Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.165/2003
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5C.165/2003 /rov

Urteil vom 30. September 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher, Hohl, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Gysel.

Z. ________,
Berufungskläger,
vertreten durch Advokat Hans Suter, Rümelinsplatz 14, Postfach, 4001 Basel,

gegen

Appellationshof des Kantons Bern, 1. Zivilkammer, Hochschulstrasse 17,
Postfach 7475, 3001 Bern.

Absehen von der Zustimmung zur Adoption,

Berufung gegen den Entscheid vom 4. Juli 2003.

Sachverhalt:

A.
A.a Y.________ gebar 1997 in Liestal den Sohn X.________. Am 14. Januar 1997
hatte sie erklärt, das Kind zur Adoption frei geben und nicht bekannt geben
zu wollen, wer sein Vater sei. Am 3. März 1997 stimmte Y.________ gegenüber
der Vormundschaftsbehörde A.________ einer Adoption zu. Die Erklärung wurde
nicht widerrufen.

X. ________ , über den die Vormundschaftsbehörde A.________ am 27. Januar
1997 eine Vormundschaft errichtet hatte, wurde im April 1997 im Hinblick auf
eine spätere Adoption in einer Pflegefamilie untergebracht.

Am 19. Februar 1999 anerkannte Z.________ vor dem Zivilstandsamt Oberdorf
(Kanton Basel-Landschaft) X.________ als sein Kind. Ein von ihm gestelltes
Begehren um Einräumung eines Besuchsrechts wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Basel-Landschaft mit Urteil vom 21. März 2001 in letzter kantonaler
Instanz ab.

A.b Am 20. Juni 1999 hatten die Pflegeeltern von X.________ beim Jugendamt
des Kantons Bern ein Adoptionsgesuch eingereicht. Die Justiz-, Gemeinde- und
Kirchendirektion des Kantons Bern verfügte am 22. Oktober 2001, dass von der
Zustimmung des leiblichen Vaters zur Adoption abgesehen werde.

Z. ________ appellierte, worauf der Appellationshof (1. Zivilkammer) des
Kantons Bern am 12. August 2002 den erwähnten Entscheid bestätigte.

A.c Mit Urteil vom 13. März 2003 (5P.337/2002) hiess die erkennende Abteilung
eine von Z.________ eingereichte staatsrechtliche Beschwerde gut, soweit
darauf einzutreten war, und hob den Entscheid des Appellationshofes auf.

B.
Der Appellationshof (1. Zivilkammer) entschied am 4. Juli 2003 von neuem und
erkannte wiederum, dass von der Zustimmung des leiblichen Vaters zur Adoption
von X.________ abgesehen werde.

C.
Z. ________ hat gegen den neuen Entscheid eidgenössische Berufung erhoben mit
dem Begehren, diesen aufzuheben und festzustellen, dass von seiner Zustimmung
zur Adoption von X.________ nicht abgesehen werden könne; allenfalls sei die
Sache zur Befragung von ihm angerufener Zeugen an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Ausserdem beantragt der Berufungskläger, die Kosten der
Verfahren vor den kantonalen Instanzen und vor Bundesgericht dem Kantonalen
Jugendamt zu überbinden und dieses zu verpflichten, ihm eine
Parteientschädigung zu entrichten; allenfalls sei ihm die unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren.

Unter Verweis auf die Akten hat der Appellationshof auf eine Stellungnahme
verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der Berufungskläger erblickt einen Verstoss gegen Art. 8 ZGB darin, dass
die von ihm beantragten Beweise nicht abgenommen wurden. Mit diesen sollte
bewiesen werden, dass er wegen der Lüge der Kindsmutter, das Kind sei tot
geboren worden, davon abgehalten worden sei, zu diesem Kontakt aufzunehmen.
Dieser Umstand sei bedeutsam für die Beurteilung der Frage, ob ihm (im Sinne
von Art. 265c Ziff. 2 ZGB) angelastet werden könne, sich nicht um das Kind
gekümmert zu haben. Statt die Beweise abzunehmen, habe die Vorinstanz die von
ihm vorgetragene entscheidrelevante Behauptung für unbewiesen erklärt und
damit seinen Beweisführungsanspruch verletzt.

1.2 In seinem Entscheid vom 12. August 2002 hatte der Appellationshof offen
gelassen, ob der Berufungskläger - auf Grund einer Lüge der Kindsmutter -
seit der Geburt des Kindes davon ausgegangen sei, dieses sei tot, oder ob er
von dessen angeblichem Tod erst an Weihnachten 1998 erfahren habe, in welchem
Fall er sich fast zwei Jahre lang nicht um X.________ gekümmert hätte. Die
kantonale Instanz hatte aber dafür gehalten, dass, wenn Y.________
tatsächlich unmittelbar nach der Geburt des Kindes wahrheitswidrig erklärt
haben sollte, dieses sei tot, die Lüge auf das Verhalten des Berufungsklägers
ihr gegenüber zurückzuführen gewesen wäre; deshalb träfe auch in diesem Fall
den Berufungskläger die Schuld dafür, dass zum Kind keine Beziehung habe
aufgebaut werden können.
Nachdem die erkennende Abteilung in ihrem Urteil vom 13. März 2003
(5P.337/2002) erkannt hatte, die Feststellungen zum Verhalten des
Berufungsklägers gegenüber der Kindsmutter beruhten auf unbewiesenen, mithin
willkürlichen Unterstellungen, geht der Appellationshof in seinem neuen
Entscheid davon aus, dass sich in den Akten keine Anhaltspunkte finden
liessen, auf Grund derer dem Berufungskläger angelastet werden könnte, zum
Kind keine Beziehung aufgebaut zu haben; es könne deshalb auch nicht der
Schluss gezogen werden, er habe sich im Sinne von Art. 265c Ziff. 2 ZGB nicht
um das Kind gekümmert. Hat aber die Vorinstanz (verbindlich) festgestellt,
dass dem Berufungskläger nicht vorgeworfen werden könne, sich nicht ernstlich
um das Kind gekümmert zu haben, ist den Beweisanträgen, die darauf abzielen,
den Berufungskläger von einem solchen Vorwurf zu entlasten, die Grundlage
entzogen. Die Rüge der Verletzung von Art. 8 ZGB stösst deshalb ins Leere.

2.
2.1 Zur Begründung seines neuen Entscheids beruft sich der Appellationshof auf
ein (nicht publiziertes) Urteil vom 26. April 2001 (5C.4/2001), worin das
Bundesgericht erwog, dass in Fällen, wo keiner der vom Gesetz angeführten
Gründe vorliege, der Schutz der Persönlichkeit des Kindes unter Umständen
dennoch gebieten könne, das Interesse des die Adoption ablehnenden
Elternteils hintanzustellen und von dessen Zustimmung abzusehen. Dieser
Tatbestand ist nach den Ausführungen im erwähnten Entscheid gegeben, wenn ein
zu adoptierendes urteilsfähiges Kind den hauptsächlichen Teil seiner Kindheit
bei den Pflegeeltern verbracht hat und zu diesen eine so gute Beziehung
unterhält, dass der beidseitige Adoptionswunsch besteht, während die
Beziehung zu dem die Adoption ablehnenden Elternteil als schlecht oder
erheblich gestört bezeichnet werden muss. Es wurde an der erwähnten Stelle
weiter ausgeführt, dass eine andere, sich an der bisherigen Rechtsprechung
orientierende Betrachtungsweise nach wie vor als gerechtfertigt erscheine,
wenn das Kind noch nicht urteilsfähig sei und damit seinen Wünschen nicht
zuverlässig Ausdruck zu geben vermöge (E. 2c). Von den gleichen Erwägungen
liess sich das Bundesgericht auch in seinem Urteil vom 19. April 2002
(5C.251/2001) leiten (vgl. E. 2b und 2e). Allerdings hat es in diesem
Entscheid auf die von Peter Weimar vertretene Auffassung hingewiesen, wonach
das Zustimmungsrecht nicht wegen überwiegender entgegengesetzter Interessen
des Kindes oder Fehlens einer lebendigen Eltern-Kind-Beziehung verwirkt
werde, sondern einzig und allein durch das Verhalten des betreffenden
Elternteils selbst (Die Zustimmung der Eltern zur Adoption, in: ZVW 2001, S.
124 ff., insbes. S. 128 f.).
2.2 Ob an der mit dem Urteil vom 26. April 2001 eingeleiteten Praxis
festzuhalten ist, braucht hier nicht erörtert zu werden: Wie nachstehend
darzutun sein wird, ist der angefochtene Entscheid selbst aus der Sicht
dieser Rechtsprechung unhaltbar, geht er doch klar darüber hinaus.

2.2.1 Der Appellationshof übersieht, dass die Rechtsprechung, wonach über die
in Art. 265c ZGB angeführten Gründe hinaus von der Zustimmung eines
Elternteils zur Adoption abgesehen werden kann, unter anderem verlangt, dass
eine beidseitige Adoptionsabsicht besteht, mithin die Adoption auch vom Kind
ernsthaft gewünscht werden muss. Dies setzt dessen Urteilsfähigkeit voraus.
Die Vorinstanz geht indessen selbst davon aus, X.________ sei nicht
urteilsfähig. Eine Übertragung der dargelegten Rechtsprechung auf
urteilsunfähige Kinder lässt sich mit deren Persönlichkeitsrecht gerade nicht
begründen.

2.2.2 Nicht zu folgen ist der Vorinstanz hauptsächlich insofern, als sie eine
(noch) nicht bestehende Beziehung zwischen dem Kind, das adoptiert werden
soll, und dem Elternteil, von dessen Zustimmung abgesehen werden will, mit
einer schlechten oder erheblich gestörten Beziehung gleichstellt. Es wäre
unbillig, in Ausdehnung der heutigen Rechtsprechung das Absehen von der
Zustimmung auch dann zuzulassen, wenn der zustimmungsberechtigte Elternteil -
wie hier der Berufungskläger - aus Gründen, die nicht in seinen Risikobereich
fallen, eine Beziehung zum Kind gar nicht aufbauen konnte. Zudem würde
Missbräuchen Vorschub geleistet: Angesichts der grossen Nachfrage nach
Adoptivkindern könnten nämlich die Mutter, die ihr Kind zur Adoption frei
gibt, aber auch die Behörden versucht sein, das Kind dem andern Elternteil
vorzuenthalten, um diesem später wegen fehlender Beziehung das
Zustimmungsrecht abzusprechen (siehe dazu Peter Breitschmid, Basler
Kommentar, N 14 zu Art. 265c ZGB).

2.2.3 Unbehelflich ist schliesslich der Hinweis des Appellationshofes darauf,
dass - auf Grund des Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons
Basel-Landschaft vom 21. März 2001 - dem Berufungskläger bisher kein
Besuchsrecht gegenüber X.________ zustand:

Die erwähnte Instanz hatte ihren Entscheid zum einen damit begründet, dass
hinsichtlich der drei weiteren Kinder des Berufungsklägers die Ausübung des
Besuchsrechts immer wieder zu Problemen geführt habe, weshalb es sistiert
worden sei; die Einräumung eines Besuchsrechts gegenüber X.________ würde
gleiche Probleme hervorrufen. Zum anderen hatte das Verwaltungsgericht dafür
gehalten, dass ein persönlicher Verkehr des Berufungsklägers mit der
Unterbringung von X.________ bei Pflegeeltern zum Zwecke späterer Adoption
unvereinbar wäre, zumal das Kind bis anhin zu seinem leiblichen Vater in
keinerlei Beziehung gestanden habe.

In diesem Punkt beruht der angefochtene Entscheid auf einem Zirkelschluss:
Das Absehen von der Zustimmung zur Adoption lässt sich insoweit von
vornherein nicht mit dem Fehlen eines Besuchsrechts begründen, als dem
Berufungskläger ein solches deshalb verweigert worden war, weil es mit der
angestrebten Adoption unvereinbar wäre. Sodann vermögen auch Befürchtungen,
dass die Ausübung des Besuchsrechts dereinst mit Schwierigkeiten verbunden
sein könnte, nicht zu rechtfertigen, von einer Zustimmung abzusehen: Die
Gründe, die die Behörden bewogen hatten, den (begleiteten) persönlichen
Verkehr des Berufungsklägers zu seinen drei anderen Kindern zu sistieren
(Gewalttätigkeit gegenüber deren Mutter), decken sich nicht mit dem
Tatbestand, dass ein Elternteil sich um das Kind nicht ernstlich gekümmert
hat (Art. 265c Ziff. 2 ZGB). Nach den Feststellungen des angefochtenen
Entscheids erscheint der Berufungskläger schliesslich auch nicht etwa als
dauernd unfähig, eine Beziehung zu X.________ herzustellen (siehe Cyril
Hegnauer, Berner Kommentar, N 25d zu Art. 265c ZGB).

3.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Berufung gutzuheissen und der Entscheid
des Appellationshofes des Kantons Bern vom 4. Juli 2003 aufzuheben ist. Es
ist festzustellen, dass die Adoption von X.________ der Zustimmung des
Berufungsklägers bedarf.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs.
2 OG). Hingegen ist der Kanton Bern zu verpflichten, den Berufungskläger für
die Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs.
2 OG). Da der Berufungskläger diese Entschädigung ohne Zweifel ausbezahlt
erhalten wird, ist sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
auch in dieser Hinsicht gegenstandslos. Was die Kosten- und
Entschädigungsfolgen für das kantonale Verfahren betrifft, ist die Sache an
den Appellationshof zurückzuweisen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird gutgeheissen und der Entscheid des Appellationshofes des
Kantons Bern, 1. Zivilkammer, vom 4. Juli 2003 aufgehoben.

2.
Es wird festgestellt, dass die Adoption von X.________ der Zustimmung von
Z.________ bedarf.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Der Kanton Bern hat den Berufungskläger für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

5.
Hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens
wird die Sache zur neuen Entscheidung an den Appellationshof des Kantons
Bern, 1. Zivilkammer, zurückgewiesen.

6.
Dieses Urteil wird dem Berufungskläger und dem Appellationshof des Kantons
Bern, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. September 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: