Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.21/2003
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2P.21/2003 /bmt

Urteil vom 24. April 2003
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Merkli,
Gerichtsschreiber Häberli.

S.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Jean Plancherel,
Seebahnstrasse 85, 8003 Zürich,

gegen

W.________,
Beschwerdegegner,
Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich, c/o Obergericht,
Hirschengraben 15, 8023 Zürich.

Art. 9 BV (Disziplinaraufsicht über die Rechtsanwälte; Kostenauflage),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss der Aufsichtskommission über
die Rechtsanwälte im Kanton Zürich vom 5. Dezember 2002.

Sachverhalt:

A.
S. ________ und ihr langjähriger Lebenspartner B.________ führen
Rechtsstreite mit dem gemeinsamen Sohn sowie den drei Kindern, welche
S.________ von ihrem verstorbenen Ehemann hat. In diesem Zusammenhang suchten
die beiden gemeinsam Rechtsanwalt Dr. W.________ auf, der sich in der Folge
als dritter Anwalt mit dem Familienstreit befasste. Nachdem sich S.________
und der - offenbar sehr vermögende - B.________ anfänglich mit den
Honorarforderungen von Rechtsanwalt W.________ einverstanden erklärt hatten,
verlangten sie kurz darauf von diesem, dass er das Mandat im Rahmen einer
unentgeltlichen Prozessführung für S.________ führe. Nachdem W.________ dazu
nicht bereit war und sein Mandat per 14. Dezember 2001 (nur eine Woche nach
der Übernahme) niederlegte, erstattete S.________ am 7. Januar 2002 Anzeige
bei der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich.

B.
Nach längerer Korrespondenz mit S.________, in welcher diese unter anderem
auf das Kostenrisiko für leichtfertige Anzeigeerhebung hingewiesen worden
war, eröffnete die Aufsichtskommission am 6. Mai 2002 ein
Disziplinarverfahren betreffend "Geschäftsführung und Aktenherausgabe" (§ 7
Abs. 1 und § 12 Abs. 3 des Zürcher Gesetzes vom 3. Juli 1938 über den
Anwaltsberuf [AnwG]) gegen W.________. Mit Beschluss vom 5. Dezember 2002
hielt sie fest, dass kein Disziplinarfehler vorliege, und stellte das
Verfahren ein. Sie auferlegte die Verfahrenskosten von 2'969 Franken wegen
Leichtfertigkeit der Anzeige S.________ und verpflichtete diese, W.________
eine Parteientschädigung von 2'500 Franken zu bezahlen. Sie begründete ihren
Kostenentscheid im Wesentlichen damit, dass S.________ Anzeige erhoben habe,
obschon sie wusste, dass sie nicht mittellos ist und deshalb keinen Anspruch
auf unentgeltliche Prozessführung hat.

C.
Am 28. Januar 2003 hat S.________ beim Bundesgericht staatsrechtliche
Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid im Kosten-
und Entschädigungspunkt aufzuheben. Sie rügt eine Verletzung des
Willkürverbots (Art. 9 BV).

Sowohl W.________ als auch die Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im
Kanton Zürich haben auf Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beschwerdeführerin ist mit staatsrechtlicher Beschwerde an das
Bundesgericht gelangt. Es stellt sich vorab die Frage nach der Zulässigkeit
dieses Rechtsmittels.

1.1 Bis anhin waren die Verhaltenspflichten der Rechtsanwälte und die
Disziplinarsanktionen, welche für Verstösse gegen diese Pflichten verhängt
werden können, ausschliesslich kantonalrechtlich geregelt. Als
eidgenössisches Rechtsmittel war in diesem Bereich deshalb einzig die
staatsrechtliche Beschwerde gegeben. Inzwischen ist am 1. Juni 2002 das
Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und
Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61) in Kraft getreten, welches neben den
Berufsregeln (Art. 12) insbesondere auch das Disziplinarrecht (Art. 17)
abschliessend regelt (vgl. die Botschaft des Bundesrats vom 28. April 1999,
in: BBl 1999 6054, 6060). Gegen letztinstanzliche kantonale
Disziplinarentscheide steht nunmehr gestützt auf Art. 97 ff. OG in Verbindung
mit Art. 5 VwVG die eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen. Die
Regelung des Verfahrens bleibt dabei Sache der Kantone (Art. 34 Abs. 1 BGFA),
wobei aber nach Art. 98a OG als letzte kantonale Instanz eine richterliche
Behörde entscheiden muss (vgl. BBl 1999 6058).

1.2 Der disziplinarrechtlich beurteilte Sachverhalt hat sich vorliegend vor
Inkrafttreten des eidgenössischen Anwaltsgesetzes abgespielt; auch das
Verfahren wurde vor diesem Zeitpunkt eröffnet. Der angefochtene Entscheid
wurde indessen unter der Herrschaft des neuen Bundesgesetzes gefällt. Es
könnte deshalb als Rechtsmittel auf Bundesebene bereits die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde in Frage kommen, wobei diesfalls aufgrund von
Art. 98a OG als kantonale Vorinstanz ein Gericht amten müsste. Gemäss BGE 126
I 228 E. 2a S. 234 stellt die zürcherische Aufsichtskommission über die
Rechtsanwälte - jedenfalls unter dem Gesichtswinkel von Art. 6 EMRK - keine
richterliche Behörde dar. § 7 Abs. 1 der Verordnung des Regierungsrats des
Kantons Zürich vom 15. Mai 2002 betreffend die Anpassung des kantonalen
Rechts an das eidgenössische Anwaltsgesetz gewährleistet die Befolgung von
Art. 98a OG, indem er bei Zulässigkeit der eidgenössischen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide der Aufsichtskommission eine
Rekursmöglichkeit an das Obergericht (Verwaltungskommission) vorsieht.
Aufgrund der folgenden Erwägungen kann offen bleiben, ob gegen
letztinstanzliche kantonale Entscheide über die Sanktionierung von
Disziplinarverstössen, die sich vor Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes
ereignet haben, aber unter dessen Herrschaft zur Beurteilung gelangen, gleich
wie für rein neurechtliche Fälle die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu
ergreifen ist; dasselbe gilt für die Frage, inwieweit dieses Rechtsmittel
gegebenenfalls auch dem erfolglosen Anzeiger zur Verfügung stünde.

2.
2.1 Ist das gegen den angefochtenen Entscheid zur Verfügung stehende
Rechtsmittel, wovon die Beschwerdeführerin ausgeht, die staatsrechtliche
Beschwerde, so richtet sich dessen Legitimation nach Art. 88 OG. Danach ist
zur staatsrechtlichen Beschwerde befugt, wer durch den angefochtenen
Hoheitsakt in seinen eigenen rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt
ist; allgemeine öffentliche Interessen können mit der staatsrechtlichen
Beschwerde nicht verfolgt werden. Nun dient aber die Disziplinaraufsicht über
die Rechtsanwälte öffentlichen und nicht etwa privaten Interessen allfälliger
Geschädigter. Verzichtet die zuständige Behörde auf eine Disziplinierung, so
spricht deshalb das Bundesgericht dem Anzeiger die Legitimation nach Art. 88
OG in konstanter Rechtsprechung ab; diesem kommt kein rechtlich geschützter
Anspruch auf Disziplinierung des Anwalts zu (BGE 109 Ia 90; 94 I 67 f.; vgl.
auch BGE 119 Ib 241 E. 1c S. 244). Soweit sich die Eingabe der
Beschwerdeführerin - zumindest implizit - gegen den Entscheid in der Sache
richtet, ist deshalb nicht darauf einzutreten.

2.2 Der Beschwerdeführerin wurden die Kosten des kantonalen Verfahrens im
Betrage von Fr. 2'969.-- auferlegt und sie wurde zur Bezahlung einer
Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- verpflichtet. In dieser Hinsicht greift
der angefochtene Entscheid in rechtlich geschützte Interessen der
Beschwerdeführerin ein, welche deshalb insoweit legitimiert ist,
staatsrechtliche Beschwerde zu führen. Allerdings bleibt die
verfassungsrechtliche Kontrolle auf den Kostenspruch als solchen beschränkt
und kann nicht dazu führen, dass indirekt auch der Entscheid in der Sache
überprüft wird (BGE 109 Ia 90; vgl. auch BGE 106 Ia 237 E. 2 S. 238). Es
fragt sich demnach vorliegend einzig, ob der streitige Kostenspruch aus
Gründen verfassungswidrig ist, die nicht mit dem Entscheid der
Aufsichtsbehörde in der Sache in Zusammenhang stehen. So kann die
Beschwerdeführerin etwa rügen, für eine Kostenauflage fehle es an der
gesetzlichen Grundlage bzw. das kantonale Recht sehe die Kostenlosigkeit des
Verfahrens vor (vgl. BGE 109 Ia 90), der Kostenspruch stehe im Widerspruch
zum Ergebnis des Verfahrens oder die auferlegte Gebühr oder
Parteientschädigung sei übersetzt.

2.3 § 45 Abs.1 AnwG verweist für die Kostenregelung im Disziplinarverfahren
auf § 42, § 188 und § 189 des Zürcher Gesetzes vom 4. Mai 1919 betreffend den
Strafprozess (StPO). Gemäss diesen Bestimmungen kann der Anzeiger zur
Bezahlung der Verfahrenskosten und allenfalls auch einer Parteientschädigung
verpflichtet werden, wenn er die Untersuchung in "verwerflicher oder
leichtfertiger" Weise veranlasst hat. Die Beschwerdeführerin beanstandet den
Kostenspruch der Aufsichtskommission bloss pauschal, ohne auf die
dargestellte Regelung Bezug zu nehmen oder auszführen, inwiefern der
angefochtene Entscheid in diesm Punkt verfassungswidrig sei; deshalb
erscheint fraglich, ob ihre Ausführungen den gesetzlichen
Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG (vgl. BGE 110 Ia 1 E. 2
S. 3 f.; 119 Ia 197 E. 1d S. 201, mit Hinweisen) zu genügen vermögen. Wie es
sich damit verhält, kann jedoch offen bleiben, zumal die Beschwerdeführerin
letztlich nur bestreitet, leichtfertig Anzeige erstattet zu haben, und keine
der oben erwähnten (zulässigen) Rügen erhebt. Ihre Vorbringen laufen damit
auf eine indirekte Überprüfung des Entscheids in der Hauptsache hinaus,
weshalb auf sie so oder anders nicht einzutreten ist.

2.4 Ist die staatsrechtliche Beschwerde das zu ergreifende Rechtsmittel, so
ist auf sie nach dem Gesagten - mangels Legitimation der Beschwerdeführerin
bzw. mangels zulässiger Rügen - nicht einzutreten.

3.
Unterläge der Sachentscheid der Aufsichtsbehörde bei der gegebenen
intertemporalen Konstellation bereits der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, so
ergäbe sich - von der Notwendigkeit des vorgängigen Weiterzugs an eine
gerichtliche Instanz gemäss Art. 98a OG abgesehen - bezüglich der
Legitimation der Beschwerdeführerin Folgendes:
3.1 In einer durch Bundesverwaltungsrecht geregelten aufsichtsrechtlichen
Streitigkeit ist der Anzeiger gestützt auf Art. 103 lit. a OG dann zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde befugt, wenn die angerufene Behörde zur
Ausübung der Aufsicht verpflichtet ist und der Anzeiger an der abgelehnten
Aufsichtsmassnahme ein konkretes schutzwürdiges Interesse hat (vgl. BGE 120
Ib 351 E. 3b S. 355 betreffend die Anzeige eines Anlegers bei der
Eidgenössischen Bankenkommission; vgl. auch Fritz Gygi,
Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983, S. 223 ff.). Vorliegend
ist zwar die Aufsichtskommission als kantonale Aufsichtsbehörde verpflichtet,
die Disziplinaraufsicht über die Rechtsanwälte auszuüben (Art. 14 BGFA; vgl.
BBl 1999 6058). Dem Beschwerdeführer fehlt es jedoch in der Sache selbst an
einem schutzwürdigen Interesse im Sinne von Art. 103 lit. a OG: Es geht hier
nicht etwa um aufsichtsrechtliche Verhaltensanweisungen an einen Anwalt, wie
dieser ein noch hängiges Mandat zu führen hat, sondern allein um eine
nachträgliche disziplinarrechtliche Sanktionierung behaupteter Verstösse
gegen die anwaltlichen Berufspflichten. An solchen Anordnungen hat der
Anzeiger kein schutzwürdiges eigenes Interesse, das ihn zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimieren würde. Es verhält sich
diesbezüglich gleich wie bei der Disziplinaraufsicht über die öffentlichen
Bediensteten: Der durch das fehlbare Verhalten eines Beamten Betroffene kann
dagegen sowohl zivil- als auch strafrechtlich vorgehen und die hierüber
ergehenden Entscheide mit den einschlägigen prozessualen Mitteln anfechten.
Hingegen hat er regelmässig keinen Anspruch darauf, dass seinem Begehren um
Durchführung einer Disziplinaruntersuchung oder um Verhängung einer
Disziplinarmassnahme gegen den Beamten entsprochen wird. Er kann weder die
Einstellung des Verfahrens noch die allenfalls verhängte Disziplinarsanktion
anfechten (vgl. Peter Hänni, in: Koller/Müller/Rhinow/Zimmerli,
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Basel 1996, Personalrecht des Bundes,
N 190, S. 93).

3.2 Bezüglich der Anfechtung des Kostenspruchs wäre das nach Art. 103 lit. a
OG erforderliche schutzwürdige Interesse an sich gegeben. Doch ist auch in
diesem Punkt auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht einzutreten: Zwar
kann bei Anfechtung eines sich materiell auf Bundesverwaltungsrecht
stützenden kantonalen Entscheids im gleichen Verfahren - kraft
Sachzusammenhangs - mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch der auf kantonalem
Verfahrensrecht beruhende Kostenspruch auf seine Bundesrechtskonformität hin
überprüft werden; es braucht in diesem Punkt nicht gesondert staatsrechtliche
Beschwerde erhoben zu werden (BGE 122 II 274 E. 1b/aa S. 277 f.). Wird
dagegen nur gerade der Kostenspruch angefochten, steht als Rechtsmittel
einzig die staatsrechtliche Beschwerde zur Verfügung (BGE 122 II 274 E. 1b/bb
S. 278). Vorliegend ficht die Beschwerdeführerin den Entscheid der
Aufsichtskommission - zumindest implizit - nicht nur hinsichtlich des
Kostenspruchs sondern auch in der Hauptsache an, auf welche intertemporal
allenfalls das eidgenössische Anwaltsgesetz und mithin Bundesverwaltungsrecht
Anwendung finden könnte. Nach dem Gesagten geht ihr jedoch diesbezüglich die
Legitimation gemäss Art. 103 lit. a OG ab. Ist nun aber die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde in der Hauptsache unzulässig, so fehlt es an
einem Sachzusammenhang, welcher es erlauben würde, den Kostenspruch trotz
dessen kantonalrechtlicher Natur im Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu überprüfen.

4.
Es besteht daher kein Anlass, die ausdrücklich als staatsrechtliche
Beschwerde bezeichnete Eingabe als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegen zu
nehmen. Auf eine solche wäre nach dem Gesagten, selbst wenn dieses
Rechtsmittel bei der vorliegenden intertemporalen Konstellation an sich
bereits zulässig sein sollte, nicht einzutreten. Der Beschwerdeführerin steht
für die Anfechtung des streitigen Kostenspruchs nur die staatsrechtliche
Beschwerde offen, auf welche hier aber - wie dargelegt - (auch) nicht
einzutreten ist.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 153
und Art. 153a OG). Parteientschädigung ist keine auszurichten, zumal sich der
Beschwerdegegner nicht anwaltlich vertreten liess und auf Stellungnahme
verzichtet hat (vgl. BGE 119 Ib 412 E. 3 S. 415; 110 V 132 ff.).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und der Aufsichtskommission über die
Rechtsanwälte im Kanton Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. April 2003

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: