Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 49/2002
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K 49/02

Urteil vom 23. September 2002
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Widmer

Visana, Weltpoststrasse 19, 3000 Bern, Beschwerdeführerin,

gegen

B.________, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 23. April 2002)

Sachverhalt:

A.
Mit Einspracheentscheid vom 3. Oktober 2001 verpflichtete die Visana
B.________ in Bestätigung einer Verfügung vom 28. September 2000 zur
Bezahlung eines Betrages von Fr. 6000.- für ausstehende Prämien für die
Taggeldversicherung, zuzüglich Bearbeitungskosten von Fr. 300.-. Gleichzeitig
hob die Visana den von der Versicherten am 19. August 2000 gegen den
Zahlungsbefehl Nr. ... des Betreibungsamtes X.________ erhobenen
Rechtsvorschlag auf.

B.
Mit Eingabe vom 14. November 2001 reichte B.________ beim
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde mit dem Antrag auf
Aufhebung des Einspracheentscheides ein. Nachdem die Visana sich zur
Hauptsache mit dem Begehren um Nichteintreten auf die Beschwerde hatte
vernehmen lassen und geltend gemacht hatte, das Rechtsmittel sei nicht
rechtzeitig innerhalb der gesetzlichen Frist von 30 Tagen eingereicht worden,
forderte das kantonale Gericht die Versicherte auf, den
Originalbriefumschlag, in welchem der Einspracheentscheid vom 3. Oktober 2001
zugestellt worden war, einzureichen. Dieser Aufforderung leistete B.________
am 15. April 2002 Folge. Mit Verfügung vom 23. April 2002 trat das
Sozialversicherungsgericht auf die Beschwerde ein und setzte der Visana eine
Frist von 30 Tagen zur Einreichung einer Beschwerdeantwort. In der Begründung
führte es aus, es lasse sich nicht feststellen, ob die 30tägige
Beschwerdefrist eingehalten wurde. Diese Frage könne jedoch offen bleiben, da
die Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der allenfalls versäumten
Frist erfüllt seien und ein entsprechendes Gesuch ohne weiteres bewilligt
würde.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Visana, die Verfügung vom 23.
April 2002 sei aufzuheben mit der Feststellung, dass die Beschwerde der
Versicherten gegen den Einspracheentscheid vom 3. Oktober 2001 verspätet
eingereicht wurde. Sie legt verschiedene Belege auf.

Während B.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

1.2 Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidgenössische Versicherungsgericht
letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne
von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG auf dem Gebiet der Sozialversicherung.
Hinsichtlich des Begriffs der mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren
Verfügungen verweist Art. 97 OG auf Art. 5 VwVG. Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG
gelten als Verfügungen Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf
öffentliches Recht des Bundes stützen (und im Übrigen noch weitere, nach dem
Verfügungsgegenstand näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen).
Verfügungen im Sinne dieser Umschreibung können nach dem Wortlaut des zweiten
Absatzes von Art. 5 VwVG auch Zwischenverfügungen sein, insoweit sie den
Anforderungen des vorangehenden ersten Absatzes entsprechen. Zudem verweist
Art. 5 Abs. 2 VwVG bezüglich der Zwischenverfügungen auf Art. 45 des gleichen
Gesetzes, laut dem nur solche Zwischenverfügungen anfechtbar sind, die einen
nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 45 Abs. 1 VwVG).
Dieser grundsätzliche Vorbehalt gilt als Voraussetzung für die Zulässigkeit
eines selbstständigen, der Endverfügung vorangehenden Beschwerdeverfahrens,
insbesondere für alle in Art. 45 Abs. 2 VwVG - nicht abschliessend -
aufgezählten Zwischenverfügungen. Für das letztinstanzliche
Beschwerdeverfahren ist ferner zu beachten, dass gemäss Art. 129 Abs. 2 in
Verbindung mit Art. 101 lit. a OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen
Zwischeverfügungen nur zulässig ist, wenn sie auch gegen die Endverfügung
offensteht (BGE 124 V 85 Erw. 2 mit Hinweisen).

Nach der Rechtsprechung beurteilt sich das Vorliegen eines nicht wieder
gutzumachenden Nachteils nicht nur anhand eines einzigen Kriteriums. Vielmehr
prüft das Gericht jenes Merkmal, das dem angefochtenen Entscheid am besten
entspricht. Namentlich beschränkt sich das Gericht nicht nur darauf, allein
den Nachteil als nicht wieder gutzumachend zu betrachten, den auch ein für
die Beschwerde führende Person günstiges Endurteil nicht vollständig zu
beseitigen vermöchte (BGE 126 V 247 Erw. 2c, 124 V 87 Erw. 4, 121 V 116 mit
Hinweisen).

2.
Beim angefochtenen Eintretensentscheid der Vorinstanz handelt es sich um eine
Zwischenverfügung im Sinne von Art. 45 VwVG, welche im Hinblick darauf, dass
gegen den Endentscheid gemäss Art. 91 KVG Verwaltungsgerichtsbeschwerde
erhoben werden kann, selbstständig anfechtbar ist, sofern sie einen nicht
wieder gutzumachenden Nachteil bewirkt.

Diese Voraussetzung ist zu bejahen: Ein Nichteintreten auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde hätte zur Folge, dass die Visana sich einem
möglicherweise länger dauernden materiellen Beschwerdeverfahren vor dem
kantonalen Sozialversicherungsgericht zu unterziehen hätte, für das sie auch
bei einem für sie günstigen Ausgang des Verfahrens nicht entschädigt würde
(Art. 87 lit. g KVG; BGE 126 V 143). Weil das Eidgenössische
Versicherungsgericht die Rechtzeitigkeit der Beschwerde an die Vorinstanz von
Amtes wegen zu prüfen hat (BGE 125 V 405 Erw. 4a, 122 V 322 Erw. 1, 119 V 312
Erw. 1b) und sich das kantonale Hauptverfahren bei Gutheissung der
Verspätungseinrede im letztinstanzlichen Verfahren nachträglich als hinfällig
erweisen könnte, sprechen auch die Prozessökonomie sowie der Grundsatz der
Einfachheit und Raschheit des Verfahrens (Art. 87 lit. a KVG) für eine
selbstständige Anfechtbarkeit der Zwischenverfügung (SVR 1998 UV Nr. 10 S.
25). Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den vorinstanzlichen
Zwischenentscheid vom 23. April 2002 ist daher als zulässig zu erachten.

3.
3.1 Nach der Rechtsprechung ist es Sache der Verwaltung, mit dem Beweisgrad
der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, dass und gegebenenfalls in
welchem Zeitpunkt ihre Verfügung dem Adressaten zugestellt worden ist;
dagegen hat die Beschwerde führende Person den Nachweis für die rechtzeitige
Einreichung ihrer Beschwerde zu leisten (BGE 119 V 10 Erw. 3c/bb, 114 III 54
Erw. 3c, 103 V 65 Erw. 2a, 99 Ib 359 Erw. 2; ARV 2000 Nr. 25 S. 122 Erw. 2a;
ZAK 1987 S. 50 Erw. 3), wobei die Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels mit
Gewissheit feststehen muss (BGE 119 V 7). Weil der Sozialversicherungsprozess
von der Untersuchungsmaxime beherrscht wird, handelt es sich nicht um die
subjektive Beweisführungslast (Art. 8 ZGB), sondern in der Regel nur um die
so genannte objektive Beweislast in dem Sinne, dass im Falle der
Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem
unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte (BGE 114 V 218 Erw.
5, 111 V 201 oben).

3.2 Nach den für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlichen (Art.
105 Abs. 2 OG) Feststellungen der Vorinstanz liegen mit Bezug auf das Datum
der Zustellung des Einspracheentscheides zwei sich widersprechende Dokumente
vor. Gemäss dem von der Visana eingereichten Auszug aus dem Internet wurde
der Einspracheentscheid am 3. Oktober 2001 der Post übergeben und von der
Versicherten am darauf folgenden Tag abgeholt. Andererseits steht fest, dass
das Originalcouvert den Poststempel vom 13. Oktober 2001 trägt und somit der
Beschwerdegegnerin frühestens am 14. Oktober 2001 zugestellt werden konnte.
Angesichts dieser Beweislage ist nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
erstellt, dass die Visana den Einspracheentscheid am 3. Oktober 2001 der Post
übergeben hat und dieser am darauf folgenden Tag der Beschwerdegegnerin
zugestellt wurde. Ob die Vorinstanz den rechtserheblichen Sachverhalt im
Sinne von Art. 105 Abs. 2 OG unvollständig festgestellt hat mit der Folge,
dass die neuen Vorbringen und Beweismittel der Visana in die Beurteilung
miteinbezogen werden könnten, kann im Hinblick auf die nachfolgenden
Erwägungen offen gelassen werden.

4.
4.1 Die Visana macht geltend, der Einspracheentscheid sei am 3. Oktober 2001
aufgegeben worden; gleichentags sei auch eine eingeschriebene Mahnung an die
Versicherte gesandt worden, was sich aus dem Aufgabeverzeichnis für
eingeschriebene Briefe vom 3. Oktober 2001 ergebe. Ein Nachforschungsbegehren
bei der Post habe ferner bestätigt, dass die Sendung mit der Aufgabenummer
...  tatsächlich am 3. Oktober 2001 aufgegeben und von der Versicherten am 4.
Oktober 2001 abgeholt worden sei. Auf dem von der Beschwerdegegnerin bei der
Vorinstanz eingereichten Couvert, das eben diese Nummer aufweise, stimme
entweder die aufgeklebte Aufgabennummer oder aber der Stempel (13. Oktober
2001) nicht. Denn am Samstag, den 13. Oktober 2001, sei die
Frankierungsmaschine am Visana-Hauptsitz nicht in Betrieb gewesen und es
seien keine Einschreiben versandt worden. Dementsprechend existiere auch kein
Aufgabenverzeichnis vom 13. Oktober 2001. Der Datumsstempel 13. Oktober 2001
erscheine unerklärlich. Es dränge sich der Verdacht auf, dass es sich bei den
beiden Stempeln auf dem eingereichten Couvert um Fälschungen handelt.

4.2 Selbst unter Berücksichtigung dieser neuen tatsächlichen Vorbringen und
Beweismittel der Visana liesse sich das Zustellungsdatum des
Einspracheentscheides nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachweisen:
Die Beschwerdegegnerin hat im vorinstanzlichen Verfahren den
Originalbriefumschlag, versehen mit dem Datum des 13. Oktober 2001 und dem
Kleber mit der Aufgabenummer ..., eingereicht; nach Angaben der Visana und
deren Aufgabenverzeichnis für eingeschriebene Briefe ist diese Aufgabenummer
hingegen am 3. Oktober 2001 auf dem Briefumschlag, der den
Einspracheentscheid enthielt, oder auf der eingeschrieben versandten Mahnung
angebracht gewesen. Dieser Widerspruch lässt sich weder an Hand der
vorliegenden Akten noch auf Grund weiterer Abklärungen lösen, zumal
Anhaltspunkte für eine Fälschung des Stempels oder des Klebers mit der
Aufgabenummer fehlen. Dass die Visana nicht erklären kann, wie der Stempel
mit dem Datum des 13. Oktober 2001 und der Kleber mit der erwähnten
Aufgabenummer auf den von der Versicherten ins Recht gelegten
Originalbriefumschlag gelangt sind, vermag den in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde geäusserten Fälschungsverdacht nicht zu
begründen. Nachdem die Visana sodann mit Nachdruck darauf besteht, dass sie
am 13. Oktober 2001 keine eingeschriebenen Briefe versandt hat, fallen
ergänzende Abklärungen zur Frage, ob der von der Beschwerdegegnerin
präsentierte Briefumschlag mit dem Stempel vom 13. Oktober 2001 an Stelle des
Einspracheentscheides ein anderes Schriftstück enthielt, ausser Betracht.

4.3 Die Visana hat demnach den Beweis dafür, dass sie den Einspracheentscheid
vor dem 13. Oktober 2001 versandt hat, nicht erbracht. Dieser Beweis lässt
sich nach dem Gesagten auch unter Berücksichtigung der neuen tatsächlichen
Behauptungen, Beweismittel und -Anträge nicht erbringen. Damit liegt
Beweislosigkeit vor, deren Folgen die Beschwerdeführerin zu tragen hat, die
aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt, hier der Zustellung des
Einspracheentscheides vor dem 13. Oktober 2001, Rechte ableiten wollte. Der
Sachverhaltsdarstellung der Versicherten folgend wurde die am 14. November
2001 der Post übergebene Beschwerde rechtzeitig innerhalb der gesetzlichen
Frist von 30 Tagen (Art. 86 Abs. 1 KVG) eingereicht. Der angefochtene
Eintretensentscheid erweist sich daher im Ergebnis als rechtens.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem
Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 23. September 2002

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: