Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 91/2002
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P 91/02

Urteil vom 8. März 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Attinger

1.A.________,
2.B.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001
Aarau, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 19. November 2002)

Sachverhalt:

A.
Die Eheleute A.________ (geb. 1932) und B.________ (geb. 1930)  beziehen seit
dem 1. Januar 1998 Ergänzungsleistungen zu ihren Altersrenten. Im Rahmen
einer Ende 2001 eingeleiteten periodischen Überprüfung der wirtschaftlichen
Verhältnisse erfuhr die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau
erstmals, dass B.________ eine Pensionskassenrente ausgerichtet wird. Um u.a.
hiezu nähere Angaben zu erhalten, ersuchte die EL-Behörde mit Schreiben vom
22. Januar 2002 A.________ um die Beantwortung ergänzender Fragen und die
Einreichung zusätzlicher Unterlagen bis zum 18. Februar 2002. Nachdem diese
eben so wie die mit Mahnschreiben vom 5. März 2002 unter der Androhung einer
Leistungseinstellung angesetzte weitere Frist von 20 Tagen unbenutzt
verstrichen war, stellte die Sozialversicherungsanstalt mit Verfügung vom 27.
März 2002 die Ergänzungsleistungen androhungsgemäss auf den 31. März 2002
ein; gleichzeitig behielt sich die Verwaltung "eine Rückforderung der zuviel
ausbezahlten Ergänzungsleistungen vor".

B.
Mittels Beschwerde an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau beantragten
A.________ und B.________ die Weiterausrichtung der bisherigen
Ergänzungsleistungen über Ende März 2002 hinaus. Nachdem der
Sozialversicherungsanstalt in der Folge die einverlangten Unterlagen
zugestellt worden waren, nahm sie rückwirkend ab Leistungsbeginn eine
EL-Neuberechnung vor, namentlich unter Mitberücksichtigung der von der
Pensionskasse X.________ ausgerichteten Altersrente. Mit lite pendente (d.h.
während der Rechtshängigkeit der Beschwerde) erlassener Verfügung vom 5. Juni
2002 kam die Sozialversicherungsanstalt auf ihre früheren
Leistungsverfügungen sowie auf die Einstellungsverfügung vom 27. März 2002
zurück, sprach A.________ und B.________ mit Wirkung ab 1. Januar 1998
durchwegs tiefere Ergänzungsleistungen zu und forderte die zu Unrecht
bezogenen Differenzbetreffnisse von insgesamt Fr. 17'547.- zurück. Mit Urteil
vom 19. November 2002 wies das kantonale Gericht die Beschwerde gegen die
Verfügung vom 27. März 2002 ab und wies im Übrigen die Sache zur
Neuberechnung des Leistungsanspruchs und des Rückerstattungsbetrages im Sinne
der Erwägungen an die Verwaltung zurück. Den entsprechenden Entscheidmotiven
lässt sich entnehmen, dass das Gericht die (der lite-pendente-Verfügung zu
Grunde liegende) EL-Neuberechnung der Sozialversicherungsanstalt
weitestgehend übernimmt. Eine diesbezügliche (sich insgesamt zu Gunsten der
Versicherten auswirkende) Abweichung wird nur insofern vorgenommen, als das
kantonale Gericht einen Vermögensverzicht annimmt. Die Rückweisung an die
EL-Behörde erfolgt dabei einzig zur masslichen Festsetzung der im
vorinstanzlichen Entscheid dem Grundsatz nach mit den einzelnen
Berechnungspositionen festgelegten Ergänzungsleistungen und des
entsprechenden Rückerstattungsbetrages.

C.
A.________ und B.________ führen Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
sinngemässen Antrag, es sei von einer Rückforderung der unrechtmässig
bezogenen Differenzbetreffnisse abzusehen (wogegen die vorinstanzliche
rückwirkende Neuberechnung der Ergänzungsleistungen an sich ausdrücklich
anerkannt wird).

Sozialversicherungsanstalt und Bundesamt für Sozialversicherung verzichten
auf eine Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 ist nicht
anwendbar, weil nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen
Verfügung (hier: 27. März/5. Juni 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).

2.
Unter Berücksichtigung der hievor dargelegten Umstände hat die Vorinstanz die
von der Rechtsprechung verlangten Erfordernisse für eine Ausdehnung des
verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens in zeitlicher und sachlicher
Hinsicht über den Anfechtungsgegenstand der leistungseinstellenden Verfügung
vom 27. März 2002 hinaus (Spruchreife, Tatbestandsgesamtheit,
Prozesserklärung der Verwaltung/Respektierung der Verfahrensrechte der
Parteien) zu Recht bejaht (BGE 122 V 36 Erw. 2a mit Hinweisen; noch nicht in
der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil R. vom 10. November 2003, C
90/03). Letztinstanzlich ist auf Grund des in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten Begehrens nur mehr die Frage nach
der Rückerstattung zu Unrecht bezogener Differenzbetreffnisse streitig.
Während diese Frage von Verwaltung und kantonalem Gericht bejaht wird, machen
die Beschwerdeführer geltend, als "total ungebildete Menschen" nicht gewusst
zu haben, dass sie die von der Pensionskasse an die Ehefrau ausgerichtete
Altersrente gegenüber der EL-Behörde hätten deklarieren müssen.

3.
3.1 Laut Art. 27 Abs. 1 erster Satz ELV sind unrechtmässig bezogene
Ergänzungsleistungen vom Bezüger oder seinen Erben zurückzuerstatten. Zu
beachten ist, dass die Rückforderung von zu Unrecht bezogenen Geldleistungen
in der Sozialversicherung nur unter den für die Wiedererwägung oder die
prozessuale Revision formell rechtskräftiger Verfügungen massgebenden
Voraussetzungen zulässig ist (BGE 126 V 23 Erw. 4b, 46 Erw. 2b, je mit
Hinweisen). Unter dem Titel der so genannten prozessualen Revision von
Verwaltungsverfügungen ist die Verwaltung verpflichtet, auf eine formell
rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn neue Tatsachen oder neue
Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu einer andern rechtlichen
Beurteilung zu führen (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen).

3.2 Die ursprünglichen EL-Verfügungen der Sozialversicherungsanstalt vom 10.
Juni und 26. Oktober 1998 sowie vom 13. März 2001 ergingen ohne
Berücksichtigung der (seit April 1992 ausgerichteten) Pensionskassenrente der
Ehefrau, weil dieser wesentliche Einkommensbestandteil im seinerzeit
ausgefüllten Fragebogen für die Anmeldung zum Bezug von Ergänzungsleistungen
nicht angegeben worden war. Die Altersrente der beruflichen Vorsorge wurde
erstmals im (am 18. Dezember 2001 unterzeichneten) Revisionsfragebogen
erwähnt. Die hievor genannten Verwaltungsverfügungen beruhten demnach auf von
Anfang an fehlerhaften tatsächlichen Grundlagen, weshalb der Rückkommenstitel
der prozessualen Revision im Sinne der angeführten Rechtsprechung gegeben
ist.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer besteht die von Art. 27 Abs. 1
ELV vorgeschriebene Pflicht zur Rückerstattung unrechtmässig bezogener
Ergänzungsleistungen bei einer prozessualen Revision der ursprünglichen
EL-Verfügung unabhängig von einem allfälligen Verschulden, insbesondere
unabhängig von einer Melde- oder Anzeigepflichtverletzung des
Leistungsempfängers; es geht hier einzig darum, nach Entdeckung einer
ursprünglich unrichtigen oder unvollständigen Sachverhaltsfeststellung den
rechtmässigen Zustand wiederherzustellen (BGE 122 V 138 f. Erw. 2d und e, 115
V 313 Erw. 4a/aa; SVR 1998 EL Nr. 9 S. 21).

Nach dem Gesagten steht einer Rückforderung der von den Beschwerdeführern zu
Unrecht bezogenen Differenzbetreffnisse nichts entgegen. Die
Sozialversicherungsanstalt wird gemäss dem Erkenntnis des vorinstanzlichen
Entscheids den zutreffenden Rückerstattungsbetrag zu ermitteln und darüber zu
verfügen haben.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 8. März 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: