Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 38/2002
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P 38/02

Urteil vom 4. Mai 2004

I. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Meyer, Schön und
Ursprung; Gerichtsschreiberin Fleischanderl

R.________, 1940, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Robert
Geisseler, Badenerstrasse 21, 8004 Zürich,

gegen

Ausgleichskasse Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Schwyz

(Entscheid vom 27. März 2002)

Sachverhalt:

A.
Dem 1940 geborenen R.________ wurden mit Verfügung der Ausgleichskasse Schwyz
vom 7. Februar 1997 Ergänzungsleistungen (EL) zur Invalidenrente in Höhe von
Fr. 1747.- monatlich ab 1. Januar 1997 zugesprochen. Die Verwaltung erhielt
in der Folge im Rahmen eines Revisionsverfahrens Kenntnis davon, dass die
Schweizerische Unfallversicherung ihre am 27. März 1996 per 1. April 1996
zugesprochene Rente, auf der Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 25 %,
sowie Integritätsentschädigung, basierend auf einer Integritätseinbusse von
10 %, mit Verfügung vom 21. März 2001 insofern erhöht hatte, als die Rente
nunmehr rückwirkend ab 1. April 1996 auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit
von 75 % und die Integritätsentschädigung gestützt auf eine
Integritätseinbusse von 25 % auszurichten waren. Der Versicherte wurde
hierauf zur Rückerstattung von zu Unrecht ausbezahlten Ergänzungsleistungen
für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 31. Juli 2001 im Betrag von insgesamt Fr.
42'858.- aufgefordert (Verfügung vom 8. August 2001). Mit Verfügung vom 31.
Januar 2002 lehnte die Ausgleichskasse ein Gesuch vom 7. September 2001 um
Erlass der Rückforderung ab.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz vereinigte die gegen beide
Verfügungen erhobenen Beschwerden und wies diese mit Entscheid vom 27. März
2002 ab.

C.
R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, der
vorinstanzliche Entscheid und die Verfügung vom 8. August 2001 seien
aufzuheben und es sei festzustellen, dass der Ausgleichskasse keine
Rückforderung von angeblich zu Unrecht bezogenen Ergänzungsleistungen
zustehe; eventualiter sei die Sache an die Ausgleichskasse zur Überprüfung
und Neuberechnung zurückzuweisen, wobei ihm vor Erlass einer neuen Verfügung
das rechtliche Gehör zu gewähren sei. Subeventualiter sei die Verfügung der
Ausgleichskasse vom 31. Januar 2002 aufzuheben und dem Erlassgesuch vom 7.
September 2001 stattzugeben.
Während das kantonale Gericht und die Ausgleichskasse auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, Letztere unter Verweis auf die
Erwägungen der Vorinstanz im angefochtenen Entscheid und in deren
letztinstanzlichen Stellungnahme, verzichtet das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist vorab, ob die Ausgleichskasse das rechtliche Gehör
des Beschwerdeführers verletzt hat, indem sie die Rückerstattungsverfügung
vom 8. August 2001 unbestrittenermassen ohne vorangehende Anhörung des
Versicherten erlassen hat. Während die Vorinstanz eine Gehörsverletzung durch
die Verwaltung zwar bejaht, diese aber als jedenfalls im kantonalen Verfahren
geheilt betrachtet, vertritt der Beschwerdeführer demgegenüber den
Standpunkt, es handle sich um eine schwerwiegende Verletzung des rechtlichen
Gehörs, weshalb eine Heilung im nachfolgenden Beschwerdeverfahren nicht
möglich sei.

2.
2.1 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches
Gehör. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits
stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines
Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung einer Person eingreift. Dazu
gehört insbesondere deren Recht, sich vor Erlass des in ihre Rechtsstellung
eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise
beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen
gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder
mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses
geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 56 Erw. 2b, 127 III
578 Erw. 2c, 126 V 130 Erw. 2a; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin
geltende Rechtsprechung: BGE 126 I 16 Erw. 2a/aa, 124 V 181 Erw. 1a, 375 Erw.
3b, je mit Hinweisen).

2.2 Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur. Die Verletzung des
rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in
der Sache selbst zur Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Es kommt mit
anderen Worten nicht darauf an, ob die Anhörung im konkreten Fall für den
Ausgang der materiellen Streitentscheidung von Bedeutung ist, d.h. die
Behörde zu einer Änderung ihres Entscheides veranlasst wird oder nicht (BGE
127 V 437 Erw. 3d/aa, 126 V 132 Erw. 2b mit Hinweisen).
Nach der Rechtsprechung kann eine - nicht besonders schwerwiegende -
Verletzung des rechtlichen Gehörs als geheilt gelten, wenn die betroffene
Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern,
die sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann. Die
Heilung eines - allfälligen - Mangels soll aber die Ausnahme bleiben (BGE 127
V 437 Erw. 3d/aa, 126 I 72, 126 V 132 Erw. 2b, je mit Hinweisen).

3.
Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 ist nicht
anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen
Verfügung (hier: 8. August 2001) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw. 1, 356 Erw. 1, je mit Hinweisen). Im
Folgenden sind daher - soweit nichts Anderes vermerkt - die Bestimmungen in
ihrer bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung relevant.

4.
4.1 Ob dem Betroffenen vor Erlass einer Rückforderungsverfügung durch die
Verwaltung das rechtliche Gehör zu gewähren ist, wird durch das ELG nicht
direkt geregelt. Es enthält indes in Art. 6 Abs. 2 ELG eine Delegationsnorm,
wonach die Kantone das Verfahren der Festsetzung und Auszahlung sowie der
Rückerstattung von Ergänzungsleistungen ordnen. Während weder das gestützt
darauf erlassene Gesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenversicherung des Kantons Schwyz vom 17.
September 1965 (SRSZ 362.200) noch dessen Vollzugsverordnung vom 21. Dezember
1970 (SRSZ 362.211) eine entsprechende Bestimmung aufweisen, hält § 21 Abs. 3
lit. c der kantonalen Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege vom 6. Juni
1974 (VRP; SRSZ 234.110) fest, dass eine Anhörungspflicht der Parteien bei
Verfügungen im Sozialversicherungsrecht nicht besteht.

4.2 Im Unterschied zu anderen Sozialversicherungszweigen kennen die EL - nach
den bis 31. Dezember 2002 gültigen, vorliegend anwendbaren Bestimmungen (vgl.
Erw. 3 hievor) - kein Vorbescheid- oder Einspracheverfahren. Das
Verwaltungsverfahren findet ohne vorgeschaltetes Vorbescheidverfahren - wie
es beispielsweise die Invalidenversicherung in Art. 73bis IVV vorsah (vgl.
auch Art. 97 MVG) - und ohne nachfolgendes Einspracheverfahren direkt mit dem
Erlass einer schriftlichen Verfügung seinen Abschluss (Art. 6 Abs. 3 Satz 1
ELG). Angesichts dieser Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens im Bereich
der EL gebietet der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör,
dass einer betroffenen Person, insbesondere wenn es sich um die Rückforderung
von Leistungen handelt, vor Erlass der Verfügung Gelegenheit gegeben wird,
sich zum beabsichtigten Entscheid der Verwaltung zu äussern (ebenso bei der
Einstellung in der Anspruchsberechtigung in der Arbeitslosenversicherung: BGE
126 V 130). Im Urteil S. vom 6. Februar 2003, (SVR 2003 EL Nr. 3. S. 9) hat
das Eidgenössische Versicherungsgericht denn auch bereits in diesem Sinne
entschieden, wobei es zum Schluss gelangt ist, dass, wenn die Verwaltung nach
Abschluss des Abklärungsverfahrens feststellt, es seien für eine frühere
Zeitspanne zu viele Ergänzungsleistungen ausgerichtet worden und es sei eine
Rückerstattungspflicht gegeben, der betroffenen Person die Möglichkeit zu
eröffnen ist, ihre Ansicht sowohl zum Grundsatz als auch zur Höhe der
Rückerstattung kundzutun. Ohne Bekanntgabe der wesentlichen Elemente des
voraussichtlichen Verfügungsinhaltes ist - so das Gericht im Weiteren - eine
Stellungnahme nicht möglich. Daran ist festzuhalten, weshalb im vorliegenden
Fall mit der Vorinstanz eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu bejahen
ist. Wie das kantonale Gericht korrekt festgestellt hat, ist § 21 Abs. 3 lit.
c VRP in diesem Lichte -zumindest bei verfügten Leistungsrückforderungen-
verfassungswidrig und damit nicht anwendbar.

5.
Ist nach dem Gesagten eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gegeben, bleibt
zu prüfen, ob diese ausnahmsweise einer Heilung zugänglich ist (vgl. Erw. 2.2
in fine hievor). Diese Frage ist zu verneinen, zumal es sich um einen
erheblichen Eingriff in die Rechtsstellung des Beschwerdeführers handelt und
angesichts der Höhe der Rückerstattungssumme klarerweise nicht mehr von einer
leichten Verletzung des rechtlichen Gehörs gesprochen werden kann (Urteil S.
vom 6. Februar 2003, P 18/01, Erw. 3.2 in fine). Die Sache ist daher - der
Beschwerdeführer will auf die Durchführung eines formell korrekten Verfahrens
nicht verzichten - an die Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit diese das
rechtliche Gehör nach Massgabe der nunmehr anwendbaren Prozessbestimmungen
des ATSG (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b; vgl. namentlich Art. 2
ATSG in Verbindung mit Art. 1 ELG [in der seit 1. Januar 2003 geltenden
Fassung] sowie Art. 42 und 52 ATSG) gewähre.

6.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Ausgang des letztinstanzlichen
Verfahrens entsprechend steht dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung
zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 27. März 2002 und
die Rückerstattungsverfügung vom 8. August 2001 aufgehoben, und es wird die
Sache an die Ausgleichskasse Schwyz zurückgewiesen, damit diese im Sinne der
Erwägungen verfahre.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Ausgleichskasse Schwyz hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz wird über eine Parteientschädigung
für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 4. Mai 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: