Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen M 3/2002
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M 3/02

Urteil vom 3. Februar 2006

I. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger,
Schön und Borella; Gerichtsschreiber Ackermann

O.________, 1946, Beschwerdeführer,

gegen

SUVA Militärversicherung, Schermenwaldstrasse 10, 3001 Bern,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 26. Juni 2002)

Sachverhalt:

A.
O. ________, geboren 1946, meldete sich am 19. Oktober 1999 bei der
Militärversicherung und beantragte die (teilweise) Übernahme der Kosten für
die Extraktion und Ersetzung eines Stiftzahnes; er machte geltend, dass ihm
dieser Stiftzahn anlässlich der Offiziersschule im Jahre 1968 vom (zivilen)
Waffenplatzzahnarzt nach einem Sportunfall eingesetzt worden sei und ihm nun
nach Jahren die Zahnwurzel gespalten habe. Nachdem das Bundesamt für
Militärversicherung (BAMV; heute Teil der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt [SUVA]) festgestellt hatte, dass keine
diesbezüglichen Militärversicherungs- und Sanitätsakten mehr existieren,
lehnte es mit Verfügung vom 9. Mai 2000 die Leistungspflicht der
Militärversicherung ab, da O.________ die Folgen der Beweislosigkeit zu
tragen habe. Das BAMV nahm auf Einsprache hin diverse Abklärungen vor und
bestätigte mit Einspracheentscheid vom 12. Februar 2001 die Verfügung von Mai
2000, wobei es insbesondere darauf hinwies, dass das damalige Vorkommnis gar
nie der Militärversicherung gemeldet, sondern direkt von der Truppe bezahlt
und erledigt worden sei.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 26. Juni 2002 ab.

C.
O.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides
seien ihm die Kosten von Fr. 4'217.- für die Entfernung und den Ersatz des
beschädigten Zahns zu bezahlen, eventualiter sei die Sache zur weiteren
Abklärung und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das BAMV schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

D.
Im Instruktionsverfahren holte das Eidgenössische Versicherungsgericht beim
Generalsekretariat des Departements Verteidigung, Bevölkerungsschutz, Sport
(VBS) einen Amtsbericht über die militärischen Aktenaufbewahrungs- und
Meldepflichten ein. Überdies wurde im Rahmen der Amtshilfe beim
Generalsekretariat VBS eine Abklärung nach allenfalls vorhandenen Akten der
Sanität, des Truppenkommandanten, des Rechnungsführers oder anderer
Dienststellen in Auftrag gegeben, wobei sich ergab, dass keine Unterlagen
mehr existieren. Der Amtsbericht und die Abklärungsergebnisse wurden den
Parteien zur Vernehmlassung zugestellt.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat das anwendbare Recht (Art. 109 MVG; Jürg Maeschi,
Kommentar zum Bundesgesetz über die Militärversicherung vom 19. Juni 1992,
Bern 2000, N 3 zu Art. 109), die Haftung der Militärversicherung für
Rückfälle und Spätfolgen (Art. 6 MVG), den Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b) sowie den im
Sozialversicherungsrecht geltenden Untersuchungsgrundsatz (BGE 125 V 195 Erw.
2 mit Hinweisen) und die Folgen bei Beweislosigkeit (BGE 117 V 264 Erw. 3b
mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheides (hier: 12.
Februar 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsrichter nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b).

2.
Streitig ist der Anspruch auf Heilbehandlung in Form der Übernahme der
bereits entstandenen Heilkosten. Vorinstanz und Verwaltung haben diesen
Anspruch verneint, da der Kausalzusammenhang zwischen dem geklagten
Zahnschaden und dem Unfall im Jahr 1968 nicht mit dem Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sei, während der
Beschwerdeführer der Auffassung ist, es sei bewiesen, dass der 1999
behandelte Zahn damals betroffen gewesen ist.

2.1 Nach Art. 6 MVG besteht eine Leistungspflicht der Militärversicherung nur
dann, wenn der 1999 aufgetretene Zahnschaden mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit eine Spätfolge einer versicherten Gesundheitsschädigung
darstellt. In dieser Hinsicht fällt der vom Versicherten behauptete Unfall
während der Offiziersschule 1968 in Betracht. Damit ist als erstes zu prüfen,
ob dieser Unfall 1968 wirklich stattgefunden hat und ob der 1999 extrahierte
und durch ein Implantat ersetzte Zahn dabei verletzt und in der Folge mit
einem Stiftzahn versehen worden ist. Falls dies zu bejahen ist, ist
anschliessend abzuklären, ob der 1968 eingesetzte Stiftzahn den 1999
eingetretenen Gesundheitsschaden (Spaltung der Zahnwurzel) bewirkt und die
vorgenommene Behandlung (Extraktion, Implantat) notwendig gemacht hat; diese
weitere Prüfung ist bis jetzt noch nicht vorgenommen worden, da bereits die
1968 behauptete Schädigung des 1999 extrahierten Zahnes (und nicht etwa eines
anderen) von Vorinstanz und Verwaltung nicht als überwiegend wahrscheinlich
erachtet worden ist.

2.2 Es ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit im Jahre 1968 ein Unfall stattgefunden hat. Dafür sprechen
die überzeugenden Aussagen des Beschwerdeführers sowie diejenigen eines
ehemaligen Dienstkameraden, der sich noch vage an den damaligen Vorfall
erinnern kann. Auch wenn der seinerzeitige Unfall nicht der
Militärversicherung gemeldet worden ist, lag dennoch ein - auch nach dem
damals geltenden Bundesgesetz über die Militärversicherung vom 20. September
1949 (aMVG) - versichertes Ereignis vor, so dass heute eine Spätfolge
grundsätzlich geltend gemacht werden kann (vgl. Art. 110 MVG e contrario).

2.3 Als nächstes ist zu prüfen, welches die Folgen dieses Unfalles gewesen
sind, insbesondere ob der 1999 extrahierte und ersetzte Zahn damals verletzt
und in der vom Versicherten beschriebenen Weise behandelt worden ist. Wie
sich im Instruktionsverfahren ergeben hat, existieren in vorliegender Sache
keinerlei Akten über den 1968 stattgefundenen Unfall mehr, so dass auf diesem
Weg nicht mehr eindeutig feststellbar ist, welcher Zahn in welcher Art und
Weise geschädigt und saniert worden ist.

Jedoch kann für die Beantwortung dieser Frage auf die ausführlichen, seit
Anbeginn des Verfahrens in sich widerspruchsfreien, schlüssigen und
überzeugenden Aussagen des Beschwerdeführers abgestellt werden; in dieser
Hinsicht ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bis (mindestens) 1972 nur
der vom Versicherten angegebene Zahn mit einer Stiftkrone versehen war, was
die Auffassung des Versicherten auch objektiv stützt. Vor allem aber liegt
eine Erinnerungsbrücke vor, die den Aussagen des Beschwerdeführers erhöhte
Glaubwürdigkeit verleiht: Da die seinerzeitige Durchführung der Zahnsanierung
durch den Waffenplatzzahnarzt optisch nicht völlig zu überzeugen vermochte,
wurde der Versicherte nach seinen überzeugenden Ausführungen seit 1968 bei
jedem Blick in den Spiegel - z.B. beim täglichen Zähneputzen - an den
damaligen Unfall und dabei speziell auch an den anlässlich dieses Vorfalles
verletzten Zahn erinnert.
In der Folge kann offen bleiben, ob sich das BAMV (resp. die SUVA) anrechnen
lassen muss, dass andere Bundesbehörden Akten allenfalls weisungswidrig
vernichtet haben, was eine Beweisvereitelung darstellen und damit zu einer
Umkehr der (objektiven) Beweislast führen würde. Offen bleiben kann
ebenfalls, ob eine Beweislastumkehr daraus resultiert, dass die Organe der
Militärversicherung die Meldepflicht nicht derart geregelt haben, dass sie
von allen versicherten Ereignissen Kenntnis erhalten.

2.4 Damit kann auf Grund der überzeugenden Aussagen des Beschwerdeführers mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass beim Unfall 1968 der
im Jahre 1999 extrahierte und durch ein Implantat ersetzte Zahn verletzt und
mit einer Stiftkrone versehen worden ist. Die SUVA wird in der Folge
abzuklären haben, ob der 1968 eingesetzte Stiftzahn den 1999 eingetretenen
Gesundheitsschaden (Spaltung der Zahnwurzel) bewirkt und die vorgenommene
Behandlung (Extraktion, Implantat) notwendig gemacht hat; anschliessend wird
sie neu verfügen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutheissen, dass der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 26. Juni 2002 und
der Einspracheentscheid des BAMV vom 12. Februar 2001 aufgehoben werden und
die Sache an die SUVA zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter
Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf Heilbehandlung neu
verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Versicherungsgericht des Kantons
Aargau zugestellt.

Luzern, 3. Februar 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der I. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: