Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 8/2002
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K 8/02

Urteil vom 11. November 2002
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin
Keel Baumann

ASSURA Kranken- und Unfallversicherung, Mettlenwald-
weg 17, 3037 Herrenschwanden, Beschwerdeführerin,

gegen

H.________, 1969, Beschwerdegegner, vertreten durch Procap
Schweizerischer Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 5. Dezember 2001)

In Erwägung,
dass der 1969 geborene H.________ sich am 30. Dezember 1996 bei einem Unfall
in einem Skigebiet in Österreich schwere Verletzungen zuzog, welche eine
längere Zeit dauernde Hospitalisation erforderlich machten und eine
Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit nach sich zogen,
dass die Assura Kranken- und Unfallversicherung (nachfolgend: Assura), bei
welcher er seit 1. Oktober 1994 versichert war, es mit Schreiben vom 28.
August 1997 (vgl. auch Schreiben vom 27. Juli 1998 und 21. Januar 2000)
ablehnte, Versicherungsleistungen zu erbringen, dies mit der Begründung,
H.________ habe den Unfall waghalsig oder grobfahrlässig verschuldet, indem
er die Tafel "keine Skiabfahrt" und das angebrachte Absperrband missachtet
habe, was nach den anwendbaren Allgemeinen Versicherungsbedingungen
(nachfolgend: AVB) zu einem Leistungsausschluss führe,
dass sie mit Verfügung vom 19. April 2000 einen Anspruch des H.________ auf
Taggeldleistungen aus der Zusatzversicherung Pecunia verneinte und die vom
Versicherten hiegegen erhobene Einsprache ablehnte (Entscheid vom 13.
November 2000),
dass das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die von H.________
hiegegen mit dem Antrag auf Ausrichtung ungekürzter Taggelder ab dem 31. Tag
seit dem Unfall eingereichte Beschwerde mit Entscheid vom 5. Dezember 2001 in
dem Sinne guthiess, als es den Einspracheentscheid vom 13. November 2000
aufhob, und im Übrigen auf das Rechtsmittel mangels Zuständigkeit nicht
eintrat,
dass die Assura mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Aufhebung des
kantonalen Entscheides beantragt, unter Kosten- und Entschädigungsfolge,
dass H.________ das Rechtsbegehren stellen lässt, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen; eventualiter sei der kantonale
Entscheid aufzuheben und die Sache zu weiteren Abklärungen und zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen; subeventualiter seien der
kantonale Entscheid und der Einspracheentscheid aufzuheben und es sei die
Assura zu verpflichten, ihm ab dem 31. Tag ungekürzte Taggelder gemäss den
gesetzlichen und reglementarischen Bestimmungen auszurichten,
dass das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet,
dass streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz auf die Beschwerde des
H.________ materiell zu Recht nicht eingetreten ist und den
Einspracheentscheid aufgehoben hat mit der Begründung, der Versicherte habe
seine Ansprüche aus der Zusatzversicherung Pecunia mittels Klage beim
Zivilrichter geltend zu machen, weil - entgegen der Auffassung der Assura -
nicht das KUVG und die ihm unterstehenden AVB Ausgabe 1995, sondern das KVG
bzw. das Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (VVG; SR 221.229.1) und
die ihm unterstehenden AVB Ausgabe 1996 anwendbar seien,
dass unter dem bis 31. Dezember 1995 in Kraft gewesenen KUVG für
Streitigkeiten betreffend die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestleistungen
und die diese übersteigenden Zusatzversicherungen im Sinne von Art. 3 Abs. 5
KUVG einheitliches Verfahrensrecht galt (Art. 30 ff. KUVG),
dass sich demgegenüber seit dem Inkrafttreten des KVG auf den 1. Januar 1996
die Zuständigkeit des Sozialversicherungsgerichts grundsätzlich auf die
Überprüfung von Ansprüchen aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
und der freiwilligen Taggeldversicherung gemäss Art. 67 ff. KVG beschränkt
(vgl. Art. 80 ff. KVG; RKUV 1998 Nr. KV 37 S. 316 Erw. 3c) und Leistungen
aufgrund von Zusatzversicherungen, welche gemäss Art. 12 Abs. 2 und 3 KVG dem
VVG unterliegen, soweit es sich nicht um im Sinne der übergangsrechtlichen
Regelung in Art. 102 Abs. 2 KVG vorläufig nach bisherigem Recht
weitergeführte Versicherungen handelt, auf dem Zivilrechtsweg geltend zu
machen sind (BGE 124 V 135 Erw. 3, 123 V 328 Erw. 3a),
dass in übergangsrechtlicher Hinsicht indessen zu beachten ist, dass sich
Art. 102 Abs. 2 KVG nur auf den Bereich der Krankenpflegeversicherung
bezieht, während der Gesetzgeber für die freiwillige Taggeldversicherung
keine übergangsrechtliche Anpassungsvorschrift vorgesehen hat,
dass, wie das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 125 V 115 Erw. 2e
entschieden hat, für die Taggeldversicherung aufgrund von Art. 102 Abs. 1 KVG
mit Inkrafttreten des KVG am 1. Januar 1996 das neue Recht gilt, wenn
anerkannte Krankenkassen nach bisherigem Recht bestehende Krankenpflege- oder
Krankengeldversicherungen nach neuem Recht weiterführen,
dass die Weitergeltung des alten Rechts über den 31. Dezember 1995 hinaus
einzig für den Fall vorgesehen ist, in welchem bei Inkrafttreten des KVG
bereits Taggelder aus bestehenden Taggeldversicherungen ausgerichtet werden
(Art. 103 Abs. 2 KVG; BGE 127 V 93 Erw. 2, 125 V 109 Erw. 1),
dass es vorliegend nicht um bei Inkrafttreten des KVG bereits laufende
Taggelder geht, sondern erst für die Zeit danach ein Anspruch geltend gemacht
wird,
dass nach dem Gesagten somit das KVG zur Anwendung gelangt, gemäss dessen
Art. 12 Abs. 2 und 3 die im Streit liegenden Taggelder dem VVG unterliegen
und mithin nicht vor dem Sozialversicherungsgericht, sondern vor dem
Zivilgericht geltend zu machen sind, wie die Vorinstanz im Ergebnis
zutreffend erkannt hat,
dass bei dieser Rechtslage die Auffassung der Assura, wonach das KVG einzig
für die Versicherten massgebend sei, welche ausschliesslich die AVB 1996
erhalten hätten, keine Grundlage hat,
dass das Verfahren, da es eine rein prozessrechtliche Frage zum Gegenstand
hat, kostenpflichtig ist (Art. 134 OG e contrario) und die Beschwerdeführerin
als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu tragen hat (Art. 156 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 135 OG),
dass dem Beschwerdegegner entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses eine Parteientschädigung zusteht (Art. 159 Abs. 1 und 2 in
Verbindung mit Art. 135 OG),

erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Assura Kranken- und
Unfallversicherung auferlegt.

3.
Die Assura Kranken- und Unfallversicherung hat dem Beschwerdegegner für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 11. November 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: