Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.65/2003
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2P.65/2003 /leb

Urteil vom 3. Oktober 2003
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Müller, Bundesrichter Merkli,
Gerichtsschreiber Feller.

A. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
lic. iur. Bernhard Rüdy, Winzerhalde 16, 8049 Zürich,

gegen

B.________,
Beschwerdegegner,
Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich, c/o Obergericht,
Hirschengraben 15, Postfach, 8023 Zürich.

Art. 9 und 29 Abs. 2 BV (Offenbarung des Berufsgeheimnisses),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss der Aufsichtskommission über
die Rechtsanwälte im Kanton Zürich vom 6. Februar 2003.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Rechtsanwalt B.________ stellte A.________ am 29. September 2001 drei
Rechnungen für Beträge von Fr. 952.25 (Mandatsvertrag C.________ Ltd), Fr.
5'408.85 (betreffend D.________, Zweckänderung) und Fr. 83'802.30 (betreffend
E.________) zu. Am 15. Oktober 2001 liess A.________ die drei Rechnungen
zurücksenden, versehen mit dem Vermerk, dass er nicht wisse, um was es sich
beim Mandatsvertrag C.________ handle, und dass die beiden anderen Rechnungen
die Firma D.________ beträfen. Mit Schreiben seines Rechtsanwalts vom 22. Mai
2002 an B.________ liess A.________ jegliche Honorarforderung bestreiten.

Am 7. November 2002 ersuchte B.________ A._________ um Befreiung vom
Anwaltsgeheimnis, soweit dies zur Eintreibung der Honorarforderung notwendig
sei, und am 24. Dezember 2002 stellte er der Aufsichtskommission über die
Rechtsanwälte im Kanton Zürich das Gesuch, ihn entsprechend vom
Anwaltsgeheimnis zu entbinden.

Nachdem A.________ sich am 24. Januar 2003 zum Gesuch geäussert hatte,
ermächtigte die Aufsichtskommission mit Beschluss vom 6. Februar 2003
B.________, sein Berufsgeheimnis mit Bezug auf A.________ gegenüber den
zuständigen Behörden zu offenbaren, soweit dies erforderlich sei, um seine
Honorarforderung einschliesslich des Ersatzes der Kosten dieses Beschlusses
durchzusetzen. Die Kosten des Beschlusses wurden auf Fr. 436.-- festgesetzt
und von B.________ bezogen, wobei angeordnet wurde, dass diese B.________
durch A.________ zu ersetzen seien.

1.2 Am 12. März 2003 erhob A.________ staatsrechtliche Beschwerde mit dem
Antrag, den Beschluss der Aufsichtskommission aufzuheben und die Sache zu
neuer Entscheidung an diese zurückzuweisen. Zugleich gelangte er gegen
denselben Beschluss mit Rekurs an die Verwaltungskommission des Obergerichts
des Kantons Zürich.

1.3 Mit Verfügung vom 17. März 2003 sistierte der Präsident der II.
öffentlichrechtlichen Abteilung das Verfahren der staatsrechtlichen
Beschwerde bis zum Entscheid der Verwaltungskommission des Obergerichts. Das
mit der staatsrechtlichen Beschwerde verbundene Gesuch um aufschiebende
Wirkung wies er zurzeit ab.

Die Verwaltungskommission das Obergerichts des Kantons Zürich trat mit
Beschluss vom 18. August 2003 auf den Rekurs nicht ein.

1.4 Mit dem Beschluss der Verwaltungskommission des Obergerichts ist der
Sistierungsgrund entfallen, und das bundesgerichtliche Verfahren ist wieder
aufzunehmen.

Über die staatsrechtliche Beschwerde ist im vereinfachten Verfahren (Art. 36a
OG), ohne Schriftenwechsel oder andere Instruktionsmassnahmen (Einholen
weiterer Akten), zu befinden. Mit dem vorliegenden Urteil wird das Gesuch um
aufschiebende Wirkung, welchem die Verwaltungskommission des Obergerichts im
Rekursverfahren entsprochen hatte, gegenstandslos.

2.
2.1 Das Bundesgericht prüft Art und Zulässigkeit eines Rechtsmittels von Amtes
wegen (BGE 129 II 225 E. 1 S. 227 mit Hinweis).

2.1.1 Der Beschwerdeführer erhebt ausdrücklich staatsrechtliche Beschwerde.
Dieses Rechtsmittel steht nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide
offen (Art. 86 Abs. 1 OG); ferner ist erforderlich, dass die behauptete
Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim
Bundesgericht oder einer anderen Bundesbehörde gerügt werden kann (Art. 84
Abs. 2 OG). In Frage kommt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

2.1.2 Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist gemäss Art. 97 Abs. 1 OG zulässig
gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwVG, d.h. behördliche Anordnungen, die
sich auf Bundesrecht stützen. Steht letztinstanzlich die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde unmittelbar gegen kantonale Entscheidungen
offen, muss als letzte kantonale Instanz eine richterliche Behörde
entschieden haben (Art. 98 lit. g in Verbindung mit Art. 98a OG).

Im vorliegend angefochtenen Beschluss wird der Beschwerdegegner gestützt auf
Normen des kantonalen Rechts vom Berufsgeheimnis entbunden. Nun ist am 1.
Juni 2002 das Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der
Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61) in Kraft getreten.
Art. 13 BGFA regelt das Berufsgeheimnis. Es stellt sich unter diesen
Umständen die Frage, ob der Entscheid über die Entbindung vom
Anwaltsgeheimnis nicht auch bundesrechtlicher Natur ist. Die
Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich, an welche der
Beschwerdeführer mit Rekurs gelangt ist, hat dies in E. 4 ihres Beschlusses
vom 18. August 2003 verneint und hat sich daher nicht für zuständig erachtet.
Der Beschwerdeführer hat diesen Nichteintretensbeschluss nicht mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten und kann einen materiellen
Entscheid dieser letztinstanzlichen kantonalen Behörde (vgl. § 7 der
Verordnung des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 15. Mai 2002 betreffend
die Anpassung des kantonalen Rechts an das eidgenössische Anwaltsgesetz in
Verbindung mit § 29 des Zürcher Gesetzes vom 3. Juli 1938 über den
Rechtsanwaltsberuf) nicht mehr erwirken. Sollte es sich beim Beschluss über
die Entbindung vom Anwaltsgeheimnis, entgegen der Auffassung der
Verwaltungskommission des Obergerichts, um eine Verfügung im Sinne von Art. 5
VwVG handeln, hätte es der Beschwerdeführer verpasst, die Voraussetzungen
dafür zu schaffen, die Frage der Entbindung vom Berufsgeheimnis dem
Bundesgericht mit dem einzig zulässigen Rechtsmittel der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu unterbreiten. Die staatsrechtliche
Beschwerde ihrerseits wäre insbesondere gestützt auf Art. 84 Abs. 2 OG
unzulässig.

2.1.3 Wie es sich damit verhält, kann indessen offen bleiben, da den Rügen
des Beschwerdeführers weder im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde
noch in demjenigen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde Erfolg beschieden wäre.

2.2 Ausgangspunkt der Streitsache bildet der Umstand, dass zwischen den
Parteien Uneinigkeit darüber besteht, ob überhaupt ein Mandatsverhältnis bzw.
mehrere Mandatsverhältnisse vorliegen. Letztlich wird auch vom
Beschwerdeführer - zu Recht - nicht bestritten, dass darüber im Verfahren
über die Honorarforderung selber zu befinden ist. Seine Rügen sind daher auf
diesem Hintergrund zu sehen.

2.3 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

2.3.1 Aus dem Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs.
2 BV ergibt sich unter anderem die Pflicht der zum Entscheid berufenen
Behörde, sich mit den Parteivorbringen auseinanderzusetzen und ihren
Entscheid zu begründen.

Der Beschwerdeführer wirft der Aufsichtskommission eine Verletzung der
Begründungspflicht vor, weil diese unzureichend auf ein bestimmtes Vorbringen
eingegangen sei. Der Beschwerdeführer hatte in der Stellungnahme vom 24.
Januar 2003 festgehalten, dass er "das Vorliegen eines Mandats zwischen ihm
und RA B.________ bestreitet. Damit entfällt auch jede Grundlage für eine
Entbindung vom Anwaltsgeheimnis. Zugleich steht fest, dass RA B.________
hätte wissen müssen, dass bei dieser Sachlage Herr A.________ sich auch nie
darauf berufen würde, ein angebliches (eben gar nicht vorliegendes)
Anwaltsgeheimnis sei verletzt worden." Die Aufsichtskommission hielt dazu
fest, dieses Vorbringen betreffe nicht die Frage des
Geheimhaltungsinteresses, sondern diejenige des Bestehens oder Nichtbestehens
eines Mandatsverhältnisses und der damit zusammenhängenden
Honorarforderungen, worüber nicht sie zu entscheiden habe. Was sie, unter dem
Gesichtspunkt der Begründungspflicht, weiter dazu hätte ausführen müssen, ist
nicht ersichtlich: Je nach Ausgang der nicht von ihr zu entscheidenden Frage,
ob ein Mandatsverhältnis vorliege, wird sich die Frage der Entbindung vom
Anwaltsgeheimnis im Honorarprozess stellen; aus der Art der Begründung des
angefochtenen Beschlusses geht genügend klar hervor, dass die
Aufsichtskommission aus der fraglichen Äusserung in der Stellungnahme vom 24.
Januar 2003 nicht auf Zustimmung des Beschwerdeführers zur Entbindung des
Beschwerdegegners vom Berufsgeheimnis geschlossen hat. Ob diese Einschätzung
zutrifft, ist nicht eine Frage der Begründungspflicht. Soweit auf die Rüge
überhaupt einzutreten ist, erweist sie sich als offensichtlich unbegründet.

2.3.2 Eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör erblickt der
Beschwerdeführer weiter im Umstand, dass die Aufsichtskommission es ihm
verunmöglicht habe, der Offenbarung entgegenstehende höhere Interessen im
Einzelfall geltend zu machen, habe doch der Beschwerdegegner nie
klargestellt, bezüglich welcher (angeblicher) Mandatsverhältnisse er von
seinem Anwaltsgeheimnis entbunden werden wolle.

Auch diese Rüge ist offensichtlich unbegründet: Allenfalls mögen hinsichtlich
des Mandatsverhältnisses betreffend C.________ Zweifel daran bestehen, ob der
Beschwerdeführer weiss, um was es geht; es handelt sich dabei aber um einen,
jedenfalls gemessen an den übrigen Posten (Fr. 952.25 nebst den zwei anderen
Beträgen von Fr. 5'408.85 und Fr. 83'802.30), unbedeutenden Rechnungsbetrag.
Die beiden anderen Rechnungen vom 29. September 2001, welche auch der
Aufsichtskommission vorlagen, sind genügend detailliert ausgestaltet, und die
Aufsichtskommission konnte der Stellungnahme vom 24. Januar 2003 (S. 2 Ziff.
6) entnehmen, dass der Beschwerdeführer durchaus wusste, um welche
Geschäftsangelegenheiten und Arbeiten es dabei geht; er stellt sich bloss auf
den Standpunkt, dass als Auftraggeberin nicht er, sondern allenfalls die
Firma D.________ in Betracht falle. Unter diesen Umständen durfte die
Aufsichtskommission angesichts des beschränkten Verfahrensgegenstands
(Entbindung vom Anwaltsgeheimnis, nicht aber Prüfung der Begründetheit eines
Honoraranspruchs bzw. einzelner Rechnungsposten) davon absehen, den
Beschwerdegegner zu weiterer Auskunftserteilung anzuhalten. Der
Beschwerdeführer verfügte über genügend Informationen, um massgebliche Gründe
geltend machen zu können, die im konkreten Fall einer Entbindung vom
Berufsgeheimnis allenfalls entgegenstehen.

2.4 Der Beschwerdeführer wirft der Aufsichtskommission eine Verletzung des
Willkürverbots vor.

2.4.1 Er macht geltend, dass die Aufsichtskommission seinen Verzicht auf die
Berufung auf das Anwaltsgeheimnis nicht zur Kenntnis genommen habe; hätte sie
dies getan, hätte sie auf das Gesuch um Ermächtigung zur Offenbarung des
Berufsgeheimnisses nicht eintreten dürfen, da dem Beschwerdegegner das
Rechtsschutzinteresse an einem entsprechenden Beschluss gefehlt habe.

Auf fehlendes Rechtsschutzinteresse hätte die Aufsichtskommission nur dann
schliessen müssen, wenn sie der Ansicht gewesen wäre, der Beschwerdegegner
habe den Beschwerdeführer im Sinne von § 14 Abs. 2 des Zürcher Gesetzes vom
3. Juli 1938 über den Anwaltsberuf (Anwaltsgesetz) von der anwaltlichen
Geheimhaltungspflicht befreit. Sie wertete die Sachlage indessen anders;
inwiefern sie dadurch eine Fehleinschätzung vorgenommen haben oder gar in
Willkür verfallen sein könnte, ist nicht ersichtlich: Die Erklärung des
Beschwerdeführers, er würde den Beschwerdegegner nicht der Verletzung des
Berufsgeheimnis bezichtigen, basiert auf der Behauptung, es liege kein
Mandatsverhältnis vor. Im vom Beschwerdegegner angestrebten Prozess zur
Durchsetzung der Honorarforderung könnte die zuständige Behörde zum
gegenteiligen Ergebnis kommen; im Hinblick darauf würde sich die Frage des
Berufsgeheimnisses stellen. Unter diesen Umständen musste keinesfalls darauf
geschlossen werden, der Beschwerdeführer habe den Beschwerdegegner
vorbehaltlos von der Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses befreit. Auf
eine derartige Befreiung darf angesichts der Bedeutung des anwaltlichen
Berufsgeheimnisses nicht leichthin geschlossen werden. Verlangt werden darf
eine unzweideutige, bedingungslose Erklärung. Eine solche fehlt vorliegend,
dies auch in Berücksichtigung der gesamten Korrespondenz zwischen den
Parteien und der Parteivorbringen vor der Aufsichtskommission.

2.4.2 Eine Verletzung des Willkürverbots erblickt der Beschwerdeführer sodann
darin, dass der angefochtene Beschluss insbesondere wegen der damit
verbundenen Kostenauflage an ihn im Ergebnis dem Gerechtigkeitsgedanken
zuwiderlaufe.

Auch diese Rüge hängt mit der Darstellung des Beschwerdeführers zusammen,
dass er den Beschwerdegegner von der Pflicht zur Wahrung des
Anwaltsgeheimnisses befreit haben will. Die Aufsichtskommission ist, wie in
E. 2.4.1. dargelegt, zutreffend davon ausgegangen, dass eine entsprechende
Entbindung fehle und der Beschwerdegegner ein Interesse an einem
diesbezüglichen förmlichen Beschluss habe. Damit aber verstösst die
Kostenregelung, auch in Berücksichtigung der Tatsache, dass der
Beschwerdeführer das Schreiben des Beschwerdegegners vom 7. November 2002 bis
zum 24. Dezember 2002, als dieser mit einem förmlichen Gesuch an die
Aufsichtskommission gelangte, nie beantwortet hat, nicht gegen das
Willkürverbot.

2.5 Keine Rüge erhebt der Beschwerdeführer in Bezug auf die von der
Aufsichtskommission im Hinblick auf das konkrete Anliegen des
Beschwerdegegners vorgenommene Interessenabwägung.

2.6 Soweit auf die Beschwerde eingetreten werden kann, ist sie unbegründet
und abzuweisen.

Entsprechend sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 156 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG). Eine
Parteientschädigung ist nicht geschuldet, da dem Beschwerdegegner im
bundesgerichtlichen Verfahren keine massgeblichen Kosten entstanden sind.

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Das Verfahren wird wieder aufgenommen.

2.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und der Aufsichtskommission über die
Rechtsanwälte im Kanton Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Oktober 2003

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: