Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 76/2002
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K 76/02

Urteil vom 8. Juli 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Hofer

S.________, 1973, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli
Kieser, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich,

gegen

Krankenkasse Aquilana, Bruggerstrasse 46, 5401 Baden, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 28. Mai 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1973 geborene S.________ ist bei der Krankenkasse Aquilana (nachfolgend
Aquilana) obligatorisch für Krankenpflege versichert. Seit Juli 1999 steht
sie in psychotherapeutischer Behandlung bei der in der selben Praxis wie med.
pract. X.________, Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie, tätigen dipl. soz. Y.________,
Psychoanalytikerin/Psychotherapeutin SPV. Im Jahre 1999 stellte der Verband
Zürcher Krankenversicherer den Ärztinnen und Ärzten, welche
psychotherapeutische Behandlungen delegierten und unter der entsprechenden
Tarifposition in Rechnung stellten, einen Fragebogen zu, um abzuklären, ob
die Voraussetzungen für die Anerkennung der delegierten Behandlung als
Pflichtleistung erfüllt sind. Mit Verfügung vom 9. Mai 2000 teilte die Kasse
S.________ mit, med. pract. X.________ habe nicht alle Angaben gemacht, die
zur Überprüfung der Leistungspflicht notwendig seien, weshalb die Zahlungen
so lange sistiert blieben, bis die einverlangten Unterlagen vorlägen. Daran
hielt sie mit Einspracheentscheid vom 21. Juni 2000 fest.

B.
Im Rahmen der gegen den Einspracheentscheid gerichteten Beschwerde beantragte
die Aquilana die Sistierung des Verfahrens bis zur Erledigung der
gleichgelagerten, beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hängigen
Fälle. Dieses wies das Begehren mit Verfügung vom 1. September 2000 ab. Mit
Entscheid vom 28. Mai 2002 wies das kantonale Gericht die Beschwerde von
S.________ ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ beantragen, es sei
festzustellen, dass zwischen der delegierenden Ärztin und der
Psychotherapeutin ein Anstellungsverhältnis bestehe, und es sei die Aquilana
zu verpflichten, die erbrachten Leistungen zu übernehmen.

Die Aquilana und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine
Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Krankenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier:
21. Juni 2000) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b),
sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen anwendbar.

2.
2.1 Nach der Rechtsprechung zu dem bis Ende 1995 gültig gewesenen Art. 12 Abs.
2 Ziff. 1 lit. a KUVG gehörten die an unselbstständige nichtärztliche
Psychologen oder Psychotherapeuten des behandelnden Arztes delegierten
medizinischen Vorkehren zu den Pflichtleistungen der Krankenkassen, sofern
die Massnahmen in den Praxisräumen des Arztes und unter dessen Aufsicht und
Verantwortlichkeit vorgenommen wurden und es sich um eine Vorkehr handelte,
die nach den Geboten der ärztlichen Wissenschaft und Berufsethik sowie nach
den Umständen des konkreten Falles grundsätzlich delegierbar war (BGE 114 V
270 Erw. 2a mit Hinweisen). Diese Regeln gelten in gleicher Weise unter der
Herrschaft des KVG. Gestützt auf Art. 25 Abs. 2 lit. a Ziff. 1 und 3 KVG geht
die ärztlich delegierte Psychotherapie zu Lasten der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung, sofern die gemäss Rechtsprechung zum KUVG
erforderlichen Voraussetzungen (Tätigkeit in den Praxisräumen des Arztes und
unter dessen Aufsicht und Verantwortlichkeit) erfüllt sind (BGE 125 V 444
Erw. 2c und d). Das KVG hat auch daran nichts geändert, dass selbstständige
nichtärztliche Psychotherapeuten nicht als Leistungserbringer zugelassen sind
(Art. 46 Abs. 1 KVV; BGE 125 V 284; RKUV 2001 Nr. KV 166 S. 242 Erw. 2a).

2.2 Gemäss dem klaren Wortlaut von Art. 46 KVV - dessen Gesetzeskonformität
das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 125 V 288 Erw. 4 bestätigt hat
- gehören freiberufliche (selbstständig und auf eigene Rechnung tätige)
Psychotherapeuten nicht zu jenen medizinischen Hilfspersonen, die berechtigt
sind, Leistungen zu Lasten der sozialen Krankenversicherung zu erbringen.
Ihnen stehen die unselbstständigen (angestellten) nichtärztlichen
Psychotherapeuten gegenüber. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll bis zum
Vorliegen einer bundesrätlichen Regelung die Behandlung durch nichtärztliche
Psychotherapeuten als delegierte ärztliche Psychotherapie zu Lasten der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung möglich sein. Bis zum Inkrafttreten
entsprechender Vorschriften sind diese daher von der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung zu übernehmen, sofern die gemäss Rechtsprechung zum
KUVG erforderlichen Voraussetzungen (Tätigkeit in den Praxisräumen des Arztes
und unter dessen Aufsicht und Verantwortung) erfüllt sind (BGE 125 V 445 Erw.
2d). In BGE 107 V 51 Erw. 4b hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
erwogen, nichtärztliche Psychotherapeuten erbrächten eine gewisse
eigenständige geistige Leistung und stünden dabei ähnlich wie ein Arzt als
Vertrauensperson mit dem Patienten in Verbindung, so dass gegebenenfalls ihr
Anteil an der Behandlung insgesamt quantitativ und qualitativ bedeutsamer
sein könne, als dies bei der Mehrzahl anderer medizinischer Hilfspersonen der
Fall sei. Ein grundsätzlicher Unterschied zu bescheideneren Hilfstätigkeiten
bestehe jedoch nicht, sofern die Tätigkeit des nichtärztlichen
Psychotherapeuten innerhalb des Behandlungsgesamtkomplexes im Rahmen einer
Hilfsfunktion bleibe und die therapeutischen Verrichtungen delegationsfähig
seien.

2.3 Im kürzlich ergangenen Urteil V. vom 18. Juni 2003 (K 141/01 + K 146/01)
hat das Eidgenössische Versicherungsgericht erwogen, aus der
Begriffsumschreibung der (unselbstständigen) delegierten
psychotherapeutischen Behandlung erhelle - namentlich mit Blick auf die
Abgrenzung zur freiberuflichen psychotherapeutischen Tätigkeit - dass ein
wesentliches rechtliches oder tatsächliches Subordinationsverhältnis
vorliegen müsse, damit sie als Pflichtleistung anerkannt werden könne. Dieses
Merkmal definiere sich nicht nur durch eine mehr oder weniger ausgeprägte
organisatorische, sondern auch durch eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom
delegierenden Arzt.

3.
3.1 Dipl. soz. Y.________ und med. pract. X.________ trafen am 1. Juli 1999
eine mit "Arbeitsvertrag für die delegierte Psychotherapie" überschriebene
Vereinbarung, wonach die praktizierende Ärztin psychotherapeutische
Abklärungen und Behandlungen an die Psychotherapeutin delegieren kann, dazu
aber nicht verpflichtet ist. Die Therapeutin ist ihrerseits auch nicht
verpflichtet, die Delegation zu übernehmen. Sie kann auch eigenständig
Patienten annehmen, muss dann von der Ärztin allerdings noch das
Einverständnis für die Behandlung einholen. Die Diagnose bleibt der Ärztin
vorbehalten. Gegenseitig orientieren sie sich über den Fortgang der Therapie,
und sie suchen gemeinsam nach Lösungen. Bei ernsthaften
Meinungsverschiedenheiten bleibt das Weisungsrecht der Ärztin vorbehalten.
Med. pract. X.________ stellt die Honorarrechnung gemäss den Angaben der
Psychotherapeutin. Die Entschädigung von lic. soz. Y.________ besteht in den
durch ihre Arbeit erzielten und einbringlichen Honorareinnahmen abzüglich der
der Ärztin entstehenden Ausgaben. Einrichtung des Arbeitszimmers,
Weiterbildung und Versicherungen gehen ausschliesslich zu Lasten der
Therapeutin.

3.2 Die Überweisung der versicherten Person durch einen Arzt bedeutet nicht,
dass die Leistungen zu Lasten der sozialen Krankenversicherung gehen (BGE 125
V 286 Erw. 2a). Im vorliegenden Fall entscheidet die Psychotherapeutin
selber, ob sie einen von der Ärztin überwiesenen Patienten behandeln will
oder nicht. Sie kann aber auch selber Patienten akquirieren. Eine Delegation
kommt nur im gegenseitigen Einverständnis zustande (vgl. Ziffer 3 des
Vertrages). Dass zwischen Ärztin und Psychotherapeutin regelmässig
Fallbesprechungen stattfinden, deutet nicht auf ein Anstellungsverhältnis
hin, obliegt es doch in jedem Fall der Medizinerin, die eigentlichen
ärztlichen Funktionen wie Diagnosestellung, Wahl und Änderung der Therapie,
Rezeptausstellung für die benötigten Medikamente, Einweisung zu stationären
Massnahmen, Erstellen von Berichten und Zeugnissen (vgl. Ziffer 3 des
Vertrages) persönlich zu erfüllen (BGE 107 V 51 Erw. 4c; Gebhard Eugster,
Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht
[SBVR]/Soziale Sicherheit, S. 61 Rz 122). In diesem Zusammenhang ist auch das
vertraglich vereinbarte Weisungsrecht der Ärztin bei
Meinungsverschiedenheiten zu sehen, wobei in diesem Fall die Delegation unter
Wahrung einer im Interesse des Patienten notwendigen Übergangsfrist von
beiden Seiten gekündigt werden kann (vgl. Ziffer 3 in fine des Vertrages). Da
es auf den tatsächlichen Vertragsinhalt und nicht auf die gewählte
Bezeichnung ankommt, kann sodann aus der Überschrift als "Arbeitsvertrag"
allein noch nichts abgeleitet werden. Die beitragsrechtliche Qualifikation
der Tätigkeit der Therapeutin als selbstständig- oder als
unselbstständigerwerbend stellt für die krankenversicherungsrechtlichen
Belange allenfalls ein Indiz dar. Solange der Bundesrat die Psychotherapeuten
nicht als Leistungserbringer anerkannt hat (vgl. Erw. 2.2), setzt die
Leistungspflicht indessen eine klare, durch wirtschaftliche Abhängigkeit
verstärkte Subordination voraus, damit die Tätigkeit der delegierenden Ärztin
zugerechnet werden kann, während es ahv-rechtlich genügt, wenn die Merkmale,
welche für eine selbstständige oder für eine unselbstständige
Erwerbstätigkeit sprechen, überwiegen (BGE 123 V 163 Erw. 1 mit Hinweisen).
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird eingeräumt, dass dipl. soz.
Y.________ in einem erheblichen Ausmass Therapien ausführt, welche nicht über
die obligatorische Krankenpflegeversicherung abgerechnet werden und insoweit
eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt. Angesichts der geringen Zahl der
delegierten Therapien sei vereinbart worden, dass sie für die
Zimmerausstattung, Weiterbildung und Versicherungen aufzukommen habe. Zudem
hat die Therapeutin nur Anspruch auf die einbringlichen Honorareinnahmen,
unter Abzug der der Ärztin erwachsenen Auslagen.

Aus dem Gesagten folgt, dass die Psychotherapeutin in wirtschaftlicher und
organisatorischer Hinsicht nicht im Sinne eines Subordinationsverhältnisses
von med. pract. X.________ abhängig ist. Für die Abgrenzung zwischen
freiberuflicher psychotherapeutischer Tätigkeit und durch von der Ärztin
angestelltes unselbstständiges Hilfspersonal durchgeführte
Behandlungsmassnahmen kann es nicht darauf ankommen, ob der einzelne
Behandlungsfall mit der Kasse über die obligatorische oder über die
Zusatzversicherung abgerechnet wird. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung
vorzunehmen, welche mit Bezug auf dipl. soz. Y.________ nicht auf ein
Anstellungsverhältnis hinweist, womit ihre psychotherapeutische Behandlung
nicht der ärztlichen Behandlung zugerechnet werden kann.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 8. Juli 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin:
i.V.