Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.292/2003
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2P.292/2003 /leb

Beschluss vom 19. Dezember 2003
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Müller, Merkli,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.

1. A.X.________,

2. B.X.________,
Beschwerdeführer,
beide vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur.
Christian Schroff,

gegen

Departement für Justiz und Sicherheit
des Kantons Thurgau, 8500 Frauenfeld,
Regierungsrat des Kantons Thurgau, Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld.

Art. 29 BV, Art. 6 und 8 EMRK (Rechtsverzögerung/Familiennachzug),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrats des
Kantons Thurgau vom 21. Oktober 2003.

Das Bundesgericht stellt fest und zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 13. August 2002 ersuchte die aus Italien stammende, hier über eine
Niederlassungsbewilligung verfügende B.X.________ um die Erteilung einer
Aufenthaltsbewilligung für ihren italienisch-türkischen Ehemann A.X.________.
Das Ausländeramt des Kantons Thurgau lehnte dies am 7. November 2002 ab, da
die Eheschliessung rechtsmissbräuchlich erfolgt sei und mit Blick auf die von
A.X.________ in Italien verbüsste Freiheitsstrafe (5 ½ Jahre im Zusammenhang
mit Drogendelikten) ein erhebliches sicherheitspolizeiliches Interesse an
dessen Fernhaltung bestehe. Hiergegen gelangten die Ehegatten X.________ am
19. November 2002 an das Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons
Thurgau. Am 21. Oktober 2003 wies der Regierungsrat des Kantons Thurgau eine
gegen dieses gerichtete Rechtsverzögerungsbeschwerde ab.

1.2 A.X.________ und B.X.________ haben hiergegen am 14. November 2003 beim
Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, den
regierungsrätlichen Entscheid aufzuheben und das Departement für Justiz und
Sicherheit anzuweisen, A.X.________ die Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.
Am 16. Dezember 2003 teilten A.X.________ und B.X.________ dem Gericht mit,
dass das Departement für Justiz und Sicherheit am 11. Dezember 2003
entschieden habe, womit das aktuelle und praktische Interesse an ihrer
Eingabe nachträglich dahingefallen sei; es müsse demnach "bloss noch der
Kostenentscheid" gefällt werden.

2.
2.1
Rechtsmittel an das Bundesgericht setzen grundsätzlich - in materieller wie
formeller Hinsicht - ein aktuelles praktisches Interesse an der Beurteilung
der Eingabe voraus (Art. 88 bzw. Art. 103 lit. a OG; BGE 128 I 136 E. 1.3 S.
139; 121 I 279 E. 1 S. 281/282; 118 Ia 488 E. 2a S. 492). Fällt das
schutzwürdige Interesse im Laufe des Verfahrens dahin, wird die Sache als
erledigt erklärt (vgl. Art. 40 OG in Verbindung mit Art. 72 BZP); fehlte es
schon bei Beschwerdeeinreichung, ist auf die Eingabe nicht einzutreten (BGE
118 Ib 1 E. 2 S. 7).

2.2 Das Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau hat am 11.
Dezember 2003 den als verzögert gerügten Rekursentscheid getroffen, womit das
aktuelle Interesse der Beschwerdeführer nachträglich dahingefallen ist, ohne
dass es sich rechtfertigen würde, ausnahmsweise auf dieses zu verzichten
(vgl. BGE 127 I 164 E. 1a S. 166; 111 Ib 56 E. 2b S. 59, 182 E. 2c S. 185).
Die Rechtsverzögerungsbeschwerde zielt auf die verbindliche Anweisung an die
entscheidende Instanz ab, die Sache an die Hand zu nehmen. Tut sie dies
während des hängigen Verfahrens, besteht für das Bundesgericht in der Regel
keine Veranlassung, die entsprechende Rüge noch zu prüfen. Die Frage nach der
angemessenen Dauer eines Verfahrens ist derart einzelfallbezogen, dass sie
sich kaum je unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellt (vgl. die
Urteile 2A.219/1996 vom 11. Juli 1996, E. 2, und 2P.403/1995 vom 22. April
1997, E. 2). Das vorliegende Verfahren ist somit antragsgemäss als
gegenstandslos abzuschreiben.

3.
3.1 Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen
Interesses dahin, entscheidet das Bundesgericht mit summarischer Begründung
über die Prozesskosten aufgrund der Sachlage vor Eintritt des
Erledigungsgrunds (Art. 40 OG in Verbindung mit Art. 72 BZP). Dabei geht es
nicht darum, die Prozessaussichten im Einzelnen zu prüfen und dadurch weitere
Umtreibe zu verursachen; vielmehr muss es bei einer knappen Beurteilung der
Aktenlage sein Bewenden haben. Auf dem Weg über den Kostenentscheid soll
nicht ein materielles Urteil gefällt und unter Umständen der Entscheid in
einer heiklen Rechtsfrage vorweggenommen werden (vgl. BGE 118 Ia 488 E. 4a S.
494).

3.2
3.2.1Nach Art. 29 Abs. 1 BV hat jede Person Anspruch darauf, dass die
zuständige Behörde ihren Entscheid innert angemessener Frist trifft (vgl. BGE
117 Ia 193 E. 1b S. 196/197). Im Anwendungsbereich des Abkommens vom 21. Juni
1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten
einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die
Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681) ergibt sich die entsprechende Pflicht
aus Art. 11 Abs. 2 FZA (vgl. Stephan Breitenmoser/Michael Isler, Der
Rechtsschutz im Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der
EG sowie den EU-Mitgliedstaaten, in: AJP 9/2002 S. 1003 ff., dort S. 1014 f.;
Marcel Dietrich, Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Europäischen Union
unter Berücksichtigung des schweizerischen Ausländerrechts, Zürich 1995, S.
511 ff.; Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I zum FZA in Verbindung mit Art. 5 - 8 der
Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der
Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit
sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit
gerechtfertigt sind, ABl. Nr. 56, 1964, S. 850 ff.). Was im Einzelfall noch
als angemessen gelten kann, beurteilt sich nach der Art des Verfahrens, der
Bedeutung der Angelegenheit, dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und der
zur Beurteilung zuständigen Behörde sowie nach den weiteren Umständen des
Einzelfalles (BGE 117 Ia 193 E. 1c S. 197; 107 Ib 160 E. 3c S. 165).

3.2.2 In Anwendung dieser Kriterien wäre die vorliegende Beschwerde
vermutlich abzuweisen gewesen: Die Beschwerdeführer ersuchten am 13. August
2002 um die strittige Bewilligung, welche ihnen rund drei Monate später
verweigert wurde. Am 19. November 2002 rekurrierten sie hiergegen an das
Departement für Justiz und Sicherheit. Im Zeitpunkt ihrer
Rechtsverzögerungsbeschwerde bzw. des entsprechenden Entscheids des
Regierungsrats hatte das Rekursverfahren rund sieben bzw. elf Monate
gedauert. Mit Blick darauf, dass der Fall in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht doch von einer gewissen Komplexität war (Vorliegen einer Scheinehe,
Anwendung der Richtlinie 64/221/EWG), durfte der Regierungsrat ohne
Verletzung von Bundes(verfassungs)recht noch davon ausgehen, dass die
Verfahrensdauer im Zeitpunkt seines Entscheids, wenn auch etwas lang, so doch
noch "angemessen" war. Dem Beschwerdeführer 1 wurde der Aufenthalt für Dauer
des Rekursverfahrens bewilligt, womit er die familiäre Beziehung zu seiner
Frau hier leben konnte (Art. 8 EMRK); es bestand deshalb auch insofern keine
Notwendigkeit, das Verfahren vorrangig zu behandeln. Soweit der
Beschwerdeführer 1 darauf hinweist, dass er wegen der Verfahrensdauer länger
als zumutbar arbeitslos geblieben sei, verkennt er, dass er auch bei einem
früheren Verfahrensabschluss, falls dieser positiv ausgefallen wäre, unter
Umständen nicht sofort eine Arbeitsstelle gefunden hätte. Schliesslich geht
sein Hinweis auf Art. 6 EMRK fehl, da die entsprechende Konventionsgarantie
auf ausländerrechtliche Verfahren praxisgemäss keine Anwendung findet
(Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 26.
Juni 1996, in: VPB 1997 Nr. 121 S. 1009; Haefliger/Schürmann, Die Europäische
Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 2. Aufl., Bern 1999, S. 147).

3.2.3 Die Beschwerdeführer haben unter diesen Umständen die Verfahrenskosten
zu tragen (Art. 156 Abs. 1 und Abs. 6 in Verbindung mit Art. 153 und Art.
153a OG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (vgl. Art. 159 Abs. 2
OG).

Demnach beschliesst das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird als gegenstandslos abgeschrieben.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

3.
Dieser Beschluss wird den Beschwerdeführern, dem Departement für Justiz und
Sicherheit sowie dem Regierungsrat des Kantons Thurgau schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 19. Dezember 2003

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: