Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen M 1/2002
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2002
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2002


M 1/02

Urteil vom 17. Juni 2004

I. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Schön, Ursprung und
Frésard; Gerichtsschreiberin Weber Peter

T.________, 1939, Beschwerdeführer,

gegen

Bundesamt für Militärversicherung, Schermenwaldstrasse 10, 3001 Bern,
Beschwerdegegner

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 25. Januar 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1939 geborene T.________ hatte sich während des militärischen
Wiederholungskurses im März 1966 (im Folgenden: WK) bei einem Bergaufstieg
mit Skiern und Fellen im Rahmen einer Gefechtsübung Beschwerden am rechten
Knie zugezogen, welche als "Bänderzerrung am rechten Knie" diagnostiziert
wurden. Nach einer erneuten Belastung im Zivilleben im Februar 1967 und
Tragbelastungen beim Eintritt in den WK 1967 hatten sich die Kniebeschwerden
wieder eingestellt (Bericht von Dr. med. E.________, Spezialärztin FMH für
physikalische Medizin spez. Rheumaerkrankungen, vom 25. November 1967). In
der Folge wurde er von der san. UC ad hoc am 30. Oktober 1967 wegen
"Arthrosis deformans" am rechten Knie in den Hilfsdienst umgeteilt. Am 7.
November 1967 meldete T.________ seine Gesundheitsschädigung bei der
Militärversicherung an. Diese übernahm nach zusätzlichen Abklärungen bis 5.
Februar 1968 die Behandlung freiwillig und ohne Präjudiz.

Am 11. Dezember 1995 war T.________ auf einem steil abfallenden Weg
gestolpert und hatte sich dabei eine Meniskusschädigung am rechten Knie
zugezogen, für welche die Versicherungskasse der Stadt Zürich, als
zuständiger Unfallversicherer, bis Ende März 1997 die gesetzlichen Leistungen
erbrachte. Am 24. Januar 1996 erfolgte eine Arthroskopie am rechten
Kniegelenk durch Dr. med. S.________, Spezialarzt Chirurgie FMH. Da trotz
operativem Eingriff keine Beschwerdefreiheit erzielt werden konnte, wurde am
6. Februar 1997 eine MRI-Untersuchung des rechten Kniegelenks durchgeführt.
Hiebei ergab sich eine Gonarthrose und Retropatellararthrose mit einer
Lateralisation der Patella, eine Meniskusdegeneration im medialen Hinterhorn,
eine kleine subchondrale Zyste im medialen Tibiaplateau und eine Bakerzyste.
Nachdem die Unfallversicherung, gestützt auf eine Stellungnahme des
behandelnden Chirurgen Dr. med. S.________ (vom 16. September 1997), welcher
die Knorpelschädigung und die degenerativen Veränderungen als nicht durch den
aktuellen Unfall bedingt betrachtete, eine weitere Leistungspflicht ab April
1997 ablehnte, meldete T.________ seinen Knieschaden am 25. November 1998
vorsorglich bei der Militärversicherung an. Das Bundesamt für
Militärversicherung (BAMV) holte eine versicherungsmedizinische Stellungnahme
des Dr. med. L.________, Ärztlicher Dienst der Militärversicherung (vom 10.
Juni 1998 und 2. Dezember 1998), ein und liess den Versicherten durch einen
ihrer Inspektoren befragen (Protokoll vom 5. Januar 1999). Nach einer
zusätzlichen Beurteilung durch Dr. med. K.________, Facharzt FMH für
Orthopädische Chirurgie, Chefärztlicher Dienst des BAMV (vom 25. Februar
1999) lehnte das BAMV mit Vorbescheid vom 26. März 1999 die Haftung für die
Gesundheitsschädigung am rechten Knie ab, u.a. mit der Begründung, dass das
rechte Knie einen erheblichen Vorzustand (1952 rechtsseitige
Unterschenkelfraktur mit Beinverkürzung von mind. einem Zentimeter und 1961
"innere Bänderzerrung am rechten Knie") aufwies und die vorübergehende
Verschlimmerung mit medizinisch praktischer Sicherheit mit dem Abklingen der
akuten Symptome nachdienstlich wieder behoben war. Daran hielt es in seiner
Verfügung vom 9. Juli 1999 nach einer weitern Stellungnahme von Dr. med.
K.________ (vom 15. Juni 1999) fest. Die dagegen erhobene Einsprache wies das
BAMV nach Einholung eines erneuten versicherungsinternen medizinischen
Berichts von Dr. med. L.________ (vom 9. September 1999) mit Entscheid vom
20. März 2000 ab.

B.
Hiegegen führte der Versicherte Beschwerde und beantragte, es sei die Haftung
für die angemeldete Gesundheitsschädigung am rechten Kniegelenk mit ihren
Spätfolgen durch die Militärversicherung zu übernehmen und es sei zudem der
geleistete Militärpflichtersatz für die Jahre ab 1968 zurückzuerstatten,
verzinst zu 5 %. Diese wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
ab (Entscheid vom 25. Januar 2002).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert T.________ die vorinstanzlich
gestellten Rechtsbegehren.

Das BAMV schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit
darauf einzutreten sei.

D.
Der Versicherte reichte am 8. Mai 2002 eine weitere Stellungnahme ein. Mit
Schreiben vom 30. November 2002 legte er sodann drei zusätzliche
Arztrechnungen betreffend das Jahr 1967 auf.

E.
Am 17. Juni 2004 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht eine
parteiöffentliche Beratung durchgeführt.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze
über die Haftung der Militärversicherung bei während des Dienstes
auftretenden Gesundheitsschäden (Art. 5 Abs. 1 MVG) und bei während des
Dienstes auftretenden, jedoch erst danach festgestellten Gesundheitsschäden
sowie bei Rückfällen und Spätfolgen (Art. 6 MVG) zutreffend und umfassend
dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Zu ergänzen ist, dass der
Unterschied zwischen den Haftungsvoraussetzungen nach Art. 5 und Art. 6 MVG
namentlich darin besteht, dass im ersten Fall der Kausalzusammenhang zwischen
der Gesundheitsschädigung und den Einwirkungen während des Dienstes vermutet
wird und diese Vermutung nur durch den gegenteiligen Sicherheitsbeweis
ausgeschlossen werden kann, während im zweiten Fall das Vorliegen kausaler
Folgen von dienstlicher Gesundheitsschädigung mit dem im
Sozialversicherungsrecht allgemein erforderlichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt sein muss (BGE 123 V 138 Erw. 3a,
111 V 372 Erw. 1b). Entscheidend ist überdies, ob der Zusammenhang zwischen
Spätfolge oder Rückfall und dienstlicher Gesundheitsschädigung
wahrscheinlicher ist als das Fehlen eines solchen (BGE 111 V 374 Erw. 2b;
Jürg Maeschi, Kommentar zum Bundesgesetz über die Militärversicherung [MVG]
vom 19. Juni 1992, Bern 2000, N 26 zu Art. 6 MVG).

1.2 Gemäss Rechtsprechung liegen Spätfolgen vor, wenn ein scheinbar geheiltes
Leiden (mit oder ohne verbleibenden Defektzustand) im Verlaufe längerer Zeit
organische oder auch psychische  Veränderungen bewirkt, die zu einem oft
völlig anders gearteten Krankheitsbild führen. Beim Rückfall handelt es sich
um das Wiederaufflackern einer vermeintlich geheilten Krankheit, so dass es
zu ärztlicher Behandlung, möglicherweise gar zu Arbeitsunfähigkeit kommt (BGE
123 V 138 Erw. 3a mit Hinweisen, 118 V 296 Erw. 2c f.; RKUV 1997 Nr. U 275 S.
191 Erw. 1c mit Hinweisen; Maeschi, a.a.O., N 22 zu Art. 6 MVG). Nach
geltender Gerichtspraxis gilt zu beachten, dass je grösser der zeitliche
Abstand zwischen dem "Unfall" und dem Auftreten der neuen gesundheitlichen
Beeinträchtigung ist, desto strengere Anforderungen an den
Wahrscheinlichkeitsbeweis des natürlichen Kausalzusammenhangs zu stellen sind
(RKUV 1997 Nr. U 275 S. 191 Erw. 1c mit Hinweisen).

1.3 Zu ergänzen ist schliesslich, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft
getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des
streitigen Einspracheentscheides (hier: 20. März 2000) eingetretene Rechts-
und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht
berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

2.
2.1 Vorinstanz und Verwaltung haben zu Recht erwogen, dass der ursprüngliche
Versicherungsfall mit den in den beiden WK's 1966 und 1967 aufgetretenen
Beschwerdeschüben abgeschlossen war, als 1998 erneut Kniebeschwerden
angemeldet wurden. Mithin konnten die verbliebenen Beeinträchtigungen nicht
als Brückensymptome qualifiziert werden. Indessen ist eher von Spätfolgen als
von einem Rückfall auszugehen, da das 1998 aufgetretene Leiden eine anders
geartete Krankheit darstellt als die Folgen des Skiereignisses aus dem Jahre
1966 (vgl. Erw. 1.1 hievor).

2.2 Streitig und zu prüfen ist, ob es sich beim aktuellen Gesundheitsschaden
(degenerative Erscheinungen im rechten Knie) mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit um Spätfolgen bzw. zumindest teilweise Spätfolgen des
versicherten Ereignisses 1966 handelt.

2.3 Nach sorgfältiger Würdigung der medizinischen Aktenlage ist die
Vorinstanz zum Schluss gelangt, dass ein Zusammenhang zwischen den
dienstlichen Einwirkungen und dem heute sich manifestierenden
Gesundheitsschaden am rechten Knie nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad
der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt ist. Sie schloss sich dabei
vollumfänglich der versicherungsmedizinischen Beurteilung von Dr. med.
K.________ (vom 25. Februar 1999 sowie ergänzende Ausführungen vom 25.
Februar 2000) an. Dies ist nicht zu beanstanden. Dieser Arztbericht wird den
gemäss Rechtsprechung gestellten Anforderungen an eine beweiskräftige
medizinische Stellungnahme (BGE 125 V 352 Erw. 3a, 122 V 160 f. Erw. 1c)
gerecht, womit ihm volle Beweiskraft zukommt. Die vorhandenen Akten wurden
umfassend gewürdigt, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und
der medizinischen Situation ist er einleuchtend und die Schlussfolgerungen
sind begründet und nachvollziehbar. Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine
Voreingenommenheit oder fehlende Objektivität des Versicherungsmediziners.
Dr. med. K.________ hat überzeugend dargelegt, dass für die vorhandenen
degenerativen Erscheinungen im rechten Knie eine Vielzahl möglicher Ursachen
in Betracht fällt und ein Zusammenhang zu den dienstlichen Einwirkungen
während des rund 30 Jahre zurückliegenden Wiederholungskurses nicht mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Die Aussage von Dr. med.
S.________ (vom 16. September 1997), wonach die Meniskuspathologie und die
degenerativen Veränderungen mit grösster Wahrscheinlichkeit auf einen
Skiunfall vor ca. 30 Jahren zurückzuführen seien, vermag nicht zu einer
andern Beurteilung zu führen. So mangelt es einerseits an einer
entsprechenden Begründung, anderseits ist mit der Vorinstanz zu beachten,
dass der Arzt in der Krankengeschichte anamnestisch lediglich einen Skiunfall
im Militärdienst vor ca. 30 Jahren mit Sturz und Distorsion des rechten
Kniegelenks erwähnt hat, nicht aber den Unterschenkelbruch 1952, der immerhin
zu einer Beinverkürzung von einem Zentimeter geführt hatte, oder die
Knieverletzung bei einem Fussballspiel im Jahre 1961. Mithin ist davon
auszugehen, dass diese Ereignisse nicht in seine Beurteilung eingeflossen
sind. Auch hat Dr. med. S.________ die von Dr. med. E.________ im Bericht vom
25. November 1967 vermerkten und somit bereits damals vorhandenen
degenerativen Erscheinungen des rechten Kniegelenks unerwähnt gelassen. Unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass das geltend gemachte Ereignis bereits
sehr lange zurückliegt (zur beweisrechtlichen Konsequenz vgl. Erw. 1.2
hievor), für die Zwischenzeit keine relevanten medizinischen Behandlungen und
Untersuchungen aktenkundig sind und sich überdies aus den Akten keine
zusätzlichen Anhaltspunkte ergeben, sind von ergänzenden medizinischen
Abklärungen keine neuen Erkenntnisse zu erwarten, weshalb auch in diesem
Verfahren darauf verzichtet wird (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94
Erw. 4b; SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 4b). Anzumerken bleibt, dass die
seitens des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 30. November 2002
nachgereichten drei Arztrechnungen betreffend das Jahr 1967 unberücksichtigt
bleiben müssen, da nach Ablauf der Rechtsmittelfrist grundsätzlich keine
neuen Akten mehr eingebracht werden können (Art. 108 Abs. 2 OG; BGE 127 V
353). Entscheidwesentliche Bedeutung wäre ihnen jedoch ohnehin nicht
beizumessen.

Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde weiter eingewendet wird, vermag zu
keinem andern Ergebnis zu führen. Insbesondere kann aus dem Umstand, dass vor
dem Ereignis 1966 keine Beschwerden oder Funktionseinschränkungen bestanden
haben, nicht einfach in Anwendung der Formel "post hoc ergo propter hoc",
wonach eine gesundheitliche Schädigung schon dann als durch den Unfall
verursacht gilt, weil sie nach diesem aufgetreten ist (vgl. BGE 119 V 341
f.), auf einen rechtsgenüglichen Zusammenhang geschlossen werden.

3.
Auf das Begehren des Beschwerdeführers um Rückerstattung von
Militärpflichtersatz ist, wie bereits das kantonale Gericht zutreffend
erkannt hat, mangels Zuständigkeit nicht einzutreten.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich zugestellt.

Luzern, 17. Juni 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin:
i.V.