Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.163/2003
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5C.163/2003 /rov

Urteil vom 18. September 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Schett.

Z. ________,
Beklagter und Berufungskläger,
vertreten durch Rechtsanwalt Kurt Bischofberger, Mellingerstrasse 6, Postfach
2028, 5402 Baden,

gegen

1.Y.________,
2.X.________,
Kläger und Berufungsbeklagte,
beide vertreten durch Rechtsanwältin Irene Buchschacher, Walchestrasse 17,
8006 Zürich.

Ungültigkeitsklage,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1.
Zivilkammer, vom 27. Mai 2003.

Sachverhalt:

A.
A.a Mit öffentlicher letztwilliger Verfügung vom 9. Dezember 1976 verfügte
die am 21. Mai 1996 verstorbene T.W.________ (Erblasserin) was folgt:

"I.Erben

Da ich keine Nachkommen hinterlasse und meine Eltern ebenfalls vorverstorben
sind, kommen als gesetzliche Erben meine Geschwister bzw. deren Nachkommen in
Frage.

Soweit im nachfolgenden nichts anderes verfügt ist, erhalten meine
gesetzlichen Erben nur den Pflichtteil. Meine Geschwister haben somit
gegenüber meinem dereinstigen Nachlasse einen Anspruch von 1/20. Die
Nachkommen der Geschwister sind nicht mehr pflichtteilsgeschützt.

Meine Schwester, M.W.________, 1894, erhält 4/20 meines Erbnachlasses.
II.Vermächtnisse

1.
...

2.
Nach Vergütung der Erbansprüche gemäss Ziffer I, der Legate gemäss Ziffer II
und der Bezahlung sämtlicher Verbindlichkeiten der Erbschaft inkl.
Erbschaftssteuern, Liquidationskosten usw., ist das verbleibende
Nettonachlassvermögen in Form von Legaten auszubezahlen an bzw. es erhalten:
a)Alters- und Pflegeheim im Gnadenthal,
5523 Nesselnbach ¼
b)Schweizerisches Pestalozziheim, Neuhof,
5242 Birr AG ¼
c)Institut für Ehe und Familie, Wiesenstrasse 9,
8008 Zürich ¼
d)Aargauische Mütterhilfe, zu Gunsten Bezirkskomitee Baden ¼."

A.bMit eigenhändiger letztwilliger Verfügung vom 20. Juni 1979 traf die
Erblasserin als Nachtrag zum Testament vom 9. Dezember 1976 u.a. folgende
Anordnung:
"Die Legate aus meinem verbleibenden Nettonachlassvermögen sind nicht an die
aufgeführten Institutionen a, b, c und d auszurichten, sondern sind für
soziale, bzw. wohltätige Zwecke unserer Region Baden zu verwenden. Und zwar
entscheidet über die Wahl der Begünstigten und die Höhe der einzelnen Beträge
einzig der Willensvollstrecker."
A.cIn einer schwer lesbaren eigenhändigen letztwilligen Verfügung vom 28.
Juli 1994 setzte die Erblasserin den Beklagten als Alleinerben ein und
bestimmte, dass dieses Schreiben alle bisherigen Verfügungen ersetze.

B.
B.aMit Klage vom 1. Mai 1998 stellten die Kläger (damals noch zusammen mit
dem Institut für Ehe und Familie sowie der Schweizerischen Stiftung Pro
Patria) das Rechtsbegehren, es sei das von Frau W.________, gestorben am 21.
Mai 1996, am 28. Juli 1994 errichtete Testament für ungültig zu erklären. Am
7. September 1999 wies das Bezirksgericht Baden die Klage mangels
Aktivlegitimation vollumfänglich ab.

Das Obergericht des Kantons Aargau hob dieses Urteil auf Appellation der
Kläger am 17. März 2000 auf und wies die Angelegenheit zum weiteren Vorgehen
im Sinne der Erwägungen an die erste Instanz zurück. Zur Begründung führte
das Obergericht aus, aktivlegitimiert sei gemäss Art. 519 Abs. 2 ZGB jeder,
der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran habe, dass die Verfügung für
ungültig erklärt werde. Es treffe zwar zu, dass die Kläger die Vermächtnisse
gemäss dem ersten Testament nur antreten können, wenn ausser dem
angefochtenen dritten auch das zweite Testament für ungültig erklärt werde.
Das Bundesgericht habe in einem vergleichbaren Fall erkannt, dass die
stufenweise Anfechtung von Testamenten möglich sei. Da im vorliegenden Fall
die Kläger das zweite Testament mit Klage vom 10. Juni 1998 (gegen die
gesetzlichen Erben) bereits angefochten hätten, bestehe keine Gefahr der
Verjährung. Jenes Verfahren sei bis zur Erledigung des vorliegenden Streits
sistiert worden. Aus diesen Gründen sei die Aktivlegitimation der Kläger zu
bejahen und das Klageverfahren durch die erste Instanz weiterzuführen.

B.b Das Bundesgericht trat am 22. Juni 2000 auf eine vom Beklagten gegen
dieses Urteil eingereichte Berufung nicht ein, weil kein Endentscheid nach
Art. 48 OG vorliege und der Beklagte nicht darlege, inwiefern die
Voraussetzungen von Art. 50 OG zur ausnahmsweisen Anfechtung eines
selbständigen Vor- oder Zwischenentscheids erfüllt seien.

C.
C.a Nach Durchführung eines umfangreichen Beweisverfahrens zur Frage der
Gültigkeit des dritten Testaments hiess das Bezirksgericht Baden am 20.
November 2001 die Klage gut und erklärte das Testament vom 28. Juli 1994 für
ungültig.

C.b Am 27. Mai 2003 wies das Obergericht des Kantons Aargau die vom Beklagten
gegen dieses Urteil erhobene Appellation ab. Zur Frage der Aktivlegitimation
nahmen die beiden kantonalen Behörden nicht mehr Stellung.

C.c Gegen dieses Urteil hat der Beklagte am 7. August 2003 Berufung eingelegt
mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Klage sei
vollumfänglich abzuweisen.

Es sind keine Antworten eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 48 Abs. 1 OG ist die Berufung in der Regel erst gegen den
Endentscheid des oberen kantonalen Gerichts zulässig. Die Berufung gegen den
Endentscheid bezieht sich auch auf die ihm vorausgegangenen Entscheide.
Ausgenommen sind Zwischenentscheide, die gemäss Art. 50 OG weitergezogen und
beurteilt worden sind (Art. 48 Abs. 3 OG). Das erste Urteil des Obergerichts
vom 17. März 2000, welches ausschliesslich die Aktivlegitimation der Kläger
beurteilt hat, ist ein dem Endentscheid vorausgegangener Zwischenentscheid im
Sinne von Art. 48 Abs. 3 und Art. 50 OG. Dieses Urteil ist zwar beim
Bundesgericht angefochten, von diesem aber nicht materiell beurteilt worden.
Vielmehr ist das Bundesgericht auf die Berufung nicht eingetreten. Bei dieser
Sachlage kann der Beklagte dem Bundesgericht im vorliegenden Verfahren die
Frage der Aktivlegitimation der Kläger unterbreiten (vgl. dazu Poudret,
Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. II, N. 4.2.2.
zu Art. 48 OG, S. 323). Im Übrigen kann auf die form- und fristgerecht
eingereichte Berufung eingetreten werden.

2.
Gemäss Art. 519 Abs. 2 ZGB kann die Ungültigkeitsklage von jedermann erhoben
werden, der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran hat, dass die
Verfügung für ungültig erklärt werde. Nach dem Wortlaut der Bestimmung muss
der Kläger Erbe oder Bedachter sein und zudem ein Interesse daran haben, dass
die Verfügung für ungültig erklärt werde. Der Beklagte beruft sich auf den
Wortlaut der Bestimmung und verlangt eine abschliessende Prüfung der Frage,
ob die Kläger mit einem Legat bedacht sind. Zu diesem Zweck sei das zweite
Testament auszulegen und abschliessend zu beurteilen. Da die Kläger nach
richtiger Auslegung des zweiten Testaments von der Legatsberechtigung
ausgeschlossen seien, müsse ihre Aktivlegitimation verneint werden.

2.1 Aus der Entstehungsgeschichte und der französischen Formulierung von Art.
519 Abs. 2 ZGB ergibt sich, dass der deutsche Wortlaut zu eng ist und dem
wahren Sinn der Vorschrift nicht entspricht. Die eidgenössischen Räte haben
seinerzeit eine Formulierung gewählt, wonach ein "erbrechtliches Interesse"
für die Aktivlegitimation genüge (zur Entstehungsgeschichte : Escher, Zürcher
Kommentar, 3. Aufl. 1959 N. 3 zu Art. 519 ZGB; Tuor, Berner Kommentar, 2.
Aufl. 1952, N. 8 - 10 zu Art. 519 ZGB). Dieser Formulierung entspricht der
gültige französische Text, der lautet : "L'action appartient à toute personne
intéressée à titre héréditaire". Damit soll ausgeschlossen werden, dass ein
bloss familien-, obligationen- oder sachenrechtliches Interesse ausreiche.
Die engere definitive deutsche Formulierung (als Erbe oder Bedachter ...) hat
erst die Redaktionskommission eingeführt, welcher keine materiellen
gesetzgeberischen Befugnisse zukommt. Das Bundesgericht hat daher erkannt,
dass zur Klage legitimiert ist, wer als Erbe oder Bedachter oder aus einem
andern Grund ein erbrechtliches Interesse daran hat, dass die Verfügung für
ungültig erklärt werde (Urteil 5C.212/2001 vom 8. November 2001 i.S. S.; so
sinngemäss bereits BGE 83 II 507 S. 508 unten; vgl. auch Tuor, a.a.O., N. 8
zu Art. 519 ZGB; Forni/Piatti, Basler Kommentar, N. 25 zu Art. 519/520 ZGB;
Gottfried Müller, Die Ungültigkeitsklage bei den Verfügungen von Todes wegen,
Diss. Zürich 1928, S. 77). Damit die Aktivlegitimation anerkannt werden kann,
muss daher nicht abschliessend geprüft werden, ob die Kläger mit einem Legat
bedacht sind. Es genügt vielmehr als subjektive Voraussetzung der
Ungültigkeitsklage, dass sie ein hinreichendes erbrechtliches Interesse daran
haben, dass die Verfügung für ungültig erklärt werde.

2.2 Die Kläger leiten ihre erbrechtlichen Ansprüche aus dem ersten Testament
ab, in welchem ihnen je ¼ des verbleibenden Nettonachlassvermögens als Legat
zugewendet worden ist. Das erste Testament kommt aber erst zur Geltung, wenn
neben dem dritten Testament, welches Gegenstand des vorliegenden Verfahrens
bildet, auch das zweite Testament wegfällt, soweit dieses ihre Legate in
Frage stellt. Dieses zweite Testament haben die Kläger ebenfalls angefochten.
Jenes Verfahren ist indessen bis zum Abschluss des vorliegenden Prozesses
eingestellt worden. An jenem Verfahren sind neben den Klägern andere Parteien
beteiligt, nämlich die im zweiten Testament Begünstigten. Dies sind die
gesetzlichen Erben, während im vorliegenden Verfahren gegen das dritte
Testament der Beklagte Gegenpartei ist. Deshalb ist es nachvollziehbar und
sinnvoll, die Ungültigkeitsklagen gegen das zweite und das dritte Testament
getrennt und gestaffelt einzureichen. Das Einreichen der Ungültigkeitsklage
gegen das zweite Testament belegt vorliegend das hinreichende erbrechtliche
Interesse an der Ungültigkeitserklärung des dritten Testaments. Nur wenn es
den Klägern gelingt, das dritte Testament zu beseitigen, haben sie Aussicht
darauf, bei einem positiven Ausgang des Verfahrens gegen das zweite Testament
die ihnen mit dem ersten Testament zugedachten Legate zu erwerben (so bereits
BGE 83 II 507). Die Berufung muss aus diesen Gründen abgewiesen werden.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beklagte die Verfahrenskosten
(Art. 156 Abs. 1). Da keine Antworten eingeholt worden sind, ist keine
Parteientschädigung geschuldet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 10'000.-- wird dem Beklagten auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. September 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: