Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.49/2003
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5C.49/2003 /min

Urteil vom 24. April 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Hohl, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Möckli.

A. ________, Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwältin
Dr. Caterina Nägeli, Grossmünsterplatz 9, 8001 Zürich,

gegen

1.B.________,
2.C.________,
3.D.________, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Reto Fischer,
Oberdorfstrasse 6, 8887 Mels,
4.E.________,
5.F.________,
6.G.________,
7.H.________,
8.I.________,
9.K.________,
10.L.________,
Beklagte und Berufungsbeklagte.

Erbteilungsklage, Aktivlegitimation,

Berufung gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, I. Zivilkammer,
vom 9. Dezember 2002.

Sachverhalt:

A.
Die Prozessparteien sind die gesetzlichen Erben von M.________, der am 21.
Januar 1993 verstarb, ohne eine letztwillige Verfügung zu hinterlassen.

Am 26. Mai 1996 unterzeichnete A.________ zu Gunsten des Fürsorgeamtes und
heutigen Amtes für Jugend- und Sozialhilfe der Stadt Zürich eine
"Schuldanerkennung und Erbabtretungserklärung" im Sinn von Art. 635 Abs. 2
ZGB. Gestützt hierauf ersuchte dieses mit Schreiben vom 5. Oktober 1999 das
Bezirksamt Sargans um behördliche Mitwirkung bei der Teilung gemäss Art. 609
ZGB, da es nicht gelungen sei, mit A.________ eine Lösung zu finden. Am 24.
November 1999 teilte das Bezirksamt Sargans dem Amt für Jugend- und
Sozialhilfe mit, dass es antragsgemäss an Stelle von A.________ an der
Erbteilung mitwirke, und es erklärte sich mit dem vom Rechtsvertreter der
Mutter, B.________, am 6. Mai 1999 vorgeschlagenen Betrag von Fr. 25'000.--
gegen Abtretung des Erbanteils von A.________ an die Mutter einverstanden. Am
15./20. Dezember 1999 unterzeichneten die Mutter und der Amtsschreiber des
Bezirksamtes an Stelle von A.________ einen entsprechenden
Erbauslösungsvertrag, wonach A.________ gegen Bezahlung von Fr. 25'000.-- an
das Amt für Jugend- und Sozialhilfe der Stadt Zürich definitiv aus der
Erbengemeinschaft ausscheide und die Mutter an ihre Stelle trete.

B.
In der Folge machte A.________ gegenüber dem Amt für Jugend- und Sozialhilfe
Ungültigkeit der Abtretungserklärung sowie des Erbauslösungsvertrages
geltend, und vom Bezirksamt Sargans verlangte sie, dass dieser Vertrag
rückgängig gemacht werde.

Nachdem es zu keiner Einigung gekommen war, reichte A.________ am 4. April
2000 gegen ihre Mutter und die neun Geschwister beim Bezirksgericht Sargans
eine Erbteilungsklage ein. Das Bezirksgericht beschränkte den Prozess vorerst
auf die Frage der Aktivlegitimation, die es mit Entscheid vom 19. Juni 2001
verneinte. Die dagegen erhobene Berufung wies das Kantonsgericht St. Gallen,
I. Zivilkammer, mit Entscheid vom 9. Dezember 2002 ab.

C.
Mit Berufung vom 17. Februar 2003 stellt die Klägerin die Begehren, das
Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen sei aufzuheben und es sei
festzustellen, dass dieses ihre Aktivlegitimation zu Unrecht verneint habe.
Des Weiteren verlangt sie die unentgeltliche Rechtspflege. Es ist keine
Berufungsantwort eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat ausgeführt, gemäss Art. 635 Abs. 1 ZGB könne ein Erbe
einem anderen seinen Erbanteil abtreten; da dies dingliche Wirkung habe,
scheide er aus der Erbengemeinschaft aus. Eine solche Vereinbarung habe die
gemäss Art. 609 Abs. 1 ZGB mitwirkende Behörde auf Verlangen des Amtes für
Jugend- und Sozialhilfe an Stelle der Klägerin mit der Mutter geschlossen.
Die Mitwirkung an sich und auch das konkrete Vorgehen der mitwirkenden
Behörde habe die Klägerin nie auf dem öffentlich-rechtlichen Weg angefochten,
obschon sie darüber orientiert gewesen sei. Entgegen der klägerischen
Behauptung könne der Erbauslösungsvertrag auch nicht als nichtig betrachtet
werden. Aus Art. 609 ZGB ergebe sich keine Einschränkung in dem Sinn, dass
eine Mitwirkung der Behörde erst in Frage komme, wenn ein formeller
Teilungsbeschluss aller Erben vorliege. Entscheidend sei, dass der Anstoss
zur Teilung von Seiten der Erben ausgehe. Aus den Akten ergebe sich klar,
dass von der Mutter schon 1994 und 1997 eine Initiative zur Teilung
ausgegangen, diese jedoch an der Klägerin gescheitert sei. Schliesslich habe
die Mutter vor Einschaltung der Behörde durch das Amt für Jugend- und
Sozialhilfe einen weiteren Vorstoss für eine partielle Erbteilung
unternommen, wobei mit der Klägerin erneut keine Einigung habe erzielt werden
können. Damit seien die Voraussetzungen für den Beizug der Behörde im Sinn
von Art. 609 ZGB erfüllt gewesen.

2.
Die Klägerin rügt eine falsche Anwendung von Art. 609 und 635 ZGB. Sie selbst
und die übrigen Erben seien nicht in den Auslösungsvertrag miteinbezogen
worden, und es liege nur eine subjektive partielle Erbteilung vor. Die
Mitwirkung der Behörde im Sinne von Art. 609 ZGB beziehe sich aber auf die
ganze Erbschaft und nicht nur auf einen Teil, der sich ohne vollständige
Teilung des Nachlasses gar nicht feststellen lasse. Im Übrigen sei es auch
nicht um eine objektive partielle Teilung (Vorausverwertung des Wohnhauses)
gegangen, da diese ebenfalls den Einbezug aller Erben voraussetze. Die
Vereinbarung zwischen dem Bezirksamt Sargans und der Mutter könne sich
folglich nicht auf Art. 609 ZGB stützen. Weil eine klare Rechtsverletzung
vorliege, sei der Vertrag nichtig und sie demzufolge nicht aus der
Erbengemeinschaft ausgeschieden. Als deren Mitglied sei sie zur Teilungsklage
aktivlegitimiert.

3.
Zu Unrecht geht die Klägerin davon aus, die Mitwirkung der Behörde gemäss
Art. 609 Abs. 1 ZGB sei begriffsnotwendig auf die Teilung der gesamten
Erbschaft gerichtet. Nicht nur ist die Mitwirkung an einer partiellen Teilung
an sich möglich, sondern eine solche ist oft auch tunlich, und in der Regel
wirkt die Behörde zunächst auf eine beschränkte Teilung hin, um die Rechte
des Schuldner-Erben an der Erbschaft möglichst zu schonen und im Interesse
der Gläubiger eine rasche Vollstreckung der Forderung zu erreichen (vgl.
Schaufelberger, Basler Kommentar, N. 14 zu Art. 609 ZGB).

Unklar ist jedoch, ob vorliegend eine subjektiv partielle Erbteilung
vorgenommen worden ist, denn auch bei einer solchen Teilung müssen im Prinzip
sämtliche Erben mitwirken. Die Vorinstanz ist dabei vom Grundsatz
ausgegangen, dass der schuldnerische Erbe bei der Abtretung gemäss Art. 635
Abs. 1 ZGB infolge der dinglichen Wirkung aus der Erbengemeinschaft
ausscheidet, obwohl die Erbabtretung nur zwischen zwei Erben vereinbart wird
(BGE 102 Ib 321 E. 4 S. 326), und sie scheint der nach Art. 609 Abs. 1 ZGB
mitwirkenden Behörde die Kompetenz zugestanden zu haben, an Stelle des
Schuldner-Erben eine solche Abtretung unter Erben zu vereinbaren. Fraglich
ist, ob die Befugnisse der mitwirkenden Behörde so weit gehen, oder ob ihre
Mitwirkung nicht vielmehr den Einbezug aller Erben erfordert. Dies braucht
hier aber nicht weiter erörtert zu werden, da die Klägerin bereits aus einem
anderen Grund nicht mehr zur Erbteilungsklage legitimiert ist:

Die Aufgabe der Behörde gemäss Art. 609 Abs. 1 ZGB erschöpft sich in der
Mitwirkung bei der Teilung, wobei sie diese weder selbst vornehmen noch
leiten darf (Tuor/Picenoni, Berner Kommentar, N. 11 zu Art. 609 ZGB).
Nichtsdestoweniger ist ihre Stellung bei der Teilung genau diejenige des
Erben, denn sie tritt nicht etwa an die Stelle des Gläubigers, sondern an
diejenige des schuldnerischen Erben. Kraft dieser Rechtsposition muss sie
insbesondere auch die Teilungsklage erheben können (Tuor/Picenoni, a.a.O., N.
13 zu Art. 609 ZGB; Piotet, SPR IV/2, S. 864; Canova, Die amtliche Mitwirkung
bei der Erbteilung gemäss Art. 609 ZGB, Diss. Zürich 1947, S. 53; Jost, Der
Erbteilungsprozess, Bern 1960, S. 58 und 60; Seeberger, Die richterliche
Erbteilung, Diss. Freiburg 1992, S. 32; a.M.: Kohler, Die Abtretung
angefallener Erbanteile, Diss. Zürich 1976, S. 149 ff.; unklar: Escher,
Zürcher Kommentar, N. 9 gegenüber N. 12 zu Art. 609 ZGB), ansonsten das in
Art. 609 Abs. 1 ZGB zur Verfügung gestellte Institut illusorisch würde, wenn
immer sich die anderen Erben einer Teilung widersetzen. So sieht denn Art. 12
VVAG (SR 281.41) für den Fall des gepfändeten Erbanteils ausdrücklich vor,
dass das Betreibungsamt die Teilung und zu deren Durchführung die Mitwirkung
der Behörde gemäss Art. 609 Abs. 1 ZGB verlangen kann. Diese Befugnis muss
für den Fall, dass ein Abtretungsgläubiger nach Art. 635 Abs. 2 ZGB die
Mitwirkung der Behörde verlangt, dieser selbst zustehen, sollen die
Gläubigerrechte wirksam geschützt werden. Es geht nicht an, dass der
Gläubiger ohne irgendwelche Behelfe auf unbestimmte Zeit die Tatsache der
ungeteilten Erbschaft hinnehmen muss, wenn die Erben die Aufhebung der
Gemeinschaft verweigern oder sich nicht über den Abschluss eines
Teilungsvertrages einigen können. Dies würde geradezu die Durchsetzung des
Erbabtretungsvertrages mit Dritten gemäss Art. 635 Abs. 2 ZGB und damit das
materielle Erbrecht selbst verhindern.

Kann die Behörde die Erbteilungsklage erheben, schliesst dies eine
konkurrierende Aktivlegitimation des Erben aus, da sie an dessen Stelle
handelt (vgl. Schaufelberger, Basler Kommentar, N. 16 zu Art. 609 ZGB). Dies
wiederum bedeutet, dass die Klägerin vorliegend nicht mehr legitimiert ist,
Erbteilungsklage zu erheben. Damit ist die Berufung im Ergebnis abzuweisen.

4.
Das Gesuch der Klägerin um unentgeltliche Rechtspflege ist gutzuheissen, und
es ist ihr Rechtsanwältin Dr. Caterina Nägeli als unentgeltliche
Rechtsbeiständin beizuordnen. Folglich wird die Gerichtsgebühr einstweilen
auf die Gerichtskasse genommen (Art. 152 Abs. 1 OG), und der Rechtsbeiständin
wird aus der Gerichtskasse eine angemessene Entschädigung ausgerichtet (Art.
152 Abs. 2 OG). Da keine Berufungsantwort eingeholt worden ist, ist der
gegnerischen Parteigruppe kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch der Klägerin um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, und
es wird ihr Rechtsanwältin Dr. Caterina Nägeli als unentgeltliche
Rechtsbeiständin beigeordnet.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Klägerin auferlegt, einstweilen
jedoch auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Der klägerischen Anwältin wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine
Entschädigung von Fr. 2'000.-- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, I.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. April 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: