Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 43/2002
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2002
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2002


K 43/02

Urteil vom 24. Oktober 2002

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Rüedi, Bundesrichterin Widmer und
Bundesrichter Frésard; Gerichtsschreiber Jancar

SWICA Krankenversicherung AG, Rechtsdienst, Römerstrasse 38, 8401 Winterthur,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. W.________,
2. Sanitas Krankenversicherung, Länggassstrasse 7, 3012 Bern,
Beschwerdegegnerinnen

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
Bern

(Entscheid vom 12. März 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1981 geborene W.________ war vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2000 bei
der SWICA Gesundheitsorganisation (nachfolgend SWICA) obligatorisch
krankenpflegeversichert. Seit 1. Januar 2001 ist sie dies bei der Sanitas
Krankenversicherung (nachfolgend Sanitas). Vom 4. bis 22. Dezember 2000 war
die Versicherte auf Grund einer dermatologischen Erkrankung bei Frau Dr. med.
M.________, Dermatologie/Allergologie, in Behandlung. Diese stellte am 22.
Dezember 2000 für ihre Bemühungen sowie für die Abgabe diverser Medikamente -
insbesondere vier Packungen Roaccutan 20 mg à 100 Kapseln - eine Rechnung im
Gesamtbetrag von Fr. 1811.-. Mit Schreiben vom 20. Februar 2001 teilte die
SWICA der Versicherten mit, gemäss Angaben von Frau Dr. med. M.________ habe
sie täglich 2 Kapseln Roaccutan einzunehmen, was vom 4. bis 31. Dezember 2000
(Ende der Versicherungspflicht) 52 Stück entspreche. Für diese Zeit seien
demnach lediglich die Kosten für eine Packung dieses Medikaments im Betrag
von Fr. 331.10 abgerechnet worden. Die Vergütung für die restlichen Packungen
könne die Versicherte bei ihrer neuen Krankenkasse einfordern. Mit Schreiben
vom 26. April 2001 lehnte die Sanitas die Übernahme der Kosten für die
übrigen drei Packungen des Medikaments ab. Mit Verfügung vom 23. Mai 2001
hielt die SWICA an ihrem Standpunkt gemäss Schreiben 20. Februar 2001 fest.
Mit Verfügung vom 30. Mai 2001 verneinte die Sanitas ihre Leistungspflicht,
da die Behandlung bei Frau Dr. med. M.________ vor Versicherungsbeginn
erfolgt sei. Die gegen die Verfügung vom 23. Mai 2001 von der Versicherten
und von der Sanitas erhobenen Einsprachen wies die SWICA mit Entscheid vom
16. Juli 2001 ab.

B.
Die hiegegen von der Versicherten und von der Sanitas erhobenen Beschwerden
hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 12. März 2002
gut und hielt in den Erwägungen fest, dass die SWICA für die Kosten des
Medikaments aufzukommen habe.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die SWICA die Aufhebung des
kantonalen Entscheides.

Die Versicherte und die Sanitas schliessen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und die Grundsätze
über den Umfang der Leistungen in der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung im Allgemeinen (Art. 24 und Art. 25 Abs. 1 KVG) und
insbesondere bei ärztlich verordneten Arzneimitteln (Art. 25 Abs. 2 lit. b
KVG) sowie über die Leistungspflicht im Falle eines Versichererwechsels
zutreffend dargelegt (Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, S. 20 Rz 37 und S. 23 Rz
42 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist, in welchem Umfang die SWICA, bei der die
Versicherte bis 31. Dezember 2000 obligatorisch krankenpflegeversichert war,
für die Kosten der ihr von Frau Dr. med. M.________ im Dezember 2000
abgegebenen vier Packungen à 100 Kapseln des Medikaments Roaccutan im Betrag
von Fr. 1324.40 leistungspflichtig ist.

2.1 Die Vorinstanz stellt bezüglich der Frage, ob bei einem
Versicherungswechsel der frühere oder der neue Krankenversicherer für die
Kosten von abgegebenen Medikamenten, die auch nach dem Wechsel vom
Versicherten einzunehmen sind, auf den Zeitpunkt der Abgabe der Medikamente
ab. In Erw. 3.b) begründet sie ihren Standpunkt sehr knapp: "Die Kosten (für
das Medikament) entstehen mit der Abgabe des Medikamentes. In diesem
Zeitpunkt wird die Leistungspflicht des Krankenversicherers ausgelöst." Mit
dem gegenteiligen Standpunkt der SWICA (Abstellen auf die
Medikamenteneinnahme) setzt sie sich insoweit auseinander, als sie deren
Auffassung - übrigens zu Recht - als wenig praktikabel bezeichnet.

2.2 Bezüglich der Leistungspflicht des Krankenversicherers ist
unbestrittenermassen an den Zeitpunkt der Behandlung anzuknüpfen. Dies ergibt
sich auch aus dem Wortlaut von Art. 103 Abs. 3 KVV, wonach für die Erhebung
der Franchise und des Selbstbehalts das Behandlungsdatum massgebend ist.
Behandlung meint den effektiven Bezug der Leistung (Eugster, a.a.O., S. 187
Rz 342, Anm. 842).

Die Behandlung nimmt ihren Anfang in der Regel bei den in Art. 25 Abs. 2 lit.
a KVG genannten Medizinalpersonen. Von Bedeutung ist, dass die Behandlung
meist auf die Zukunft hin, d.h. für die Zeit nach der Bemühung der
Medizinalperson (Sprechstunde), wirken soll. Zur Behandlung gehören die
Anweisungen an den Patienten, was er tun bzw. vermeiden soll, sowie die
Anordnung von allfälligen Massnahmen. Zu diesen Anweisungen gehört in der
Regel auch die Einnahme von Medikamenten. Die Beratung verrechnet die
Medizinalperson nach Tarifen. Es erscheint systemgerecht, die Kosten, die
nicht mit der Beratung, sondern mit den Medikamenten verbunden sind - einen
so hohen Anteil an den Gesamtkosten wie im vorliegenden Fall haben sie in der
Regel nicht -, auf die beiden Krankenversicherer nicht anders aufzuteilen,
als die Kosten für die übrigen Massnahmen der Medizinalperson, d.h. dem
Versicherer zu überbinden, bei dem der Patient im Zeitpunkt Behandlung
versichert war. Massgebend ist mithin der tatsächliche Bezug der Medikamente
bei der Medizinalperson (Eugster, a.a.O., S. 187 Rz 342, Anm. 842).

Im Übrigen belastet diese Handhabung die Versicherer nicht einseitig, gleicht
sich doch dieses System bei den Versicherern in zeitlicher Hinsicht wieder
aus.

2.3 Es ist der beschwerdeführenden SWICA zuzustimmen, dass diese Regelung,
wie andere Regelungen auch, missbraucht werden kann. Sowohl bei der
Medizinalperson wie auch beim Versicherten kann ein Anreiz bestehen,
Medikamente auf Vorrat abzugeben bzw. sich abgeben zu lassen. Dieser Frage
nachzugehen besteht indessen vorliegend kein Anlass, wird doch von keiner
Seite behauptet, die Ärztin der Versicherten hätte dieser nicht vier
Packungen Roaccutan abgeben dürfen. Der vorinstanzliche Entscheid ist daher
nicht zu beanstanden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 24. Oktober 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: