Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.198/2003
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5C.198/2003 /rov

Urteil vom 17. November 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Gysel.

Z. ________,
Kläger und Berufungskläger,
vertreten durch Advokat René Brigger,

gegen

Versicherung X.________ AG (vormals Y.________ Versicherungs-Gesellschaften),
Beklagte und Berufungsbeklagte,
vertreten durch Advokat Dr. Heiner Schärrer.

Versicherungsvertrag,

Berufung gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
vom 18. Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 13. Januar 1998 unterzeichnete Z.________ einen an die Y.________
Versicherungs-Gesellschaften (im Folgenden: die Y.________) gerichteten
Antrag auf Abschluss eines Versicherungsvertrags im Rahmen der gebundenen
Vorsorge. Als Leistung sollte - mit einer Wartefrist von 60 Tagen - bei
Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit, Unfall oder Gebrechen eine Jahresrente
von Fr. 24'000.-- ausbezahlt werden. Nach einigen Nachfragen wegen fehlender
Angaben im Antragsformular und nach ärztlichen Abklärungen wurde am 23. März
1998 die Versicherungspolice (xxx) ausgestellt.

Bereits am 16. Februar 1998 hatte Z.________ einen Arbeitsunfall erlitten.
Nachdem er in der Folge wegen Erwerbsunfähigkeit die vertraglichen Leistungen
verlangt hatte, liess ihn die Y.________ mit Schreiben vom 12. Mai 1998
wissen, sie habe festgestellt, dass im Antragsformular die Frage nach dem
Beruf nicht den Tatsachen entsprechend beantwortet worden sei, und trete
daher im Sinne von Art. 6 VVG (Verletzung der Anzeigepflicht) vom
Versicherungsvertrag zurück.

B.
Mit Eingabe vom 11. Februar 1999 erhob Z.________ beim Zivilgericht
Basel-Stadt gegen die Y.________ Klage. Er beantragte, den Vertragsrücktritt
der Beklagten aufzuheben, festzuhalten, dass der Versicherungsvertrag gemäss
Police xxx nach wie vor bestehe, und die Beklagte zu verpflichten, ihm unter
Vorbehalt von Mehrforderungen Fr. 18'000.-- (je Fr. 2'000.-- für die Monate
Mai 1998 bis Januar 1999) zuzüglich 5 % Zins seit 15. September 1998 zu
zahlen. Im Verlaufe des Verfahrens erklärte die Versicherung X.________ AG,
als Rechtsnachfolgerin der Beklagten in den Prozess einzutreten.

Das Zivilgericht stellte durch Urteil vom 9. Mai 2001 fest, dass der
Versicherungsvertrag nach wie vor bestehe; die klägerischen Leistungsbegehren
wies es dagegen ab.

Der Kläger appellierte, worauf das Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt am 18. Oktober 2002 den erstinstanzlichen Entscheid mit der
Berichtigung bestätigte, dass sich die Feststellung der Gültigkeit des
Versicherungsvertrags nur auf den provisorischen Versicherungsschutz gemäss
Ziff. 2. der Allgemeinen Vertragsbedingungen beziehe, der mit Ausstellung der
Versicherungspolice xxx vom 23. März 1998 abgeschlossene Versicherungsvertrag
dagegen nichtig sei.

C.
Der Kläger hat eidgenössische Berufung erhoben mit dem Antrag, sein
Leistungsbegehren auf Zahlung von Fr. 18'000.-- zuzüglich Zins zu 5 %
gutzuheissen. Ausserdem ersucht er darum, ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Appellationsgericht ist in Würdigung des zeitlichen Ablaufs der
Geschehnisse zum Schluss gelangt, dass ab 13. Januar 1998 ein provisorisches
Versicherungsverhältnis im Sinne von Ziff. 2.2 der Allgemeinen
Vertragsbedingungen (AVB) bestanden habe, das hinsichtlich der Leistung auf
Fr. 200'000.-- und hinsichtlich der Dauer auf zwei Monate begrenzt gewesen
sei. In Anbetracht der Tatsache, dass das Ereignis, das der geltend gemachten
Erwerbsunfähigkeit zu Grunde liege, am 16. Februar 1998 eingetreten, der
klägerische Versicherungsantrag jedoch erst am 23. März 1998 durch die
Beklagte angenommen worden sei, sei der mit der Ausstellung der
Versicherungspolice xxx an diesem Tag abgeschlossene definitive
Versicherungsvertrag wegen der Unzulässigkeit der Rückwärtsversicherung
nichtig. Die Vorinstanz hat das Leistungsbegehren sodann aus der Sicht des
provisorischen Versicherungsschutzes (Ziff. 2.2 AVB) geprüft und dafür
gehalten, das Zivilgericht habe es zu Recht abgewiesen, da der Kläger den
Nachweis der Erwerbsunfähigkeit in seinem vor dem Unfall ausgeübten Beruf für
die Zeit von Mai 1998 bis Januar 1999 nicht erbracht habe.

2.
Mit den Ausführungen der Vorinstanz, wonach kein ordentliches
Versicherungsverhältnis bestehe, setzt sich der Kläger nicht auseinander. Er
geht selbst davon aus, dass im Zeitpunkt des Eintritts des in Frage stehenden
befürchteten Ereignisses nur ein provisorischer Versicherungsschutz bestanden
habe. Indessen beanstandet er die Feststellung des Appellationsgerichts, eine
Erwerbsunfähigkeit sei nicht nachgewiesen worden.

2.1 Für die Beurteilung der Leistungsklage sind auch nach Auffassung des
Klägers die "Ergänzenden Bestimmungen für Erwerbsunfähigkeitsversicherungen"
(Ausgabe 1/1997) massgebend. Deren Ziffer 5.1 lautet wie folgt:
"Eine Erwerbsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person ganz oder
teilweise nicht mehr fähig ist, ihren Beruf auszuüben. Gründe dafür können
Krankheit, Unfall oder sonstige Gebrechen sein. Sie muss dadurch eine
Einkommenseinbusse erleiden. Wenn sie eine andere, ihr nach Ausbildung,
Kenntnissen, Fähigkeiten und bisheriger Lebensstellung zumutbare
Erwerbstätigkeit nicht annimmt, dann liegt keine Erwerbsunfähigkeit vor..."
2.2 Das Appellationsgericht ist unter Hinweis auf die ärztlichen Abklärungen
davon ausgegangen, der Kläger sei während der Zeit, für die er
Versicherungsleistungen beanspruche, infolge seiner lumbalen Diskushernie
nicht in der Lage gewesen, Gegenstände mit einem Gewicht von mehr als 5 bis
10 kg zu heben und zu tragen, und habe bei der Arbeit häufige
Positionswechsel vornehmen müssen. Damit sei er als Möbeltransporteur
klarerweise arbeitsunfähig gewesen. In seiner von ihm selbst als
"Taglöhnerei" bezeichneten beruflichen Tätigkeit habe der Kläger aber nicht
nur als Möbeltransporteur (Zügelmann) gearbeitet. Vielmehr habe er nach
eigenen Angaben auch Malerarbeiten verrichtet und für Gartenarbeiten,
Kleinreparaturen, Renovationen, Restaurierungen, Reinigungsarbeiten usw. zur
Verfügung gestanden. Alle diese Tätigkeiten seien ihm ungeachtet seiner
Rückenbeschwerden möglich gewesen, sofern sie nicht das Tragen von über 5 bis
10 kg schweren Lasten verlangt und häufige Positionswechsel ausgeschlossen
hätten. In diesem Rahmen sei der Kläger beispielsweise für leichte
Gartenarbeiten, das Ausführen von Reparaturen, kleinere Maler- und
Putzarbeiten sowie Botengänge durchaus arbeitsfähig gewesen. Dass er sich
tatsächlich um solche Tätigkeiten bemüht habe, habe der Kläger, der für die
behauptete Arbeitsunfähigkeit die Beweislast trage, weder geltend gemacht
noch belegt. In Anbetracht dieser Schlussfolgerung hat die Vorinstanz sodann
festgestellt, dass offen bleiben könne, ob der Kläger eine andere, ausserhalb
seiner bisherigen Beschäftigungen liegende zumutbare Erwerbstätigkeit hätte
annehmen können und müssen, und dass auch auf die Problematik der
Beweislastverteilung hinsichtlich negativer Tatsachen nicht eingegangen zu
werden brauche.

2.2.1 Die Ausführungen des Appellationsgerichts zu den Erwerbstätigkeiten vor
Eintritt des geltend gemachten Schadensfalles und zu den Beschäftigungen, die
dem Kläger trotz der körperlichen Beeinträchtigung möglich gewesen seien,
sind tatsächlicher Natur. Feststellungen dieser Art sind für das
Bundesgericht im Berufungsverfahren grundsätzlich verbindlich (vgl. Art. 63
Abs. 2 OG). Der Kläger macht unter Hinweis auf das Zeugnis von Dr. med.
A.________ vom 28. April 1998 allerdings ein offensichtliches Versehen
geltend.

Ein - durch das Bundesgericht zu berichtigendes - offensichtliches Versehen
im Sinne von Art. 55 Abs. 1 lit. d und Art. 63 Abs. 2 OG liegt nach der
Rechtsprechung dann vor, wenn die kantonale Instanz eine bestimmte
Aktenstelle übersehen oder unrichtig, d.h. nicht in ihrer wahren Gestalt,
insbesondere nicht mit ihrem wirklichen Wortlaut, wahrgenommen hat (BGE 115
II 399 E. 2a S. 399 f.; BGE 109 II 159 E. 2b S. 162 mit Hinweisen). In Ziffer
6 des angerufenen Arztzeugnisses steht, der Kläger sei seit 16. Februar 1998
bis auf weiteres zu 100 % unfähig, den bisherigen Beruf auszuüben. Zu
beachten ist jedoch, dass Dr. med. A.________ unter der Rubrik "Sonderfragen/
Bemerkungen" (Ziff. 9) erklärt hat, dass den Rücken nicht belastende, einen
häufigen Positionswechsel erlaubende Tätigkeiten in Frage kämen. Die
Versehensrüge läuft unter diesen Umständen auf eine hier nicht zulässige
Kritik an der Beweiswürdigung hinaus.
Eine unzulässige Beanstandung der Würdigung der tatsächlichen Gegebenheiten
durch das Appellationsgericht liegt auch in der Erklärung des Klägers, es sei
angesichts der medizinischen Befunde nicht nachvollziehbar, dass
Gartenarbeiten, Reparaturen sowie kleinere Maler- und Putzarbeiten im Umfang
von mehr als 75 % möglich gewesen sein sollten. Unbehelflich ist aus den
gleichen Gründen ebenfalls das Vorbringen des Klägers, er habe auf die
IV-Akten verwiesen und auch damit genügenden Beweis angeboten. Soweit er
damit rügt, das Appellationsgericht habe zu Unrecht einem Beweisantrag nicht
stattgegeben und auf diese Weise seinen Beweisführungsanspruch nach Art. 8
ZGB missachtet, ist ihm entgegenzuhalten, dass das Bundesrecht dem Richter
nicht verbietet, von beantragten Beweiserhebungen abzusehen, weil er seine
Überzeugung bereits aus anderen Beweisen gewonnen hat und - im Sinne einer
vorweggenommenen Beweiswürdigung - davon ausgeht, dass weitere Abklärungen am
massgeblichen Beweisergebnis nichts mehr zu ändern vermöchten (BGE 122 III
219 E. 3c S. 223 f. mit Hinweisen).

2.2.2 Die vorinstanzliche Auslegung des Begriffs "Taglöhnerei" beanstandet
der Kläger nicht. Hingegen bringt er vor, das Appellationsgericht habe den
Schluss, es seien ihm gewisse körperlich leichtere Arbeiten im Bereich der
Taglöhnerei möglich gewesen, nicht näher begründet. Dem Sinne nach macht er
damit eine Verletzung der sich aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf
rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ergebenden Pflicht der Behörde, ihren
Entscheid zu begründen (dazu BGE 126 I 97 E. 2b S. 102; 124 II 146 E. 2a S.
149), geltend. Diese Rüge hätte mit staatsrechtlicher Beschwerde erhoben
werden müssen (vgl. Art. 43 Abs. 1 zweiter Satz OG). Hier ist darauf nicht
einzutreten.

2.2.3 Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat nach Art. 8 ZGB derjenige
das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte
ableitet. Eine abweichende gesetzliche Regelung wird hier nicht geltend
gemacht. Entgegen der Auffassung des Klägers lag es unter diesen Umständen an
ihm, nachzuweisen, dass er in der fraglichen Zeit erwerbsunfähig gewesen sei,
und nicht an der Beklagten, das Gegenteil darzutun. Das Appellationsgericht
hat festgehalten, der Kläger habe weder geltend gemacht noch belegt, dass er
sich (vergeblich) um Beschäftigungen bemüht habe, die unter den von ihm als
Beruf angegebenen Begriff des Taglöhners fallen und ihm trotz seines
Gesundheitszustandes möglich gewesen wären. Das Vorbringen des Klägers, es
werde ein unzulässiger negativer Beweis verlangt, wenn er hätte nachweisen
sollen, dass er zumutbare Arbeiten nicht habe ausüben können, stösst daher
ins Leere. Nach dem Gesagten liegt in der vorinstanzlichen Feststellung zur
Beweislage in keiner Weise eine Verletzung von Art. 8 ZGB.

3.
Soweit auf die Berufung einzutreten ist, ist sie nach dem Gesagten
abzuweisen. Die Gerichtsgebühr ist daher grundsätzlich dem Kläger
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1OG). Indessen erschien die Berufung nicht von
vornherein als aussichtslos im Sinne von Art. 152 Abs. 1 OG. Angesichts der
wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers ist zudem davon auszugehen, dass
die Voraussetzung der Bedürftigkeit erfüllt ist. Nicht zu zweifeln ist an der
Notwendigkeit einer Rechtsverbeiständung vor Bundesgericht. Dem Gesuch um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist deshalb zu entsprechen, und es
ist dem Kläger in der Person seines Anwalts ein unentgeltlicher
Rechtsbeistand beizugeben. Da keine Berufungsantwort eingeholt worden ist und
der Beklagten demnach keine Kosten erwachsen sind, entfällt die Zusprechung
einer Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch des Klägers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen, und dem Kläger wird in der
Person von Advokat René Brigger, Basel, ein Rechtsbeistand beigegeben.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Kläger auferlegt, einstweilen
jedoch auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4.
Advokat René Brigger wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von
Fr. 2'000.-- zugesprochen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. November 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: