Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.239/2003
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5C.239/2003 /mks

Urteil vom 19. Februar 2004
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
Gerichtsschreiberin Scholl.

1. F. X.________,
2.J. X.________,
Beklagte und Berufungskläger,
beide vertreten durch Rechtsanwalt André Gräni,

gegen

M. X._______,
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin
Ramisberger,

Erbvertrag,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 2.
Zivilkammer, vom 18. September 2003.

Sachverhalt:

A.
D.  X.________ verstarb am 11. September 1997 in A.________. Er hinterliess
als gesetzliche Erben seine Ehefrau M. X.________ sowie seine Brüder F.
X.________ und J. X.________.

B.
Mit Kaufvertrag vom 18. Februar 1986 hatte D. X.________ von seiner Tante und
seinem Onkel zwei Grundstücke in C.________ zum Preis von Fr. 50'000.--
erworben. F. X.________ und J. X.________ wurde ein unbefristetes
Vorkaufsrecht eingeräumt und im Grundbuch vorgemerkt. Ebenso wurde zu ihren
Gunsten ein ebenfalls unbefristetes und obligatorisches Kaufsrecht begründet,
ausübbar falls D. X.________ ohne Nachkommen sterben sollte, für welchen Fall
M. X.________ ein unentgeltliches obligatorisches Wohnrecht gewährt wurde.

C.
D. X.________ hatte am 23. Januar 1992 mit F. X.________ und J. X.________
einen Erbvertrag abgeschlossen, wonach sein Miteigentum an den beiden
Grundstücken in C.________ bei seinem Ableben an sie oder ihre Nachkommen
fallen sollte. Der Anrechnungswert wurde auf Fr. 60'000.-- festgelegt, sollte
von allfälligen Investitionen und Wertveränderungen unabhängig und an die
Erben von D. X.________ zahlbar sein. Diese wurden verpflichtet, eine
allfällige Grundpfandschuld abzulösen. Am 21. Februar 1992 wurde den
Begünstigten das bereits zugesagte Miteigentum von 2/100 übertragen und das
vertragliche Vorkaufsrecht aus dem Jahre 1986 gelöscht. Das durch die
Begründung von Miteigentum entstandene gesetzliche Vorkaufsrecht wurde auf
Fr. 60'000.-- limitiert. Am Miteigentum der beiden Grundstücke von D.
X.________ wurden am gleichen Tag eine Hypothek von Fr. 140'000.-- und am 28.
Februar 1992 zwei Inhaberschuldbriefe von Fr. 200'000.-- errichtet.

D.
Mit Erbvertrag vom 10. September 1993 hatten sich D. X.________ und M.
X.________ gegenseitig als Universalerben am gesamten Nachlass eingesetzt.
Nach dem Tode des überlebenden Ehegattens sollte das noch vorhandene Vermögen
an die Neffen und Nichten der Ehefrau gehen, unter Vorbehalt allfälliger
Änderungen durch diesen.

E.
Das Bezirksgericht A.________ hiess am 28. September 2000 die Klage von M.
X.________ teilweise gut und erklärte den zwischen D. X.________ sowie F.
X.________ und J. X.________ abgeschlossenen Erbvertrag vom 23. Januar 1992
mit Ausnahme von Ziff. 1 für ungültig. Es sprach der Klägerin den
Miteigentumsanteil von 98/100 an den Grundstücken in C.________ unter
Anrechnung auf ihren Erbteil zu und überband ihr die darauf lastenden
Grundpfandschulden.

F.
Auf Appellation von F. X.________ und J. X.________ hob das Obergericht des
Kantons Aargau am 27. Februar 2002 das Urteil des Bezirksgerichts teilweise
auf und wies die Klage von M. X.________ ab, soweit sie nicht gegenstandslos
geworden war. Es hiess die Widerklage von F. X.________ und J. X.________
teilweise gut, soweit es darauf eintrat, wies ihnen den Miteigentumsanteil
von 98/100 an den Grundstücken in C.________ zu hälftigem Miteigentum zu und
verpflichtete sie, der Klägerin Fr. 60'000.-- zu bezahlen. Die Klägerin wurde
zur Ablösung der Grundpfandschulden auf den zugewiesenen Grundstücken und zur
Zahlung der daraus eingenommenen Mietzinsen von Fr. 72'900.-- an die
Beklagten verpflichtet.

G.
Gegen diesen Entscheid erhob M. X.________ staatsrechtliche Beschwerde beim
Bundesgericht. Dieses hiess die Beschwerde am 22. Juli 2002 (5P.178/2002)
teilweise gut, soweit es darauf eintrat, und hob das Urteil des Obergerichts
vom 27. Februar 2002 teilweise auf. Eine in der gleichen Sache eingereichte
Berufung wies das Bundesgericht gleichentags ab, soweit es darauf eintrat
bzw. sie nicht bereits gegenstandslos geworden war (5C.108/2002).

Mit Urteil vom 11. Dezember 2002 trat das Bundesgericht auf ein
Erläuterungsgesuch des Obergerichts nicht ein, berichtigte jedoch sein Urteil
vom 22. Juli 2002 von Amtes wegen, indem es die aufgehobenen Ziffern des
obergerichtlichen Urteils präzisierte.

H.
Am 27. Februar 2003 entschied das Obergericht des Kantons Aargau erneut über
den Streitfall, wobei es die von M. X.________ an F. X.________ und J.
X.________ zu leistende Zahlung aus eingenommenen Mietzinsen auf Fr.
90'900.-- erhöhte, ansonsten an seinem Urteil vom 27. Februar 2002 im
Ergebnis vollumfänglich festhielt. Dagegen erhob M. X.________ wiederum
staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht, welche dieses mit Urteil
vom 22. Juli 2003 erneut guthiess, soweit es darauf eintrat (5P.148/2003).

I.
Mit Urteil vom 18. September 2003 befasste sich das Obergericht daraufhin
aufs Neue mit der Streitsache. Dieses Mal wies es die Appellation der
Beklagten im Wesentlichen ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
Einzig in einem Nebenpunkt bezüglich Mietzinseinnahmen verurteilte es M.
X.________, F. X.________ und J. X.________ eine Betrag von Fr. 1'965.-- zu
bezahlen.

J.
Gegen dieses Urteil führen F. X.________ und J. X.________ eidgenössische
Berufung an das Bundesgericht.

Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Eine gegen das nämliche Urteil des Obergerichts erhobene staatsrechtliche
Beschwerde hat das Bundesgericht mit Entscheid vom 18. Februar 2004
abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist (Verfahren 5P.433/2003).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine vermögensrechtliche
Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 46 OG. Der erforderliche Streitwert
für das Berufungsverfahren ist gegeben. Die Berufung ist rechtzeitig erhoben
worden und richtet sich gegen einen Endentscheid eines oberen kantonalen
Gerichts, der nicht mehr durch ein ordentliches kantonales Rechtsmittel
angefochten werden kann (Art. 54 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 OG).

2.
Soweit die Beklagten dem Obergericht vorwerfen, das Dispositiv des
bundesgerichtlichen Urteils 5P.148/2003 vom 22. Juli 2003 falsch ausgelegt zu
haben, kann auf die diesbezüglichen Erwägungen im konnexen Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde verwiesen werden (Urteil 5P.433/2003, E. 2.1).

3.
Die Beklagten rügen eine unrichtige Anwendung von Art. 8 ZGB. Diese
Bestimmungen verleiht einen bundesrechtlichen Anspruch auf Abnahme von
Beweisen, die zum Nachweis einer rechtserheblichen Tatsache frist- und
formgerecht anerboten worden sind. Der Beweisführungsanspruch ist
insbesondere dann verletzt, wenn der kantonale Richter über rechtserhebliche
Tatsachen überhaupt nicht Beweis führen lässt. Diese Norm bestimmt hingegen
nicht, mit welchen Mitteln der Sachverhalt abzuklären ist und wie Beweise zu
würdigen sind (BGE 114 II 289 E. 2 S. 290 f.; 122 III 219 E. 3c S. 223).

Die Beklagten behaupten, das Obergericht habe einzelne Zeugenaussagen nicht
beachtet und sehen darin eine Nichtabnahme von Beweisen. Es ist indes eine
Frage der Beweiswürdigung, welches Gewicht den jeweiligen Zeugenaussagen
zugemessen wird. Für Kritik an der Beweiswürdigung des Sachrichters, soweit
nicht Vorschriften des Bundesrechts in Frage stehen, ist die Berufung nicht
gegeben (BGE 117 II 609 E. 3c S. 613; 128 III 390 E. 4.3.3b S. 398). Auf die
darüber hinaus beanstandende Nichteinvernahme zweier beantragter Zeugen hat
das Obergericht verzichtet, da es den Sachverhalt auf Grund der Akten für
genügend abgeklärt gehalten hat (vgl. Urteil 5P.433/2003, E. 3). Es hat
demnach eine antizipierte Beweiswürdigung vorgenommen. Einer solchen steht
Art. 8 ZGB nicht entgegen (BGE 122 III 219 E. 3c S. 223; 128 III 22 E. 2d S.
25).

4.
Die Beklagten machen zudem eine Verletzung von Art. 9 ZGB geltend. Sie führen
im Wesentlichen aus, das Obergericht habe die erhöhte Beweiskraft nicht
berücksichtigt, die dem Erbvertrag als öffentlicher Urkunde gemäss dieser
Bestimmung zukomme. Dazu ist einerseits anzumerken, dass die erhöhte
Beweiskraft von Art. 9 ZGB lediglich den Inhalt der Urkunde umfasst, mithin
was die Urkundsperson kraft eigener Wahrnehmungen überhaupt als richtig
bescheinigen kann (BGE 110 II 1 E. 3 S. 2 f.; Max Kummer, Berner Kommentar,
N. 43 zu Art. 9 ZGB), was auf den (inneren) Willen regelmässig nicht
zutrifft. Andererseits stellt Art. 9 ZGB nur eine widerlegbare Vermutung auf,
wobei der Nachweis ihrer Unrichtigkeit ausdrücklich an keine bestimmte Form
gebunden ist (Art. 9 Abs. 2 ZGB). Wenn die Beklagten daher rügen, das
Obergericht habe, anstatt auf die öffentliche Urkunde abzustellen, die
Aussagen einiger weniger Zeugen berücksichtigt, handelt es sich um eine Frage
der Beweiswürdigung, welche mit Berufung - wie erwähnt - nicht angefochten
werden kann.

5.
Schliesslich behaupten die Beklagten eine unrichtige Anwendung der
einschlägigen erbrechtlichen Bestimmungen in Bezug auf die Ungültigkeit des
Erbvertrages, insbesondere von Art. 469 Abs. 1 und 2 sowie Art. 519 ZGB und
Art. 31 OR.

Sie bringen vor, es sei immer der Wille des Erblassers gewesen, die
Liegenschaft im Kreise seiner Blutsverwandten zu belassen. Der Erbvertrag vom
23. Januar 1992 beinhalte daher dessen tatsächlichen und wahren Willen. Bei
diesem Vorbringen verkennen die Beklagten freilich, dass es Tatfrage ist, was
die Beteiligten bei Vertragsabschluss dachten oder wollten (BGE 107 II 226 E.
4 S. 229; 121 III 118 E. 4b/aa S. 123) und damit der bundesgerichtlichen
Überprüfung im Berufungsverfahren entzogen (Art. 63 Abs. 2 OG). In Wahrheit
kritisieren die Beklagten auch in diesem Punkt einzig die Beweiswürdigung des
Obergerichts. Mithin rügen sie sogar ausdrücklich eine Verletzung des
Willkürverbotes (Art. 9 BV) bei der der Auslegung von Zeugenaussagen, worauf
offensichtlich nicht eingetreten werden kann (Art. 43 Abs. 1 OG). Mit der im
vorliegenden Berufungsverfahren zulässigen Rechtsfrage, ob die vom
Obergericht verbindlich festgestellte Drucksituation, in welcher sich der
Erblasser befunden hat, als Drohung und Zwang im Sinne von Art. 469 Abs. 1
ZGB zu qualifizieren ist, setzen sich die Beklagten hingegen in keiner Weise
auseinander. Auch in Bezug auf den Widerruf des ersten Erbvertrages machen
sie einzig geltend, der diesbezügliche Widerspruch zwischen dem
obergerichtlichen Urteil vom 27. Februar 2002 und demjenigen vom 18.
September 2003 sei nicht nachvollziehbar und willkürlich, ohne jedoch auf die
rechtlichen Voraussetzungen für einen Widerruf einzugehen (Art. 55 Abs. 1
lit. c OG).

6.
Damit ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens werden die Beklagten kostenpflichtig (Art. 156
Abs. 1 OG). Sie schulden der Klägerin allerdings keine Parteientschädigung
für das bundesgerichtliche Verfahren, zumal keine Berufungsantwort eingeholt
wurde.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 7'000.-- wird den Beklagten unter solidarischer
Haftbarkeit auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 2.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Februar 2004

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: