Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 58/2002
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P 58/02

Urteil vom 9. Mai 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und nebenamtlicher Richter
Maeschi; Gerichtsschreiberin Fleischanderl

K.________, 1925, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Peter von
Moos, Kasernenplatz 2, 6003 Luzern,

gegen

Ausgleichskasse Luzern, Würzenbachstrasse 8, 6006 Luzern, Beschwerdegegnerin

(Entscheid vom 3. Juli 2002)

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

Sachverhalt:

A.
K. ________, geboren 1925, bezog seit März 1992 Ergänzungsleistungen (EL) zur
Rente der AHV. Im Rahmen einer Ende 1996 eingeleiteten revisionsweisen
Überprüfung des Leistungsanspruchs erhielt die Ausgleichskasse Luzern
Kenntnis davon, dass er seit 1993 eine Altersrente der Fürsorgestiftung
ProLitteris bezogen hatte. Mit Verfügung vom 5. Dezember 1997 forderte sie
die für die Zeit vom 1. Januar 1993 bis 30. November 1997 ausgerichteten EL
in Höhe von Fr. 41'679.- zurück. Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 17. Dezember 1998
insoweit teilweise gut, als es den rückerstattungspflichtigen Betrag auf Fr.
34'056.- (EL für Januar 1993 bis Dezember 1996) reduzierte. Mit Urteil vom
10. August 1999 wies das Eidgenössische Versicherungsgericht die gegen diesen
Entscheid gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab (P 3/99).

Am 9. September 1999 liess K.________ ein Gesuch um Erlass der
Rückerstattungsforderung stellen und geltend machen, er habe keinen
unrechtmässigen Leistungsbezug beabsichtigt und in guten Treuen annehmen
dürfen, dass die Altersrente der ProLitteris bei der Berechnung der EL nicht
zu berücksichtigen sei. Mit Verfügung vom 12. Mai 2000 lehnte die
Ausgleichskasse Luzern das Erlassgesuch mit der Be-gründung ab, K.________
habe die Meldepflicht verletzt, weshalb es an der Erlassvoraussetzung des
guten Glaubens fehle.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher K.________ die Auf-hebung der
angefochtenen Verfügung und die Gutheissung des Er-lassgesuchs beantragen
liess, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 3.
Juli 2002 ab.

C.
K.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, in
Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei das Erlass-gesuch gutzuheissen.
Auf die Kostenvorschussverfügung des Eidge-nössischen Versicherungsgerichts
vom 8. November 2002 liess K.________ durch seinen bisherigen Rechtsvertreter
die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung beantragen. Mit
"Ergänzungseinga-be" vom 6. Januar 2003 hat der Rechtsvertreter das
materielle Begehren näher begründet und sich dahin vernehmen lassen, das
Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege werde nicht
auf-rechterhalten. Mit Postüberweisung vom 4. Januar 2003 hat K.________ den
Kostenvorschuss von Fr. 3000.- bezahlt.

Die Ausgleichskasse beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichts-beschwerde.
Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer hat den Kostenvorschuss nicht innert der ihm mit
Verfügung vom 8. November 2002 gesetzten Frist bezahlt. Er hat aber
rechtzeitig ein Begehren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
gestellt. Dieses hat er in der Folge zwar zurückgezogen, gleichzeitig jedoch
den verlangten Kostenvorschuss bezahlt. Auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, welche die Erfordernisse von Art. 108 Abs. 2
OG erfüllt, ist daher einzutreten.

1.2 Weil es im vorliegenden Verfahren nicht um die Rückforderung von
Versicherungsleistungen (worüber mit letztinstanzlichem Urteil vom 10. August
1999, P 3/99, rechtskräftig entschieden wurde), sondern um den Erlass der
Rückerstattung geht, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu
prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat,
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der
rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder
unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist
(Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG;
BGE 112 V 100 Erw. 1b mit Hinweisen).

2.
2.1 Im angefochtenen Entscheid werden die massgebenden Geset-zes- und
Verordnungsbestimmungen für den Erlass der Rückerstat-tung zu Unrecht
bezogener EL (Art. 27 Abs. 1 ELV in Verbindung mit  Art. 47 Abs. 1 AHVG und
Art. 79 AHVV) und die nach der Rechtsprechung für die Beurteilung des guten
Glaubens des Leistungsbezügers entscheidenden Kriterien (BGE 110 V 180 Erw.
3c mit Hinweisen; vgl. auch SVR 2002 EL Nr. 9 S. 21 und AHI 1994 S. 122)
zutreffend dargelegt. Das Gleiche gilt für die Bedeutung von Verletzungen der
Meldepflicht (Art. 24 ELV) beim Erlass von Rückerstattungen (BGE 112 V 103
Erw. 2c mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

2.2 Zu ergänzen ist, dass die am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen
Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) und der zu-gehörigen
Verordnung vom 11. September 2002 (ATSV) über den Er-lass der Rückerstattung
unrechtmässig bezogener Leistungen (Art. 25 ATSG, Art. 4 f. ATSV) auf den
vorliegenden Fall nicht anwendbar sind, weil nach dem für die Beurteilung
massgebenden Zeitpunkt des Erlas-ses der streitigen Verfügung (hier: 12. Mai
2000) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b).

3.
3.1 Nach den im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 OG verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz hat der Beschwerdeführer den unrechtmässigen Bezug der EL nicht
absichtlich herbeigeführt. Er hat jedoch die ihm nach Art. 24 ELV obliegende
Meldepflicht verletzt, indem er den Bezug der ProLitteris-Altersrente nicht
angegeben hat. Streitig und zu prüfen ist, ob er sich damit einer groben, den
guten Glauben im Sinne von Art. 27 Abs. 1 ELV in Verbindung mit Art. 47 Abs.
1 AHVG und Art. 79 AHVV ausschliessenden Nachlässigkeit schuldig gemacht hat.
Dies beurteilt sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalls und der dem
Leistungsbezüger unter Berücksichtigung seiner Fähig-keiten und seines
Bildungsgrades zumutbaren Masses an Aufmerk-samkeit (BGE 110 V 181 Erw. 3d;
vgl. auch Meyer-Blaser, Die Rück-erstattung von
Sozialversicherungsleistungen, in: ZBJV, 131/1995, S. 482 ff.).
3.2 Der Beschwerdeführer hat die Altersrente der ProLitteris in den
Steuererklärungen deklariert, gegenüber der für die EL-Berechnung zuständigen
AHV-Zweigstelle jedoch nicht angegeben. Entgegen den Ausführungen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde durfte er nicht davon ausgehen, mit den Angaben
in der Steuererklärung seiner Meldepflicht gegenüber der Ausgleichskasse
nachgekommen zu sein. Weder besteht eine entsprechende Mitteilungspflicht der
Steuerbehör-de, noch hat die Ausgleichskasse in jedem Fall von sich aus
steuerli-che Auskünfte einzuholen. Grundlage für die Ermittlung des
Leis-tungsanspruchs bilden vorab die von der versicherten Person in
Nach-achtung der Meldepflicht von Art. 24 ELV angegebenen Einkommens- und
Vermögensverhältnisse (nicht veröffentlichtes Urteil D. vom 13. Juni 1996, P
56/93). Unbehelflich ist sodann der Einwand, die Anrechenbarkeit der
ProLitteris-Rente sei nicht eindeutig und der Beschwerdeführer gutgläubig der
Meinung gewesen, die Rente sei nicht als massgebliches Einkommen zu
deklarieren. Zum einen räumt der Beschwerdeführer damit selber ein, dass er
über die Anrechenbarkeit der fraglichen Leistungen im Zweifel war. Zum andern
kann es nicht Sache des Leistungsansprechers sein, darüber zu befinden, was
als anrechenbar zu gelten hat. Unerheblich ist, ob bezüglich der
Anre-chenbarkeit der fraglichen Einkünfte Klarheit bestand oder nicht.
So-wohl im Anmeldeformular als auch im Formular "Revision einer
Ergänzungsleistung zur AHV- oder IV-Rente" wird nicht nach den gemäss ELG
anrechenbaren Einkünften, sondern umfassend und detailliert nach den gesamten
Einkommens- und Vermögensverhältnissen gefragt. Als unbegründet erweist sich
in diesem Zusammenhang auch das Argument, die Rente der ProLitteris habe sich
unter keine der im Formular genannten Einkommensrubriken einordnen lassen.
Abgesehen davon, dass unter Ziffer 25 nach "Renten und Pensionen aller Art"
gefragt wird, enthalten beide Formulare in Ziffer 33 eine spezielle Rubrik
für "sonstiges Einkommen", worin zum Ausdruck kommt, dass grundsätzlich
sämtliches Einkommen anzugeben ist. Indem der Beschwerdeführer die ihm seit
1993 ausgerichtete ProLitteris-Rente während Jahren nicht gemeldet hat, hat
er nicht das Mindestmass an Aufmerksamkeit aufgebracht, welches von ihm als
promoviertem Juristen verlangt werden darf. Nach den gesamten Umständen liegt
eine nicht leicht zu nehmende Pflichtwidrigkeit vor, welche die Berufung auf
den guten Glauben ausschliesst (vgl. BGE 110 V 181 Erw. 3d). Zu einer andern
Beurteilung vermag auch die Tatsache nicht zu führen, dass der
Beschwerdeführer gesundheitlich beeinträchtigt war. Denn es spricht nichts
dafür, dass er zufolge Urteilsunfähigkeit (BGE 112 V 101 Erw. 2a) oder aus
andern Gründen nicht in der Lage war, pflichtgemäss zu handeln.

3.3 Dem Beschwerdeführer kann auch insoweit nicht gefolgt werden, als er die
Nichtangabe der ProLitteris-Rente mit Auskünften von Mit-arbeiterinnen der
Ausgleichskasse begründet und sich sinngemäss auf den Vertrauensschutz
beruft. Aus einem Schreiben des Beschwerdeführers an die Sachbearbeiterin der
Ausgleichskasse (Frau Nietlis-bach) vom 25. November 1997 geht hervor, dass
die Rente der ProLitteris im Rahmen des im Dezember 1996 eingeleiteten
Revisionsverfahrens Gegenstand von Gesprächen bildete. Gemäss diesem
Schreiben hatte die Verwaltung Ende 1996/Anfang 1997 Kenntnis vom Bezug der
Altersrente, was denn auch dazu führte, dass die Rückerstat-tungspflicht auf
die bis Ende 1996 ausgerichteten Ergänzungsleistungen beschränkt wurde
(Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kan-tons Luzern vom 17. Dezember
1998). Für eine frühere Meldung und eine Auskunft der Ausgleichskasse, wonach
es sich bei den fraglichen Bezügen nicht um anrechenbares Einkommen handelte,
fehlt jeder Nachweis. Wenn in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend macht
wird, der Beschwerdeführer habe die Rente der ProLitteris in der
Steuererklärung deklariert und es sei anzunehmen, dass er die Steu-erakten
bei sich gehabt habe, als er den Fragebogen zur Revision der EL mit Hilfe der
Sachbearbeiterin ausgefüllt habe, so bezieht sich dies auf das im Dezember
1996 eingeleitete Revisionsverfahren. Aus der angeblich bereits früher
erfolgten mündlichen Feststellung des Beschwerdeführers gegenüber einer
anderen Mitarbeiterin der Aus-gleichskasse, wonach er "neben direkten
(bescheidenen) Honoraren Leistungen der ProLitteris teils bekomme, teils
durch sich anbahnen-den Ausbau der Leistungen erwarte", musste diese nicht
schon darauf schliessen, dass er eine Altersrente bezog, sondern durfte davon
ausgehen, dass es sich um Entgelte in Zusammenhang mit Publikationen
handelte. Zudem vermag der Beschwerdeführer weder über den Zeitpunkt des
Gesprächs noch über die Identität der Auskunftsperson (Frau Stadelmann/Frau
Rüttimann) genaue Angaben zu machen. Er behauptet auch nicht, die
Ausgleichskasse habe bereits vor dem im Dezember 1996 eingeleiteten
Revisionsverfahren Kenntnis von der Altersrente gehabt und ihm die Auskunft
erteilt, diese sei nicht an-rechenbar. Es ist daher nicht zu beanstanden,
dass die Vorinstanz von weiteren Abklärungen, einschliesslich der vom
Beschwerdeführer be-antragten Zeugeneinvernahmen, abgesehen hat (antizipierte
Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122 V 162 Erw. 1d; SVR 2001 IV Nr. 10
S. 28 Erw. 4b). Folglich erweist sich auch die mit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobene Rüge einer Verletzung des rechtlichen
Gehörs als unbegründet. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der
vorinstanzliche Entscheid weder auf einer mangelhaften Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts beruht, noch sonst wie gegen Bundesrecht
verstösst, weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen ist.

4.
Da kein Versicherungsleistungsstreit vorliegt (vgl. Erw. 1.2 hievor), ist das
Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem Ausgang des
Prozesses entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwer-deführer
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 9. Mai 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: