Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.137/2003
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2P.137/2003
2A.250/2003/sch

Urteil vom 6. Juni 2003
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident
Bundesrichter Hungerbühler, Merkli,
Gerichtsschreiber Häberli.

Bank X.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat Schmid,
Kantonsstrasse 1a, 3930 Visp,

gegen

Munizipalgemeinde Visp, 3930 Visp, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas
Anthamatten, Bahnhofstrasse 4, 3930 Visp,
Staatsrat des Kantons Wallis,
Staatskanzlei, 1950 Sitten,
Kantonsgericht Wallis, Öffentlichrechtliche Abteilung, Justizgebäude, 1950
Sitten.

Art. 9 BV; Verjährung (Kanalisationsanschlussgebühr),

Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde gegen das
Urteil des Kantonsgerichts Wallis, Öffentlichrechtliche Abteilung, vom 11.
April 2003.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Über die Bauherren des Anfang der 90er Jahre auf der Parzelle Nr. 216 in Visp
(Märtmatte) errichteten Geschäftshauses wurde der Konkurs eröffnet. Bei der
Grundstücksteigerung im Jahre 1997 erwarb die Bank X.________ einige
Stockwerkeigentumsanteile der Liegenschaft. Am 19. Juni 1998 stellte ihr die
Gemeinde Visp Rechnung für Kanalisationsanschlussgebühren in der Höhe von Fr.
10'944.50; die Bank X.________ wurde als "Nacherwerberin" im Sinne von Art.
32 Abs. 1 des kommunalen Kanalisationsreglements für die von den früheren
Eigentümern nicht bezahlte Anschlussgebühr belangt. Die Bank X.________ erhob
erfolglos die Verjährungseinrede: Das Kantonsgericht wies ihre entsprechend
begründete Beschwerde mit Urteil vom 11. April 2003 kantonal letztinstanzlich
ab. Es zog - mangels Regelung der Verjährung im kommunalen und kantonalen
Recht - in Lückenfüllung "die allgemeinen (zivilrechtlichen) Grundsätze zur
Verjährung" heran und wandte analog Art. 127 OR eine zehnjährige
Verjährungsfrist an. In einer Eventualerwägung kam das Gericht auch auf Grund
der Verjährungsbestimmungen des kantonalen Steuergesetzes zum gleichen
Ergebnis.

2.
Am 27. Mai 2003 hat die Bank X.________ gegen dieses Urteil beim
Bundesgericht sowohl Verwaltungsgerichtsbeschwerde (2A.250/ 2003) als auch
staatsrechtliche Beschwerde (2P.137/2003) eingereicht und je die Aufhebung
des angefochtenen Entscheids beantragt. Beide Beschwerden betreffen den
gleichen Sachverhalt, das gleiche Verfahren und die selben Beteiligten; wegen
ihres engen Zusammenhangs sind sie zu vereinigen (Art. 24 BZP in Verbindung
mit Art. 40 OG).

3.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist nur zulässig, soweit kein anderes
Rechtsmittel zur Verfügung steht (vgl. Art. 84 Abs. 2 OG), weshalb zuerst
über die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu befinden ist. Mit dieser rügt die
Beschwerdeführerin, das Kantonsgericht hätte erst dann auf die
Verjährungsfristen des Bundesprivatrechts zur Lückenfüllung zurückgreifen
dürfen, wenn eine Untersuchung des verwandten kommunalen und kantonalen
öffentlichen Rechts zu keinem Resultat geführt  hätte;  indem  es  nur  einen
unzureichenden einseitigen Ver-

gleich zum kantonalen Steuergesetz gezogen habe, sei es dieser Verpflichtung
nicht nachgekommen und habe deshalb anschliessend zu Unrecht Bundesrecht
angewandt.

Die Beschwerdeführerin verkennt, dass das Kantonsgericht hier keineswegs
Bundesrecht angewandt hat. Zunächst handelt es sich um eine rein
kantonalrechtlich begründete Forderung. Weiter stellt es keine Anwendung von
Bundesrecht dar, wenn sich der kantonale Richter in Fällen, in denen das
kantonale öffentliche Recht lückenhaft ist, an der für den gleichen oder
einen ähnlichen Fall auf Bundesebene geltenden Regelung orientiert. Der
herangezogene bundesrechtliche Erlass enthält ja gerade keine Bestimmungen,
welche die auf kantonaler Ebene streitigen Fragen direkt beantworten, würde
doch sonst keine Lücke bestehen. Die Normen des Bundesrechts kommen vielmehr
bloss indirekt, als ergänzendes kantonales Recht zur Anwendung (vgl. BGE 108
II 490 E. 7 S. 495, mit Hinweisen). Mithin liegt hier eine rein
kantonalrechtliche Streitigkeit vor, weshalb die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, welche nur gegen sich auf öffentliches Recht
des Bundes stützende Entscheide offen steht (Art. 97 OG in Verbindung mit
Art. 5 VwVG) offensichtlich unzulässig ist; der Beschwerdeführerin steht
einzig die staatsrechtliche Beschwerde zur Verfügung.

4.
Mit dieser bringt sie vor, das Kantonsgericht habe gegen das Willkürverbot
(Art. 9 BV) verstossen, indem es eine analoge Anwendung der
Verjährungsregelung des kantonalen Steuergesetzes verweigert und auf die
allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts abgestellt habe. Auch die
Eventualbegründung des Kantonsgerichts, nach welcher die Forderung selbst bei
analoger Anwendung der Bestimmungen des Steuergesetzes noch nicht verjährt
wäre, verletzt nach Auffassung der Beschwerdeführerin das Willkürverbot.

4.1 Soweit sich die Beschwerdeführerin zur Begründung auf BGE 112 Ia 260
beruft, sind ihre Vorbringen nicht stichhaltig: Dort hat das Bundesgericht
zwar entschieden, es sei nicht willkürlich, für die Veranlagung von
Kanalisations- und Wasseranschlussgebühren die Bestimmungen über die
Veranlagungsverjährung des kantonalen Steuergesetzes heranzuziehen (vgl.
insb. E. 5b S. 265). Daraus ergibt sich jedoch nicht ohne weiteres das
Umgekehrte: Wenn das Bundesgericht eine analoge Anwendung der
(öffentlichrechtlichen) Verjährungsbestimmungen des Steuerrechts als zulässig
erachtete und ihr in casu gegenüber einer privatrechtlichen
Energielieferungsverträgen entsprechenden Ordnung den Vorzug gab, bedeutet
dies noch keineswegs, dass es verfassungswidrig ist, in einem anderen Fall in
einem anderen Kanton nicht die Verjährungsbestimmungen des kantonalen
Steuerrechts, sondern privatrechtliche Normen (hier die allgemeinen Regeln
gemäss Obligationenrecht) analog anzuwenden (so schon Urteil 2P.126/1999 vom
18. August 1999 i.S. Gemeinde Poschiavo). Gegen das Willkürverbot verstösst
ein Entscheid erst, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, nicht bereits dann,
wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen
wäre (vgl. BGE 123 I 1 E. 4a S. 5, mit Hinweisen). Zugunsten der Auffassung
des Kantonsgerichts lässt sich anführen, dass die privatrechtlichen
Verjährungsvorschriften insoweit besser auf den streitigen Sachverhalt
passen, als die einschlägigen Bestimmungen des Steuerrechts auf
wiederkehrende Leistungen zugeschnitten sind und zum Teil mit Zeiträumen
anstelle von Terminen operieren. Die beanstandete kantonale Praxis, auf die
sich der angefochtene Entscheid stützt, erscheint insoweit nicht willkürlich.

4.2 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser Frage erübrigt sich jedoch,
da das Kantonsgericht seinen Entscheid in einer Eventualerwägung auch auf das
kantonale Steuergesetz gestützt hat und die diesbezüglichen Einwendungen der
Beschwerdeführerin den Vorwurf der Willkür offensichtlich nicht zu begründen
vermögen: Gemäss Art. 129 des Walliser Steuergesetzes vom 10. März 1976
(StG/VS) gilt eine fünfjährige relative und eine fünfzehnjährige absolute
Veranlagungsverjährung. Selbst wenn die Anschlussgebühr tatsächlich bereits
am 31. Januar 1991 fällig geworden sein sollte, wie die Beschwerdeführerin
behauptet, wäre sie mit der an die früheren Eigentümer der Liegenschaft
gerichteten Verfügung vom 27. Mai 1993 rechtzeitig veranlagt worden. Nachdem
diese Verfügung am 27. Juni 1993 rechtskräftig geworden war, lief gemäss
Rechtsauffassung des Kantonsgerichts die fünfjährige Bezugsverjährung, welche
entsprechend den Bestimmungen des Obligationenrechts unterbrochen werden kann
(Art. 130 StG/VS). Im angefochtenen Entscheid wird davon ausgegangen, dass
der Fristenlauf durch die Betreibungsbegehren vom 31. Mai und 3. Juni 1994
sowie die (am 19. Juni 1998 an die Beschwerdeführerin gerichtete) Rechnung
unterbrochen worden ist. Mit diesen Erwägungen setzt sich die
Beschwerdeführerin nicht auseinander, sondern beschränkt sich darauf, ihre
Rechtsauffassung vorzutragen, gemäss der die Veranlagungsverjährung zwar
allenfalls durch die Verfügung vom 27. Mai 1993 unterbrochen worden sei, aber
ohnehin vor der Rechnungstellung am 19. Juni 1998 abgelaufen wäre. Zur
(gemäss angefochtenem Entscheid massgeblichen) Bezugsverjährung und deren
Unterbrechung nimmt sie mit keinem  Wort  Stellung,  weshalb ihre

Beschwerde insoweit den Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
(vgl. BGE 110 Ia 1 E. 2 S. 3 f.; 119 Ia 197 E. 1d S. 201, mit Hinweisen)
nicht genügt.

4.3 Schliesslich wendet sich die Beschwerdeführerin noch dagegen, dass sie
auf der in Rechnung gestellten Anschlussgebühr Verzugszinsen ab 28. Juni 1993
bezahlen soll, obschon sie die Stockwerkeigentumsanteile erst 1997 erworben
hat. Dies mag zwar in der Tat auf den ersten Blick erstaunen, erscheint aber
nicht unhaltbar. Die Verzugszinsforderung ist akzessorisch zur
Hauptforderung, der sie grundsätzlich folgt; wenn nun Art. 32 des Visper
Kanalisationsreglements vorsieht, dass alle Nacherwerber "die im Zeitpunkt
ihres Liegenschaftserwerbes noch ausstehenden Gebühren" zu bezahlen haben,
können unter diese Formulierung zwanglos auch Verzugszinsen subsumiert
werden. Diese sind unabhängig von einem Verschulden des Leistungspflichtigen
geschuldet (Art. 31 des Reglements; vgl. auch Hans-Ulrich Zürcher,
Verzugszinsen im Bundesverwaltungsrecht, Diss. Bern 1998, S. 66) und in
diesem Sinne - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - nicht
höchstpersönlicher Natur. Insoweit erscheint es nicht willkürlich, sie
zusammen mit der Hauptforderung auf den Rechtsnachfolger zu überwälzen.

4.4 Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich damit als offensichtlich
unbegründet und ist im vereinfachten Verfahren nach Art. 36a OG (ohne
Schriftenwechsel und Einholung der kantonalen Akten) abzuweisen, soweit auf
sie einzutreten ist.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig
(vgl. Art. 156 OG); Parteientschädigung ist keine auszurichten (vgl. Art. 159
OG). Das gestellte Gesuch um Gewährung der aufschiebende Wirkung wird mit dem
vorliegenden Entscheid gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die Verfahren 2A.250/2003 und 2P.137/2003 werden vereinigt.

2.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten und die
staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Die Gerichtsgebühr von insgesamt Fr. 2'500.-- wird der Beschwerdeführerin
auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Munizipalgemeinde Visp, dem
Staatsrat des Kantons Wallis und dem Kantonsgericht Wallis,
Öffentlichrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Juni 2003

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: