Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.32/2003
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5C.32/2003 /min

Urteil vom 23. April 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Escher, Hohl,
Gerichtsschreiberin Scholl.

R. ________,
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian
Häuptli, Burghaldenstrasse 59, Postfach, 5600 Lenzburg 2,

gegen

T.________,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt
Fricker, Sorenbühlweg 13, 5610 Wohlen AG.

Abänderung des Scheidungsurteils,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 2.
Zivilkammer, vom 28. November 2002.

Sachverhalt:

A.
Die Ehe von R.________ (Ehemann) und T.________ (Ehefrau) wurde mit Urteil
des Bezirksgerichts Bremgarten vom 1. Dezember 1994 geschieden. In der
richterlich genehmigten Ehescheidungskonvention vom 30. Oktober 1994 hatte
sich R.________ verpflichtet, seiner Ehefrau gestützt auf Art. 152 aZGB
folgende Unterhaltsbeiträge zu bezahlen: Fr. 300.-- ab dem 1. Januar 1995,
sowie Fr. 500.-- ab dem Monat des Entfallens der Kinderrente für den
gemeinsamen Sohn.

B.
Mit Abänderungsklage vom 6. Februar 2001 beantragte R.________ die ersatzlose
Streichung von Ziffer 5.5 des Ehescheidungsurteils vom 1. Dezember 1994,
welche die Unterhaltsrente an T.________ vorsieht. Zur Begründung führte er
aus, T.________ lebe seit über fünf Jahren in einem Konkubinat, womit die
Rentenpflicht ende. Mit Urteil vom 15. Januar 2002 wies das Bezirksgericht
Bremgarten die Klage ab. Die von R.________ dagegen erhobene Appellation wies
das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 28. November 2002 ebenfalls
ab.

C.
R.________ gelangt mit eidgenössischer Berufung an das Bundesgericht. Er
beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils sowie die Gutheissung
der Abänderungsklage.

T. ________ schliesst in ihrer Berufungsantwort auf Abweisung der Berufung.
Das Obergericht hat keine Gegenbemerkungen angebracht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine vermögensrechtliche
Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 46 OG. Da der Kläger der Beklagten
gemäss Scheidungsurteil einen lebenslänglichen monatlichen Unterhaltsbeitrag
von Fr. 500.-- zu entrichten hat, wird die Streitwertgrenze bei weitem
überschritten. Die Berufung ist rechtzeitig erhoben worden und richtet sich
gegen einen Endentscheid eines oberen kantonalen Gerichts, der nicht mehr
durch ein ordentliches kantonales Rechtsmittel angefochten werden kann (Art.
54 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 OG).

2.
Das Obergericht kam zum Schluss, dass zwischen der Beklagten und ihrem
Lebenspartner ein qualifiziertes Konkubinat bestehe. Die Beklagte bestreitet
dies, wozu sie im Rahmen der Berufungsantwort befugt ist (BGE 61 II 125 E. 1
S. 126; 118 II 36 E. 3 S. 37). Die Frage, ob auf Grund der vorhandenen
tatsächlichen Feststellungen auf das Vorliegen eines qualifizierten
Konkubinats geschlossen werden darf, gilt als Rechtsfrage, die vom
Bundesgericht im Berufungsverfahren frei überprüft werden kann.

2.1 Gemäss Art. 7a Abs. 3 SchlTZGB erfolgt die Abänderung eines vor dem 1.
Januar 2000 gefällten Scheidungsurteils nach den Vorschriften des alten
Rechts, mithin nach Art. 153 aZGB. Nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung zu dieser Bestimmung ist eine auf Art. 152 aZGB gestützte
Scheidungsrente aufzuheben, wenn die rentenberechtigte Person in einem
gefestigten Konkubinat lebt, aus welchem sie ähnliche Vorteile zieht, wie sie
ihr eine Ehe bieten würde. Ein eheähnliches Verhältnis in diesem Sinn liegt
vor, wenn überzeugende Gründe dafür sprechen, dass der neue Partner der
rentenberechtigten Person in ähnlicher Weise Beistand und Unterstützung
leistet, wie dies Art. 159 Abs. 3 ZGB verlangt (BGE 114 II 295 E. 1b S. 298;
118 II 235 E. 3a S. 237; 124 III 52 E. 2a/aa S. 54). Dabei ist nicht
entscheidend, ob dieser Beistand und diese Fürsorge in wirtschaftlicher
Hinsicht einen vollwertigen Ersatz für die entgehende Rente beinhalten, das
heisst, ob im Fall einer Wiederverheiratung der finanzielle
Unterhaltsanspruch gegenüber dem neuen Ehegatten der dahinfallenden Rente
zumindest gleichwertig wäre (BGE 114 II 295 E. 1a S. 297; 116 II 394 E. 3 S.
397; 124 III 52 E. 2a/aa S. 54).

2.2 Das Obergericht hat ausgeführt, dass die Beklagte und ihr
Konkubinatspartner sich anlässlich eines Klinikaufenthaltes kennen gelernt
und aus einer Notsituation heraus zusammen gezogen seien, um weitere
Klinikaufenthalte zu vermeiden. Die Beklagte sei in schwerer Weise
manisch-depressiv und ihr Partner schizophren. Sie seien in höchstem Masse
auf gegenseitige Unterstützung und Hilfe angewiesen. Seit 1995 würden sie
zusammen leben, seit 1997 in der Eigentumswohnung der Beklagten, wobei ihr
Partner einen Mietzins bezahle. Die Haushaltskasse werde je hälftig
gespiesen. Sie hätten, wenn auch auf Grund ihrer Krankheiten eher selten,
geschlechtliche Kontakte. Sie würden sich lieben und "durch dick und dünn"
zusammenhalten. Sie würden einander im Zusammenhang mit ihren Krankheiten
gegenseitig helfen und sich auch im Falle einer unvorhergesehenen
finanziellen Notlage unterstützen. Das Obergericht kam gestützt darauf zum
Schluss, angesichts der dargestellten engen geistig-seelischen Komponente
sei, trotz der Besonderheiten auf Grund der Krankheiten der Beklagten und
ihres Partners, gesamthaft ein gefestigtes Konkubinat anzunehmen, in welchem
sich die Partner ähnlich wie Ehegatten Beistand und Unterstützung leisten
würden.

2.3 Dass die geschlechtlichen Kontakte zwischen der Beklagten und ihrem
Konkubinatspartner nur selten sind, spricht nicht gegen die Annahme eines
qualifizierten Konkubinats. Selbst bei vollständigem Fehlen einer
Geschlechtsgemeinschaft kann trotzdem eine eheähnliche Gemeinschaft bejaht
werden, sofern die Partner in einer festen und ausschliesslichen
Zweierbeziehung leben, sich gegenseitig die Treue halten und umfassenden
Beistand leisten (BGE 118 II 235 E. 3b S. 238). Gleiches gilt für die
wirtschaftliche Komponente der Lebensgemeinschaft: Auch wenn das Obergericht
die wirtschaftliche Verflechtung als "nicht ausgeprägt" bezeichnet hat, ist
eine solche doch vorhanden.

Entscheidend ist vor allem die festgestellte enge geistig-seelische
Komponente, welche die Beklagte ausdrücklich als richtig anerkennt. Auch wenn
das tägliche Leben der beiden Konkubinatspartner von den jeweilen Krankheiten
stark beeinflusst sein mag, zeigt sich die Qualität der Beziehung bereits in
deren Dauer. Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich zudem, dass sich das
Zusammenleben der beiden nicht in der gegenseitigen Hilfestellung bei den
Krankheiten erschöpft, sondern eine umfassende Lebensgemeinschaft besteht. So
würden sie einander gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz auch in
finanziellen Notlagen beistehen.

Zudem ist der Einwand der Beklagten, der Hinweis, sie und ihr Partner hielten
"durch dick und dünn" zusammen, sei aktenwidrig, unzutreffend. Dem
Verhandlungsprotokoll des Bezirksgerichts lässt sich eine solche Aussage der
Beklagten wörtlich entnehmen.

2.4 Zusammenfassend muss aus dem vom Obergericht festgestellten Sachverhalt
geschlossen werden, dass die von der Beklagten mit ihrem Partner gelebte
Gemeinschaft in einer Weise eng und stabil ist, die ähnlich einer Ehe Gewähr
für Beistand und Unterstützung zu bieten vermag, mithin ein qualifiziertes
Konkubinat vorliegt.

3.
Der Kläger rügt, das Obergericht habe Bundesrecht verletzt, indem es die
Unterhaltspflicht nicht aufgehoben habe, obwohl es das Vorliegen eines
qualifizierten Konkubinats für erwiesen gehalten habe.

3.1 Trotz der Bejahung eines qualifizierten Konkubinats hat das Obergericht
angenommen, dass für die Beklagte besondere und ernsthafte Gründe vorliegen
würden, die Scheidungsrente weiterhin zu beanspruchen. So habe der Kläger
damals das Scheidungsbegehren nur wegen der Krankheit der Beklagten
eingereicht und diese habe der Scheidung nur widerwillig zugestimmt. Des
Weiteren sei billigkeitshalber zu berücksichtigen, dass die Beklagte und ihr
Partner aus ihrer persönlichen Not heraus und um künftige Klinikaufenthalte
zu vermeiden, die Beziehung eingegangen seien. Es bestünden Unsicherheiten
über den künftigen Verlauf der Krankheiten, die eine erhöhte Gefahr der
Verunmöglichung des Zusammenlebens mit sich bringe. Auch sei die Beklagte auf
die Rente des Klägers nach wie vor angewiesen und dieser sei durchaus in der
Lage, sie weiterhin zu bezahlen.

3.2 Auch wenn, wie im vorliegenden Fall, ein qualifiziertes Konkubinat
besteht, bleibt der Beklagten der Nachweis offen, dass sie trotzdem aus
besonderen und ernsthaften Gründen weiterhin Anspruch auf die Scheidungsrente
erheben dürfe (BGE 114 II 295 E. 1c S. 298; 118 II 235 E. 3a S. 238). Dabei
geht es aber weder um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des
Konkubinatspartners, noch um die Gründe, wie das Konkubinat entstanden ist
oder weshalb auf eine Heirat verzichtet wird (Urteil des Bundesgerichts
5C.89/1994 vom 26. September 1994, E. 2b).

3.3 Im Gegensatz zur Auffassung des Obergerichts ist somit nicht zu
berücksichtigen, dass die Beklagte auf die Rente angewiesen ist und der
Kläger in der Lage ist, diese zu bezahlen. Ebenso wenig spielen die Ehedauer
und die Umstände der Scheidung eine Rolle. Auch wenn die Beklagte dieser nur
widerwillig zugestimmt hat, kann darin kein Grund gesehen werden, der einer
Rentenaufhebung entgegen stünde. Dass durch die psychischen Krankheiten der
beiden Konkubinatspartner eine erhöhte Gefahr der Verunmöglichung des
Zusammenlebens besteht, kann insbesondere angesichts der bisherigen Dauer des
gelebten Konkubinats nicht angenommen werden. Nicht gefolgt werden kann der
Einrede des Rechtsmissbrauchs, weil der Kläger im Scheidungsverfahren ein
weiteres Zusammenleben mit der Beklagten als unzumutbar betrachtet habe und
nun geltend mache, diese pflege mit dem neuen Partner eine eheähnliche
Gemeinschaft. Damit sind keine besonderen und ernsthaften Gründe
nachgewiesen, welche die Beibehaltung der Rentenpflicht des Klägers
rechtfertigen würden. Das Urteil des Obergerichts erweist sich daher in
diesem Punkt als bundesrechtswidrig.

3.4 Demnach ist die Berufung gutzuheissen. Der Kläger verlangt eine Aufhebung
der Unterhaltsbeiträge ab dem 1. Dezember 2000. Eine Abänderung von
Scheidungsrenten ist jedoch frühestens ab Zeitpunkt der Klageeinreichung (6.
Februar 2001) möglich, in welchem vorliegend die massgebenden
Änderungsereignisse bereits gegeben waren (BGE 117 II 368 E. 4c/aa S. 370;
127 III 503 E. 3b/aa S. 505). Demnach ist die Rentenverpflichtung des Klägers
gemäss Ziffer 5.5 des Scheidungsurteils des Bezirksgerichts Bremgarten vom 1.
Dezember 1994 mit Wirkung ab dem 1. März 2001 aufzuheben.

4.
Bei diesem Verfahrensausgang ist die Gerichtsgebühr der Beklagten
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Diese ist ausserdem zu verpflichten, den
Kläger für seine Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren zu entschädigen
(Art. 159 Abs. 2 OG). Im Übrigen wird die Sache zur Neuregelung der Kosten-
und Entschädigungsfrage des kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, 2. Zivilkammer, vom 28. November 2002 wird aufgehoben.

Die Unterhaltsverpflichtung des Klägers gemäss Ziffer 5.5 des
Ehescheidungsurteils des Bezirksgerichts Bremgarten vom 1. Dezember 1994 wird
mit Wirkung ab dem 1. März 2001 aufgehoben. Weitergehend wird die Klage
abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beklagten auferlegt.

3.
Die Beklagte hat den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
2'000.-- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des
kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 2.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. April 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: