Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5C.153/2003
Zurück zum Index II. Zivilabteilung 2003
Retour à l'indice II. Zivilabteilung 2003


5C.153/2003 /sch

Urteil vom 4. Dezember 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
Bundesrichter Meyer, Marazzi,
Gerichtsschreiber Möckli.

A. ________,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Sidler,
Postfach 2555, 6302 Zug,

gegen

Versicherung X.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat
Frischkopf, Bahnhofstrasse 24, Postfach, 6210 Sursee.

Anfechtung der mit einer Versicherung abgeschlossenen
Entschädigungsvereinbarung,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, I. Kammer, vom
30. Mai 2003.

Sachverhalt:

A.
Die Klägerin hat mit der Beklagten eine Zusatzversicherung für die Risiken
Tod oder Invalidität durch Unfall abgeschlossen. Die versicherte
Invaliditätssumme bei Unfall beträgt Fr. 400'000.--.

Am 20. Juni 1993 verunfallte die Klägerin als Insassin des von ihrem Freund
gelenkten Fahrzeuges in Spanien. Zunächst wurde sie notfallmässig dort und
anschliessend vom 29. Juni bis 7. Juli 1993 auf der chirurgischen Abteilung
des Kantonsspitals Luzern behandelt.

B.
Im Hinblick auf die Verhandlungen über den Invaliditätsgrad und die
auszurichtende Versicherungssumme beauftragte die Beklagte Prof. B.________,
Spezialarzt Chirurgie FMH, mit der Untersuchung der Klägerin. Dieser stellte
in seinem Gutachten vom 4. September 1996 a) neuropsychologische Störungen im
Sinne eines psychoorganischen Defizits mit Konzentrationsschwäche, Störungen
der Merkfähigkeit und Vergesslichkeit, b) eine mittelstarke Beeinträchtigung
der Kaufähigkeit, c) eine leichte Geschmacksstörung sowie d) geringe
organische Restbeschwerden, eine kaum störende geringe Funktionseinbusse der
linken Schulter und subjektiv störende, objektiv deutlich behindernde
Narbenbildung am Gesäss und Oberschenkel fest. Auf Grund der Gliederskala von
Art. 11 der AVB der Beklagten und unter Beizug der Tabelle der SUVA über
Integritätsschäden bewertete er das psychoorganische Defizit mit 25 %, die
Beeinträchtigung der Kaufähigkeit mit 5-10 %, die Geschmacksstörung mit 5 %,
die Funktionseinbusse im Bereich des Schultergelenks mit 0 % sowie die
Beeinträchtigung durch Narbenbildungen mit 5 %.

Gestützt auf dieses Gutachten schlug die Beklagte der Klägerin eine
Entschädigung von Fr. 180'000.-- bei einem Invaliditätsgrad von 35 % vor.
Dabei nicht berücksichtigt sei der Invaliditätsgrad von 5 % betreffend
Narbenbildung, da hier noch das Resultat der Behandlung der rekonstruktiven
Chirurgie abgewartet werde. Die Klägerin schlug bei grundsätzlichem
Einverständnis vor, für die Beeinträchtigung der Kaufähigkeit im Sinn einer
Mittellösung von einem Invaliditätsgrad von 7 % auszugehen, was die Beklagte
akzeptierte. In der Folge schlossen die Parteien am 28. Oktober 1996,
ausgehend von einer Invalidität von 37 % und in Anwendung der
Entschädigungstabelle der beklagtischen AVB, eine Entschädigungsvereinbarung
über Fr. 196'000.--.

Zu einem späteren Zeitpunkt liess sich die Klägerin neu untersuchen. Das
Gutachten vom 4. Mai 1998 der neurologischen Klinik des Universitätsspitals
Zürich geht aus neurologischer Sicht von einem Integritätsschaden bei
leichten bis mittelschweren Hirnfunktionsstörungen von 35 % aus, unter
Addition von je 5 % für die Beeinträchtigung der Kaufunktion und des
Geschmacksinns. Das Gutachten von Dr. C.________, Spezialarzt FMH für
chirurgische Orthopädie, vom 11. Dezember 1998 stellt sodann diverse
orthopädische Beeinträchtigungen fest, und zwar 25 % als Folge der
Wirbelsäulen- und 10 % als Folge der Beckenfraktur, 5 % wegen der
Narbenbildung sowie     5-10 % des Gesamtwertes des linken Armes für dessen
Beeinträchtigung, Letzteres gemäss Klägerin ausmachend 3,5-7 %.

C.
Gestützt auf diese beiden Gutachten und damit insgesamt ausgehend von einer
medizinisch-theoretischen Invalidität zwischen 88,5 % und 92 % bzw. gemittelt
von 90 %, verlangte die Klägerin mit Klage vom 14. Juni 1999 die
Feststellung, dass die Entschädigungsvereinbarung vom 28. Oktober 1993
infolge Grundlagenirrtums ungültig sei, sowie die Verpflichtung der Beklagten
zur Bezahlung von Fr. 584'000.-- (Differenz zwischen Fr. 780'000.-- und den
geleisteten Fr. 196'000.--).

D.
Mit Urteilen vom 16. September 2002 resp. 30. Mai 2003 wiesen das Amtsgericht
Luzern-Stadt, I. Abteilung, und das Obergericht des Kantons Luzern, I.
Kammer, die Klage ab.

Bezüglich der medizinisch-theoretischen Invalidität der Klägerin hätten
lediglich ermessensweise Schätzungen von Prof. B.________ vorgelegen. Diese
Schätzungsunsicherheiten hätten die Parteien durch einen aussergerichtlichen
Vergleich aus der Welt geschafft. Streitig bzw. zweifelhaft sei also der
Invaliditätsgrad gewesen. Ob die Klägerin diesen richtig oder falsch
eingeschätzt habe, sei nicht von Belang, da beim Vergleichsvertrag eine
Fehleinschätzung im streitigen Teil für die Annahme eines Grundlagenirrtums
nie genüge.

Ebenso wenig könne der Eventualantrag auf Fr. 512'000.-- gutgeheissen werden
(die Klägerin vertrat den Eventualstandpunkt, das Gutachten B.________ sei
mit Bezug auf die organischen Beschwerden unvollständig; mit diesen ergebe
sich eine Invalidität zwischen 80 % und 84 % und damit gemäss
Entschädigungstabelle ein Betrag von Fr. 708'000.--): Seit dem Gutachten
B.________ seien keine neuen Verletzungen aufgetaucht. Die Röntgenbilder
hätten gezeigt, dass sämtliche Frakturen in guter Stellung konsolidiert
seien, und Prof. B.________ habe den organischen Restbeschwerden auf Grund
der von keiner Seite beanstandeten Untersuchungsergebnisse keinen
Invaliditätswert zugemessen. Weil im Gutachten erwähnt, falle eine
Invalidität in der Schulter von vornherein nicht in Betracht. Für die geltend
gemachte (und im Gutachten B.________ nicht erwähnte) Invalidität im Rücken-
und Beckenbereich wäre die Klägerin beweisbelastet. Zwar habe sie ein
gerichtliches interdisziplinäres Gutachten verlangt, dieses aber auf die
Feststellung ihres Invaliditätsschadens nach medizinisch-theoretischen
Grundsätzen beschränkt. Damit liesse sich weder die Neuheit der Beschwerden
noch die Kausalität mit dem Unfall im Jahr 1993 beweisen.

E.
Gegen das Urteil des Obergerichts hat die Klägerin am 7. Juli 2003 Berufung
eingereicht mit den Anträgen auf Feststellung der Ungültigkeit der
Entschädigungsvereinbarung wegen Grundlagenirrtums sowie auf Verpflichtung
der Beklagten zur Bezahlung von Fr. 584'000.--, eventualiter von Fr.
512'000.--. Mit Berufungsantwort vom 1. September 2003 hat die Beklagte die
Abweisung der Berufung verlangt, soweit darauf einzutreten sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Ein Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in
einem wesentlichen Irrtum befunden hat (Art. 23 OR). Als wesentlich gilt ein
Irrtum namentlich, wenn er einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom
Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige
Grundlage des Vertrages betrachtet wurde (Grundlagenirrtum, Art. 24 Abs. 1
Ziff. 4 OR).

1.2 Mit dem Vergleichsvertrag legen die beteiligten Parteien einen Streit
oder eine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis mit gegenseitigen
Zugeständnissen bei (BGE 105 II 273 E. 3a S. 277; 111 II 349 E. 1 S. 350; 121
III 397 E. 2c S. 404 f.). Auf den aussergerichtlichen Vergleich sind die
Regeln über die Willensmängel anwendbar (BGE 82 II 371 E. 2 S. 375 f.; 117 II
218 E. 4b S. 226), sofern sie nicht seiner besonderen Natur widersprechen
(BGE 111 II 349 E. 1 S. 350). Als nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR relevante
Sachverhalte kommen folglich nur solche Umstände in Betracht, die von beiden
Parteien oder von der einen für die andere erkennbar dem Vergleich als
feststehende Tatsachen zu Grunde gelegt worden sind (BGE 82 II 371 E. 2 S.
375 f.; 117 II 218 E. 4b S. 226). Betrifft der Irrtum demgegenüber einen
zweifelhaften Punkt, der gerade verglichen und nach dem Willen der Parteien
dadurch endgültig geregelt sein sollte (sog. caput controversum), so ist die
Irrtumsanfechtung ausgeschlossen; andernfalls würden eben diese Fragen wieder
aufgerollt, derentwegen die Beteiligten den Vergleich geschlossen haben
(Schmidlin, Berner Kommentar, N. 359 zu Art. 23/24 OR).

1.3 Im medizinischen Bereich können sich feststehende Sachverhalte im
erwähnten Sinn aus einem Gutachten ergeben, wenn eine Partei für die andere
erkennbar oder beide Parteien gemeinsam von der Richtigkeit der darin
enthaltenen Befunde ausgegangen sind (vgl. Gauch/ Schluep/Schmid/Rey,
Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl., N. 939).
Erweist sich das Gutachten im Nachhinein als falsch und hätten die Parteien
in Kenntnis des richtigen Befundes den Vergleich nicht geschlossen, weil das
Gutachten sowohl subjektiv als auch objektiv eine notwendige Grundlage des
Vertrages war, können sie sich auf Grundlagenirrtum berufen. Bezweckte der
Vergleich hingegen, eine aus unsicheren Befunden im Gutachten oder eine wegen
divergierender  Gutachten   entstandene  Ungewissheit  zu  beseitigen,

können sich die Parteien nicht gestützt auf spätere, zu anderen
Schlussfolgerungen gelangende Gutachten berufen (vgl. BGE 101 II 17 E. 1c S.
19 f.).

2.
2.1 Wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, beruft sich die Klägerin
nicht auf neue Beeinträchtigungen. Es geht folglich nicht um die so genannten
Spätschäden und deren Vorhersehbarkeit sowie um die Folgefrage, ob deren
Abgeltung bei einer Saldoklausel ausgeschlossen ist  (verneinend BGE 68 II
186 E. 1 S. 189; 100 II 42 E. 1 S. 45; vgl. demgegenüber Hünerwadel, Der
aussergerichtliche Vergleich, Diss. St. Gallen 1989, S. 101, Fn. 492,
m.w.H.). Dem Streitgegenstand liegt mit anderen Worten nicht eine von der
Klägerin behauptete gutachterliche Fehlprognose, sondern Fehldiagnose zu
Grunde.

Konkret ist strittig, ob die Parteien, ausgehend von der Richtigkeit des
Gutachtens B.________ und in der Überzeugung, es seien keine organischen
Beschwerden zurückgeblieben, einem Grundlagenirrtum erlegen sind (Position
der Klägerin) oder ob sie sämtliche Beschwerden bedacht und durch
gegenseitige Zugeständnisse vergleichsweise geregelt haben, so dass diese in
ihrer Gesamtheit das caput controversum bilden und deshalb die
Irrtumsanfechtung ausgeschlossen ist (mit den Vorinstanzen im Ergebnis
übereinstimmende Position der Beklagten).

Demgegenüber stellt die Beklagte nicht in Frage, dass die
Entschädigungsvereinbarung vom 28. Oktober 1996 auf der Grundlage des von ihr
in Auftrag gegebenen Gutachtens B.________ geschlossen worden ist. Das
Gutachten ist denn in der Vereinbarung auch ausdrücklich erwähnt und die
Parteien haben darüber Korrespondenz geführt. Des Weiteren war für die
Parteien klar, dass die Entschädigungssumme auf Grund der Tabelle in den AVB
der Beklagten zu berechnen ist.

2.2 Die Parteien haben lediglich hinsichtlich der im Gutachten (als einzige)
nicht mit einem fixen Prozentsatz bewerteten Beeinträchtigung der
Kaufähigkeit Vergleichsverhandlungen im eigentlichen Sinn geführt und sich
diesbezüglich auf einen Mittelwert geeinigt.

Als caput controversum müssen jedoch auch das psychoorganische Defizit und
die Geschmacksstörung gelten: Es liegt in der Natur von Schätzungen, dass
diese nicht mathematisch exakt sind. Dies zeigt sich beispielhaft am
psychoorganischen Defizit, das sowohl im Gutachten B.________ als auch in
demjenigen der neurologischen Klinik des Universitätsspitals Zürich auf Grund
der Tabelle 8 der SUVA betreffend Integritätsentschädigung gemäss UVG
bewertet worden ist. Leichte Störungen werden nach dieser Tabelle mit 20 %,
leichte bis mittelschwere mit 35 % und mittelschwere Störungen mit 50 %
erfasst. Dies lässt darauf schliessen, dass Prof. B.________ das fragliche
Defizit zwar etwas mehr als "leicht", aber doch näher bei "leicht" als bei
"leicht bis mittelschwer" eingestuft hat (im Gutachten umschrieben mit:
"vorwiegend leichte bis höchstens mittelschwere Funktionsstörung"), während
die Gutachter des Universitätsspitals Zürich die Störung als "leicht bis
mittelschwer" betrachtet haben. Im Übrigen zeigt auch die Beschreibung der
Geschmacksstörung ("dürfte eine 5%ige IE gerechtfertigt sein") exemplarisch,
dass die Prozentangaben im Gutachten B.________ als Schätzwerte zu betrachten
sind.

Selbst wenn eine Versicherung und der Geschädigte gutachterliche Schätzwerte
ohne Modifikation übernehmen, bilden diese mit Blick auf eine
Entschädigungsvereinbarung caput controversum, beseitigen doch die Parteien
vergleichsweise die der Schätzung definitionsgemäss anhaftende Unsicherheit.
Ein Grundlagenirrtum ist deshalb jedenfalls so lange ausgeschlossen, als die
gutachterlichen Folgerungen - wie dies vorliegend für das psychoorganische
Defizit sowie die Beeinträchtigung der Kaufähigkeit und des Geschmackssinns
unstreitig der Fall ist - im Streubereich fachmännisch vorgenommener
Schätzungen liegen.

2.3 Anders verhält es sich mit Bezug auf die von der Klägerin behaupteten
orthopädischen Defizite: Explizit nicht von der Entschädigungsvereinbarung
erfasst ist zunächst einmal die Narbenbildung; die Parteien haben
diesbezüglich (Punkt 5 des Gutachtens B.________) einen Vorbehalt
aufgenommen, da sie zuerst das Resultat der Behandlung der rekonstruktiven
Chirurgie abwarten wollten.

Sodann attestiert das orthopädische Gutachten C.________ der Klägerin eine
Invalidität von total 35 % als Folge der Wirbelsäulen- und Beckenfraktur
sowie eine solche von 5-10 % des Gesamtwertes des linken Armes für dessen
Beeinträchtigung. Demgegenüber hat das Gutachten B.________ festgehalten, die
geringgradige Funktionseinbusse im Bereich des Schultergelenks links lasse
keine messbare entschädigungspflichtige Wertung zu, während die Wirbelsäulen-
und Beckenfraktur nicht einmal erwähnt bzw. bemerkt worden ist, auf Grund der
Röntgenbilder seien sämtliche Frakturen in guter Stellung konsolidiert.
In diesem Zusammenhang mag zwar erstaunen, dass die Klägerin, die nunmehr
organische Beschwerden von rund 40 % behauptet, den Befund im Gutachten
B.________ und insbesondere den Umstand, dass die Defizite im Bereich der
Wirbelsäule und des Beckens dort überhaupt nicht erwähnt sind, kritiklos
hingenommen hat. Entgegen den sinngemässen Ausführungen der Vorinstanz
berührt indes Unsorgfalt bei Vertragsschluss den Grundlagenirrtum nicht;
vielmehr kann sich auch der fahrlässig Irrende auf Grundlagenirrtum berufen
(117 II 218 E. 3b S. 223 f.; Schmidlin, a.a.O., N. 5 zu Art. 26 ZGB),
freilich mit der Folge, dass er gegebenenfalls nach Massgabe von Art. 26 OR
schadenersatzpflichtig wird.

Offensichtlich sind die Parteien von der Richtigkeit der Bestandesaufnahme im
Gutachten B.________ ausgegangen und waren insbesondere der übereinstimmenden
Meinung, dass trotz der bekannten Frakturen aus orthopädischer Sicht kein
Integritätsschaden zurückgeblieben sei. Bestand diesbezüglich zwischen den
Parteien weder eine Unsicherheit noch irgendein Streit und deshalb auch kein
Anlass zu dessen Beilegung oder überhaupt zu gegenseitiger Annäherung, lässt
sich nicht sagen, sie hätten mit Bezug auf allfällige orthopädische Defizite
einen Vergleich geschlossen, dessen charakteristisches Merkmal die
Streitbeilegung durch gegenseitige Zugeständnisse ist. Das Vorgehen der
Parteien lässt sodann keinen anderen Schluss zu, als dass sie die
Feststellungen im Gutachten (in Verbindung mit der Entschädigungstabelle in
den AVB der Beklagten) subjektiv und objektiv als notwendige Grundlage der
Entschädigungsvereinbarung betrachtet haben. Nach allgemeiner Lebenserfahrung
ist deshalb auszuschliessen, dass die Parteien - oder jedenfalls die Klägerin
für die Beklagte erkennbar - eine Vereinbarung auf der Basis von Fr.
196'000.-- abgeschlossen hätten, wenn das Gutachten B.________ einen rund
doppelt so hohen Invaliditätsgrad ergeben hätte, umso mehr als ein solcher
Invaliditätswert auf Grund der progressiv ausgestalteten
Entschädigungstabelle zu einer überproportional höheren Entschädigung führen
würde.

2.4 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die Parteien einem
Grundlagenirrtum erlegen wären, wenn tatsächlich eine erhebliche
orthopädische Invalidität vorliegen sollte. Die Beklagte hat jedoch das
Resultat der neuen Gutachten angezweifelt und hält dasjenige von Prof.
B.________  nach wie vor  für richtig. Sodann hat die Vorinstanz

entgegen der Behauptung der Klägerin lediglich die Parteistandpunkte
wiedergegeben, ohne eigene Sachverhaltsfeststellungen zu treffen. Dies musste
sie auch nicht, da sie die Möglichkeit der Klägerin, sich auf
Grundlagenirrtum zu berufen, von vornherein verneint hat.

Bei dieser Sachlage ist es dem Bundesgericht nicht möglich, die vorliegende
Streitsache materiell zu beurteilen. Das Obergericht wird abzuklären haben,
ob die sich auf die neuen Gutachten stützenden Behauptungen der Klägerin
zutreffen oder nicht. Hierfür wird es gegebenenfalls ein gerichtliches
Gutachten in Auftrag geben müssen, wie dies von der Klägerin im kantonalen
Verfahren offenbar auch verlangt worden ist. Die in diesem Zusammenhang
gemachte oberinstanzliche Erwägung, mit einem gerichtlichen Gutachten lasse
sich weder die Neuheit der Beschwerden noch die Kausalität mit dem Unfall im
Jahr 1993 beweisen, geht an der Sache vorbei: Wohl bestreitet die Beklagte
den nunmehr geltend gemachten Grad der Invalidität bzw. das Vorliegen
bleibender orthopädischer Beeinträchtigungen. Hingegen hat sie (zu Recht) nie
bestritten, dass die Befunde bei der Klägerin, in welcher Höhe sie auch immer
bewertet werden mögen, auf den Autounfall in Spanien zurückzuführen sind;
entsprechend bedarf es hierüber keiner Beweisführung, zumal auch keine
Anhaltspunkte für andere Invaliditätsursachen ersichtlich sind.

3.
3.1 Zu klären bleibt, ob bei Bejahung eines Grundlagenirrtums hinsichtlich der
orthopädischen Schäden die Entschädigungsvereinbarung insgesamt oder nur
teilweise dahinfallen würde und ob das Obergericht deshalb über sämtliche
Beschwerden der Klägerin oder nur für den orthopädischen Bereich ein
Beweisverfahren durchzuführen hat.

Hierfür ist zunächst die Frage zu beantworten, ob das Obligationenrecht
überhaupt eine Teilanfechtung kennt (dazu E. 3.2). Für den Fall der
rechtlichen Zulässigkeit ist sodann die tatsächliche Möglichkeit einer
Teilanfechtung zu prüfen. Weil allein der zwischen den Parteien geschlossene
Vertrag und nicht der diesem zu Grunde liegende Sachverhalt Objekt der
Anfechtung ist, muss dazu die Entschädigungsvereinbarung als solche teilbar
sein (dazu E. 3.3).

Das genannte Prüfungsprogramm ist deshalb erforderlich, weil sich die
Beklagte bei rechtlicher Zulässigkeit und tatsächlicher Möglichkeit einer
Teilanfechtung nicht das Dahinfallen der gesamten Vereinbarung und das
erneute Aufrollen sämtlicher Sachverhaltsfragen gefallen lassen müsste: Auch
wenn sie sich nicht explizit zur Teilanfechtung äussert, ist diese
Beschränkung in maiore minus von ihrem Antrag auf Abweisung der Klage
umfasst.

3.2 Das Gesetz regelt in Art. 20 Abs. 2 OR den Fall der Teilnichtigkeit,
während die Teilanfechtung in Art. 23 und 31 OR unerwähnt bleibt. Die neuere
Lehre und Rechtsprechung haben sich jedoch für eine analoge Anwendung von
Art. 20 Abs. 2 OR auf die Vertragsanfechtung ausgesprochen (erstmals BGE 78
II 216 E. 5 S. 217 f.; nunmehr BGE 107 II 419 E. 3a S. 423 f.; 123 III 292 E.
2 S. 294 ff.; anders noch BGE 47 II 314 E. 1 S. 316).

Die Teilanfechtung eines Vertrages wegen Grundlagenirrtums setzt voraus, dass
sein Inhalt in subjektiver wie objektiver Hinsicht teilbar ist, so dass der
verbleibende Teil noch immer ein sinnvolles Vertragsganzes bildet, das für
sich selbst bestehen kann. Subjektiv teilbar bedeutet, dass der irrige
Sachverhalt nur als Vertragsteil neben anderen conditio sine qua non des
Vertragsabschlusses war. Objektiv teilbar bedeutet, dass diese Teile auch
nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als für sich bestehend angesehen
werden dürfen (Schmidlin, a.a.O., N. 156 zu Art. 23/24 OR).

3.3 Auf den ersten Blick könnte die progressiv ausgestaltete
Entschädigungstabelle gegen eine Teilanfechtung sprechen, weil eine Erhöhung
des Invaliditätsgrades zu einer ungleich höheren Entschädigung führt. Dies
macht denn die Klägerin sinngemäss auch geltend. Indes waren die
Entschädigungstabelle und deren Anwendbarkeit nie caput controversum:
Zwischen den Parteien war zu keinem Zeitpunkt strittig, dass auf den durch
Gutachten festgestellten bzw. den sich aus gegenseitigen Zugeständnissen
schlussendlich ergebenden Invaliditätswert der entsprechende Faktor der
Tabelle anzuwenden sei. Für die Beteiligten war somit von vornherein klar,
dass beispielsweise ein doppelter Invaliditätsgrad zu mehr als der doppelten
Entschädigung führen würde, und für jeden weiteren Invaliditätsanteil lässt
sich auf den Franken genau die zusätzlich geschuldete Summe berechnen. In
diesem Sinn ist nicht nur der der Vereinbarung zu Grunde liegende
Sachverhalt, sondern auch der Inhalt der Entschädigungsvereinbarung teilbar.

Ebenso wenig steht der Teilbarkeit des Vertragsinhaltes das Faktum entgegen,
dass sich physische und psychische Beeinträchtigungen allenfalls gegenseitig
beeinflussen können (in diesem Sinn macht die Beklagte in der
Berufungsantwort geltend, die Invaliditätswerte des neurologischen und des
orthopädischen Gutachtens dürften nicht einfach unbesehen addiert werden,
weil Letzteres stark auf die subjektiven Angaben der unter psychischen
Beeinträchtigungen leidenden Klägerin abstelle): Auch ein allfälliges
interdisziplinäres Gutachten müsste für jedes einzelne neurologische und
organische Defizit einen prozentmässigen Invaliditätsgrad bezogen auf die
gesamte körperliche Integrität festlegen, weshalb es ohne weiteres möglich
wäre, die (gegenüber dem Gutachten B.________ höheren oder tieferen)
neurologischen Werte ausser Acht zu lassen und einzig die allfälligen
orthopädischen Beeinträchtigungen zu übernehmen. Im Übrigen dürfte es ohnehin
genügen, das Gutachten C.________ mit Abklärungen zu verifizieren, die unter
Einbezug der bereits festgelegten neurologischen Werte auf orthopädische
Fragen beschränkt sind.

4.
Nach den vorstehenden Erwägungen ist die Berufung dahingehend gutzuheissen,
dass das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 30. Mai 2003
aufgehoben und die Sache zur Sachverhaltsergänzung und neuen Entscheidung im
Sinne der Erwägungen an das Obergericht zurückgewiesen wird. Angesichts des
offenen Ausgangs des kantonalen Verfahrens werden praxisgemäss die
Gerichtsgebühren den Parteien je zur Hälfte auferlegt (Art. 156 Abs. 3 OG)
und die Parteikosten wettgeschlagen (Art. 159 Abs. 3 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Luzern vom 30. Mai 2003 aufgehoben und die Sache zur Sachverhaltsergänzung
und neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das Obergericht
zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 8'000.-- werden den Parteien je zur Hälfte
auferlegt.

3.
Die Parteikosten für das bundesgerichtliche Verfahren werden wettgeschlagen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, I.
Kammer als Appellationsinstanz, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Dezember 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: