Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.131/2003
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2P.131/2003 /bie

Urteil vom 3. Oktober 2003
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Merkli,
Gerichtsschreiber Schaub.

X. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Steueramt des Kantons Aargau,
Rechtsdienst, Telli-Hochhaus, 5004 Aarau,
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau,
2. Kammer, Obere Vorstadt 40, 5000 Aarau.

Staats- und Gemeindesteuern 1993/1994,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 9. April 2003.

Sachverhalt:

A.
X. ________ ist selbständiger Landwirt. In der Steuererklärung 1993/94 vom 9.
Juli 1996 deklarierte er ein steuerbares Einkommen von Fr. 38'165.-- und ein
steuerbares Vermögen von Fr. 144'880.--. Er legte einen Vermögensvergleich
bei, weil es ihm aus gesundheitlichen Gründen unmöglich gewesen sei, die
erforderlichen Unterlagen und Beweismittel in den Bemessungsjahren 1991/92
aufzubewahren. Mangels ordnungsgemäss geführter Buchhaltung setzte die
Steuerkommission R.________ (nachfolgend: Steuerkommission) am 2. Dezember
1999 sein steuerbares Einkommen nach dem sog. volkswirtschaftlichen Einkommen
auf Grund der Punktiermethode auf Fr. 100'700.-- und das steuerbare Vermögen
auf Fr. 110'000.-- fest.

B.
Im Einspracheverfahren beantragte X.________, auf Grund seiner
Selbstdeklaration veranlagt zu werden, andernfalls verlange er "die Ansetzung
einer neutralen objektiven Expertise mit Augenschein und Befragung des
Steuerpflichtigen". Am 6. November 2000 fand eine mündliche Verhandlung mit
dem Steuerpflichtigen statt. Als er nach diversen Fristverlängerungen die in
Aussicht gestellte Einkommensnachkalkulation durch die Technikerschule
S.________ nicht beibrachte, verzichtete die Steuerkommission auf eine
Expertise, weil diese "nichts über die tatsächlichen Betriebsverhältnisse
oder erbrachten finanziellen Leistungen bezüglich der Investitionen in den
Jahren 1991 und 1992 des Einsprechers aussagen würde", korrigierte jedoch die
Punktierung und setzte am 26. Juli 2001 das steuerbare Einkommen auf Fr.
88'455.-- herab.

C.
Im Verfahren vor dem Steuerrekursgericht des Kantons Aargau (nachfolgend:
Steuerrekursgericht) verlangte X.________ wiederum die Durchführung einer
Expertise. Das Steuerrekursgericht verzichtete darauf, weil sie am Ergebnis
der Punktierung, welche die Basis der Veranlagung bilde, nichts ändern könne,
"zumal die Verhältnisse in den Bemessungsjahren 1991/92 heute nicht mehr
rekonstruiert werden können". Es wies den Rekurs am 26. September 2002 ab.

D.
In seiner Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (nachfolgend:
Verwaltungsgericht) beantragte X.________, sein steuerbares Einkommen auf Fr.
48'000.-- festzulegen, eventuell die Rückweisung an die Vorinstanz wegen
Rechtsverweigerung und Verfahrensfehlern. Den Beweisantrag für eine Expertise
stellte er nicht, sondern legte der Beschwerde eine Nachkalkulation bei, die
er selbst als Gutachten bzw. Expertise bezeichnete. Das Verwaltungsgericht
wies die Beschwerde am 9. April 2003 ab.

E.
Dagegen erhob X.________ am 22. Mai 2003 staatsrechtliche Beschwerde mit dem
Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 9. April 2003 aufzuheben "und
die Steuergerichte und Steuerbehörden des Kantons anzuweisen, es müsse eine
neutrale Expertise angesetzt werden". Er rügt die Verletzung des
Willkürverbots, des Untersuchungsgrundsatzes sowie des rechtlichen Gehörs.
Das kantonale Steueramt und das Verwaltungsgericht verzichten auf eine
Vernehmlassung, ersteres mit dem Antrag, die staatsrechtliche Beschwerde
abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen kantonal
letztinstanzlichen Endentscheid, der sich ausschliesslich auf kantonales
Recht stützt. Die behauptete Rechtsverletzung kann nicht sonst wie durch
Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer anderen Bundesbehörde
gerügt werden. Der Beschwerdeführer ist als direkt betroffener
Steuerpflichtiger und Adressat des angefochtenen Entscheids in rechtlich
geschützten Interessen berührt und damit zur Beschwerdeerhebung berechtigt.
Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich daher grundsätzlich als zulässig
(vgl. insbes. Art. 84, 86 und 88 OG).

1.1 Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht in Betracht fallenden
Ausnahmen abgesehen, rein kassatorischer Natur. Soweit der Beschwerdeführer
mehr verlangt als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, kann auf die
Beschwerde nicht eingetreten werden (BGE 127 II 1 E. 2c S. 5; 126 I 213 E. 1c
S. 216 f., je mit Hinweis).

1.2 Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die staatsrechtliche Beschwerde die
wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten,
welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie
durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt worden sind. Das
Bundesgericht prüft im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde nur klar
und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Wirft der
Beschwerdeführer der kantonalen Behörde vor, sie habe mit ihrer Anwendung des
kantonalen Rechts Art. 9 BV verletzt, so genügt es nicht, wenn er einfach
behauptet, der angefochtene Entscheid sei willkürlich. Er hat vielmehr die
Rechtsnorm, die in unhaltbarer Weise angewendet worden sein soll, zu
bezeichnen und die behauptete qualifizierte Unrichtigkeit der Auslegung und
Anwendung zu belegen. Auf ungenügend begründete Rügen und rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht
nicht ein (BGE 125 I 71 E. 1c S. 76, 492 E. 1b S. 495, je mit Hinweisen).

2.
2.1 Der Beschwerdeführer wirft dem Verwaltungsgericht vor, den
Untersuchungsgrundsatz und das Rechtsverweigerungsverbot verletzt zu haben.
Die Punktierung zur Ermittlung des volkswirtschaftlichen Einkommens sei
willkürlich vorgenommen worden. Er habe mit dem eingereichten
Vermögensvergleich dargelegt, dass sein steuerbares Einkommen wesentlich vom
volkswirtschaftlichen Einkommen abweiche. Das Verwaltungsgericht bzw. die
Vorinstanz begehe Rechtsverweigerung, wenn die von ihm verlangte unabhängige
Expertise zur Feststellung seiner Vermögensverhältnisse nicht durchgeführt
werde.

2.2 Nach der ständigen Praxis des Bundesgerichtes liegt Willkür in der
Rechtsanwendung vor, wenn der angefochtene kantonale Entscheid offensichtlich
unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht,
eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in
stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht
hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern
auch das Ergebnis unhaltbar ist; dass eine andere Lösung ebenfalls als
vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 127 I 54 E. 2b
S. 56, 60 E. 5a S. 70; 126 I 168 E. 3a).

3.
3.1 Steuerbar ist das gesamte Einkommen jeder Art, insbesondere Einkünfte aus
selbständiger Erwerbstätigkeit, wie Bewirtschaftung von Grund und Boden (§ 22
Abs. 1 lit. b des Aargauer Steuergesetzes vom 13. Dezember 1983; StG/AG).
Nach § 6 Abs. 1 der Verordnung vom 13. Juli 1984 zum Steuergesetz (StGV/AG;
in Kraft bis Ende 1994) wird das steuerbare Einkommen aus Land- und
Forstwirtschaft, sofern eine ordnungsgemäss geführte Buchhaltung fehlt, nach
dem volkswirtschaftlichen Einkommen festgesetzt. Das Einkommen wird mit Hilfe
der Punktiermethode, kombiniert mit den Ansätzen der zutreffenden
Spezialbetriebszweige eingeschätzt (vgl. Jürg Baur et al., Kommentar zum
Aargauer Steuergesetz, Bern 1991, § 22 N. 109). Die Einschätzung nach
Erfahrungszahlen ist bei den nichtbuchführenden Landwirten in der Verordnung
als Normalfall vorgesehen. Wesensmässig handelt es sich um eine auf
Erfahrungszahlen basierende Ermessensveranlagung (Baur et al., a.a.O., § 144
N. 24). Im Sinne einer rechtsgleichen Behandlung soll das landwirtschaftliche
Einkommen nach der kantonalen Praxis nur dann nach einer andern Methode
ermittelt werden, wenn die Punktierung eindeutig zu einem unrichtigen
Resultat führen würde (Baur et al., a.a.O., § 144 N. 24 Abs. 2 und 3; vgl.
auch § 22 N. 113, mit Hinweisen). § 144 Abs. 2 StG/AG sieht neben der
Veranlagung nach Erfahrungszahlen auch Veranlagungen nach dem Lebensaufwand
des Steuerpflichtigen oder nach der Vermögensveränderung vor.
Selbständigerwerbende haben bei Fehlen einer nach kaufmännischer Art
geführten Buchhaltung ihre Einnahmen und Ausgaben, ihr Vermögen und ihre
Schulden vollständig aufzuzeichnen; die Landwirte stellen den Behörden alle
Angaben und auf Verlangen die Unterlagen zur Verfügung, die für eine richtige
Veranlagung des Betriebseinkommens und -vermögens notwendig sind (§ 128 Abs.
4 lit. b StG/AG). Zur Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse können die
Steuerbehörden vom Steuerpflichtigen die Vorlegung seiner Geschäftsbücher,
Belege und Urkunden und der von ihm zu beschaffenden Aufstellungen und
Bescheinigungen verlangen, Sachverständige beiziehen und Augenscheine
durchführen (§ 133 Abs. 1 StG/AG).
Der Richter kann das Beweisverfahren schliessen, wenn er auf Grund bereits
abgenommener Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in
vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass diese seine Überzeugung
durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (sog. antizipierte
Beweiswürdigung; BGE 122 II 464 E. 4a S. 469; 119 Ib 492 E. 5b/bb S. 505; 115
Ia 97 E. 5b S. 100 f., mit Hinweisen).

3.2 Der Beschwerdeführer wurde zunächst auf Grund des volkswirtschaftlichen
Einkommens veranlagt. Die Punktierung wurde im Einspracheverfahren zu seinen
Gunsten korrigiert. Weder das Verwaltungsgericht noch zuvor das
Steuerrekursgericht sind näher auf die vom Beschwerdeführer eingereichte
Vermögensvergleichsrechnung eingegangen. Das Verwaltungsgericht ging davon
aus, der Vermögensvergleich lasse auf Grund der damit verbundenen
Ungewissheiten (bezüglich Privataufwand, allfälligen Vermögensabflüssen etc.)
nur den Schluss auf ein Mindest-, nicht aber auf ein Höchsteinkommen zu, und
der Steuerpflichtige habe keinen Anspruch auf Veranlagung nach dem
Vermögensvergleich.
Das erscheint problematisch. Erhebliche Differenzen zwischen einem
ausgewiesenen Vermögensvergleich und dem volkswirtschaftlichen Einkommen
können Zweifel an der Berechnung aufkommen lassen, die auf Grund der
Untersuchungsmaxime nach einer erneuten Beurteilung (allenfalls unter Beizug
anderer Beweismittel) rufen können (vgl. auch Baur et al., a.a.O., § 144 N.
24 Abs. 3). Jedenfalls kann in einem solchen Fall nicht unbesehen auf das
volkswirtschaftliche Einkommen verwiesen werden.
Es kann hier aber offen bleiben, ob ein Vermögensvergleich tatsächlich nur
den Schluss auf ein Mindesteinkommen zulässt. Soweit der Beschwerdeführer die
von den kantonalen Behörden vorgenommene Punktierung zur Bemessung des
volkswirtschaftlichen Einkommens in Frage stellt, genügt die Eingabe den
Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht. In Bezug auf die
verlangte Expertise hatte der Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren
mehrfach Gelegenheit, Beweismittel einzureichen. Abgesehen vom pauschalen
Hinweis auf seine Krankheit erklärte er nie, warum er seinen
Mitwirkungspflichten (vgl. § 128 Abs. 4 lit. b StG/AG) in keiner Weise
nachkam, über keine weiteren Aufzeichnungen und Belege aus der fraglichen
Zeit mehr verfügte und solche auch nachträglich nicht beschaffen konnte. Der
Beschwerdeführer legte weder im kantonalen Verfahren noch in seiner
staatsrechtlichen Beschwerde auch nur ansatzweise dar, inwiefern seine
damaligen tatsächlichen Verhältnisse mehr als zehn Jahre später von einem
externen Gutachter aufgeklärt werden könnten. Vielmehr hielt er - ausser im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. E. 3.3) - lediglich an seiner
Forderung nach einer Expertise fest. Unter diesen Umständen durften die
kantonalen Instanzen annehmen, die tatsächlichen Verhältnisse könnten
nachträglich nicht mehr rekonstruiert werden, und im Rahmen einer
antizipierten Beweiswürdigung ohne Verletzung der Untersuchungspflicht und
damit ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs darauf verzichten, die vom
Beschwerdeführer geforderte Expertise durchführen zu lassen.

3.3 Entgegen seinen Ausführungen in der staatsrechtlichen Beschwerde stellte
der Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keinen Antrag auf
Durchführung einer Expertise. Vielmehr reichte er eine "umfassende
Nachkalkulation mit dem Betriebswirtschafterprogramm der landwirtschaftlichen
Beratungszentrale L.________" zu den Akten, die er als "Expertise" und
"Gutachten" bezeichnete. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts handelte es
sich dabei nur um eine anonyme Kalkulation, welche die Voraussetzungen eines
Gutachtens in keiner Weise erfülle. Diesem Gutachten seien unbewiesene
Angaben des Steuerpflichtigen zu Grunde gelegt worden. Zudem sei es
unzulässig, Beweismittel und Unterlagen, die unter den Beweismittelausschluss
fallen, auf dem Umweg, diese einem Gutachten zu Grunde zu legen, doch noch
ins Verfahren einzubringen.
Der damals durch einen professionellen Vertreter verbeiständete
Beschwerdeführer hat dem Verwaltungsgericht die Rückweisung an das
Steuerrekursgericht wegen Rechtsverweigerung beantragt, weil dieses die
verlangte Expertise unterlassen hatte, vor dem Verwaltungsgericht selber
jedoch keine Expertise mehr verlangt und die von ihm eingereichte
Nachkalkulation selbst als Gutachten bezeichnet. Unter diesen Umständen ist
es zumindest nicht willkürlich, wenn sich das Verwaltungsgericht nur mit
dieser "Expertise" auseinandersetzte und im Rahmen seiner (antizipierten)
Beweiswürdigung auf die Einholung eines zusätzlichen (Ober-) Gutachtens
verzichtete.

4.
Damit erweist sich die staatsrechtliche Beschwerde als unbegründet und ist
abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Entsprechend diesem
Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Eine Parteientschädigung ist nicht
zuzusprechen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Steueramt und dem
Verwaltungsgericht, 2. Kammer, des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Oktober 2003

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: