Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.307/2003
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2003
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2003


2P.307/2003 /leb

Urteil vom 11. Mai 2004
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Müller, Merkli,
Gerichtsschreiberin Müller.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dieter Studer,

gegen

Departement für Justiz und Sicherheit
des Kantons Thurgau, 8500 Frauenfeld,
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Frauenfelderstrasse 16, 8570
Weinfelden.

Art. 9 BV, Art. 8 EMRK (Familiennachzug),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom

15. Oktober 2003.

Sachverhalt:

A.
Der aus Mazedonien stammende, am **. ** 1964 geborene  X.________ arbeitete
ab 1986 als Saisonnier in der Schweiz; im Jahre 1991 wurde seine
Saisonbewilligung in eine ordentliche Aufenthaltsbewilligung umgewandelt. Am
21. Juli 1994 ersuchte X.________ die Fremdenpolizei des Kantons Thurgau um
Nachzug seiner ebenfalls aus Mazedonien stammenden, am **. ** 1962 geborenen
Ehefrau Y.________, geb. Z.________ sowie der am **. ** 1983 geborenen
Tochter A.________, des am **. ** 1987 geborenen Sohnes B.________ und des am
**. ** 1991 geborenen Sohnes C.________ Am 3. Januar 1995 ermächtigte die
Fremdenpolizei des Kantons Thurgau die Schweizer Vertretung in Sofia zur
Visumserteilung an die Familie.

B.
Anlässlich einer Besprechung vom 21. Dezember 1999 bestätigte X.________
gegenüber der Fremdenpolizei, dass seine Kinder nie in der Schweiz zur Schule
gegangen seien; er berichtete, dass sie in Mazedonien bei ihren Grosseltern
väterlicherseits lebten und dort ununterbrochen die Schule besuchten, aber
manchmal während der Schulferien in der Schweiz weilten. Seine Ehefrau sei in
den letzten Jahren immer zwischen Mazedonien und der Schweiz hin- und
hergereist; im Jahre 1999 habe sie sich gerade knapp zwei Monate in der
Schweiz aufgehalten. Mit Verfügung vom 16. Februar 2000 verweigerte die
Fremdenpolizei des Kantons Thurgau daraufhin die Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligungen der Ehefrau und der drei Kinder von X.________.

C.
Mit Schreiben vom 8. Januar 2002 wandte sich der Arzt von X.________, Dr.
med. D.________, an die Fremdenpolizei und bat diese darum, ihm mitzuteilen,
ob seinem Patienten den Familiennachzug bewilligt werden könnte. Er erklärte,
X.________ leide unter einem vollständigen Nierenversagen und müsse sich seit
Ende des Jahres 2001 regelmässig einer Dialysebehandlung im Spital
unterziehen; er sei für eine Nierenspende vorgesehen, und mit Schreiben vom
7. Februar 2002 stellte er für seinen Patienten ein Familiennachzugsgesuch.
Er ersuchte ferner darum, ihm mitzuteilen, weshalb X.________ noch keine
Niederlassungsbewilligung erteilt worden sei, obwohl er schon über zehn Jahre
über eine ordentliche Aufenthaltsbewilligung verfüge. Am 11. März 2002
ersuchte X.________ selber die Fremdenpolizei um Nachzug seiner Familie. Mit
Schreiben vom 25. April 2002 teilte die Fremdenpolizei X.________ mit, die
älteste Tochter A.________ könne schon deshalb nicht nachgezogen werden, weil
sie das 18. Altersjahr schon überschritten habe; im Übrigen seien auch die
für den Rest der Familie die Voraussetzungen für einen Familiennachzug nicht
erfüllt. Hierauf verlangte X.________ eine beschwerdefähige Verfügung, nahm
aber die Tochter A.________ vom Nachzugsgesuch aus. Mit Verfügung vom 6. Juni
2002 wies die mittlerweile in Ausländeramt umbenannte Fremdenpolizei des
Kantons Thurgau das Gesuch ab. Dagegen erhob X.________ am 26. Juni 2002
Rekurs beim Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau. Dieses
wies den Rekurs mit Entscheid vom 7. August 2003 ab. Die dagegen erhobene
Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom
15. Oktober 2003 teilweise gut und bewilligte X.________ den Nachzug seiner
Ehefrau; im Übrigen wies es die Beschwerde ab.

D.
Dagegen hat X.________ am 1. Dezember 2003 beim Bundesgericht
staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er beantragt, den Entscheid des
Verwaltungsgerichts teilweise aufzuheben und das Ausländeramt des Kantons
Thurgau anzuweisen, den Kindern C.________ (geb. **. ** 1991) und B.________
(geb. **. ** 1987) eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.

Das Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau beantragt die
Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
beantragt, die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden könne. Das Bundesamt für Zuwanderung, Integration und
Auswanderung beantragt, auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht
einzutreten.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer hat staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Dieses
Rechtsmittel setzt - neben der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs (Art.
86 OG) - voraus, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch
Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer anderen Bundesbehörde
gerügt werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG; absolute Subsidiarität der
staatsrechtlichen Beschwerde). Zu prüfen ist daher zunächst, ob nicht die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss Art. 97 ff. OG zur Verfügung steht (BGE
127 II 161 E. 1 S. 164, mit Hinweisen).

1.2 Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist gemäss Art. 97 OG in Verbindung mit
Art. 5 VwVG zulässig gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des
Bundes stützen oder hätten stützen sollen, sofern sie von einer der in Art.
98 f. OG genannten Vorinstanzen erlassen worden sind und keiner der in Art.
99 ff. OG oder in der Spezialgesetzgebung vorgesehenen Ausschlussgründe
vorliegt (BGE 127 II 161 E. 1a S. 164).

Art. 100 Abs. 1 lit. b OG schliesst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem
Gebiet der Fremdenpolizei aus gegen die Erteilung oder Verweigerung von
Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. Gemäss Art.
4 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der
Ausländer (ANAG; SR 142.20) entscheidet die zuständige Behörde, im Rahmen der
gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland, nach freiem
Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt und Niederlassung. Es besteht
damit grundsätzlich kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung,
es sei denn, der Ausländer oder seine in der Schweiz lebenden Angehörigen
könnten sich auf eine Sondernorm des Bundesrechts oder eines Staatsvertrags
berufen (BGE 128 II 145 E. 1.1.1; 127 II 161 E. 1a S. 164, je mit Hinweisen).

2.
2.1 Kein Anspruch lässt sich vorliegend aus dem schweizerischen Gesetzesrecht
ableiten: Der Beschwerdeführer verfügt zwar seit 1991 über eine
Jahresaufenthaltsbewilligung; eine Niederlassungsbewilligung wurde ihm aber
bisher nicht erteilt. Er kann sich daher für den Nachzug von Ehefrau und
Kindern nicht auf Art. 17 Abs. 2 ANAG berufen.

2.2 Unter gewissen Bedingungen lässt sich aus dem Recht auf Achtung des
Familienlebens ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung
ableiten. Es kann Art. 8 EMRK verletzen, wenn einem Ausländer, dessen
Familienangehörige in der Schweiz weilen, die Anwesenheit in der Schweiz
untersagt wird. Vorausgesetzt wird nach ständiger bundesgerichtlicher
Rechtsprechung, dass der hier weilende Familienangehörige selber ein
gefestigtes Anwesenheitsrecht hat. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn
dieser über das Schweizer Bürgerrecht oder eine Niederlassungsbewilligung
verfügt, sondern auch dann, wenn er eine Aufenthaltsbewilligung hat, die
ihrerseits auf einem festen Rechtsanspruch beruht. Soweit im Übrigen die
familiäre Beziehung tatsächlich gelebt wird und intakt ist, wird das der
zuständigen Behörde durch Art. 4 ANAG grundsätzlich eingeräumte freie
Ermessen eingeschränkt; in solchen Fällen ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde des um die fremdenpolizeiliche Bewilligung
ersuchenden Ausländers oder seiner hier anwesenden Angehörigen zulässig (BGE
126 II 377 E. 2b S. 382, mit Hinweisen).

2.3 Der Beschwerdeführer kann sich nach dem Gesagten im Hinblick auf den
Familiennachzug nur dann auf Art. 8 EMRK berufen, wenn er selber mindestens
einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung hat.

Einen solchen Anspruch kann der Beschwerdeführer aus dem innerstaatlichen
Recht nicht ableiten. Ebenso wenig kann er sich für sein eigenes
Anwesenheitsrecht auf den Anspruch auf Achtung des Familienlebens gemäss Art.
8 EMRK berufen.

2.4 Es stellt sich die Frage, ob der Beschwerdeführer sich allenfalls auf den
ebenfalls aus Art. 8 EMRK abgeleiteten Anspruch auf Achtung des Privatlebens
stützen kann:

Dem Recht auf Achtung des Privatlebens kann in ausländerrechtlichen Fällen
grundsätzlich eine (selbständige) Auffangfunktion gegenüber dem engeren
Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens zukommen, wenn
qualifizierte Familienbande nicht oder nicht mehr bestehen. Aus dem Recht auf
Achtung des Privatlebens geradezu ein Anwesenheitsrecht abzuleiten, fällt
nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung aber höchstens dann in Betracht,
wenn besonders intensive private Beziehungen in Frage stehen (BGE 126 II 377
E. 2c S. 384 f., mit Hinweis auf BGE 120 Ib 16 E. 3b S. 21 f., sowie auf den
eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft betreffenden BGE 126 II 425).

In einem nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlichten Urteil vom 3.
November 1994 hat das Bundesgericht festgehalten, dass eine rund
sechzehnjährige Anwesenheit in der Schweiz und die damit verbundenen üblichen
privaten Beziehungen allein noch keinen Anspruch auf eine Bewilligung
begründen (2P.253/1994, E. 2b).

2.5 Der Beschwerdeführer verfügt zwar seit dreizehn Jahren über eine
ordentliche Aufenthaltsbewilligung und verbrachte schon vorher als Saisonnier
mehrere Monate pro Jahr in der Schweiz. Besonders starke Bindungen zu diesem
Land im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die über die üblichen
sozialen Kontakte hinausgehen und einen Rechtsanspruch auf eine
Aufenthaltsbewilligung entstehen lassen könnten, sind aber nicht ersichtlich.
Der Beschwerdeführer ist im Gegenteil noch sehr stark mit seinem Heimatland
verbunden, das er erst im Alter von 22 Jahren verlassen hat. Für seine starke
Verbundenheit mit seinem Heimatland spricht unter anderem die Tatsache, dass
er, obwohl ihm der Familiennachzug zugestanden worden war, seine Kinder
weiterhin in Mazedonien unterrichten liess, und dass auch seine Ehefrau sich
mehrheitlich in Mazedonien aufhielt.

Der Beschwerdeführer hat nach dem Gesagten keine Bindungen zu der Schweiz,
die so intensiv wären, dass er daraus gestützt auf Art. 8 Ziff. 1 EMRK einen
Anspruch auf Achtung des Privatlebens ableiten könnte.

2.6 Nachdem der Beschwerdeführer kein gefestigtes Anwesenheitsrecht in der
Schweiz und damit keinen Anspruch auf Familiennachzug hat, ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zulässig.

3.
3.1 Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Ausländer, der
gegen die Verweigerung einer Anwesenheitsbewilligung wegen Art. 100 Abs. 1
lit. b Ziff. 3 OG keine Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergreifen kann, auch
nicht zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert, weil er nicht über ein
rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 88 OG verfügt (BGE 118 Ib
145 E. 6 S. S. 153). Das gilt auch für die Rüge, das Willkürverbot (ehemals
aus Art. Art. 4 aBV abgeleitet; heute Art. 9 BV) sei verletzt; das
Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 am 1. Januar 2000
hat daran nichts geändert (dazu ausführlich BGE 126 I 81 ff.).
3.2 Der Beschwerdeführer kann aber, unabhängig vom Vorliegen eines
Rechtsanspruches und damit auch ohne Legitimation in der Sache (Art. 88 OG),
den Entscheid der angerufenen kantonalen Gerichtsinstanz wegen Verletzung von
Verfahrensgarantien anfechten, deren Missachtung eine formelle
Rechtsverweigerung darstellt (BGE 127 II 161 E. 3b S. 167; grundlegend: BGE
114 Ia 307 E. 3c S. 312 f.).

Damit kann der Beschwerdeführer, der in der Sache nicht berechtigt ist, dem
aber im kantonalen Verfahren Parteistellung zukam, beispielsweise geltend
machen, auf ein Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden, er sei
nicht angehört worden, habe keine Gelegenheit gehabt, Beweisanträge zu
stellen, oder er habe nicht Akteneinsicht nehmen können. Hingegen kann er
weder die Würdigung der beantragten Beweise noch die Tatsache, dass seine
Anträge wegen Unerheblichkeit oder aufgrund vorweggenommener Beweiswürdigung
abgelehnt wurden, rügen. Die Beurteilung dieser Fragen kann nämlich nicht von
der Prüfung der Sache selber getrennt werden; auf eine solche hat der in der
Sache selbst nicht Legitimierte keinen Anspruch (BGE 114 Ia 307 E. 3c S. 313,
mit Hinweis).

3.3 Solche Rügen erhebt der Beschwerdeführer nicht, jedenfalls nicht in einer
den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 OG genügenden Weise. Er macht zwar
geltend, das Verwaltungsgericht habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt,
indem es aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer nicht behauptet hatte,
die Kinder könnten nicht durch die Grosseltern betreut werde, geschlossen
habe, eine Betreuung durch die Grosseltern wäre möglich; er habe aber
angesichts der Sachverhaltsdarstellung im Entscheid des Departements für
Justiz und Sicherheit gar keinen Anlass gehabt, zu der Betreuungssituation
durch die Grosseltern Stellung zu nehmen.

Inwiefern das Verwaltungsgericht damit seine verfassungsmässigen Rechte
verletzt haben soll, legt der Beschwerdeführer jedoch nicht rechtsgenüglich
dar.

3.4 Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher nicht einzutreten.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 153 und
Art. 153a OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Departement für Justiz und
Sicherheit und dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau sowie dem Bundesamt
für Zuwanderung, Integration und Auswanderung schriftlich zugestellt.

Lausanne, 11. Mai 2004

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: