Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 58/2002
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K 58/02

Urteil vom 6. Februar 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiber
Nussbaumer

H.________, 1984, Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Vater X.________,

gegen

Innova Krankenversicherungen AG, Direktion, Bahnhofstrasse 4, 3073 Gümligen,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 8. April 2002)

Sachverhalt:

A.
H. ________ (geboren 1984) ist bei der Innova Krankenversicherungen AG nach
dem Hausarztmodell "CASA-NOVA" obligatorisch gegen die Folgen von Krankheit
versichert. Anlässlich einer schulärztlichen Untersuchung am 17. Mai 2001
stellte Dr. med. B.________, Spezialarzt FMH für Pädiatrie, eine
Rückenproblematik fest und überwies H.________ an Dr. med. J.________,
Spezialarzt FMH für Physikalische Medizin und Rehabilitation. Am 25. Mai 2001
fand die erste Konsultation bei Dr. med. J.________ statt, ohne dass
H.________ vorgängig ihren Hausarzt Dr. med. Y.________ beigezogen hätte. Dr.
med. J.________ überwies H.________ seinerseits an den Physiotherapeuten
K.________. Die Krankenkasse verweigerte mit Verfügung vom 20. November 2001
die Rückerstattung der Behandlungskosten des Dr. med. J.________ (Fr.
1012.20), des Physiotherapeuten K.________ (Fr. 433.20) sowie die Kosten für
eine dermatologische Behandlung bei Dr. med. G.________ (Fr. 369.40), da die
Versicherte die  behandelnden Spezialisten ohne vorherige Konsultation des
Hausarztes aufgesucht habe. An diesem Standpunkt hielt sie mit
Einspracheentscheid vom 18. Januar 2002 fest.

B.
Die hiegegen vom Vater der H.________ erhobene Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 8. April 2002 ab,
soweit es darauf eintrat.

C.
H.________ lässt durch ihren Vater Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit
dem Antrag, die Kosten der Weiterbehandlung (Rückenspezialist,
Physiotherapeut, Medikamente) von insgesamt Fr. 2841.95 seien entweder durch
die Krankenkasse, den schulärztlichen Dienst der Stadt Bern oder durch die
Gesundheitsbehörde des Kantons oder der Stadt Bern zu übernehmen.

Die Innova Krankenversicherungen AG schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das kantonale Gericht und das Bundesamt für
Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidgenössische Versicherungsgericht
letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne
von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG auf dem Gebiet der Sozialversicherung.
Hinsichtlich des Begriffs der mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren
Verfügungen verweist Art. 97 OG auf Art. 5 VwVG. Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG
gelten als Verfügungen Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf
öffentliches Recht des Bundes stützen (und im Übrigen noch weitere, nach dem
Verfügungsgegenstand näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen).

1.2 Soweit mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen behaupteter Verletzung
von Informationspflichten eine Aufteilung der entstandenen Kosten auf
Drittbeteiligte (Stadt Bern, Kanton Bern) beantragt wird, ist darauf mangels
Zuständigkeit des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nicht einzutreten
(Art. 128 OG). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat einzig zu prüfen,
ob die Krankenkasse der Beschwerdeführerin leistungspflichtig ist. Zu Recht
ist daher auch das kantonale Gericht in diesem Punkt auf die vorinstanzliche
Beschwerde nicht eingetreten.

2.
2.1 Nach Art. 41 Abs. 1 KVG können die Versicherten unter den zugelassenen
Leistungserbringern, die für die Behandlung ihrer Krankheit geeignet sind,
frei wählen (erster Satz). Sie können laut Art. 41 Abs. 4 KVG ihr Wahlrecht
im Einvernehmen mit dem Versicherer auf Leistungserbringer beschränken, die
der Versicherer im Hinblick auf eine kostengünstigere Versorgung auswählt
(Art. 62 Abs. 1 und 3 KVG). Der Versicherer muss in diesem Fall nur die
Kosten für Leistungen übernehmen, die von diesen Leistungserbringern
ausgeführt oder veranlasst werden, wobei Art. 41 Abs. 2 KVG sinngemäss gilt.
Die gesetzlichen Pflichtleistungen sind in jedem Fall versichert.
Im Rahmen von Art. 41 Abs. 4 KVG sind besondere Versicherungsformen zulässig,
wie beispielsweise die HMO-Gesundheitszentren und die Hausarztmodelle. Mit
dem Hausarztmodell verpflichten sich die Versicherten, aus einer vom
Versicherer beschränkten Anzahl Allgemeinpraktiker ihren Hausarzt zu wählen.
Diese sind für sie immer die erste Anlaufstelle für medizinische
Dienstleistungen. Sie übernehmen die medizinische Grundversorgung ihrer
Patienten und überweisen sie, falls medizinisch angezeigt, an Spezialisten
oder an Spitäler. Die Patienten müssen dabei - ausgenommen Notfälle -
zwingend zuerst zum Hausarzt (RKUV 2000 Nr. KV 108 S. 74 mit Hinweis auf
Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht
[SBVR], S. 195 Rz 355 f.).
2.2 Sinn und Zweck der in Art. 41 Abs. 4 KVG geregelten Einschränkung der
freien Wahl des Leistungserbringers liegen darin, dass im Sinne einer
Kosteneindämmungsmassnahme Versicherer für Versicherte, die bereit sind, sich
bei der Wahl des Leistungserbringers einzuschränken, eine Prämienreduktion
gewähren können (Art. 62 Abs. 1 KVG). Dadurch können Versicherer mit
ausgewählten, besonders kostengünstigen Leistungserbringern Verträge
abschliessen und ihren Versicherten - die bereit sein müssen, sich auf diese
Leistungserbringer zu beschränken - eine tiefere Prämie anbieten (Botschaft
des Bundesrates über die Revision der Krankenversicherung, BBl 1992 I 128).
Wie Art. 41 Abs. 4 zweiter Satz KVG unmissverständlich festhält, muss der
Versicherer nur die Kosten für Leistungen übernehmen, die von diesen
Leistungserbringern ausgeführt oder veranlasst werden. Der Leistungskatalog
darf bei diesen Leistungserbringern jedoch weder erweitert (Art. 34 Abs. 1
KVG) noch eingeschränkt werden (Art. 41 Abs. 4 letzter Satz KVG; vgl.
Eugster, a.a.O., S. 194 Rz 354). Soweit Art. 41 Abs. 4 letzter Satz KVG
bestimmt, dass die gesetzlichen Pflichtleistungen in jedem Fall versichert
sind, so bedeutet dies, dass die gesetzlichen Pflichtleistungen durch den von
der Krankenkasse ausgewählten Leistungserbringer erbracht werden, sofern
dieser nicht eine Überweisung veranlasst hat. Bei Drittleistungserbringern
sind die Pflichtleistungen als solche nur dann nicht tangiert, wenn die
Überweisung durch den Hausarzt erfolgt ist.

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin ist bei ihrer Krankenkasse nach Massgabe der
Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) CASA-NOVA obligatorisch für
Krankenpflege versichert. Es handelt sich um eine gestützt auf Art. 41 Abs. 4
KVG  abgeschlossene Hausarztversicherung (Art. 1 Ziff. 1 AVB). Im Abschnitt C
mit dem Titel "Grundzüge und Leistungsumfang" hält Art. 8 Abs. 1 - unter
Vorbehalt der in Abs. 1 Ziff. 1 - 3 abschliessend normierten Spezialfälle -
den Grundsatz fest, dass für die ambulante, stationäre und teilstationäre
Behandlung sowie die Verordnung zum Bezug von Medikamenten und Hilfsmitteln
immer zuerst der Hausarzt beizuziehen ist, sofern die AVB nichts anderes
vorsehen (Satz 1). Er weist die Versicherten bei Bedarf Spezialisten oder
medizinischen Hilfspersonen zu oder veranlasst stationäre Leistungen (Satz
2). Für jede Weiterverweisung ist den Versicherten vom Hausarzt ein
schriftlicher Überweisungsauftrag auszustellen (Satz 3). Abschnitt F.
(Verletzung von Mitwirkungspflichten und Sanktionen) hält fest:
"1. Verletzen die Versicherten ihre Mitwirkungspflichten, entfällt die
Leistungspflicht für Behandlungskosten. Vorbehalten bleibt der Nachweis der
Versicherten, dass die Verletzung der Mitwirkungspflicht aus entschuldbaren
Gründen erfolgt.

2.  In gravierenden Fällen kann die innova die Versicherten auf bestimmte
Zeit aus dem Hausarztsystem ausschliessen und wieder in die obligatorische
Krankenpflegeversicherung umteilen.

3.  Behandlungen ohne Überweisungsauftrag gemäss Art. 14 gehen voll zu Lasten
der Versicherten. Rückwirkend ausgestellte Überweisungen oder nicht
termingerecht eingereichte Überweisungen werden nicht anerkannt."
3.2 Angesichts dieser klaren und unmissverständlichen AVB-Bestimmungen, die
sich auf Art. 41 Abs. 4 KVG stützen, hat die Beschwerdegegnerin zu Recht die
Vergütung der strittigen Behandlungskosten abgelehnt. Diese Verweigerung der
Leistungspflicht stellt keinen Widerspruch zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz
dar, ist es doch gerade der Kern der Hausarztversicherung, dass nur
Leistungen von dritten Leistungserbringern vergütet werden, an welche die
versicherte Person vom Hausarzt überwiesen worden ist. Diesen Grundsatz hat
das Eidgenössische Versicherungsgericht in RKUV 2000 Nr. KV 108 S. 74 zum
Hausarztmodell als auch in BGE 125 V 437 zum HMO-Modell festgehalten.

3.3 Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit sie nicht
ohnehin unzulässig oder unbehelflich sind, verkennen diese klare Rechtslage.
Die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin als Ergebnis der obligatorischen
kostenlosen schulärztlichen Untersuchung von Dr. med. B.________ an Dr. med.
J.________ verwiesen wurde, ändert ebensowenig wie der Umstand, dass es sich
bei Dr. med. B.________ um einen Vertragsarzt der Beschwerdegegnerin handelt.
Insbesondere kann darin nicht ein entschuldbarer Grund im Sinne von Ziff. 1
in fine des Abschnittes F. der AVB gesehen werden. Anders wäre - allenfalls -
dann zu entscheiden, wenn die aus der schulärztlichen Untersuchung
resultierende Folgebehandlung zwingend durch den Schularzt oder bei
demjenigen Arzt hätte stattfinden müssen, an welchen der Schularzt die
Versicherte überwies. Eine solche Behandlungspflicht lässt sich weder dem
Bundes- noch dem kantonalen Recht entnehmen. Vielmehr steht es den Eltern der
Schüler frei, die vom Schularzt angeordnete Behandlung (oder weitere
Abklärungsmassnahmen) bei einem anderen Arzt ihres Vertrauens vornehmen zu
lassen (Art. 16 Abs. 2 der bernischen Verordnung über den schulärztlichen
Dienst vom 8. Juni 1994). Die weiteren Vorbringen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, insbesondere die im Zusammenhang mit der
angeblich ungenügenden Prämienreduktion angestellten (Kosten)Überlegungen,
haben mit der Sache ebenfalls nichts zu tun, sondern können allenfalls Anlass
geben, nach Massgabe von Art. 7 AVB aus der Hausarztversicherung auszutreten.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 6. Februar 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: