Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 88/2002
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P 88/02

Urteil vom 31. Juli 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin
Kopp Käch

H.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Alfred Dätwyler,
Bielstrasse 111, 4500 Solothurn,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 25. Oktober 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1947 geborene H.________ meldete sich am 15./20. Dezember 1999 und 25.
April 2000 als auf Ende Jahr 1999 hin ausgesteuerte Arbeitslose zum Bezug von
Ergänzungsleistungen zu ihrer Invalidenrente (seit 1. Juni 1999:
Invaliditätsgrad von 100 %) an. Nachdem sie sich entgegen wiederholter
Aufforderung nicht bei der Auffangeinrichtung BVG zum Bezug einer
BVG-Invalidenrente gemeldet, d.h. das vom Regionalen
Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) abzustempelnde Formular dort nicht bis am 3.
Januar 2001 eingereicht hatte, trat die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn
mit Verfügung vom 8. Januar 2001 auf das Gesuch um Ergänzungsleistungen nicht
ein.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn mit Entscheid vom 25. Oktober 2002 ab.

C.
H.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
es seien die Nichteintretensverfügung vom 8. Januar 2001 und der kantonale
Gerichtsentscheid vom 25. Oktober 2002 aufzuheben und es sei die Sache an die
Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit sie über die Ergänzungsleistung für das
Jahr 2000 entscheide. In prozessualer Hinsicht wird um die Gewährung der
unentgeltlichen Verbeiständung ersucht.

Die Ausgleichskasse beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Bundesamt für Sozialversicherung hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungs- und
Ergänzungsleistungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht
grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung
des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw.
1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines
Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen
Verfügung (hier: 8. Januar 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121
V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002
geltenden Bestimmungen anwendbar.

2.
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob das kantonale Gericht dadurch
Bundesrecht verletzt hat (Art. 104 lit. a OG), dass es die gegen die
Nichteintretensverfügung vom 8. Januar 2001 erhobene Beschwerde abwies.

2.1 Das kantonale Gericht hat in für das Eidgenössische Versicherungsgericht
verbindlicher Weise (Art. 105 Abs. 2 OG) festgestellt, dass die
Beschwerdeführerin das (vom Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum
abzustempelnde) Formular nicht innert der ihr durch die Beschwerdegegnerin
und ihre Gemeindezweigstelle gesetzten Fristen, zuletzt bis 3. Januar 2001,
an die Auffangeinrichtung BVG sandte, sondern dies erst im Verlaufe der
zweiten Hälfte des Januar 2001 tat. Wenn das kantonale Gericht bei dieser
Sachlage auf Verletzung der Mitwirkungspflicht schloss und eine
Entschuldigung für die fehlende Einhaltung der gesetzten Termine verneinte,
lässt sich dies, den Vorbringen der Beschwerdeführerin zum Trotz, nicht
beanstanden.

2.2 Damit stellt sich die Frage nach der Rechtsfolge der verletzten
Mitwirkungspflicht. Wenn mit der Vorinstanz anzunehmen ist, dass die
Mitwirkungspflicht - als Korrelat zum Untersuchungsgrundsatz (BGE 125 V 195
Erw. 2, 122 V 158 Erw. 1a, 110 V 52 f. Erw. 4a, je mit Hinweisen) -
allgemeine Bedeutung hat und daher auch im Gebiet der Ergänzungsleistungen
gilt, so ist damit die Frage noch nicht beantwortet, welche Rechtsfolge
anzuordnen ist, wenn die Leistungsansprecherin die Mitwirkungspflicht
verletzt.

Diesbezüglich ist festzuhalten, dass weder ELG und ELV noch das
vorinstanzlich erwähnte kantonale Einführungsrecht zum ELG die Rechtsfolge
des Nichteintretens im Falle fehlender oder ungenügender Mitwirkung seitens
der Leistungsansprecherin (wie z.B. Art. 13 Abs. 2 VwVG) vorsehen. Mangelt es
somit an einer gesetzlichen Regelung der allgemeinen Mitwirkungspflicht im
EL-Bereich und der Rechtsfolgen im Falle ihrer Verletzung, muss die Frage im
Sinne der Schliessung einer echten Lücke beantwortet werden.

2.3 Nach der Rechtsprechung zu Art. 71 f. IVV hat die IV-Stelle bei
Verstössen der versicherten Person gegen die zumutbare Mitwirkungspflicht -
ausserhalb des Anwendungsbereichs der Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 IVG - im
Zusammenhang mit Abklärungsmassnahmen die Befugnis, entweder auf das
Leistungsgesuch nicht einzutreten oder aber gestützt auf die Akten einen
materiellen Entscheid zu erlassen (BGE 108 V 229).

3.
3.1 Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin
ihren Mitwirkungspflichten (in Form von Auskünften, Angaben, Einreichung von
Dokumenten) zunächst genügt hat, wie die Gemeindezweigstelle in ihrer Notiz
über den Ablauf EL-Anmeldung festgehalten hat. Erst geraume Zeit nach der
zweiten Anmeldung vom 25. April 2000, nämlich am 26. Oktober 2000, hatte die
Ausgleichskasse ihre Zweigstelle darauf hingewiesen, es würden noch gewisse
Unterlagen fehlen, so insbesondere die Anmeldung bei der Auffangeinrichtung
BVG. Es ist einzig diese spezielle Auskunft, der die Beschwerdeführerin in
der Zeit vom 26. Oktober 2000 bis 3. Januar 2001 nicht nachkam.

3.2 Bei dieser Sachlage kommt der Erlass einer Nichteintretensverfügung einer
unzulässigen Rechtsverweigerung gleich. Denn davon abgesehen, dass die
Ausgleichskasse Bestand und Höhe der der Versicherten zustehenden
ergänzungsleistungsrechtlich anrechenbaren BVG-Invalidenrente direkt durch
eine Anfrage bei der Auffangeinrichtung hätte in Erfahrung bringen können,
musste der Beschwerdegegnerin - aufgrund der von ihr selber im Schreiben vom
26. Oktober 2000 angestellten Überlegungen - klar sein, dass wegen der
Versicherungszeit als Arbeitslose die Beschwerdeführerin nur mit einer
betraglich sehr bescheidenen BVG-Rente seitens der Auffangeinrichtung rechnen
konnte. Aufgrund der für die Verwaltung im Herbst 2000 erkennbaren
Verhältnisse war es schlicht ausgeschlossen, dass der der Beschwerdeführerin
zustehende Anspruch auf die BVG-Minimalrente ihre EL-Berechtigung hätte
aufheben können. Dies zeigt sich allein schon daraus, dass die
Beschwerdeführerin in den Jahren 2001 sowie 2002 unter Berücksichtigung der
BVG-Rente monatliche Ergänzungsleistungen von um Fr. 1000.- bezieht. Das
vorinstanzlich bestätigte Nichteintreten schliesst die Beschwerdeführerin
damit von einem Anspruch aus, dessen Begründetheit trotz des von ihr nicht
rechtzeitig eingereichten Dokumentes feststellbar war. In dieser Situation
durfte die Ausgleichskasse nicht auf Nichteintreten erkennen; vielmehr hätte
sie einen Entscheid aufgrund der verfügbaren Akten - unter Anrechnung eines
hypothetischen Renteneinkommens - erlassen können und müssen. Denn ob ein
materieller Entscheid oder ein Nichteintretensentscheid zu fällen ist, hängt
nach der Rechtsprechung von den Umständen des Einzelfalles ab; im Zweifel ist
die für den Versicherten günstigere Variante zu wählen (BGE 108 V 229 ff.
Erw. 2 in fine).

4.
Weil nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen
streitig war, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario).
Die Gerichtskosten sind von der unterliegenden Beschwerdegegnerin zu tragen
(Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist gegenstandslos, weil der
obsiegenden Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zuzusprechen ist
(Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 25. Oktober 2002 und die
Nichteintretensverfügung vom 8. Januar 2001 aufgehoben, und es wird die Sache
an die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn zurückgewiesen, damit diese über
den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Ergänzungsleistungen für die Zeit vor
dem 1. Januar 2001 materiell verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Ausgleichskasse des Kantons
Solothurn auferlegt.

3.
Die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn hat der Beschwerdeführerin für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 31. Juli 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: