Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 144/2002
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K 144/02

Urteil vom 12. November 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

Z.________, 1975, Beschwerdeführerin,

gegen

KPT/CPT Krankenkasse, Tellstrasse 18, 3014 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 20. November 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1975 geborene Z.________ ist bei der KPT/CPT Krankenkasse (nachfolgend
KPT) krankenversichert. Gemäss Zahnschadenformular Befunde/Kostenvoranschlag
vom 4. Juli 2001 diagnostizierte Dr. med. Dr. med. dent. S.________ bei der
Versicherten pericoronale Infekte bei verlagerten Weisheitszähnen im
Oberkiefer beidseits und entfernte die beiden Zähne. Mit Verfügung vom 20.
November 2001 lehnte die KPT nach Beizug ihres Vertrauenszahnarztes Dr. med.
dent. E.________ die Übernahme der Behandlungskosten für die Entfernung der
Weisheitszähne 18 und 28 bei Dr. med. Dr. med. dent. S.________ mangels
Verlagerung der betreffenden Zähne ab. Gestützt auf eine erneute
Stellungnahme des Vertrauenszahnarztes hielt die Krankenkasse mit
Einspracheentscheid vom 5. März 2002 an ihrem Standpunkt fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 20. November 2002 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt Z.________ die Rückerstattung der
Zahnbehandlungskosten durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung. Zur
Begründung verweist sie auf die Angaben des behandelnden Arztes Dr. med. Dr.
med. dent. S.________.

Die KPT schliesst nach erneuter Rücksprache mit dem Vertrauenszahnarzt auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherung, Abteilung Krankenversicherung (seit 1. Januar 2004 im
Bundesamt für Gesundheit), verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Krankenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 129 V 4 Erw. 1.2), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier:
5. März 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b),
sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen anwendbar.

2.
Das kantonale Gericht hat die massgebenden gesetzlichen Grundlagen über den
Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für
zahnärztliche Behandlungen (Art. 31 Abs. 1 KVG, Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in
Verbindung mit Art. 33 lit. d KVV sowie Art. 17-19 KLV), namentlich für
solche, die durch eine schwere nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems in
Form verlagerter Zähne mit Krankheitswert (Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG in
Verbindung mit Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV) bedingt sind, zutreffend
dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Richtig sind auch die Ausführungen
zur Rechtsprechung über das Erfordernis eines qualifizierten Krankheitswertes
in Art. 17 KLV (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil
A. vom 19. August 2004, K 86/02; BGE 127 V 334 Erw. 5b und 336 Erw. 7a).

3.
3.1 Hinsichtlich der Übernahme der Kosten für zahnärztliche Behandlungen
unterscheidet Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV nicht zwischen der Behandlung von
Weisheitszähnen und von anderen Zähnen. Die Behandlungskosten sind von der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen, wenn die Zähne
verlagert sind und das Leiden Krankheitswert erreicht, wobei als Beispiele
für einen solchen Krankheitswert in Klammern der Abszess und die Zyste
genannt werden.
Die Leistungspflicht für die Behandlung von verlagerten Weisheitszähnen ist
demzufolge bei Vorliegen des erforderlichen qualifizierten Krankheitswertes
gleich zu beurteilen wie diejenige für die Behandlung anderer verlagerter
Zähne. Dieser qualifizierte Krankheitswert beinhaltet im Wesentlichen zwei
Elemente, nämlich einerseits die Pathologie mit einer Gefährdung des Lebens
oder einer Beeinträchtigung der Gesundheit und andererseits die notwendigen
Massnahmen, um die Gefährdung oder Beeinträchtigung zu beseitigen oder
zumindest zu verringern (noch nicht in der Amtlichen Sammlung
veröffentlichtes Urteil A. vom 19. August 2004, K 86/02). So haben auch die
Experten den qualifizierten Krankheitswert verneint, wenn ein pathologisches
Geschehen mit einfachen Massnahmen behoben werden kann.

3.2 Im oben zitierten Urteil A. vom 19. August 2004, K 86/02, hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht dargelegt, dass verlagerte Weisheitszähne
gemäss Ansicht der beigezogenen Experten gegenüber andern verlagerten oder
überzähligen Zähnen insofern eine besondere Stellung einnehmen, als sie von
ihrer topografischen Lage her besonders häufig Lage-Anomalien zeigen.
Entwicklungsgeschichtlich hat dazu beigetragen, dass der Kiefer des Menschen
kleiner, die Zähne grösser geworden sind, sodass der Platz auf dem
Kieferknochen für die Zähne, namentlich für die hintersten, nicht mehr
ausreicht. Neben der Abweichung von der Lage ist oft eine solche von der
Achse festzustellen, wodurch Nachbarstrukturen geschädigt werden können. Aus
diesen Gründen geben die Weisheitszähne häufig Anlass zu entzündlichen
Komplikationen und Zystenbildungen, die wegen ihrer Lage schwerwiegende
Folgen haben können wie einen Durchbruch von Abszessen in anatomischen Logen
von vitaler Bedeutung oder eine Spontanfraktur des Unterkiefers infolge
Schwächung durch grosse Zysten (BGE 127 V 335 Erw. 6b und 397 Erw. 3c/cc).

3.3 Bei der Behandlung verlagerter Weisheitszähne ist zudem die Besonderheit
zu berücksichtigen, dass diese entfernt werden, ohne dass an ihrer Stelle ein
Ersatz (z.B. Implantat) als tunlich erscheint, während andere verlagerte
Zähne nicht ersatzlos entfernt werden können, sondern durch zahnärztliche
Massnahmen zu erhalten sind oder an ihrer Stelle eine Ersatzlösung zu suchen
ist, um die Kaufunktion aufrecht zu erhalten.

3.4 Aufgrund der geschilderten Unterschiede kann demzufolge, wie das
Eidgenössische Versicherungsgericht im zitierten Urteil A. vom 19. August
2004, K 86/02, dargelegt hat, bei verlagerten Weisheitszähnen und anderen
verlagerten Zähnen bei identischer Pathologie der qualifizierte
Krankheitswert im oben umschriebenen Sinn nicht gleich beurteilt werden. Um
an die Übernahme der Kosten für die Behandlung verlagerter Weisheitszähne
nicht geringere Anforderungen an die Schwere des Leidens zu stellen als für
die Behandlung anderer verlagerter Zähne, kann bei Weisheitszähnen nicht jede
Pathologie genügen, die bei andern verlagerten Zähnen die Übernahme
rechtfertigt. Eine Pathologie wie beispielsweise eine Zyste oder ein Abszess,
sofern ohne grossen Aufwand behandelbar, macht die Entfernung eines
Weisheitszahnes nicht zur Behandlung einer schweren Erkrankung des Kausystems
im Sinne von Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG in Verbindung mit Art. 17 KLV. Anders
ist es zu halten, wenn entweder die Entfernung des verlagerten
Weisheitszahnes wegen besonderer Verhältnisse oder die Behandlung der
Pathologie schwierig und aufwändig ist (vgl. BGE 127 V 328; RKUV 2002 Nr. KV
202 S. 91, K 12/01).

3.5 Die versicherte Person und der sie behandelnde Arzt haben dem
Krankenversicherer alle medizinischen Grundlagen dafür zu liefern, dass er
die Voraussetzungen für die Leistungspflicht prüfen kann (ZBJV 138/2002 S.
422). Werden gleichzeitig mehrere Weisheitszähne entfernt, ist der Nachweis
für jeden Weisheitszahn zu erbringen.

4.
4.1 Der behandelnde Arzt diagnostizierte bezüglich der beiden oberen
Weisheitszähne 18 und 28 eine sehr stark ausgeprägte Verlagerung sowie
rezidivierende pericoronale Infekte, eine Denudierung von Zahnhals und
Wurzeln der angrenzenden Zähne und eine Verdrängung der Nachbarzähne mit
leichtem manifesten und mit hoher Wahrscheinlichkeit drohendem Engstand in
der Oberkieferfront. Er entfernte daher die beiden Weisheitszähne.

4.2 Nach Beizug ihres Vertrauenszahnarztes lehnte die KPT eine Übernahme der
Behandlungskosten ab, im Wesentlichen mit der Begründung, die Weisheitszähne
18 und 28 seien nicht verlagert, sondern lediglich retiniert. Sie seien an
ihrem richtigen Ort leicht nach vorne gekippt gestanden, aber noch nicht
durchgebrochen gewesen. Aufgrund der hohen Lage der Weisheitszähne könne
davon ausgegangen werden, dass keine Verbindung zur Mundhöhle und somit auch
keine pericoronalen Infekte bestanden hätten. Solche Infekte seien im
Oberkiefer zudem äusserst selten und wenn überhaupt vorhanden, dann nicht
beidseitig. Die Denudierung der Wurzeln der Zähne 17 und 27 stelle kein
Problem dar, weil sich die parodontale Situation nach Durchbruch der
Weisheitszähne wieder normalisiere. Die behauptete drohende Behinderung einer
geordneten Gebissentwicklung schliesslich sei hier nicht gegeben, weil
bereits eine abgeschlossene Gebissentwicklung vorliege.

4.3 Die Vorinstanz würdigte die verschiedenen medizinischen Berichte und kam
zum Schluss, dass aufgrund der überzeugenden, schlüssigen und
nachvollziehbaren Ausführungen des Vertrauenszahnarztes davon auszugehen sei,
dass die fraglichen Weisheitszähne nicht verlagert waren. Da bereits die
erste Voraussetzung der Leistungspflicht zu verneinen sei, sei der ebenfalls
umstrittene Krankheitswert nicht weiter zu prüfen.

4.4 Wie sowohl den Berichten des behandelnden Arztes wie auch denjenigen des
Vertrauenszahnarztes zu entnehmen ist, standen die Weisheitszähne 18 und 28
der Versicherten sehr hoch und ihre Wurzeln reichten bis in die Kieferhöhle.
Die Frage der Verlagerung kann jedoch offen bleiben, weil die Pathologie
einerseits und die notwendigen Massnahmen zu deren Beseitigung oder
Verringerung andrerseits für das Vorliegen des erforderlichen qualifizierten
Krankheitswertes nicht ausreichen. Die Behandlung bestand im wesentlichen in
der Entfernung der beiden Weisheitszähne. Damit konnte die Pathologie behoben
werden, ohne dass ein Ersatz der entfernten Zähne oder andere aufwändige
Massnahmen dazu notwendig geworden wären. Besondere Komplikationen werden
weder geltend gemacht, noch ergeben sich aus den Akten irgendwelche
Anhaltspunkte dafür. In Anbetracht der Rechtsprechung ist demzufolge der
erforderliche qualifizierte Krankheitswert nicht gegeben, sodass die
Verneinung der Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
zu Recht erfolgt ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
(BAG) zugestellt.

Luzern, 12. November 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin:
i.V.