Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 32/2002
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P 32/02

Urteil vom 15. November 2002
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Hochuli

B.________, Beschwerdeführerin, Erbin der H.________, geboren am 6. Januar
1921, gestorben am 6. Dezember 2000,

gegen

Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St.
Gallen, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 21. März 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1921 geborene und am 6. Dezember 2000 verstorbene H.________ bezog seit
Jahren Ergänzungsleistungen zu einer Altersrente der AHV und wurde durch ihre
im gleichen Haushalt wohnende Tochter betreut und gepflegt. Wegen
therapieresistenter Beschwerden an der Lendenwirbelsäule liess sich die geh-
und sehbehinderte Versicherte zwischen 13. und 23. Dezember 1999 ambulant
während neun einstündigen Sitzungen durch Pulsierende Signal Therapie (PST)
im nächstgelegenen Therapiezentrum in X.________ behandeln. Nachdem die
zuständige Krankenversicherung eine Kostenbeteiligung an die PST-Behandlung
mit Schreiben vom 18. Januar 2000 abgelehnt hatte, teilte auch die
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen (nachfolgend: SVA) der
Tochter der EL-Bezügerin mit, dass über die Ergänzungsleistungen keine Kosten
für die PST-Behandlung vergütet werden könnten (unangefochten in Rechtskraft
erwachsene Verfügung vom 17. Februar 2000). Am 9. März 2000 ersuchte die
Tochter um Rückerstattung der Kosten für den Fahrdienst des Schweizerischen
Roten Kreuzes (nachfolgend: SRK) über total Fr. 1'345.- zur PST-Behandlung
nach X.________ sowie zur Augenklinik in Y.________ gemäss SRK-Rechnung vom
2. März 2000. Während die SVA Transportkosten von 173.- für die Fahrt nach
Y.________ vergütete (Verfügung vom 17. März 2000), lehnte sie mit Verfügung
vom 6. April 2000 unter anderem eine weitergehende Beteiligung an den
Transportkosten ab.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen mit Entscheid vom 21. März 2002 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Tochter als
Rechtsnachfolgerin der am 6. Dezember 2000 verstorbenen Versicherten
(nachfolgend: Beschwerdeführerin) mit Blick auf die PST-Behandlung in
X.________ unter Berufung auf ein Merkblatt der SVA vom Dezember 1998
(nachfolgend: SVA-Merkblatt) sinngemäss die Vergütung der krankheits- und
behinderungsbedingten Transportkosten zur nächstgelegenen Behandlungsstelle
gestützt auf die SRK-Rechnung vom 2. März 2000.

Während die SVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Fest steht und unbestritten ist, dass in Bezug auf die Kosten für die hier
zur Diskussion stehende PST-Behandlung sowohl die zuständige Krankenkasse
eine Leistungspflicht aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
verneinte als auch die SVA einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen mit
unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 17. Februar 2000
ablehnte.

2.
Streitig ist einzig, ob die verstorbene Bezügerin von Ergänzungsleistungen
einen Anspruch auf Vergütung der Transportkosten zur PST-Behandlung in
X.________ gemäss SRK-Rechnung vom 2. März 2000 hatte, was ihre Beschwerde
führende Rechtsnachfolgerin unter Berufung auf Ziffer 4.4 des SVA-Merkblattes
geltend macht. Das kantonale Gericht hat die vorinstanzliche Beschwerde im
Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, wenn die PST-Behandlung gemäss
abschliessender Liste in Art. 3d Abs. 1 ELG keinen vergütungsfähigen
Krankheits- oder Behinderungskostenfaktor darstelle, könnten auch
Transportauslagen für die Behandlung nicht nach Art. 3d Abs. 1 lit. d ELG
vergütet werden.

3.
Die Ergänzungsleistungen bestehen aus der jährlichen Ergänzungsleistung,
welche monatlich ausbezahlt wird (Art. 3 lit. a ELG), und aus der Vergütung
von Krankheits- und Behinderungskosten (Art. 3 lit. b ELG). Gestützt auf Art.
3d Abs. 1 ELG werden ausgewiesene, im laufenden Jahr entstandene Kosten für
Zahnarzt (lit. a), Hilfe, Pflege und Betreuung zu Hause sowie in
Tagesstrukturen (lit. b), Diät (lit. c), Transporte zur nächstgelegenen
Behandlungsstelle (lit. d), Hilfsmittel (lit. e) und die Kostenbeteiligung
nach Art. 64 KVG (lit. f; Franchise, Selbstbehalte) vergütet. Die Aufzählung
der vergütungsfähigen Krankheits- und Behinderungskosten nach Art. 3d Abs. 1
ELG ist abschliessend (AHI 2002 S. 74 ff. Erw. 4 mit Hinweisen). Gemäss Art.
3d Abs. 4 ELG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 ELV bezeichnet das
Eidgenössische Departement des Innern (EDI) die zu vergütenden Krankheits-
und Behinderungskosten. Das EDI hat die entsprechende Verordnung über die
Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten bei den Ergänzungsleistungen
(ELKV) am 29. Dezember 1997 (in Kraft seit 1. Januar 1998) neu erlassen. Nach
der hier interessierenden Bestimmung von Art. 15 Abs. 2 ELKV werden
"ausgewiesene Kosten für Transporte zum nächstgelegenen medizinischen
Behandlungsort" vergütet.

4.
4.1 Gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. b aELKV (in der bis Ende 1997 gültig gewesenen
Fassung), galten "ausgewiesene Kosten für Transporte zum nächstgelegenen
medizinischen Behandlungsort" als behinderungsbedingte Mehrkosten, welche im
Rahmen von Art. 3 Abs. 4 lit. g aELG (in der bis zum Inkrafttreten der
dritten Revision des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur AHV und IV
am 1. Januar 1998 [nachfolgend: 3. EL-Revision] gültig gewesenen Fassung)
beim anrechenbaren Einkommen abgezogen werden konnten. Nachfolgend ist zu
prüfen, ob der Gesetzgeber durch die spezielle Erwähnung der "Kosten für
Transporte zur nächstgelegenen Behandlungsstelle" (Art. 3d Abs. 1 lit. d ELG)
mit der 3. EL-Revision einen zusätzlichen bzw. weitergehenden Anspruch auf
Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten statuieren wollte.

4.2 Diese Frage ist auf Grund der Materialien zu verneinen. Im
bundesrätlichen Entwurf von Art. 3d ELG (gemäss Botschaft über die 3.
Revision des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur AHV und IV vom 20.
November 1996, in: BBl 1997 I 1214, insbes. 1234) fehlte ein Hinweis auf
"Kosten für Transporte zur nächstgelegenen Behandlungsstelle". Nachdem dieser
Zusatz bereits in der Sitzung der nationalrätlichen Kommission für soziale
Sicherheit und Gesundheit vom 28. Februar 1997 mit dem ausdrücklich
geäusserten Willen, am Status quo der bisherigen Kostenbeteiligung festhalten
zu wollen, in Art. 3d Abs. 1 lit. d ELG aufgenommen worden war, gab diese
Ergänzung des bundesrätlichen Revisionsentwurfes anschliessend weder im
Nationalrat (vgl. Amtl. Bull. 1997 N 479) noch im Ständerat (vgl. Amtl. Bull.
1997 S 617) zu Diskussionen Anlass. Obwohl im Rahmen des
Gesetzesrevisionsverfahrens zur 3. EL-Revision die Liste in Art. 3d Abs. 1
ELG im Vergleich zum bundesrätlichen Revisionsentwurf formell erweitert
wurde, war damit keine generelle Öffnung dieses Kataloges vorgesehen (AHI
2002 S. 75 Erw. 4b mit Hinweisen). Demnach steht fest, dass durch die
Aufnahme der bisher in Art. 17 Abs. 1 lit. b aELKV aufgeführten Kosten "für
Transporte zur nächstgelegenen Behandlungsstelle" in Art. 3d Abs. 1 ELG nach
dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers "keine Erweiterung des Angebotes",
sondern "einfach eine Klarstellung und ein Festhalten am Status quo" (Votum
Egerszegi, Berichterstatterin der vorberatenden Kommission, Amtl. Bull. 1997
N 479) der bisherigen Vergütung dieser Krankheits- und Behinderungskosten
gesetzlich verankert wurde.

5.
5.1 In der in SVR 1997 EL Nr. 35 S. 105 f. nicht veröffentlichten Erwägung 4
des Urteils S. vom 19. Dezember 1995 hielt das Eidgenössische
Versicherungsgericht - unter Verweis auf BGE 108 V 243 (Erw. 5b) - zu Art. 17
Abs. 1 lit. b aELKV fest, dass praxisgemäss Transportkosten zu
berücksichtigen sind, wenn und soweit sie die unvermeidliche Folge einer
notwendigerweise auswärts vorzunehmenden Behandlung darstellen, die
ihrerseits zu abziehbaren Krankenpflegekosten führt.

5.2 Die Praxis zu Art. 17 Abs. 1 lit. b aELKV bleibt auch nach Inkrafttreten
der 3. EL-Revision analog anwendbar, da mit dieser Revision hinsichtlich der
vergütungsfähigen Transportkosten gemäss Art. 3d Abs. 1 lit. d ELG im
Vergleich zum bisherigen Recht keine Erweiterung des Angebotes angestrebt,
sondern die Kostenbeteiligung im bisherigen Umfang lediglich zur Klarstellung
ins Gesetz aufgenommen wurde (Erw. 4.2 hievor). Folglich ist nicht zu
beanstanden, dass das kantonale Gericht im angefochtenen Entscheid die
Auffassung vertrat, vergütungsfähig seien Kosten für Transporte zum
nächstgelegenen medizinischen Behandlungsort nur soweit, als es sich bei den
entsprechenden Behandlungskosten um vergütungsfähige Krankheits- und
Behinderungskosten gemäss abschliessender Aufzählung in Art. 3d Abs. 1 ELG
handle. In der Folge schloss die Vorinstanz zutreffend darauf, dass die SVA
die Vergütung der strittigen Transportkosten zu Recht abgelehnt habe, da mit
Blick auf die PST-Behandlung weder die Krankenversicherung Leistungen
erbracht habe noch sonst wie nach Art. 3d Abs. 1 ELG - ungeachtet der
rechtskräftigen Ablehnung einer Beteiligung an den Kosten für diese
Behandlung gemäss Verfügung vom 17. Februar 2000 - vergütungsfähige
Krankheits- oder Behinderungskosten vorlägen.

6.
Schliesslich bleibt zu prüfen, ob die verstorbene Bezügerin von
Ergänzungsleistungen beziehungsweise die ihre Rechte vertretende Tochter
(Beschwerdeführerin) im berechtigten Vertrauen auf die Richtigkeit und
Rechtsverbindlichkeit der entsprechenden Informationen aus Ziffer 4.4 des
SVA-Merkblattes einen Anspruch auf Vergütung der Transportkosten zur
PST-Behandlung in X.________ gemäss SRK-Rechnung vom 2. März 2000 ableiten
kann. Verwaltung und Vorinstanz gingen sinngemäss davon aus, die EL-Bezügerin
und ihre Rechtsvertreterin hätten von der angerufenen Vertrauensgrundlage -
dem SVA-Merkblatt - erst nach Durchführung der PST-Behandlung und damit nach
Entstehung der strittigen Transportkosten Kenntnis nehmen können, so dass sie
nicht in der Lage gewesen seien, im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser
Auskunft Dispositionen zu treffen, weshalb es an einer notwendigen
Voraussetzung für die erfolgreiche Berufung auf den öffentlichrechtlichen
Vertrauensschutz fehle. Dagegen wendet die Beschwerdeführerin mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein, sie sei schon seit 1998 im Besitze des
genannten SVA-Merkblattes gewesen und habe sich folglich mit Blick auf die
Ende 1999 durch die PST-Behandlung anfallenden Transportkosten auf die
Richtigkeit und Verbindlichkeit dieser behördlichen Auskunft in Schriftform
verlassen dürfen.

6.1 Vorweg ist festzuhalten, dass Ziff. 4.4 des fraglichen SVA-Merkblattes
inhaltlich mit Art. 3d Abs. 1 lit. d ELG (sowie den Ausführungsbestimmungen
Art. 19 Abs. 1 lit. d ELV und Art. 15 Abs. 2 ELKV) übereinstimmt und insoweit
nicht fehlerhaft ist. Da praxisgemäss (Erw. 5.1 hievor) nur solche
Transportkosten zu berücksichtigen sind, wenn und soweit sie die
unvermeidliche Folge einer notwendigerweise auswärts vorzunehmenden
Behandlung darstellen, die ihrerseits zu abziehbaren Krankenpflegekosten
führt, ist das SVA-Merkblatt höchstens als unvollständig zu bezeichnen. Ob es
deswegen als fehlerhaft zu gelten hat, braucht indessen gestützt auf die
nachfolgenden Erwägungen nicht näher geprüft zu werden.

6.2 Nach BGE 124 V 220 (Erw. 2b/aa) ist vom allgemeinen Grundsatz auszugehen,
wonach niemand Vorteile aus seiner eigenen Rechtsunkenntnis ableiten kann
(BGE 111 V 405 Erw. 3, 110 V 338 Erw. 4; ZAK 1991 S. 375 Erw. 3c; ARV 1985
Nr. 13 S. 52 Erw. 4b mit Hinweis auf BGE 98 V 258 und ZAK 1977 S. 263 Erw.
3). Eine vom Gesetz abweichende Behandlung kommt nur in Betracht, wenn die
praxisgemäss erforderlichen fünf Voraussetzungen für eine erfolgreiche
Berufung auf den öffentlichrechtlichen Vertrauensschutz erfüllt sind (BGE 116
V 298 Erw. 3a). Dafür erforderlich ist insbesondere, dass die Verwaltung
tatsächlich eine falsche Auskunft erteilt hat. Nach der Rechtsprechung
vermögen von der Verwaltung herausgegebene fehlerhafte Weisungen oder
Merkblätter nur in Ausnahmefällen eine vom materiellen Recht abweichende
Behandlung zu begründen (BGE 109 V 55 Erw. 3b mit Hinweis, vgl. auch BGE 111
V 170 Erw. 5b mit Hinweisen). Verlangt der Bürger aber zu einer bestimmten,
ihn betreffenden Frage eine Auskunft und erteilt ihm die Behörde diese in
Form der Abgabe eines Merkblattes (oder einer ähnlichen behördlichen
Information), kann damit eine individuell-konkrete Zusicherung verbunden
sein. Trifft dies zu, kann sich der Betroffene auf die Unrichtigkeit der
Auskunft berufen, sofern die übrigen Voraussetzungen des Vertrauensschutzes
erfüllt sind (BGE 109 V 55 f. Erw. 3b).

6.3 Die Beschwerdeführerin selber macht in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
geltend, bereits im Sommer 1995 erstmals telefonisch Informationen über
Ergänzungsleistungen in Form von Merkblättern und Formularen bestellt und
erhalten zu haben. Auch im Herbst 1998 habe sie sich wieder ein neues
EL-Merkblatt besorgt, "um sicher zu sein", dass sie "eine aktuelle Ausgabe"
habe. Sie habe sich über die geltenden Bedingungen informieren wollen, bevor
sie in einem früheren Streitverfahren im Herbst 1998 einen Rekurs eingereicht
habe. Gestützt auf dieses SVA-Merkblatt habe sie sich "im folgenden Jahr bei
der Planung der Rückentherapie (...) auf die Übernahme der Transportkosten
verlassen". Daraus erhellt, dass die Beschwerdeführerin das fragliche
SVA-Merkblatt nicht im Zusammenhang mit der PST-Behandlung vom Dezember 1999
bezogen hatte und dessen Zustellung somit nicht mit einer behördlichen
Zusicherung verbunden war. Die Voraussetzung für eine ausnahmsweise - auf
Grund eines von der Verwaltung herausgegebenen Merkblattes - vom materiellen
Recht abweichende Behandlung ist vorliegend nicht erfüllt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 15. November 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: