Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 84/2002
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K 84/02

Urteil vom 3. Dezember 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

H.________, 1972, Beschwerdeführer,

gegen

KPT/CPT Krankenkasse, Tellstrasse 18, 3014 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 20. Juni 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1972 geborene H.________ ist bei der KPT/CPT Krankenkasse (nachfolgend
KPT) krankenversichert. Er stand in der Zeit vom 18. Oktober bis 18. Dezember
2000 bei Dr. med. Dr. med. dent. S.________ in Behandlung und liess am 27.
November 2000 den unteren linken Weisheitszahn 38 operativ entfernen. Der
Versicherte reichte der Krankenkasse in der Folge drei Rechnungen über den
Gesamtbetrag von Fr. 1123.95 ein. Mit Verfügung vom 8. Mai 2001 lehnte die
KPT nach Beizug ihres Vertrauenszahnarztes Dr. med. dent. Z.________ die
Übernahme der Kosten für die Entfernung des unteren linken Weisheitszahnes
mangels Verlagerung ab. Gestützt auf eine erneute Stellungnahme des
Vertrauenszahnarztes hielt die KPT mit Einspracheentscheid vom 17. Dezember
2001 an ihrem Standpunkt fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 20. Juni 2002 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt H.________ die Rückerstattung der
Zahnbehandlungskosten durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung. Zur
Begründung verweist er auf die Angaben des behandelnden Arztes Dr. med. Dr.
med. dent. S.________.

Die KPT schliesst gestützt auf die verschiedenen Berichte des
Vertrauenszahnarztes Dr. med. dent. Z.________ sowie auf eine neu eingeholte
Stellungnahme des Dr. med. Dr. med. dent. T.________ auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung,
Abteilung Krankenversicherung (seit 1. Januar 2004 im Bundesamt für
Gesundheit) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Krankenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 129 V 4 Erw. 1.2), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier:
17. Dezember 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw.
1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen anwendbar.

2.
Das kantonale Gericht hat die massgebenden gesetzlichen Grundlagen über den
Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für
zahnärztliche Behandlungen (Art. 31 Abs. 1 KVG, Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in
Verbindung mit Art. 33 lit. d KVV sowie Art. 17-19 KLV) zutreffend dargelegt.
Darauf kann verwiesen werden.

3.
3.1 Was die Erkrankung der Zähne als Teil des Kausystems anbelangt, regelt
Art. 17 lit. a KLV gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG die Übernahme der
Kosten der zahnärztlichen Behandlung in zwei Fällen, nämlich gemäss Ziff. 1
beim idiopathischen internen Zahngranulom und gemäss Ziff. 2 bei der
Verlagerung und Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen mit Krankheitswert (z.B.
Abszess, Zyste).

3.2 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat nach Einholen eines
Grundsatzgutachtens mit Ergänzungsbericht vom 31. Oktober 2000/ 21. April
2001 - wie dies das kantonale Gericht zutreffend dargelegt hat - in seiner
Rechtsprechung erkannt, dass der Krankheitswert gemäss Art. 17 lit. a KLV
einen gegenüber dem allgemein definierten Begriff der Krankheit gemäss Art. 2
KVG qualifizierten Begriff darstellt, welchem Abgrenzungsfunktion zukommt,
indem er die Behandlung nicht schwerer Erkrankungen der Zähne von der
Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung ausschliesst. Was zunächst
den Begriff der Verlagerung von Zähnen und Zahnkeimen anbelangt, hat das
Gericht darin eine Abweichung von Lage und Achsenrichtung gesehen, wobei das
Wort "und" - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - nicht in dem Sinne
verwendet worden ist, dass es kumulativ sowohl einer Abweichung von der Lage
wie auch von der Achsenrichtung bedarf. Den qualifizierten Krankheitswert
sieht das Gericht sodann in Übereinstimmung mit dem Grundsatzgutachten und
dem Ergänzungsbericht bei der Dentition in Entwicklung - im Sinne eines
Richtwertes bis zum 18. Altersjahr - in der Behinderung einer geordneten
Gebissentwicklung oder in einem pathologischen Geschehen, bei bleibender
Dentition in einem pathologischen Geschehen. Neben den in Art. 17 lit. a
Ziff. 2 KLV in Klammern aufgeführten Beispielen des Abszesses und der Zyste
hat das Gericht das Erfordernis des qualifizierten Krankheitswertes in Form
von pathologischem Geschehen bei Erscheinungsformen als erfüllt gesehen, die
erhebliche Schäden an den benachbarten Zähnen, am Kieferknochen und an
benachbarten Weichteilen verursacht haben oder gemäss klinischem und
allenfalls radiologischem Befund mit hoher Wahrscheinlichkeit verursachen
werden. Bei in Entwicklung befindlicher Dentition ist der qualifizierte
Krankheitswert auch gegeben, wenn verlagerte Zähne den Durchbruch
benachbarter Zähne behindern oder verlagerte Zähne trotz Beseitigung von
Durchbruchshindernissen und genügendem Platzangebot nicht durchbrechen können
(vgl. BGE 127 V 328 und 391).

4.
4.1 Hinsichtlich der Übernahme der Kosten für zahnärztliche Behandlungen
unterscheidet Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV nicht zwischen der Behandlung von
Weisheitszähnen und von anderen Zähnen. Die Behandlungskosten sind von der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen, wenn die Zähne
verlagert sind und das Leiden Krankheitswert erreicht, wobei als Beispiele
für einen solchen Krankheitswert in Klammern der Abszess und die Zyste
genannt werden.

Die Leistungspflicht für die Behandlung von verlagerten Weisheitszähnen ist
demzufolge bei Vorliegen des erforderlichen qualifizierten Krankheitswertes
gleich zu beurteilen wie diejenige für die Behandlung anderer verlagerter
Zähne. Dieser qualifizierte Krankheitswert beinhaltet im Wesentlichen zwei
Elemente, nämlich einerseits die Pathologie mit einer Gefährdung des Lebens
oder einer Beeinträchtigung der Gesundheit und andererseits die notwendigen
Massnahmen, um die Gefährdung oder Beeinträchtigung zu beseitigen oder
zumindest zu verringern (BGE 130 V 464). So haben auch die Experten den
qualifizierten Krankheitswert verneint, wenn ein pathologisches Geschehen mit
einfachen Massnahmen behoben werden kann.

4.2 Im oben zitierten Urteil hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
dargelegt, dass verlagerte Weisheitszähne gemäss Ansicht der beigezogenen
Experten gegenüber andern verlagerten oder überzähligen Zähnen insofern eine
besondere Stellung einnehmen, als sie von ihrer topografischen Lage her
besonders häufig Lage-Anomalien zeigen. Entwicklungsgeschichtlich hat dazu
beigetragen, dass der Kiefer des Menschen kleiner, die Zähne grösser geworden
sind, sodass der Platz auf dem Kieferknochen für die Zähne, namentlich für
die hintersten, nicht mehr ausreicht. Neben der Abweichung von der Lage ist
oft eine solche von der Achse festzustellen, wodurch Nachbarstrukturen
geschädigt werden können. Aus diesen Gründen geben die Weisheitszähne häufig
Anlass zu entzündlichen Komplikationen und Zystenbildungen, die wegen ihrer
Lage schwerwiegende Folgen haben können wie einen Durchbruch von Abszessen in
anatomischen Logen von vitaler Bedeutung oder eine Spontanfraktur des
Unterkiefers infolge Schwächung durch grosse Zysten (BGE 127 V 335 Erw. 6b
und 397 Erw. 3c/cc).

4.3 Bei der Behandlung verlagerter Weisheitszähne ist zudem die Besonderheit
zu berücksichtigen, dass diese entfernt werden, ohne dass an ihrer Stelle ein
Ersatz (z.B. Implantat) als tunlich erscheint, während andere verlagerte
Zähne nicht ersatzlos entfernt werden können, sondern durch zahnärztliche
Massnahmen zu erhalten sind oder an ihrer Stelle eine Ersatzlösung zu suchen
ist, um die Kaufunktion aufrecht zu erhalten.

4.4 Aufgrund der geschilderten Unterschiede kann demzufolge, wie das
Eidgenössische Versicherungsgericht im BGE 130 V 464, dargelegt hat, bei
verlagerten Weisheitszähnen und anderen verlagerten Zähnen bei identischer
Pathologie der qualifizierte Krankheitswert im oben umschriebenen Sinn nicht
gleich beurteilt werden. Um an die Übernahme der Kosten für die Behandlung
verlagerter Weisheitszähne nicht geringere Anforderungen an die Schwere des
Leidens zu stellen als für die Behandlung anderer verlagerter Zähne, kann bei
Weisheitszähnen nicht jede Pathologie genügen, die bei andern verlagerten
Zähnen die Übernahme rechtfertigt. Eine Pathologie wie beispielsweise eine
Zyste oder ein Abszess, sofern ohne grossen Aufwand behandelbar, macht die
Entfernung eines Weisheitszahnes nicht zur Behandlung einer schweren
Erkrankung des Kausystems im Sinne von Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG in
Verbindung mit Art. 17 KLV. Anders ist es zu halten, wenn entweder die
Entfernung des verlagerten Weisheitszahnes wegen besonderer Verhältnisse oder
die Behandlung der Pathologie schwierig und aufwändig ist (vgl. BGE 127 V
328; RKUV 2002 Nr. KV 202 S. 91, K 12/01).

4.5 Die versicherte Person und der sie behandelnde Arzt haben dem
Krankenversicherer alle medizinischen Grundlagen dafür zu liefern, dass er
die Voraussetzungen für die Leistungspflicht prüfen kann (ZBJV 138/2002 S.
422).

5.
5.1 Im Zahnschadenformular vom 6. Dezember 2000 diagnostizierte der
behandelnde Arzt einen pericoronalen Infekt bei verlagertem Weisheitszahn 38.
In den folgenden Berichten beschrieb er den Krankheitswert als
rezidivierenden pericoronalen Infekt im Sinne von rezidivierenden Abszessen
mit Pusaustritt, tiefe Parodontaltaschenbildung mit Verbindung zur Mundhöhle,
ausstrahlende Schmerzen durch Druck der Wurzeln des Weisheitszahnes auf den
Mandibularkanal, Denudierung von Zahnhals und Demineralisation im Zahnschmelz
sowie Denudierung der distalen Wurzeloberfläche bis ins apikale Drittel im
Bereich des angrenzenden Zahnes 37.

5.2 Nach Beizug ihres Vertrauenszahnarztes lehnte die KPT die Übernahme der
Behandlungskosten ab mit der Begründung, beim Zahn 38 handle es sich um einen
leicht gekippten, teilretinierten Zahn, der an der richtigen Position stehe.
Von einer Verlagerung im Kieferwinkelbereich sowie im aufsteigenden Ast des
Unterkiefers könne keine Rede sein. Die Entfernung dieses Zahnes sei mit
keinerlei Schwierigkeiten verbunden und könne von jedem Zahnarzt ohne
zusätzliche medizinische Assistenz durchgeführt werden. Der nach Erlass des
Einspracheentscheids beigezogene Kiefer- und Gesichtschirurge schloss sich
bei der Frage der Verlagerung der Meinung des Vertrauenszahnarztes an. Des
weiteren hielt er die Demineralisation am Zahnhals 37 für nicht
nachvollziehbar. Er räumte ein, dass sich die Wurzeln auf den Mandibularkanal
projizierten, was aber nicht zu Beschwerden führen müsse.

5.3 Die Vorinstanz würdigte die verschiedenen medizinischen Berichte und kam
zum Schluss, dass nicht von einer Verlagerung gesprochen werden könne. Selbst
wenn eine gewisse Verlagerung gegeben wäre, könnte die Erkrankung keinesfalls
als schwer bezeichnet werden, weshalb keine Leistungspflicht bestehe.

5.4 Was zunächst die Verlagerung des Weisheitszahnes 38 anbelangt, gehen die
Meinungen des behandelnden Arztes Dr. med. Dr. med. dent. S.________
einerseits und des Vertrauenszahnarztes Dr. med. dent. Z.________ sowie des
beigezogenen Kiefer- und Gesichtschirurgen Dr. med. Dr. med. dent. T.________
andrerseits auseinander. Diese Frage kann indessen offen bleiben, weil die
Pathologie und die notwendigen Massnahmen zu deren Beseitigung oder
Verringerung für das Vorliegen des erforderlichen qualifizierten
Krankheitswertes nicht ausreichen. Die Behandlung bestand im wesentlichen in
der Entfernung des Weisheitszahnes. Zudem fanden eine Konsultation vor und
drei Konsultationen nach dem Eingriff statt. Selbst wenn die vom behandelnden
Arzt geltend gemachte Pathologie vorhanden war, konnte sie durch die
Entfernung des Weisheitszahnes behoben werden, ohne dass ein Ersatz des
entfernten Zahnes oder andere aufwändige Massnahmen notwendig geworden wären.
Auch fehlen jegliche Anhaltspunkte für irgendwelche Schwierigkeiten oder
besondere Komplikationen, sodass in Anbetracht der Rechtsprechung die
Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung nicht erfüllt sind.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
(BAG) zugestellt.

Luzern, 3. Dezember 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: