Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.242/2003
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2P.242/2003 /leb

Urteil vom 12. Januar 2004
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Bundesrichter Müller, Bundesrichterin Yersin,
Bundesrichter Merkli,
Gerichtsschreiber Häberli.

X. ________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Einwohnergemeinde Dornach, vertreten durch die Sozialhilfekommission,
Departement des Innern des Kantons Solothurn, Ambassadorenhof, 4509
Solothurn,
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn,
Amthaus 1, 4502 Solothurn.

Sozialhilfe,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Solothurn vom

2. Juli 2003.

Sachverhalt:

A.
Seit 1. Februar 2003 wohnt X.________ zusammen mit G.________ und der
gemeinsamen Tochter in Dornach (SO), wo sie um die Gewährung von
Sozialhilfebeiträgen ab 1. März 2003 ersuchte. Die Gemeinde Dornach
beurteilte dieses Begehren abschlägig, weil die Gesuchstellerin mit
G.________ in einem stabilen Konkubinat lebe und Letzterer ein monatliches
Einkommen von Fr. 5'100.-- erziele (Verfügung der Sozialhilfekommission vom
13. Februar 2003). Hiergegen beschwerte sich X.________ erfolglos beim
Departement des Innern des Kantons Solothurn (Verfügung vom 17. April 2003)
und beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (Entscheid vom 2. Juli
2003).

B.
Am 18. Juli 2003 hat X.________ beim Bundesgericht "Beschwerde" eingereicht
mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben. Sie rügt sinngemäss
eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV).

Das Departement des Innern und das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn
schliessen auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Angefochten ist ein auf dem kantonalen Sozialhilferecht beruhender kantonal
letztinstanzlicher Endentscheid (vgl. Art. 87 OG), wogegen als Rechtsmittel
auf Bundesebene einzig die staatsrechtliche Beschwerde in Frage kommt (vgl.
Art. 84 Abs. 2 OG), weshalb die Eingabe der Beschwerdeführerin als solche
entgegen zu nehmen ist. Das gemäss Art. 88 OG erforderliche rechtlich
geschützte Interesse ist bei einem Streit über Fürsorgeleistungen nur
insoweit gegeben, als dem Betroffenen ein verfassungsrechtlicher oder
gesetzlicher Anspruch auf Sozialhilfe zusteht. Weil das Solothurner
Sozialhilfegesetz vom 2. Juli 1989 (SHG) - das Erfüllen der allgemeinen
gesetzlichen Anforderungen vorausgesetzt - einen Rechtsanspruch auf
Fürsorgeleistungen gewährt (vgl. §§ 12, 17 Abs. 1 u. 27 ff. SHG), ist die
Beschwerdeführerin zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert.

2.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, die Beschwerdeführerin lebe
unbestrittenermassen seit mehr als zwei Jahren mit ihrem Partner und dem
gemeinsamen Kind zusammen. Nach der kantonalen Praxis liege mithin ein
stabiles Konkubinat vor, weshalb für die sozialhilferechtliche
Bedarfsberechnung von einer dreiköpfigen Familie auszugehen sei. Die
Beschwerdeführerin rügt, diese Sachverhaltsfeststellung sei offensichtlich
falsch und damit willkürlich, lebe sie doch erst seit März 2002 mit
G.________ zusammen; sie sei von den Solothurner Behörden auch gar nie zur
Dauer des Konkubinatsverhältnisses befragt worden.

2.1 Ein Verstoss gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) liegt vor, wenn eine
Behörde ihrem Entscheid Tatsachenfeststellungen zugrunde legt, die mit den
Akten in klarem Widerspruch stehen, oder wenn die Beweiswürdigung
offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, auf einem offensichtlichen Versehen beruht oder in
stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (vgl. BGE 118 Ia 28
E. 1b S. 30, mit Hinweisen).

2.2 Die Sozialhilfe ist subsidiärer Natur und wird grundsätzlich nur
geleistet, soweit der Bedürftige sich nicht selbst helfen oder Hilfe von
Familie oder Dritten verlangen kann (§ 17 f. SHG; Felix Wolffers, Grundriss
des Sozialhilferechts, 2. Auflage, Bern 1999, S. 71). Durch Beratung,
Betreuung, Vermittlung von Dienstleistungen und - soweit erforderlich - auch
wirtschaftliche Hilfe sollen Personen, die in Not geraten sind, wieder in die
Lage kommen, in geordneten Verhältnissen, eigenverantwortlich und ohne
Unterstützung durch die Gesellschaft zu leben (vgl. § 1 Abs. 2 u. 3 SHG). Die
finanziellen Zuschüsse der Sozialhilfe dienen demnach zur Überbrückung von
Notlagen (vgl. § 12 SHG) und sollen kein über längere Zeit fliessendes
Ergänzungs- oder Mindesteinkommen darstellen.

2.3 Das Konkubinat führt zwar zu keinen rechtlichen Unterhalts- und
Beistandsansprüchen zwischen den Partnern (BGE 129 I 1 E. 3.2.4 S. 6, mit
Hinweis; vgl. auch BGE 106 II 1 E. 2 S. 4); die zivilrechtliche Praxis im
Bereich des alten Scheidungsrechts gewährte dem Unterhaltsschuldner aber
dennoch einen Anspruch auf Aufhebung der Scheidungsrente, wenn dessen Exgatte
in einem gefestigten Konkubinat lebte (BGE 124 III 52 E. 2a/aa S. 54, mit
Hinweisen; vgl. auch Adolf Lüchinger/Thomas Geiser, in: Basler Kommentar, N
20 zu Art. 153 ZGB). Entscheidend war dabei nicht, ob das Konkubinat als
eheähnliche Gemeinschaft gleiche wirtschaftliche Sicherheit wie die Ehe bot,
sondern allein, ob die Bindung zwischen den beiden Partnern derart eng war,
dass sich diese gegenseitig so beistanden, wie sie es gemäss Art. 159 ZGB
hätten tun müssen, wenn sie verheiratet gewesen wären (BGE 116 II 394 E. 3 S.
397 f.). Ein entsprechend enges Verhältnis wurde ab dem Zeitpunkt vermutet,
in welchem das Konkubinat fünf Jahre angedauert hatte (vgl. BGE 114 II 295 E.
1b S. 298). Der Gedanke, welcher dieser Praxis zugrunde lag, lässt sich in
das Sozialhilferecht übertragen: Lebt der Bedürftige in einer stabilen
Konkubinatsbeziehung, so darf dieser Umstand (willkürfrei) bei der Ermittlung
seines Unterstützungsbedarfs berücksichtigt werden, auch wenn ein Konkubinat
keine klagbaren Ansprüche auf finanzielle Unterstützung begründet. Es darf
insoweit von einer gegenseitigen Unterstützung der Konkubinatspartner
ausgegangen werden. Dieses Ergebnis entspricht der neusten Praxis, wonach die
finanziellen Verhältnisse des Konkubinatspartners beim Entscheid über die
Alimentenbevorschussung berücksichtigt werden dürfen. Zwar ist es vor dem
Willkürverbot nicht haltbar, das Einkommen des Partners allein deswegen
anzurechnen, weil das Paar vorübergehend zusammenlebt; unter der
Voraussetzung, dass ein stabiles Konkubinat besteht, ist die Berücksichtigung
beider Einkommen jedoch zulässig (BGE 129 I 1 E. 3.2.4 S. 7).

2.4 Wenn ein Paar ein gemeinsames Kind hat und eine gemeinsame Wohnung
bezieht, so lebt es eigentlich als Familie zusammen. Übernimmt der eine
Partner die Besorgung des Haushalts und die Kinderbetreuung, während der
andere einer Erwerbstätigkeit nachgeht, so besteht zudem eine klare
Rollenteilung. Die Frage, ob der haushaltsführende Partner wirtschaftliche
Not leidet und der Unterstützung durch die Allgemeinheit bedarf, lässt sich
bei solchen Gegebenheiten nicht unabhängig von den finanziellen Verhältnissen
des erwerbstätigen Partners beurteilen; es drängt sich geradezu auf, für die
Beurteilung des Anspruchs des Ersteren auf Sozialhilfe die Einkünfte beider
Partner zu berücksichtigen. Mit Blick hierauf ist es von Verfassungs wegen
nicht zu beanstanden, wenn eine Konkubinatsbeziehung, sobald das Paar mit
einem gemeinsamen Kind zusammenlebt, für den Bereich der Sozialhilfe als
"stabil" oder "gefestigt" betrachtet wird, ohne dass weitere Voraussetzungen
- insbesondere hinsichtlich der Dauer des Konkubinats - erfüllt sind. Es
verstösst, wenn das Paar mit einem gemeinsamen Kind zusammenlebt, nicht gegen
das Willkürverbot, für die Prüfung des Sozialhilfeanspruchs von Mutter und
Kind die Einkommen beider Partner zu addieren.

2.5 Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn vertritt, wie aus den
Erwägungen seines Urteils (S. 9 Erw. 3b) hervorgeht, demgegenüber die
Auffassung, dass bei Konkubinatspaaren generell - d.h. auch bei Paaren mit
gemeinsamen Kindern - erst nach einem zweijährigen Zusammenwohnen ein
stabiles Konkubinat anzunehmen sei, weshalb erst ab diesem Zeitpunkt dem
Bedürftigen das gesamte Einkommen seines Partners angerechnet werden dürfe.
Einer solchen weitergehenden Praxis steht verfassungsrechtlich nichts
entgegen. Danach würde vorliegend die volle Berücksichtigung des Einkommens
von G.________, wovon das angefochtene Urteil denn auch ausgeht, aber
voraussetzen, dass dieser und die Beschwerdeführerin bereits während zwei
Jahren in einem gemeinsamen Haushalt zusammengelebt haben. Entgegen der
Auffassung des Verwaltungsgerichts ist Entsprechendes hier nicht erstellt:
Aufgrund der vorliegenden Akten ist im Gegenteil davon auszugehen, dass die
Partner - wie die Beschwerdeführerin vorbringt - erst seit März 2002 über
eine gemeinsame Wohnung verfügen. Die Sozialhilfebehörde der Stadt Basel hat
für die Bedarfsberechnung der Beschwerdeführerin nämlich erst ab April 2002
eine Haushaltsentschädigung von G.________ berücksichtigt (vgl. Verfügungen
vom 8. und 19. März 2002). Demgegenüber findet sich für die Annahme des
Verwaltungsgerichts, das Konkubinat bestehe schon länger als zwei Jahre,
keine Stütze: Die Einwohnergemeinde Dornach ist in ihrer abschlägigen
Verfügung ohne Begründung und offenbar ohne Abklärungen einfach davon
ausgegangen, dass ein "stabiles Konkubinat" vorliege. Diese Annahme wurde in
der Folge von den Rechtsmittelinstanzen ungeprüft übernommen, wobei erst der
angefochtene Verwaltungsgerichtsentscheid die Kriterien der kantonalen Praxis
für die Annahme eines Konkubinats und dessen Bedeutung für den Anspruch auf
Sozialhilfe deutlich zum Ausdruck brachte. Unter diesen Umständen kann von
einer unbestrittenen Tatsache keine Rede sein; die Feststellung, die
Beschwerdeführerin lebe seit mehr als zwei Jahren mit G.________ zusammen und
erfülle demnach die Voraussetzungen für ein stabiles Konkubinat im Sinne der
kantonalen Praxis, steht vielmehr in klarem Widerspruch zu den (verfügbaren)
Akten und verstösst mithin gegen das Willkürverbot.

3.
Nach dem Gesagten ist die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen und der
angefochtene Entscheid aufzuheben. Es wird Sache des Verwaltungsgerichts
sein, den Sachverhalt, soweit erforderlich, näher abzuklären (oder abklären
zu lassen) und auf korrekter Grundlage über den Streitfall neu zu
entscheiden.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Gemeinde Dornach, um deren
Vermögensinteressen es letztlich geht, kostenpflichtig (vgl. Art. 156 Abs. 1
u. Abs. 2 OG). Parteientschädigung ist keine auszurichten, zumal die
obsiegende Beschwerdeführerin nicht anwaltlich vertreten ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 2. Juli 2003 aufgehoben.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Gemeinde Dornach auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Sozialhilfekommission der
Gemeinde Dornach und dem Departement des Innern sowie dem Verwaltungsgericht
des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Januar 2004

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: