Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.232/2003
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2P.232/2003 /kil

Urteil vom 23. September 2003
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Bundesrichterin Yersin,
Gerichtsschreiber Feller.

A. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Eric Stern,
Beethovenstrasse 24, 8002 Zürich,

gegen

Regierungsrat des Kantons Thurgau, Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld

Art. 29 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung
betr. Niederlassungsbewilligung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrats des
Kantons Thurgau vom 1. Juli 2003.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die mazedonische Staatsangehörige A.________, geboren 1978, reiste 1984
im Alter von sechs Jahren mit ihren Eltern in die Schweiz ein und wuchs in
B.________, Kanton Thurgau, auf. Im Laufe der Zeit wurde ihr die
Niederlassungsbewilligung erteilt. Am 25. März 2000 reiste sie mit ihrem aus
Kosovo stammenden Verlobten, von welchem sie schwanger war, nach Pristina. Im
August 2000 gebar sie eine Tochter. Ende August 2000 deponierte ihr Vater bei
der Einwohnerkontrolle B.________ ein Schreiben, worin die mittlerweile
verheiratete A.________ auf mit der Geburt verbundene gesundheitliche
Probleme und auf die dadurch bedingte vorläufige Unmöglichkeit der Rückreise
in die Schweiz hinwies.

Als A.________ (offenbar im März 2001) in die Schweiz zurückreisen wollte,
wurde ihr bedeutet, dass die Niederlassungsbewilligung wegen einer mehr als
sechs Monate dauernden Landesabwesenheit erloschen sei. Am 26. April 2001
ersuchte sie formell um erneute Ausstellung der Niederlassungsbewilligung.
Das Ausländeramt des Kantons Thurgau lehnte das Gesuch am 22. Mai 2001 ab;
ebenso wies das Departement für Justiz- und Sicherheit des Kantons Thurgau
den gegen diese Verfügung erhobenen Rekurs am 6. März 2002 ab. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau hiess die gegen den
Departementsentscheid erhobene Beschwerde am 19. Juni 2002 teilweise gut und
wies die Sache zu neuem Entscheid an das Ausländeramt zurück. Dabei hielt es
fest, dass das Schreiben von A.________ von Ende August 2000 als Gesuch um
Verlängerung der Niederlassungsbewilligung i.S. von Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG
zu betrachten sei; das Ausländeramt müsse nun im Hinblick auf eine allfällige
Verlängerung bzw. eine Aufrechterhaltung der Niederlassungsbewilligung
prüfen, ob der Lebensmittelpunkt in den Kosovo verlegt worden sei.

Das Ausländeramt wies das Gesuch um Wiedererteilung der
Niederlassungsbewilligung am 18. Oktober 2002 ab. Am 8. November 2002 erhob
A.________ dagegen Rekurs an das Departement für Justiz und Sicherheit. Am
12. Februar 2003 erkundigte sie sich beim Departement danach, wann mit einem
Rekursentscheid gerechnet werden könne. Am 7. März 2003 stellte sie dem
Departement den Antrag, den Verbleib in der Schweiz pendente lite zu
ermöglichen, welchen das Departement unter Hinweis auf eine bis 20. April
2003 befristete Bewilligung für den Kanton Zürich am 10. März 2003 ablehnte.
Am 11. April 2003 erhob A.________, welche am 20. März 2003 im Kanton Thurgau
eine zweite Tochter geboren hatte, beim Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau eine (Aufsichts-)beschwerde gegen das Departement wegen
Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung. Das Verwaltungsgericht überwies die
Sache zuständigkeitshalber an den Regierungsrat des Kantons Thurgau. Dieser
wies die Aufsichtsbeschwerde am 1. Juli 2003 ab, soweit er darauf eintrat.

1.2 Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 3. September 2003 beantragt
A.________ dem Bundesgericht, den Entscheid des Regierungsrats aufzuheben und
die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie rügt eine
Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV und von Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

Am 5. September 2003 hat das Departement für Justiz und Sicherheit den Rekurs
vom 11. November 2002 abgewiesen; eine Ausfertigung des Rekursentscheids hat
es dem Bundesgericht zukommen lassen. Die Beschwerdeführerin hat sich mit
Eingabe vom 9. September 2003 zu diesem Entscheid geäussert, der ihrer
Auffassung nach das Rechtsschutzinteresse an der Beurteilung des
Rechtsverzögerungsvorwurfs nicht dahinfallen lasse.

Im Übrigen ist weder ein Schriftenwechsel durchgeführt, noch sind andere
Instruktionsmassnahmen angeordnet worden. Das Urteil ergeht im vereinfachten
Verfahren nach Art. 36a OG.

2.
2.1 In verfahrensrechtlicher Hinsicht stellt sich angesichts des der
Beschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreits (Erlöschen bzw. "Verlängerung" der
Niederlassungsbewilligung i.S. von Art. 9 Abs. 3 ANAG) die Frage, ob
allenfalls die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben und damit schon im
kantonalen Verfahren das Verwaltungsgericht zur Beurteilung der
Rechtsverweigerungs- bzw. -verzögerungsrüge zuständig gewesen wäre. Weiter
ist ungewiss, ob nach dem Vorliegen des Rekursentscheids des Departements ein
Rechtsschutzinteresse an der Behandlung der staatsrechtlichen Beschwerde
fortbesteht. Wie es sich damit verhält, mag dahingestellt bleiben, da die
Beschwerde ohnehin offensichtlich unbegründet ist.

2.2 Die Beschwerdeführerin macht eine überlange Verfahrensdauer geltend; sie
rügt dabei eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

2.2.1 In Verfahren betreffend die Einreise, den Aufenthalt und die Ausreise
von Ausländern findet Art. 6 EMRK nach konstanter Rechtsprechung keine
Anwendung (in VPB 2002 116 wiedergegebenes Urteil des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte i.S. Z.S.M. gegen Schweiz vom 26. März 2002;
neuestens Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte i.S.
Mamatuklov gegen Türkei vom 6. Februar 2003 Ziff. 80 und 81; s. auch Urteil
des Bundesgerichts 2A.103/1998 vom 30. September 1998 E. 2). Auf Art. 6 Ziff.
1 EMRK kann sich die Beschwerdeführerin nicht berufen, und die entsprechende
Rüge ist nicht zu hören.

2.2.2 Gemäss Art. 29 Abs. 1 BV hat jede Person in Verfahren vor Gerichts- und
Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf
Beurteilung innert angemessener Frist. Über die Angemessenheit der Dauer
eines Verwaltungsverfahrens lassen sich kaum allgemeingültige Aussagen
machen. Sie ist vielmehr im Einzelfall zu beurteilen. Ein Verfahren wird dann
über Gebühr verzögert, wenn der Entscheid nicht binnen der Frist getroffen
wird, welche nach der Natur und dem Umfang der Sache sowie der Gesamtheit der
übrigen Umstände noch als angemessen betrachtet werden kann (vgl. zu Art. 4
aBV: BGE 125 V 188 E. 2a S. 191 f.; 119 II 311 E. 5 S. 323 ff.; 117 Ia 193 E.
1c S. 197).

Die Beschwerdeführerin hat den Vorwurf der Rechtsverzögerung während der
Dauer des (zweiten) Rekursverfahrens vor dem Departement für Justiz und
Sicherheit erhoben. Zu prüfen ist somit, ob das Departement in diesem
konkreten, am 11. November 2002 eingeleiteten Rekursverfahren Art. 29 Abs. 1
BV verletzt hat. Daran ändert der Umstand nichts, dass das Departement bei
der Festsetzung seiner Prioritätenordnung bis zu einem gewissen Grad auch dem
bisherigen Verfahrensverlauf Rechnung zu tragen hatte. Diesbezüglich ist
übrigens klarzustellen, dass nicht von einer Verfahrensdauer seit August 2000
gesprochen werden kann. Die Beschwerdeführerin wollte erst im März 2001
wieder in die Schweiz einreisen. Vor diesem Zeitpunkt waren die
Voraussetzungen für die Beurteilung eines Begehrens um Aufrechterhaltung der
Niederlassungsbewilligung und die Durchführung eines entsprechenden
Verfahrens zum Vornherein nicht gegeben. In der Folge ergingen bis und mit
Oktober 2002 immerhin vier Entscheide bzw. Verfügungen. Ferner ist zu
beachten, dass Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens der Entscheid
des Regierungsrats bildet, welcher sich mit der Begründetheit der am 11.
April 2003 erhobenen Rechtsverzögerungsrüge zu befassen hatte. Als unter dem
Gesichtspunkt der Rechtsverzögerung zu beurteilender Verfahrensabschnitt ist
damit vorab die Periode vom 11. November 2002 bis zum 11. April 2003 zu
betrachten.

Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände lässt sich dem Departement nicht
vorwerfen, eine Verfahrensdauer von rund fünf Monaten bis 11. April 2003 sei
übermässig lang. Der Regierungsrat hat alle massgeblichen Gesichtspunkte
berücksichtigt (nebst der Natur des Rechtsstreits insbesondere auch die
persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin) und diese in
nachvollziehbarer Weise gewichtet. Es kann vollumfänglich auf E. 2.3 des
angefochtenen Entscheids verwiesen werden, denen nichts beizufügen ist (vgl.
Art. 36a Abs. 3 OG).
Ergänzend ist zu erwähnen, dass mit der Fällung des Rekursentscheids am 5.
September 2003 den Anforderungen von Art. 29 Abs. 1 BV (noch) Genüge getan
wird. Inhalt und Umfang des Departementsentscheids zeigen, dass es beim
Rechtsstreit keineswegs um eine Routineangelegenheit ging, sondern dass die
Entscheidfindung mit erheblichem Aufwand verbunden war. Abwegig ist im
Übrigen die Auffassung, dass die Annahme einer Rechtsverzögerung ohne
weiteres die Verpflichtung zur Erteilung der Niederlassungsbewilligung nach
sich gezogen hätte.
Die Rüge, das Departement habe Art. 29 Abs. 1 BV verletzt, ist unbegründet.

2.3 Soweit auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten bzw. das
Rechtsschutzinteresse an deren Behandlung nicht dahingefallen ist, ist sie
abzuweisen. Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen
Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 in Verbindung mit Art.
153 und 153a OG), welche keinen Anspruch auf Parteientschädigung hat (vgl.
Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
bzw. das Rechtsschutzinteresse an deren Behandlung nicht dahingefallen ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Regierungsrat des Kantons
Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. September 2003

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: