Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 46/2002
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2002
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2002


K 46/02

Urteil vom 5. Juni 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Fessler

Helsana Versicherungen AG, Birmensdorferstrasse 94, 8003 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

D._______, 1958, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Philipp
Gressly, Bielstrasse 8, 4500 Solothurn

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 20. März 2002)

Sachverhalt:

A.
Mit Einspracheentscheid vom 24. September 2001 lehnte die Helsana
Versicherungen AG (nachfolgend: Helsana) in Bestätigung ihrer Verfügung vom
14. September 2000 die Übernahme der Kosten der am 24. Mai 2000 in der Klinik
R.________ in bei D._______ vorgenommenen Mammareduktionsplastik beidseits im
Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ab.

B.
In Gutheissung der Beschwerde von D._______ hob das Versicherungsgericht des
Kantons Aargau mit Entscheid vom 20. März 2002 den Einspracheentscheid vom
24. September 2001 auf und wies die Sache zur ergänzenden Abklärung des
rechtserheblichen Sachverhalts durch ein neutrales Gutachten und zur neuen
Verfügung an die Helsana zurück (Dispositiv-Ziffer 1). Im Weitern
verpflichtete das kantonale Gericht den Krankenversicherer, zusätzlich zu den
Parteikosten die Kosten des vom Rechtsvertreter der Versicherten eingeholten
Berichts des pract. med. H.________ vom 15. Mai 2001 in der Höhe von Fr.
200.- zu ersetzen (Dispositiv-Ziffer 3).

C.
Die Helsana führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der
kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben.

D. _______ lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

D.
Die Parteien haben sich in zwei weiteren Eingaben zur Sache geäussert.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Bereich der sozialen Krankenversicherung
geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen
Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen
führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner
nach dem massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheides (hier: 24.
September 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen
unberücksichtigt zu bleiben haben, sind im vorliegenden Fall die bis zum 31.
Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar (BGE 121 V 366 Erw. 1b, 116 V
248 Erw. 1a).

2.
Das kantonale Gericht hat die vorliegend streitige Leistungspflicht der
Helsana für die Mammareduktionsplastik vom 24. Mai 2001 im Rahmen der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Lichte der unter dem alten
Krankenversicherungsgesetz (KUVG) ergangenen Rechtsprechung (vgl. BGE 121 V
213 f. Erw. 4 und 5) geprüft. Dies ist richtig, wie das Eidgenössische
Versicherungsgericht im Fall K 85/99, entschieden mit Urteil vom 25.
September 2000 (RKUV 2000 Nr. KV 138 S. 357), erkannt hat.

3.
Unter dem alten Recht hat sich die vom Eidgenössischen Versicherungsgericht
in ständiger Rechtsprechung angewendete Praxis herausgebildet, wonach eine
Mammareduktionsplastik medizinisch indiziert ist und dem Erfordernis der
Zweckmässigkeit genügt, sofern eine Gewebereduktion von gegen 500 g oder mehr
beidseits vorgesehen ist bzw. durchgeführt wurde und wenn gleichzeitig
Beschwerden geltend gemacht werden, die auf die Hypertrophie zurückgeführt
werden können (könnten) und keine Adipositas vorliegt. Dabei gilt eine Person
als übergewichtig (adipös), wenn der Body Mass Index (BMI), also der Quotient
von Körpergewicht (kg) und Körperlänge im Quadrat (m2) grösser als 25 ist;
dabei spricht eine leichte Adipositas für sich allein nicht gegen den
Kausalzusammenhang zwischen der Hypertrophie und den Beschwerden (RKUV 1996
Nr. K 972 S. 3 ff. Erw. 5 f. mit Hinweisen).

Im vorliegenden Fall steht fest, dass bei der Operation am 24. Mai 2000
beidseitig 500 g (Fett- und Drüsen-)Gewebe reseziert wurde. Im Weitern kann
als erstellt gelten, dass im Zeitpunkt des Eingriffs keine Adipositas
bestand.

4.
4.1 Das kantonale Gericht hat seinen Rückweisungsentscheid damit begründet,
aufgrund der medizinischen Akten lasse sich nicht feststellen, ob der vom
operierenden Arzt Dr. med. K.________ als Hauptgrund für die
Reduktionsplastik angegebenen Mastodynie Krankheitswert zukomme resp. ob die
dadurch verursachten Brustschmerzen überhaupt von einer gewissen
Erheblichkeit gewesen seien. Desgleichen sei nicht ersichtlich, ob die vom
Operateur im Schreiben vom 22. Juni 2000 erwähnte Mastopathie beidseits
Beschwerden mit Krankheitswert ausgelöst habe. Ebenfalls könne aufgrund der
Akten nicht schlüssig beurteilt werden, ob die Mammahypertrophie Ursache der
geklagten Hals- und Brustwirbelsäulenbeschwerden gewesen sei oder ob diese
vielmehr überwiegend auf degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule beruht
hätten.

Das gemäss Dispositiv-Ziffer 1 des angefochtenen Entscheides von der Helsana
einzuholende neutrale Gutachten soll sich u.a. dazu äussern, wie es sich mit
dem Kausalzusammenhang zwischen der Mammahypertrophie und der Mastodynie
sowie den HWS/BWS-Beschwerden verhält, ferner ob neben der
hormonell/medikamentösen sowie der physiotherapeutischen Behandlung andere
Therapiemöglichkeiten bestanden, welche nicht ausgeschöpft worden waren.

4.2 Nach Auffassung der Helsana ist die Sache spruchreif und die streitige
Kostenübernahme für die Mammareduktionsplastik vom 24. Mai 2000 im Rahmen der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu verneinen. Die Versicherte habe
die Stellungnahme verschiedener Ärzte eingereicht, «allesamt mit dem
Resultat, dass der Krankheitswert der Beschwerden sowie der
Kausalzusammenhang mit der Mammahypertrophie als möglich aber nicht
überwiegend wahrscheinlich qualifiziert wurde». Von einem Gutachten seien
keine neuen Erkenntnisse zu erwarten. Eine neutrale Expertise wäre nur dann
allenfalls sinnvoll, wenn behandelnder Arzt und Vertrauensarzt sich derart
widersprächen, dass lediglich auf diese Weise die Situation sich klären
liesse. Ein solcher Tatbestand sei indessen nicht gegeben. Der
Rückweisungsentscheid komme mithin einer Beweislastumkehr gleich, indem der
Krankenversicherer letztlich beweisen müsse, dass die Versicherte nicht krank
im Sinne des Gesetzes gewesen sei. Zu diesem negativen Beweis könne er nicht
verpflichtet werden.

4.3
4.3.1Es ist unter den Verfahrensbeteiligten zu Recht unbestritten, dass
aufgrund der medizinischen Akten lediglich die Möglichkeit des
Kausalzusammenhangs zwischen der Mammahypertrophie (recte: -plasie) und den
geklagten Beschwerden (Rücken/Nacken/Schulter-Beschwerden, Mastodynie,
Mastopathie) besteht, was nicht genügt (RKUV 2000 Nr. KV 138 S. 359 Erw. 3a mit Hinweis). Umgekehrt kann aber auch nicht gesagt werden und die Helsana
macht auch nicht geltend, die Hyperplasie sei mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit nicht (teil-)ursächlich für die erwähnten Beschwerden.

Der gegenteilige Schluss lässt sich zumindest nicht aus den Stellungnahmen
des Vertrauensarztes ziehen. Im Schreiben vom 27. April 2000 an den
operierenden Arzt Dr. med. K.________ begründete Dr. med. U.________ seine
ablehnende Haltung gegen eine Kostenübernahme für den vorgesehenen Eingriff
im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung damit, die geltend
gemachten Nacken- und Schulterbeschwerden könnten sehr wohl auch in einem
anderen Zusammenhang stehen. Eine Mastodynie stelle keine leistungspflichtige
Indikation für eine Reduktionsplastik dar. Im Schreiben vom 10. August 2000
sodann führte der Vertrauensarzt aus, die vor der Operation gemachten Fotos
zeigten bei der Versicherten eine etwas grössere Mammae, deren Grösse jedoch
klar nicht als krankhaft zu bewerten sei. Diese Äusserungen sind zu
unbestimmt, ja schliessen sogar ästhetische Gründe für die Reduktionsplastik
aus, um gestützt darauf die Kausalitätsfrage und damit die streitige
Kostenübernahmepflicht verneinen zu können.

4.3.2 Es stellt sich somit die Frage, ob von zusätzlichen Erhebungen neu
verwertbare Erkenntnisse zu erwarten sind. Dabei fallen aufgrund der Regel,
wonach die Folgen der Beweislosigkeit jene Partei zu tragen hat, welche aus
dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte (BGE 117 V 264
Erw. 3b mit Hinweisen; RKUV 1996 Nr. U 247 S. 172 Erw. 2a), lediglich
Umstände in Betracht, welche für die streitige Kausalität sprechen. Das
kantonale Gericht hat einen Abklärungsbedarf in diesem Sinne bejaht, was
entgegen Helsana nicht zu beanstanden ist. Der Krankenversicherer vermag denn
auch nicht darzutun, dass die vom Gutachter abzuklärenden Punkte für die
Bejahung oder Verneinung der streitigen Kausalitätsfrage bedeutungslos wären.
Insbesondere kann nicht davon gesprochen werden, die (fach-)ärztlichen
Meinungen seien zu wenig divergent, als dass die Einholung eines neutralen
Gutachten Sinn machen und sich rechtfertigen könnte. Immerhin war gemäss
pract. med. H.________, welcher das Kostengutsprachegesuch stellte, und
operierendem Arzt Dr. med. K._______ die medizinische Indikation für die
Mammareduktionsplastik gegeben. In diesem Zusammenhang ist darauf
hinzuweisen, dass es Aufgabe des Arztes ist, aufgrund von Anamnese, Befund
und Diagnose die Notwendigkeit einer Behandung an sich sowie die in Betracht
fallenden therapeutischen Möglichkeiten unter Berücksichtigung der
gesundheitlichen Risiken (u.a. Nebenwirkungen) zu bezeichnen.

4.3.3 Die Ausführungen des kantonalen Gerichts zum Gegenstand der
gutachtlichen Abklärungen (Erw. 4.1 zweiter Abschnitt) sind insofern zu
präzisieren, als der Krankheitswert der Mastodynie zu bejahen ist; aufgrund
der Akten war eine hormonelle/medikamentöse Behandlung notwendig.

4.4 Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid rechtens, soweit er die
fehlende Spruchreife der Sache feststellt und weitere Abklärungen durch den
Krankenversicherer für notwendig erachtet.

5.
Entgegen der Vorinstanz kann die Helsana nicht zur Übernahme der Kosten des
Berichts von pract. med. H.________ vom 15. Mai 2001 verpflichtet werden. Die
Versicherte steht seit 1996 wegen ihren Nacken/Schulter-Beschwerden bei
diesem Arzt in Behandlung. Sodann stellt der fragliche Bericht in erster
Linie einen Auszug aus der Krankengeschichte dar. Von einem
entscheidwesentlichen Parteigutachten, dessen Kosten unter dem Titel
Parteientschädigung verlegt werden können (vgl. BGE 115 V 62), kann mithin
nicht gesprochen werden. Dispositiv-Ziffer 3 des kantonalen Entscheides
verletzt somit Bundesrecht.

6.
Die Helsana unterliegt materiell in der Hauptsache. Der Beschwerdegegnerin
steht daher zu Lasten des Krankenversicherers eine Parteientschädigung zu
(Art. 159 Abs. 1 und 3 OG in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen,
dass Dispositiv-Ziffer 3 des Entscheides vom 20. März 2002 aufgehoben wird.
Im Übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Helsana Versicherungen AG hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr.
2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 5. Juni 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: