Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 89/2002
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P 89/02

Urteil vom 23. Juli 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Fessler

A.________, 1962, Ergatenweg 13, 8583 Sulgen, Beschwerdeführer,

gegen

Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau, Ausgleichskasse, EL-Stelle, St.
Gallerstrasse 13, 8501 Frauenfeld, Beschwerdegegner,

AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 25. November 2002)

Sachverhalt:

A.
A. ________ reichte Ende Februar 2001 bei der Gemeinde B.________ ein Gesuch
um Ergänzungsleistungen zu seiner Invalidenrente ein. Im Anmeldeformular gab
er an, aktuell in C.________/UR, ab 1. April 2001 in B.________ zu wohnen.
Beigelegt war ein in diesem Sinne lautender Mietvertrag. Im Weitern vermerkte
er, seit 1. August 1999 bis 31. März 2001 von der Ausgleichskasse des Kantons
Uri Ergänzungsleistungen zu beziehen. Am 6. April 2001 teilte die Abt.
AHV/IV-Ergänzungsleistungen dieser Kasse der Durchführungsstelle des Kantons
Thurgau (Amt für AHV und IV) mittels Formular "Wechsel des Wohnsitzkantons"
die Auszahlung der monatlichen Ergänzungsleistung von Fr. 472.- bis 30. April
2001 mit.

Mit Verfügung vom 19. Juni 2002 sprach das Amt für AHV und IV des Kantons
Thurgau A.________ für die Zeit vom 1. Mai bis 30. September 2001 eine
Ergänzungsleistung von Fr. 728.- im Monat zu.

B.
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde mit dem Antrag auf
Nachzahlung von Fr. 256.- für den Monat April 2001 (Fr. 728.- - Fr. 472.-)
wies die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau nach zweifachem
Schriftenwechsel mit Entscheid vom 25. November 2002 ab.

C.
A.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen
Rechtsbegehren, es sei festzustellen, dass der Zuzugskanton Thurgau ab 1.
April 2001 leistungspflichtig sei und für diesen Monat mindestens Fr. 256.-
zu vergüten habe.

Das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau verzichtet auf eine Stellungnahme
und einen Antrag zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Ausgleichskasse des
Kantons Uri beantragt die Abweisung des Rechtsmittels. Das Bundesamt für
Sozialversicherung reicht keine Vernehmlassung ein.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Bereich der Ergänzungsleistungen geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles in der Regel auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 19. Juni
2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im
vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen
anwendbar.

2.
Die kantonale Rekurskommission hat das Begehren um Zusprechung höherer
Ergänzungsleistungen für den Monat April 2001 unter dem Gesichtspunkt der
örtlichen Zuständigkeit für die Festsetzung und Auszahlung der
Ergänzungsleistung geprüft. Das ist sowohl in der Sache als auch in
verfahrensrechtlicher Hinsicht richtig (vgl. BGE 127 V 238 Erw. 1 sowie BGE
105 V 276 f. Erw. 2).

3.
Nach Art. 1 Abs. 3 ELG ist für die Festsetzung und Auszahlung der
Ergänzungsleistung der Kanton zuständig, in dem der Bezüger seinen
zivilrechtlichen Wohnsitz hat. Darunter ist der Ort zu verstehen, an welchem
sich die betreffende Person mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält
(Art. 23 Abs. 1 ZGB) und den sie sich zum Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen
gemacht hat (BGE 127 V 238 Erw. 1 mit Hinweisen). Der einmal begründete
Wohnsitz einer Person bleibt bis zum Erwerbe eines neuen Wohnsitzes bestehen
(Art. 24 Abs. 1 ZGB).

4.
Die Rekurskommission hat den in der Verfügung des Amtes für AHV und IV des
Kantons Thurgau vom 19. Juni 2002 auf den 1. Mai 2001 festgesetzten
Leistungsbeginn bestätigt. Zur Begründung führt die Vorinstanz im
Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe zwar die Wohnsitzverlegung den
Behörden des Kantons Uri und Thurgau im Voraus angekündigt, den Vollzug des
offenbar über das Wochenende vom 31. März/1. April 2001 erfolgten Wechsels
jedoch erst im Nachhinein bekannt gegeben. Insbesondere habe er sich erst am
3. April 2001 auf der Gemeinde B.________ angemeldet. Die Ausgleichskasse des
Kantons Uri sei daher zu Recht gestützt auf Art. 21 Abs. 2 ELV davon
ausgegangen, dass der Anspruch auf Ergänzungsleistungen in diesem Kanton am
30. April 2001 endige, zumal sie den Beschwerdeführer bereits mit Schreiben
vom 20. Februar 2001 aufgefordert habe, die neue Wohnadresse baldmöglichst
bekannt zu geben. Da gemäss Art. 21 Abs. 3 ELV für den gleichen Monat in
jedem Fall nur eine Ergänzungsleistung geschuldet sei, seien die
Voraussetzungen für die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen im Kanton
Thurgau für den Monat April 2001 nicht gegeben. Daran vermöge die
rechtzeitige Anmeldung zum EL-Bezug im Kanton Thurgau nichts zu ändern, da
gemäss Art. 21 Abs. 1 ELV für die Entstehung des Anspruchs auf
Ergänzungsleistungen nicht nur die rechtzeitige Gesuchseinreichung
erforderlich sei, sondern gleichzeitig sämtliche gesetzlichen Voraussetzungen
für den Leistungsbezug erfüllt sein müssten. Das sei nicht der Fall, solange
der Versicherte in einem anderen Kanton Wohnsitz habe und
Ergänzungsleistungen beziehe.

5.
5.1 Art. 1 Abs. 3 ELG regelt abschliessend die örtliche Zuständigkeit für die
Festsetzung und Auszahlung der Ergänzungsleistung. Demgegenüber geht es bei
Art. 21 ELV, erlassen durch den Bundesrat gestützt auf Art. 3a Abs. 7 lit. e
ELG, lediglich um Beginn und Ende des Anspruchs (vgl. Urteil
Einwohnergemeinde G. vom 31. Januar 2003 [P 27/01] Erw. 3). Aus dieser
Verordnungsbestimmung kann somit entgegen der offenbaren Auffassung der
kantonalen Rekurskommission direkt nichts für den Entscheid der Frage
gewonnen werden, ob der Kanton Thurgau bereits für den Monat April 2001 für
die Festsetzung und Auszahlung der Ergänzungsleistung zuständig ist.

5.2 Im Weitern stellen weder der Umstand, dass der Beschwerdeführer sich erst
am 3. April 2001 auf der Gemeinde seines neuen Wohnortes B.________
anmeldete, noch die Tatsache, dass die Ausgleichskasse des Kantons Uri für
April 2001 Ergänzungsleistungen ausbezahlt hat, hinreichende Gründe dar, um
die Zuständigkeit des Kantons Thurgau für die Festsetzung und Auszahlung von
EL für diesen Monat zu verneinen. Für die Frage des zivilrechtlichen
Wohnsitzes ist denn auch nicht massgebend, wo eine Person angemeldet ist und
ihre Schriften hinterlegt hat (BGE 127 V 241 Erw. 2c mit Hinweisen).

5.3 Gemäss (nicht datiertem) Mietvertrag hatte der Beschwerdeführer ab 1.
April 2001 auf unbefristete Zeit eine Wohnung in der Liegenschaft S.________
in B.________ gemietet und mit Valuta 2. März 2001 eine Mietkaution in der
Höhe von Fr. 1200.- auf ein entsprechendes Sparkonto bei der Bank X.________
einbezahlt. Es bestehen keine Anhaltspunkte in den Akten und es wird auch
nicht geltend gemacht, er habe das Mietverhältnis tatsächlich nicht am 1.
April 2001 angetreten. Ebenso finden sich keine Hinweise, dass der
Beschwerdeführer seine Wohnung in C..________ nicht auf Ende März 2001
aufgegeben hatte und seine Beziehungen zu diesem Ort oder einem anderen
weiterhin derart waren, dass der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen auch
nach dem Wegzug dort zu lokalisieren wäre. Bei dieser Sachlage ist daher
davon auszugehen, dass er auf Ende März 2001 seinen Wohnsitz im Kanton Uri
aufgegeben hatte und Anfang April 2001 im Kanton Thurgau neuen Wohnsitz
begründete. Art. 24 Abs. 1 ZGB gibt zu keiner anderen rechtlichen Würdigung
Anlass, zumal diese Bestimmung lediglich vermeiden will, dass eine Person
ohne Wohnsitz ist (vgl. EVGE 1968 S. 234 Erw. 3 in fine).

Hatte somit der Beschwerdeführer im April 2001 zivilrechtlichen Wohnsitz in
B.________, ist der Kanton Thurgau zuständig für die Festsetzung und
Auszahlung der Ergänzungsleistung für diesen Monat. Insoweit ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde begründet. Entgegen dem Beschwerdeführer fällt
indessen eine Anrechnung der vom Kanton Uri für April 2001 bereits bezahlten
Ergänzungsleistungen ausser Betracht. Vielmehr hat er den Betrag von Fr.
472.- dem früheren Wohnsitzkanton rückzuerstatten.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid der
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau vom 25. November 2002 mit der
Feststellung aufgehoben, dass der Kanton Thurgau für die Festsetzung und
Auszahlung der Ergänzungsleistung für April 2001 zuständig ist, und es wird
die Sache an das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau zurückgewiesen, damit
es eine entsprechende Verfügung erlasse.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau, der Ausgleichskasse des Kantons Uri und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 23. Juli 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber:

i.V.