Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.173/2003
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5C.173/2003 /bnm

Urteil vom 8. September 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Schett.

Z. ________,
Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Bügler, Heimstättenweg 8,
8413 Neftenbach,

gegen

Vormundschaftsbehörde A.________.

Unterbringung eines Kindes,

Berufung gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, vom 5. August 2003.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 9. Juli 2003 hob die Vormundschaftsbehörde der Stadt
A.________ die Obhut der Eltern Z.________ über ihren vierjährigen Sohn
Y.________ auf und brachten ihn in der Klinik des Kinderspitals Z.________
unter, von wo er ohne Zustimmung des gleichzeitig ernannten Beistandes nicht
weggenommen werden durfte. Seit dem 17. Juli 2003 ist Y.________ im Heim
X.________ in B.________ untergebracht.

B.
Am 18. Juli 2003 verlangte der Vater beim für das Verfahren betreffend
fürsorgerischen Freiheitsentzug zuständigen Bezirksrichter die sofortige
Entlassung von Y.________ aus dem Heim X.________. Dieser trat auf das
Begehren nicht ein, da es sich beim Heim X.________ nicht um eine Anstalt im
Sinne von Art. 314a Abs. 1 ZGB handle, nicht das Verfahren betreffend
fürsorgerischen Freiheitsentzug zum Zuge komme und er infolgedessen nicht
zuständig sei. Einen vom Vater Z.________ dagegen erhobenen Rekurs hat das
Obergericht des Kantons Zürich abgewiesen und den Entscheid des
Bezirksrichters bestätigt. Es erwog, dass gemäss Art. 314a Abs. 1 ZGB die
Vorschriften über die gerichtliche Beurteilung und die fürsorgerische
Freiheitsentziehung dann sinngemäss zur Anwendung gelangten, wenn ein Kind im
Sinne einer Kinderschutzmassnahme in einer Anstalt untergebracht werde. Dabei
sei von einem weiten Anstaltsbegriff auszugehen. Als Anstalt gelte ein
Kinderheim, wenn die untergebrachten Kinder einer stärkeren
Freiheitsbeschränkung unterworfen seien als ihre in einer Familie
aufwachsenden Altersgenossen. Indessen bewirke die Unterbringung von
Y.________ keinen Eingriff in dessen Bewegungsfreiheit. Auch innerhalb der
Familie sei ein vierjähriges Kind praktisch ständig unter Aufsicht; insoweit
werde Y.________ Freiheit und Autonomie durch die Unterbringung im Heim
X.________ nicht eingeschränkt. Nicht massgebend sei die durch den
Heimaufenthalt bedingte faktische Einschränkung der Kontaktmöglichkeiten zu
den Eltern, würden doch persönliche Kontakte bei Kindern im Alter von
Y.________ immer von den Obhutsberechtigten bestimmt.

C.
Mit Berufung verlangt der Vater die Aufhebung des Entscheides des
Obergerichtes und Rückweisung der Sache zur Beurteilung der Einweisung. Für
das Bundesgericht (BGE 121 III 306) bilde die Einschränkung der
Bewegungsfreiheit ein entscheidendes Merkmal für das Vorliegen einer Anstalt.
Nicht klar sei, ob im Begriff der Bewegungsfreiheit auch Beschränkungen in
den Kontakten zu den Eltern, Verwandten und gleichaltrigen Freunden
eingeschlossen seien. Es widerspreche Sinn und Zweck der Regelung von Art.
314a Abs. 1 ZGB, diese Kindern im Vorschulalter generell zu versagen.
Insbesondere werde damit eingewiesenen Kindern der rasche richterliche
Rechtsschutz, wie er sich aus Art. 314a Abs. 1 i.V.m. Art. 397a ff. ZGB
ergebe, vorenthalten. Es sei vielmehr immer dann von einer Anstalt
auszugehen, wenn das Kind an einem Ort platziert werde, wo es sich
natürlicherweise nicht aufhalten würde. Dem Obergericht wird auch
vorgeworfen, in Verletzung der Untersuchungsmaxime die tatsächlichen
Verhältnisse im Heim X.________ nicht abgeklärt zu haben.

Es wurde keine Berufungsantwort eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Einzelrichter des Bezirksgerichts trat auf das Entlassungsgesuch des
Berufungsklägers nicht ein und wurde darin vom Obergericht geschützt. Er
erachtete sich als unzuständig, da es sich bei der umstrittenen Unterbringung
von Y.________ nicht um eine Anstaltsunterbringung nach Art. 314a Abs. 1 ZGB,
sondern um eine Unterbringung nach Art. 310 Abs. 1 ZGB handle.

2.
Die Zulässigkeit der Berufung ist von Amtes wegen zu prüfen. Mit Berufung
kann die Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht werden. Wegen Verletzung
verfassungsmässiger Rechte der Bürger ist die staatsrechtliche Beschwerde
vorbehalten (Art. 43 Abs. 1 OG). Der Berufungskläger rügt in erster Linie die
falsche Anwendung von Art. 314a Abs. 1 ZGB.

2.1 Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die
Vormundschaftsbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet,
diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen (Art. 310 Abs. 1
ZGB). Wird das Kind von einer Behörde in einer Anstalt untergebracht, so
gelten die Vorschriften über die gerichtliche Beurteilung und das Verfahren
bei fürsorgerischer Freiheitsentziehung gegenüber mündigen oder entmündigten
Personen sinngemäss (Art. 314a Abs. 1 ZGB). Die umstrittene Zuständigkeit
unterliegt nicht einer bundesrechtlichen Vorschrift, sondern richtet sich
nach dem Verfahrensrecht, das - von hier nicht interessierenden Ausnahmen
abgesehen - durch das kantonale Recht geregelt wird (Art. 314 und 397e ZGB).
Handelt es sich um eine Anstaltsunterbringung bzw. eine fürsorgerische
Freiheitsentziehung gemäss Art. 314a Abs. 1 i.V.m. Art. 397a ff. ZGB, ist im
Kanton Zürich für die gerichtliche Beurteilung der Einzelrichter zuständig.
Handelt es sich dagegen um eine Unterbringung nach Art. 310 Abs. 1 ZGB, ist
der Entscheid in erster Instanz beim Bezirksrat anzufechten.

2.2 Trat der Bezirksrichter auf das Entlassungsgesuch zu Unrecht nicht ein,
verletzte er in erster Linie die einschlägigen kantonalen
Organisationsbestimmungen. Ob solche verletzt wurden, hängt zwar davon ab, ob
es sich vorliegend um eine "gewöhnliche" Unterbringung oder aber um eine
Anstaltsunterbringung handelt. Dessen ungeachtet geht es vorliegend in erster
Linie, d.h. hauptfrageweise um den Streitpunkt der Zuständigkeit, mithin um
die richtige Anwendung kantonalen (Organisations-)Rechts. Daran ändert
nichts, dass die Kompetenz von den bundesrechtlichen Begriffen der
Unterbringung bzw. der Anstaltsunterbringung bestimmt wird und insoweit die
(hauptfrageweise) Prüfung der Frage, ob der Einzelrichter mit seinem
Nichteintretensentscheid kantonales Organisationsrecht verletzt hat, die
vorfrageweise Prüfung von Bundesrecht bedingt.

2.3 Das zulässige Rechtsmittel bestimmt sich nach dem hauptfrageweise
angewendeten Recht. Dies ist hinsichtlich der Zuständigkeit das kantonale
Organisationsrecht. Dass dieses - in verfassungswidriger Anwendung von
Bundesrecht - verletzt worden sei, ist mit staatsrechtlicher Beschwerde zu
rügen.

Nur ausnahmsweise ist die Berufung zulässig, wenn die  vorfrageweise Prüfung
materiellen Bundesrechts für die Frage entscheidend ist, ob die kantonale
Zuständigkeit gegeben ist oder eine eidgenössische Zuständigkeitsnorm zum
Zuge kommt und insoweit eidgenössisches Recht dem kantonalen gebietet, dem
Entscheid über die Vorfrage Rechnung zu tragen (BGE 115 II 237 E. 1c S. 241;
125 III 461 E. 2 S. 463). Dies ist vorliegend nicht der Fall, weshalb die
Berufung nicht zur Verfügung steht.

Eine Konversion der Berufung in eine staatsrechtliche Beschwerde scheitert
daran, dass der Berufungskläger es unterlässt auszuführen, welche kantonalen
Zuständigkeitsnormen verletzt, ja willkürlich verletzt worden sein sollen,
zumal seine auf die (gegebenenfalls vorfrageweise zu prüfende) Verletzung
bundesrechtlicher Begriffe beziehenden Ausführungen rein appellatorisch sind
und daher unzulässig wären (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).

3.
Auf die Berufung ist nicht einzutreten unter Kostenfolge für den
Berufungskläger (Art. 156 Abs. 1 OG). Das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege ist wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren
abzuweisen (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Berufungskläger auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Berufungskläger, der Vormundschaftsbehörde A.________
und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 8. September 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: