofür ihr die Beklagte ab dem 91. Tag eine monatliche
Rente von Fr. 1'000.-- zu entrichten hat. Befürchtetes Ereignis ist die
geltend gemachte Erwerbsunfähigkeit. Demzufolge ist die Klägerin zu allen
Auskünften über Umstände verpflichtet, welche der Abklärung der von ihr
geltend gemachten Erwerbsunfähigkeit oder deren Folgen dienlich sind. Nun
stehen aber keine Unklarheiten im Zusammenhang mit dem leistungsbegründenden
Ereignis zur Diskussion, dessen Eintritt anscheinend klar ist und von der
Beklagten nicht bestritten wird. Umstritten ist vielmehr, ob die Beklagte
gemäss Art. 6 VVG vom Vertrag zurücktreten darf bzw. hätte zurücktreten
müssen, oder ob sie gestützt auf die gesetzliche Mitwirkungspflicht von der
Klägerin weitere Angaben bzw. Vollmachten in Bezug auf Abklärungen einer
allfälligen Verletzung der Anzeigepflicht einholen und sich erst später für
oder gegen einen Rücktritt entscheiden darf.

3.3 Art. 39 VVG regelt die Pflichten des Anspruchsberechtigten nicht
abschliessend. Obliegenheiten zur Mitwirkung bei der Abklärung des
Versicherungsfalles sind im Rahmen von Art. 45 VVG im Prinzip frei vereinbar
(Jürg Nef, a.a.O., N. 13 zu Art. 39 VVG mit Hinweisen). Die AVB betreffend
die Lebensversicherung sehen keine solche spezifische Auskunftspflicht vor.
Die ergänzenden Versicherungsbedingungen betreffend Erwerbsunfähigkeit halten
fest, dass die Versicherung "zur Abklärung (ihrer) Leistungspflicht weitere
Auskünfte und Nachweise verlangen" kann (Ziff. 4, letzter Satz). Diese
Bestimmung bezieht sich ebenfalls auf Umstände des befürchteten Ereignisses,
nicht aber auf solche hinsichtlich einer vermuteten Anzeigepflichtverletzung.
Gemäss Versicherungsantrag ermächtigte die Klägerin die "Behörden, sowie
Ärzte, Spitäler, Sanatorien usw., welche über Gesundheitszustand,
durchgemachte Krankheiten ... der zu versichernden Person etwas wissen, der
Versicherung X.________ jetzt oder in Zukunft Auskunft zu erteilen" (Ziff.
7), verpflichtete sich damit aber nicht, darüber hinaus an der Erhellung von
wesentlichen Umständen für eine allfällige Anzeigepflichtverletzung
mitzuwirken.

4.
Die Beweislast für eine Anzeigepflichtverletzung begründenden Umstände
obliegt - der Regel von Art. 8 ZGB entsprechend - dem Versicherer (Urs Ch.
Nef,  in: Basler Kommentar [Hrsg.: Honsell/ Vogt/Schnyder], N. 14 zu Art. 6
VVG). Art. 6 VVG sieht keine Beweiserleichterung im Sinne einer
Mitwirkungspflicht des Anspruchsberechtigten vor. Darauf hinaus liefe aber
eine Ausdehnung der Mitwirkungspflicht von Art. 39 VVG auf den in Art. 6 VVG
geregelten Tatbestand; der Anspruchsberechtigte wäre danach hinsichtlich der
ihm verdachtsweise vorgeworfenen Anzeigepflichtverletzung gezwungen,
gewissermassen sich selber zu denunzieren. Ist aber Art. 39 VVG auf die
Rücktrittsmöglichkeit des Versicherers gemäss Art. 6 VVG nicht anwendbar, hat
die Klägerin mit ihrem passiven Verhalten auf das Schreiben der Beklagten vom
14. März 2000 weder gegen eine klare gesetzliche noch vertragliche
Mitwirkungspflicht verstossen bzw. keine Auskunftspflicht verletzt. Es kann
daher auch nicht gesagt werden, zufolge Verletzung der Mitwirkungspflicht
habe die Forderung nicht fällig werden können und habe die Frist von Art. 6
VVG nicht zu laufen begonnen. Der Beklagten steht einzig die
Sanktionsmöglichkeit zur Verfügung, vom Vertrag zurückzutreten. Die Sache ist
zum materiellen Entscheid an das Obergericht zurückzuweisen.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beklagte kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG und Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Nidwalden, Zivilabteilung, Kleine Kammer, vom 3. Oktober 2002 aufgehoben.

2.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beklagten auferlegt.

4.
Die Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
3'000.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden,
Zivilabteilung, Kleine Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Mai 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: