Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.312/2003
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2003
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2003


2P.312/2003 /leb

Urteil vom 30. Januar 2004
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Müller, Merkli,
Gerichtsschreiber Küng.

A. ________ Landwirtschaftliche Genossenschaft,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Joachim Lerf,

gegen

Staatsrat des Kantons Freiburg,
rue des Chanoines 118, 1700 Freiburg,
Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg,
III. Verwaltungsgerichtshof, 1762 Givisiez,
Gemeinde B.________.

Art. 9, 26, 27, 29 Abs. 2 und 36 BV (Öffnungszeiten
einer Benzintankstelle mit "Shop", Wiederherstellung
der aufschiebenden Wirkung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg vom

4. November 2003.

Sachverhalt:

A.
Am 13. Juli 2001 richtete die A.________ (Landwirtschaftliche Genossenschaft)
im Hinblick auf ihr Neubauprojekt X.________ für einen Verkaufsladen und eine
Tankstelle mit integriertem Tankstellenshop an die Gemeindeverwaltung
B.________ das Gesuch, für den Tankstellenshop eine tägliche Betriebszeit von
06.00 Uhr bis 22.00 Uhr zu bewilligen.

Mit Verfügung vom 19. Juli 2001 entsprach die Gemeinde dem Gesuch.

Am 11. Juni 2002 verabschiedete der Grosse Rat des Kantons Freiburg das
Gesetz zur Änderung des Gesetzes vom 25. September 1997 über die Ausübung des
Handels (HAG/FR). Dieses räumte den Gemeinden die Kompetenz ein, für
Verkaufsräume in Tankstellen (Tankstellenshops) von Montag bis Samstag
Öffnungszeiten bis 21.00 Uhr zu bewilligen.

Am 26. Juni 2002 kam die Gemeinde B.________ unter Hinweis auf die
beschlossene Gesetzesänderung auf ihre Verfügung vom 19. Juli 2001 zurück und
bewilligte für den Tankstellenshop nurmehr Öffnungszeiten von Montag bis
Samstag von 06.00 bis 21.00 Uhr und am Sonntag von 06.00 bis 19.00 Uhr.

Am 21. August 2002 wurde die neue Anlage X.________ eröffnet.

B.
In der Volksabstimmung vom 18. Mai 2003 wurde die Gesetzesänderung vom 11.
Juni 2002 verworfen, worauf die Sicherheits- und Justizdirektion des Kantons
Freiburg den Betreibern von Tankstellenshops am 20. Mai 2003 mitteilte, für
sämtliche Tankstellenshops seien ab dem 30. Juni 2003 die ordentlichen
Geschäftsöffnungszeiten gemäss dem Gesetz über die Ausübung des Handels und
dessen Ausführungsreglement anwendbar. Abendverkäufe an einem Wochentag bis
21.00 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen bis 19.00 Uhr könnten nur gewährt
werden, wenn dies in einem Gemeindereglement vorgesehen sei.

In der Folge unterbreitete die Gemeinde B.________ der Sicherheits- und
Justizdirektion des Kantons Freiburg am 16. Juni 2003 den Entwurf für ein
Gemeindereglement über die Öffnungszeiten der Geschäfte zur Vorprüfung.
Dieses sieht während der Woche (Montag bis Freitag) Öffnungszeiten bis 19.00
Uhr und an Samstagen bis 16.00 Uhr vor. An Sonntagen können Kioske bis 19.00
Uhr geöffnet bleiben. Der Gemeinderat kann sodann für bestimmte, dauerhaft
betriebene Geschäfte, die Speisen und Getränke zum Mitnehmen anbieten, die
nächtliche Öffnungszeit bis höchstens 23.00 Uhr bewilligen.

C.
Mit Verfügung vom 2. September 2003 änderte der Staatsrat des Kantons
Freiburg die von der Gemeinde B.________ für den Tankstellenshop erteilte
Bewilligung dahingehend ab, dass ab dem 15. September 2003 nurmehr
Öffnungszeiten von Montag bis Freitag und an Sonn- und Feiertagen von 06.00
bis 19.00 Uhr und an Samstagen von 06.00 bis 16.00 Uhr bewilligt wurden;
vorbehältlich der Genehmigung des eingereichten Reglementes wurde zudem
während der Woche (ohne Samstag) ein Abendverkauf an einem Tag bis 21.00 Uhr
bewilligt. Gleichzeitig wurde einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende
Wirkung entzogen.

D.
Gegen diesen Entscheid gelangten die Gemeinde B.________ und die A.________
an das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg mit dem Begehren, den
Tankstellenshop wie bis anhin, d.h. Montag bis Samstag bis 21.00 Uhr und am
Sonntag bis 19.00 Uhr geöffnet halten zu dürfen. Das zugleich von der
A.________ gestellte Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
wies das Verwaltungsgericht mit Zwischenentscheid vom 4. November 2003 ab.

E.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 5. Dezember 2003 beantragt die
A.________, den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg vom 4.
November 2003 aufzuheben.

Der Staatsrat des Kantons Freiburg schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Die Gemeinde B.________ beantragt sinngemäss, die Beschwerde gutzuheissen.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet und stellt unter Verweisung auf den angefochtenen Entscheid den
Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Gegenstand des Verfahrens, in dessen Rahmen der angefochtene Entscheid
ergangen ist, bildet die Frage der Bewilligung von Öffnungszeiten eines
Tankstellenshops. Die Öffnungszeiten von Geschäften sind im Kanton Freiburg
im Gesetz über die Ausübung des Handels sowie im dazu erlassenen Reglement
vom 14. September 1998 über die Ausübung des Handels (HAR/FR) geregelt, deren
Anwendbarkeit von der Beschwerdeführerin ausdrücklich anerkannt wird. Im
kantonalen Beschwerdeverfahren geht es um die Auslegung und Anwendung dieser
kantonalen gesetzlichen Grundlagen. Der letztinstanzliche kantonale Entscheid
unterliegt daher einzig der staatsrechtlichen Beschwerde an das Bundesgericht
gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. a OG. Damit ist auch die im kantonalen Verfahren
gestützt auf kantonales Verfahrensrecht, hier Art. 84 des freiburgischen
Gesetzes vom 23. Mai 1991 über die Verwaltungsrechtspflege (VRG/FR),
verweigerte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bloss mit
staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar (vgl. Urteil 1P.408/2000 vom 24. Juli
2000 E. 1).

1.2 Angefochten ist nicht ein Endentscheid, sondern ein selbständig
eröffneter verfahrensleitender Zwischenentscheid, welcher nicht die Frage der
Zuständigkeit oder ein Ausstandsbegehren zum Gegenstand hat; gegen solche
Zwischenverfügungen ist die staatsrechtliche Beschwerde nur zulässig, wenn
sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 87 Abs.
2 OG). Diese Voraussetzung ist im Falle der Beschwerdeführerin erfüllt, da
ihr bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens vor Verwaltungsgericht die
Nutzung des Tankstellenshops und damit ihres Eigentums nicht in dem ihr von
der Gemeinde bewilligten Umfang erlaubt ist und dieser Nachteil auch bei
einer Gutheissung der Beschwerde vor Verwaltungsgericht nicht rückgängig
gemacht, sondern nur für die Zukunft aufgehoben werden könnte (vgl. Urteil
1P.408/2000 vom 24. Juli 2000 E. 1a). Die staatsrechtliche Beschwerde ist
somit zulässig.

1.3 Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Entscheid unmittelbar
betroffen und somit zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (Art. 88
OG). Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist daher
einzutreten.

2.
2.1 Gemäss Art. 84 Abs. 1 VRG/FR hat die Beschwerde grundsätzlich
aufschiebende Wirkung. Die Vorinstanz kann einer allfälligen Beschwerde die
aufschiebende Wirkung entziehen, wenn der Entscheid nicht eine Geldleistung
zum Gegenstand hat (Abs. 2). Die Beschwerdeinstanz kann die von der
Vorinstanz entzogene aufschiebende Wirkung wiederherstellen; über ein Gesuch
um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist ohne Verzug zu
entscheiden (Abs. 3).

2.2 Diese Regelung ist als Kann-Vorschrift ausgestaltet. Beim Entscheid über
die Erteilung oder Verweigerung der aufschiebenden Wirkung hat die zuständige
Behörde zu prüfen, ob Gründe vorliegen, die eine sofortige Vollstreckung nahe
legen, und ob diese wichtiger sind als jene, die für einen Aufschub sprechen.
Bei dieser Interessenabwägung kommt ihr ein erheblicher Ermessensspielraum
zu. Für die Ermittlung der massgebenden Gesichtspunkte ist sie nicht
gehalten, zeitraubende Abklärungen zu treffen, sondern muss in erster Linie
auf die ihr zur Verfügung stehenden Akten abstellen (BGE 117 V 185 E. 2b S.
191; 110 V 40 E. 5b S. 45; 106 Ib 115 E. 2a S. 116). Der mutmassliche Ausgang
des Verfahrens kann mit in Betracht gezogen werden, soweit die Aussichten
eindeutig sind (BGE 99 Ib 215 E. 5 S 220 f.); auch diesbezüglich beschränkt
sich die zuständige Behörde auf eine "prima-facie"-Beurteilung. Das
Bundesgericht beschränkt sich auf Beschwerde hin erst recht auf eine
vorläufige Prüfung der Akten. Es kontrolliert - selbst wenn es mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde angerufen werden kann - bloss, ob die Behörde
beim Entscheid über die vorsorgliche Massnahme ihr Ermessen überschritten
oder missbraucht hat, und hebt deren Entscheid nur auf, wenn sie wesentliche
Interessen bzw. Gesichtspunkte ausser Acht gelassen oder offensichtlich
falsch bewertet hat. Letztlich greift es nur ein, wenn die Interessenabwägung
einer vernünftigen Grundlage entbehrt (vgl. Urteil 2P.165/2002 vom 6.
September 2002 E. 2.1.2).

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin begründete ihr Gesuch vor Verwaltungsgericht zur
Hauptsache mit dem Argument, es sei ihr verfassungsmässiger Anspruch auf
Gewährung des rechtlichen Gehörs verletzt worden, weil sie vor Erlass des
Entscheides des Staatsrates in der Sache selbst nie zur Stellungnahme
eingeladen worden sei, obwohl dieser Entscheid dem Widerruf einer Verfügung
gleichkomme. Dass die Beschwerdeführerin vor dem Entscheid des Staatsrates
nicht angehört wurde, wird weder vom Verwaltungsgericht noch vom Staatsrat
bestritten. Auch aus den Akten ergibt sich nichts Gegenteiliges, so dass
davon auszugehen ist.

Auch im vorliegenden Verfahren weist die Beschwerdeführerin insbesondere auf
die Verletzung ihres verfassungsmässigen Anspruches auf rechtliches Gehör
(Art. 29 Abs. 2 BV) hin und rügt eine daraus resultierende willkürliche
Anwendung von Art. 84 VRG/FR. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen
Entscheid zur Frage der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht Stellung
genommen.

3.2 Das freiburgische Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege regelt auch das
Verfahren für Verfügungen und andere Entscheide des Staatsrates (Art. 1 in
Verbindung mit Art. 2 VRG/FR). Gemäss Art. 57 Abs. 1 VRG/FR haben die
Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör, bevor ein Entscheid getroffen wird.
Die Behörde muss eine Partei u.a. nicht anhören vor Entscheiden, die durch
Einsprache anfechtbar sind oder wenn Gefahr im Verzuge ist (Art. 58 lit. b
und e VRG/FR).

Der Staatsrat hat in seinem Entscheid nicht dargelegt, gestützt auf welche
der in Art. 58 VRG/FR ausdrücklich erwähnten Ausnahmen sich der von ihm
verfügte Entzug der aufschiebenden Wirkung stützt. Ob sein Entscheid deshalb
im Lichte von Art. 29 Abs. 2 BV ungenügend begründet ist, kann indessen offen
gelassen werden.

3.3 In Anwendung des Gesetzes über die Ausübung des Handels getroffene
Entscheide sind mit Beschwerde gemäss dem Gesetz über die
Verwaltungsrechtspflege anfechtbar (Art. 5 Abs. 1 HAG/FR). Gemäss Art. 78
Abs. 2 VRG/FR kann die Unangemessenheit - die beim Widerruf bzw. bei der
Abänderung von Bewilligungen betreffend Geschäftsöffnungszeiten mit Blick auf
allenfalls besondere branchenspezifische oder örtliche Verhältnisse und
Bedürfnisse eine wesentliche Rolle spielt - vor dem Verwaltungsgericht in der
hier in Frage stehenden Streitsache jedoch nicht gerügt werden, da keine der
in dieser Bestimmung erwähnten Ausnahmen zutrifft.

Indem der Staatsrat der Beschwerdeführerin, obschon er mit seinem Entscheid
die Verfügung der Gemeinde betreffend die Öffnungszeiten des Tankstellenshops
der Beschwerdeführerin geändert hat, diese vor seinem Entscheid nicht
angehört hat, hat er offensichtlich Art. 57 Abs. 1 VRG/FR verletzt. Da das
Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall im Beschwerdeverfahren nicht volle
Überprüfungsbefugnis hat, kommt eine Heilung dieses schweren Mangels - die
ohnehin die Ausnahme bilden muss (BGE 127 V 431 E. 3d/aa, S. 437; Urteil
1A.60/2002 vom 10. September 2002 E. 2) - grundsätzlich nicht in Frage (vgl.
BGE 122 II 274 E. 6, S. 285). Dies umso weniger, als in Bewilligungsverfahren
mit grosser Tragweite für die Betroffenen diesbezüglich hohe Anforderungen zu
stellen sind (vgl. BGE 128 V 272 E. 5b, S. 279 f.) Der Entscheid des
Staatsrates wird daher - prima facie - mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
wegen Verletzung des Anspruches der Beschwerdeführerin auf Gewährung des
rechtlichen Gehörs, der formellen Charakter hat, ungeachtet der
Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selber aufzuheben sein (vgl.
Thomas Merkli/Arthur Aeschlimann/Ruth Herzog, Kommentar zum Gesetz über die
Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, N 4 und 16 zu Art. 21
VRPG/BE). Das Verwaltungsgericht hat dies nicht beachtet und damit einen
wesentlichen Gesichtspunkt ausser Acht gelassen.

4.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen gutzuheissen und der angefochtene
Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben.

Bei diesem Ausgang sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine Kosten zu
erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Der Staatsrat des Kantons Freiburg hat der
Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine
Parteientschädigung auszurichten (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg vom 4. November 2003
wird aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Staatsrat des Kantons Freiburg hat der Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- zu
entrichten.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Staatsrat und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg sowie der Gemeinde B.________
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. Januar 2004

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: