Sozialrechtliche Abteilungen P 18/2002
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P 18/02 Bh IV. Kammer Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin Kopp Käch Urteil vom 9. Juli 2002 in Sachen Y.________, 1951, Beschwerdeführer, gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin, und Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern A.- Der 1951 geborene Y.________ ist seit 1971 mit der 1952 geborenen V.________ verheiratet. Er ist seit 1984 in der Schweiz wohnhaft und bezieht seit 1. Juni 1998 eine ganze Invalidenrente. Am 1. November 2000 meldete er sich zum Bezug von Ergänzungsleistungen an. Mit Verfügung vom 2. November 2001 lehnte die Ausgleichskasse des Kantons Bern dieses Gesuch ab. B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwal- tungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 7. Februar 2002 ab. C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt Y.________ wiederum die Zusprechung von Ergänzungsleis- tungen, eventualiter die Rückweisung zur Neubeurteilung an die Vorinstanz bzw. an die Ausgleichskasse. Die Ausgleichskasse des Kantons Bern schliesst auf Ab- weisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1.- a) Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben Schwei- zer Bürger mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, wenn sie eine der Voraussetzungen nach den Art. 2a-2d des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) erfüllen und die gesetzlich anerkannten Ausgaben (Art. 3b ELG) die anrechenbaren Einnahmen (Art. 3c ELG) übersteigen (Art. 2 Abs. 1 ELG). Ausländern mit Wohnsitz und gewöhnli- chem Aufenthalt in der Schweiz ist wie Schweizer Bürgern ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen einzuräumen, wenn sie sich u.a. unmittelbar vor dem Zeitpunkt, von welchem an die Ergänzungsleistung verlangt wird, ununterbrochen zehn Jahre in der Schweiz aufgehalten und Anspruch auf eine Rente, eine Hilflosenentschädigung oder ein Taggeld der Invaliden- versicherung haben (Art. 2 Abs. 2 lit. a ELG). Die jährli- che Ergänzungsleistung entspricht dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen über- steigen (Art. 3a Abs. 1 ELG). b) Die anrechenbaren Einnahmen werden nach Art. 3c ELG ermittelt. Als Einkommen anzurechnen sind danach u.a. Ein- künfte und Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist (Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG). Eine Verzichtshandlung liegt vor, wenn die versicherte Person ohne rechtliche Verpflich- tung auf Vermögen verzichtet hat, wenn sie einen Rechtsan- spruch auf bestimmte Einkünfte und Vermögenswerte hat, da- von aber faktisch nicht Gebrauch macht bzw. ihre Rechte nicht durchsetzt oder wenn sie aus von ihr zu verantworten- den Gründen von der Ausübung einer möglichen und zumutbaren Erwerbstätigkeit absieht (noch nicht in der Amtlichen Samm- lung veröffentlichtes Urteil L. vom 5. März 2002, P 71/01; BGE 121 V 205 Erw. 4a; AHI 2001 S. 133 Erw. 1b, je mit Hin- weisen). Unter dem Titel des Verzichtseinkommens ist gemäss Rechtsprechung auch ein hypothetisches Einkommen der Ehe- frau eines EL-Ansprechers anzurechnen, sofern diese auf eine zumutbare Erwerbstätigkeit oder auf deren zumutbare Ausdehnung verzichtet. Bei der Ermittlung einer allfälligen zumutbaren Erwerbstätigkeit ist der konkrete Einzelfall un- ter Anwendung familienrechtlicher Grundsätze zu berücksich- tigen. Dementsprechend ist auf das Alter, den Gesundheits- zustand, die Sprachkenntnisse, die Ausbildung, die bisheri- ge Tätigkeit, die konkrete Arbeitsmarktlage sowie gegeben- enfalls auf die Dauer der Abwesenheit vom Berufsleben abzu- stellen. Ferner ist bei der Festlegung eines hypothetischen Einkommens zu berücksichtigen, dass für die Aufnahme und Ausdehnung der Erwerbstätigkeit eine gewisse Anpassungspe- riode erforderlich und nach einer langen Abwesenheit vom Berufsleben die volle Integration in den Arbeitsmarkt in einem gewissen Alter nicht mehr möglich ist. Dies geschieht einerseits in Anlehnung an die Festsetzung von nacheheli- chen Unterhaltsansprüchen durch Einräumung einer gewissen realistischen Übergangsfrist für die Aufnahme oder Erhöhung des Arbeitspensums, bevor ein hypothetisches Einkommen an- gerechnet wird. Andrerseits ist zu berücksichtigen, dass nach neuem Scheidungsrecht bezüglich der durch die Recht- sprechung festgelegten bisherigen Altersgrenze von 45 Jah- ren für einen vollständigen und dauerhaften (Wieder-)Ein- stieg ins Erwerbsleben eine Erhöhung in Betracht zu ziehen ist und auch Art. 14b lit. c der Verordnung über die Ergän- zungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invaliden- versicherung (ELV) von der Hypothese ausgeht, dass noch über 50jährigen Frauen ohne minderjährige Kinder der Wie- dereinstieg ins Berufsleben zumutbar ist, dass dort aber von einem Minimaleinkommen ausgegangen wird. Diese zivil- und EL-rechtlichen Leitlinien sind zu berücksichtigen, wenn in einem konkreten Fall zu entscheiden ist, ob und in wel- chem Umfang der Ehefrau eines EL-Ansprechers die (Wie- der-)Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in einem bestimmten Alter überhaupt noch zugemutet werden kann (zum Ganzen: AHI 2001 S. 133 Erw. 1b). c) Vom hypothetisch ermittelten Einkommen der Ehefrau des EL-Ansprechers sind - ebenso wie bei den hypothetischen Einkommen nach Art. 14a und 14b ELV - gemäss Art. 3c Abs. 1 lit. a ELG bei Ehepaaren jährlich insgesamt Fr. 1500.- ab- zuziehen und vom Rest zwei Drittel anzurechnen. Insofern sind hypothetische Einkünfte in gleicher Weise zu privile- gieren wie tatsächlich erzielte (AHI 2001 S. 134 Erw. 1c). 2.- a) Die Ausgleichskasse des Kantons Bern hat in ihrer Verfügung vom 2. November 2001 darauf hingewiesen, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers gemäss Verfügung der IV-Stelle Bern vom 22. August 2001 ein Invalideneinkommen von jährlich Fr. 37'800.- erzielen könne. Sie führte aus, dass sie, nachdem der EL-Ansprecher im Anhörungsverfahren nicht belegt habe, dass dieses Einkommen nicht realisierbar sei, bei der Ermittlung eines allfälligen EL-Anspruchs von einem hypothetischen Erwerbseinkommen der Ehefrau von Fr. 36'000.- ausgehe, dieses um den Freibetrag von Fr. 1500.- kürze und davon zwei Drittel anrechne. Gestützt auf einen daraus resultierenden Einnahmenüberschuss lehnte sie das Gesuch um Ergänzungsleistungen ab. b) Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern ging eben- falls vom durch die IV-Stelle ermittelten Invaliditätsgrad von 5 % aus und leitete daraus ab, dass die Ehefrau des Be- schwerdeführers bei leichten körperlichen Arbeiten prak- tisch vollumfänglich arbeits- und erwerbsfähig sei. Es wies darauf hin, dass bei den Ergänzungsleistungen - im Gegen- satz zu den Leistungen der Invalidenversicherung - zusätz- lich invaliditätsfremde Gründe berücksichtigt werden könn- ten. Weder habe jedoch der Beschwerdeführer im Anhörungs- verfahren - trotz entsprechender Aufforderung - derartiges geltend gemacht, noch seien Gründe dafür ersichtlich, dass die Ehefrau ihre Arbeitskraft nicht tatsächlich verwerten und dabei das angerechnete Einkommen erzielen könnte. c) Der Beschwerdeführer stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, aufgrund der sich verschlimmernden gesund- heitlichen Probleme könne seine Ehefrau das ihm angerech- nete hypothetische Einkommen nicht erzielen. Auch die In- stitution X.________, die kurzfristig stunden- und tage- weise Aufträge bei Privaten, Institutionen und Firmen ver- mittle, habe nicht weiterhelfen können. Zudem seien sie als Ausländer bei der Arbeitssuche benachteiligt und hätten als Flüchtlinge nicht die Möglichkeit gehabt, Deutsch zu lernen und einen Beruf zu haben. Die Deutschkenntnisse seiner Ehe- frau erlaubten ihr nur eine Stelle als Hilfsarbeiterin oder als Putzfrau, wobei sie - wenn sie überhaupt eine Stelle finde - höchstens ein Einkommen von Fr. 12'000.- im Jahr erzielen könnte. d) Streitig und zu prüfen ist somit, ob und wenn ja, in welchem Umfang und ab wann, dem EL-Ansprecher ein hypo- thetisches Einkommen seiner Ehefrau angerechnet werden kann. 3.- a) Die Ergänzungsleistungen bezwecken eine ange- messene Deckung des Existenzbedarfs, indem sie bedürftigen Rentnern und Rentnerinnen der AHV und Invalidenversicherung ein regelmässiges Mindesteinkommen sichern sollen. Es gilt deshalb der Grundsatz, dass bei der Anspruchsberechnung nur tatsächlich vereinnahmte Einkünfte und vorhandene Vermö- genswerte zu berücksichtigen sind. Eine Einschränkung fin- det sich - wie in Erw. 1b dargelegt - u.a. dort, wo die Ehefrau des Versicherten aus von ihr zu verantwortenden Gründen von der Ausübung einer möglichen und zumutbaren Erwerbstätigkeit absieht (AHI 2001 S. 133 Erw. 1b mit Hin- weisen). b) Aktenkundig und unbestritten ist, dass dem Versi- cherten ein Invaliditätsgrad von 100 % attestiert wird, er aber - wie er selber einräumt - bei den Haushaltarbeiten hilft und dass eine Kinderbetreuung nicht mehr erforderlich ist. Zu Recht haben daher Verwaltung und Vorinstanz ge- prüft, ob es seiner Ehefrau möglich und zumutbar sei, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Beide sind zum Schluss gekom- men, dass die Ehepartnerin des Versicherten vollzeitlich erwerbstätig sein könne. Zur Prüfung und Beantwortung die- ser Frage liegen indessen zu wenig Angaben vor. Weder geht aus den Akten hervor, über welche Ausbildung die Ehefrau des Versicherten verfügt, ob und gegebenenfalls welcher Erwerbstätigkeit sie früher nachgegangen ist und inwiefern im massgeblichen Zeitpunkt für Frauen mit dem entsprechen- den Ausbildungsprofil an deren Wohnort tatsächlich Voll- zeit-Arbeitsstellen verfügbar waren, welche die Erzielung des angenommenen Jahreseinkommens ermöglicht hätten. Die hypothetische Frage, ob der Ehegattin eines EL-Bezügers eine Erwerbstätigkeit zumutbar sei und in welcher Höhe sie bei Aufbringung des forderbaren guten Willens Erwerbsein- künfte erzielen könnte, lässt in der Regel ohne vorgängige Abklärungen zum Einzelfall weder schematisches Abstellen auf statistische Durchschnittswerte noch mehr oder weniger gesicherte Erfahrungsannahmen zu, die zwar für einen Gross- teil der Versicherten zutreffen mögen, aber nichts über das beruflich-erwerbliche Leistungsvermögen im konkreten Fall aussagen. Unter diesem Titel zu berücksichtigen sind na- mentlich das Alter der Ehefrau, ihre Ausbildung, allfällige bisherige Tätigkeiten sowie ihre Sprachkenntnisse. Aus dem Umstand sodann, dass dem Rentengesuch der Ehefrau kein Er- folg beschieden worden ist, kann nicht ohne weiteres abge- leitet werden, dass sie gesundheitlich dazu in der Lage ist, 42 Stunden pro Woche jedwelche Hilfsarbeitertätigkeit zu verrichten. Ob, in welcher Weise und in welcher Intensi- tät jemandem, der bisher erwerblich mehr oder weniger inak- tiv gewesen ist, die Aufnahme einer Arbeit auf dem in Frage kommenden konkreten Arbeitsmarkt nach den vorhandenen Fä- higkeiten zugemutet werden kann, ist, in Anbetracht des hy- pothetischen Charakters des Beweisthemas, wesentlich auch eine Frage des persönlichen Eindruckes. Die Ausgleichskas- se, welche mangels konkreter Angaben des Beschwerdeführers ohne Berücksichtigung invaliditätsfremder Faktoren vom durch die IV-Stelle Bern ermittelten Invalideneinkommen ausgegangen ist, hat daher die Ehefrau des Beschwerdefüh- rers, wenn nötig unter Bereitstellung eines Dolmetschers, zur Sache zu befragen. Der Beschwerdeführer äussert schliesslich auch Bedenken betreffend Verwertbarkeit einer allfälligen Arbeitsfähigkeit auf dem aktuellen Arbeits- markt. Diesbezüglich wären nach Bejahung einer zumindest teilweisen Arbeitsfähigkeit das Angebot an offenen geeigne- ten Stellen einerseits und die Zahl der Arbeit suchenden Personen andrerseits zu berücksichtigen. 4.- Sollte sich aus den vorzunehmenden Abklärungen er- geben, dass es der Ehefrau des Versicherten möglich und zu- mutbar ist, teil- oder vollzeitlich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, stellt sich die Frage nach der Höhe des anre- chenbaren Einkommens. Ist davon auszugehen, dass der Ehe- frau des Versicherten ein breites Spektrum von Hilfsarbei- terstellen offensteht, können dazu mangels konkreter Anga- ben analog zur Ermittlung des Invalideneinkommens Tabellen- löhne beigezogen werden, dies insbesondere dann, wenn die betroffene Person bisher keiner Erwerbstätigkeit nachgegan- gen ist (vgl. BGE 124 V 322 Erw. 3b/aa; AHI 2000 S. 81 Erw. 2a). Indessen ist zu beachten, dass bei der Ermittlung des hypothetischen Erwerbseinkommens für die EL-Berechnung nicht auf den allgemeinen und ausgeglichenen Arbeitsmarkt, sondern auf die konkrete persönliche Situation sowie den Arbeitsmarkt im fraglichen Zeitpunkt und in der Nähe des Wohnortes der betreffenden Person abzustellen ist. Was so- dann den Anfangszeitpunkt der Anrechnung eines hypotheti- schen Einkommens anbelangt, ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass gerade im Bereich von Tätigkeiten wie Reinigen und Bügeln, die der Beschwerdeführer als realistische Mög- lichkeit sieht, das kurzfristige Erreichen eines Vollzeit- pensums kaum möglich ist. Vielmehr muss von einer gewissen Anpassungsfrist ausgegangen werden, in welcher - häufig auf Grund von Empfehlungen von Arbeitgebern und Arbeitgeberin- nen - weitere Teilzeitarbeitsverträge abgeschlossen werden können (AHI 2001 S. 136 Erw. 2d). Die Gewährung einer sol- chen Anpassungsfrist erwiese sich als in ganz besonderem Masse notwendig, wenn die Ehefrau des Beschwerdeführers noch nicht in den Arbeitsmarkt eingegliedert ist. Die Sache ist zur Abklärung der erwähnten Fragen und zur anschliessenden Neuverfügung über den Anspruch auf Er- gänzungsleistungen unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze an die Ausgleichskasse des Kantons Bern zurück- zuweisen. Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: I. In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbe- schwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 7. Februar 2002 und die Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Bern vom 2. November 2001 aufgehoben und es wird die Sache an die Aus- gleichskasse des Kantons Bern zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf Ergänzungsleistungen neu verfü- ge. II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge- richt des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. Luzern, 9. Juli 2002 Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts Die Präsidentin der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: i.V.