Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.316/2003
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2P.316/2003 /leb

Urteil vom 19. Dezember 2003
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident.
Bundesrichter Hungerbühler, Merkli,
Gerichtsschreiber Wyssmann.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Y.________,

gegen

Einwohnergemeinde Mühlethurnen, handelnd
durch den Gemeinderat, Gemeindeverwaltung,
3127 Mühlethurnen,
Steuerverwaltung des Kantons Bern, Erlassbehörde, Kant. Staatskasse Bern,
Kasthoferstrasse 21/23,
3011 Bern.

Art. 5, 9, 12, 26 und 29 BV u.a. (Steuererlass),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid der Einwohnergemeinde
Mühlethurnen, eröffnet durch die Steuerverwaltung des Kantons Bern am 10.
November 2003.

Sachverhalt:
X.________, damals noch unverheiratet, stellte am 22. Juli 2003 ein Gesuch um
Erlass der Kantons- und Gemeindesteuern für das Jahr 2002. Am 10. November
2003 hiess die Steuerverwaltung des Kantons Bern das Gesuch hinsichtlich der
Kantonssteuer gut und erliess die Steuer im Betrag von Fr. 2'141.55. In Bezug
auf die Gemeindesteuer wurde das Erlassgesuch abgewiesen. Den Entscheid hatte
die Gemeinde in eigener Kompetenz gefällt, wie die Steuerverwaltung
vermerkte.

Die Gesuchstellerin gelangte in der Folge mit einem Wiedererwägungsgesuch an
die Gemeinde. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2003 hielt die Gemeinde an der
Steuerforderung fest.

Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde beantragt X.________,
vertreten durch ihren Ehemann, Fürsprecher Y.________, es sei der Entscheid
vom 10. November 2003 aufzuheben, soweit er die Gemeindesteuer betreffe.

Akten und Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 240 des Steuergesetzes des Kantons Bern vom 21. Mai 2000 (StG)
kann in Härtefällen die Zahlung der Steuer ganz oder teilweise erlassen
werden. Art. 42 der Bezugsverordnung vom 18. Oktober 2000 (BEZV) zählt einige
Fälle auf, in denen die Steuer erlassen werden muss. Diese kantonale Ordnung
räumt dem Steuerpflichtigen beim Vorliegen bestimmter Gründe einen
durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Steuererlass ein. Durch die Verweigerung
des Erlasses der Gemeindesteuer ist die Beschwerdeführerin daher in rechtlich
geschützten Interessen betroffen und zur staatsrechtlichen Beschwerde
legitimiert (Art. 88 OG; vgl. BGE 122 I 373 E. 1a; 112 Ia 93 E. 2c S. 94 f.;
so bereits Urteil 2P.353/1994 vom 23. Januar 1995, für Art. 160 aStG-BE). Da
gegen den Entscheid über das Steuererlassgesuch kein ordentliches kantonales
Rechtsmittel offen steht (Art. 240 Abs. 5 StG), ist die staatsrechtliche
Beschwerde zulässig.

2.
Die Beschwerdeführerin rügt als Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches
Gehör, dass die Gemeindebehörde sie vor ihrem Entscheid nicht angehört habe.
Die Rüge ist unbegründet. Die Beschwerdeführerin konnte sich im Erlassgesuch
vom 22. Juli 2003 sowie in der Eingabe vom 3. September 2003 und erneut im
Wiedererwägungsgesuch vom 19. November 2003 äussern. Sie hat sich damit im
Verfahren Gehör verschaffen können.

Soweit die Beschwerdeführerin geltend machen will, sie hätte zu einer
persönlichen (mündlichen) Anhörung vorgeladen werden müssen, scheitert die
Beschwerde bereits daran, dass die Beschwerdeführerin es unterlässt, die
massgebenden Verfahrensvorschriften zu nennen, die ihr einen solchen Anspruch
einräumen würden. Aus Art. 29 Abs. 2 BV folgt grundsätzlich kein Anspruch auf
mündliche Äusserung (BGE 127 V 491 E. 1b S. 494; 125 I 209 E. 9b S. 219).
Inwiefern sich aus Art. 26 Abs. 2 der bernischen Kantonsverfassung (KV) ein
weitergehender Anspruch ergeben soll, wird nicht dargelegt. Im Übrigen konnte
sich die Beschwerdeführerin mehrfach schriftlich äussern, weshalb es zur
Klärung des Sachverhalts keiner persönlichen Anhörung bedurfte. Sie hat denn
auch im ganzen Verfahren keinen entsprechenden Antrag gestellt.

3.
Die Beschwerdeführerin bemängelt ferner, dass weder der Erlassentscheid noch
der Wiedererwägungsentscheid eine ausreichende, nachvollziehbare Begründung
enthalten.

Es trifft zu, dass der Entscheid über den Steuererlass keine Begründung
enthielt. Im Wiedererwägungsentscheid hat indessen die Gemeinde ihre Haltung
gegenüber dem Erlassgesuch begründet. Sie hat darauf hingewiesen, dass die
Beschwerdeführerin während ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit die für die
Bezahlung der Steuer notwendigen Rücklagen hätte bilden können und dass
allein die Erwerbsaufgabe kein Grund sei, um Steuern früherer Jahre zu
erlassen. Diese Begründung kann gegebenenfalls als willkürlich angefochten
werden. Dass sie als Begründung der Gemeinde nicht genüge (s. auch Art. 50
Abs. 3 BEZV), kann indessen nicht gesagt werden.

4.
4.1 Gemäss Art. 42 BEZV ist eine Steuer ganz oder teilweise zu erlassen:

"c) wenn die Bezahlung des geschuldeten Steuerbetrages für die
steuerpflichtige Person ein Opfer darstellen würde, das in einem offenbaren
Missverhältnis zu ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit steht und ihr daher
nicht zugemutet werden kann. Ein solches Missverhältnis kann vorliegen, wenn
die Steuerschuld trotz Einschränkung der Lebenshaltungskosten auf das
betreibungsrechtliche Existenzminimum (Art. 93 SchKG) in absehbarer Zeit
nicht vollumfänglich beglichen werden kann".

Nur dieser Erlassgrund wird vorliegend geltend gemacht. Es geht um kantonales
Recht, dessen Auslegung und Anwendung das Bundesgericht nur unter dem
beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüft.

4.2 Die damals noch unverheiratete Beschwerdeführerin stellte am 22. Juli
2003 ein Gesuch um Erlass der Kantons- und Gemeindesteuern für das Jahr 2002.
Zur Begründung führte sie aus: "Verdienst ab 1.10.02: Fr. 1'600.--; ab
1.06.03 kein Verdienst mehr. Bin daher mittellos und nicht in der Lage, diese
Rechnung zu bezahlen."

Am 25. August 2003 verlangte die Steuerverwaltung des Kantons Bern von der
Beschwerdeführerin einen aktuellen Situationsbericht zur Frage, ob sie nur
einstweilen ohne Erwerbseinkommen sei oder ob sie Arbeitslosengeld beziehe
und was der Grund für die Erwerbsaufgabe sei.

Mit Eingabe vom 3. September 2003 führte die Gesuchstellerin aus, sie lebe im
Konkubinat, wobei eine Heirat noch in diesem Jahr geplant sei; sie sei
vollzeitlich als Hausfrau tätig und werde dies auch in Zukunft sein. Als
Hausfrau sei sie nicht arbeitslos, aber für die Arbeitslosenversicherung
nicht vermittlungsfähig; sie verfüge in existenzrechtlicher Hinsicht über
einen Negativsaldo.

In der staatsrechtlichen Beschwerde hielt sie an dieser Sachdarstellung fest
und bestätigte, dass sie Ende Mai 2003 ihre Erwerbstätigkeit vollständig
aufgegeben habe und seither mit Y.________ zusammen lebe, wobei sie den
Haushalt besorge. Am 31. Oktober 2003 hätten sie geheiratet. Sie habe ihre
Erwerbstätigkeit aufgegeben, um sich als Hausfrau und künftige Mutter zu
betätigen. Diesen Entscheid habe sie nicht im Dezember 2002 oder früher,
sondern im April 2003 gefällt.

4.3 Was vorliegt, ist demnach eine gewöhnliche Erwerbsaufgabe. Eine besondere
Situation, insbesondere eine Arbeitsunfähigkeit oder eine Arbeitslosigkeit,
wird nicht behauptet. Die Beschwerdeführerin hat ihre Erwerbstätigkeit
vielmehr aufgegeben, um sich als Hausfrau und künftige Mutter zu betätigen.
Diesen Entscheid fällte sie im April 2003, mithin vor der vollständigen
Aufgabe der Erwerbstätigkeit und vor Einreichung des Erlassgesuchs. Für
solche Fälle ist das Institut des Steuererlasses offensichtlich nicht
gegeben. Der Steuererlass wurde eingeführt, damit auch der Staat zur
langfristigen und dauernden Sanierung der wirtschaftlichen Lage einer Person
beitragen kann und diese nicht durch Steuerlasten in Frage stellen muss (s.
auch Art. 34 Abs. 1 BEZV). Wenn jedoch ein Partner zum Zweck der
Familiengründung aus eigenem Antrieb seine Erwerbstätigkeit aufgibt, so ist
das noch keine Notlage, auch wenn daraus vorübergehend ein Negativsaldo
resultiert. Weshalb es sich im Falle der Beschwerdeführerin anders verhalten
soll, ist nicht ersichtlich und wird nicht dargelegt. Insbesondere fehlen
auch jegliche Angaben zur Einkommens- und Vermögenssituation des
Lebenspartners und späteren Ehemannes. Wenn daher die Gemeinde - im Gegensatz
zum Kanton - dem Erlassgesuch nicht entsprochen hat, so ist das nach dem
Gesagten sachlich richtig und keineswegs willkürlich.

4.4 Die Gemeinde konnte im Übrigen entgegen der Ansicht der
Beschwerdeführerin eigenständig über das Erlassgesuch befinden und war nicht
an den Entscheid des Kantons gebunden (vgl. Art. 240 Abs. 4 StG). Die von der
Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang angerufenen Bestimmungen sind nicht
einschlägig.
Die Rügen wegen Verletzung des Legalitätsprinzips und des Rechts auf
Existenzsicherung werden nicht näher begründet. Sie gehen über die
Willkürrüge nicht hinaus und fallen mit dieser zusammen. Es ist darauf nicht
weiter einzugehen.

5.
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet und im vereinfachten Verfahren
nach Art. 36a OG zu erledigen. Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch
um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

Die Kosten des Verfahrens sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen.
Unentgeltliche Rechtspflege kann nicht gewährt werden; diese setzt nach Art.
152 Abs. 1 OG voraus, dass das Rechtsbegehren nicht von vornherein als
aussichtslos erscheint, was hier nicht der Fall ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Einwohnergemeinde Mühlethurnen
und der Steuerverwaltung des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Dezember 2003

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: