Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 129/2002
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K 129/02

Urteil vom 16. April 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

R.________ und D.________, Beschwerdeführer,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Recht Deutsche Schweiz, Birmensdorferstrasse 94,
8003 Zürich, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 8. Oktober 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1965 geborene R.________ ist bei der Helsana Versicherungen AG
(nachfolgend Helsana) krankenversichert. Sie litt unter chronischen
Dickdarmentzündungen (Colitis) mit teils starken Bauchschmerzen, was ihr
behandelnder Arzt, Dr. med. T.________, in einen Zusammenhang mit einem
eingewachsenen Milchzahn im Oberkiefer stellte. R.________ ersuchte daher die
Helsana am 30. November 1999 um Kostenübernahme für die Extraktion des Zahnes
65 sowie die nachfolgende Brückenversorgung, was Dr. med. dent. W.________ in
seiner Kostenorientierung vom 17. September 1999 auf Fr. 2230.25
veranschlagte.

Mit Verfügung vom 12. Mai 2000 lehnte die Helsana nach Rücksprache mit ihrem
Vertrauenszahnarzt Dr. med. dent. U.________ die Ausrichtung von Leistungen
aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung an die von Dr. med. dent.
W.________ geplante zahnärztliche Behandlung ab. An ihrem Standpunkt hielt
sie im Einspracheentscheid vom 10. April 2001 nach Konsultation der
Vertrauenszahnärztin Frau Dr. med. S.________, Kieferchirurgie FMH, fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher R.________ und ihr Ehemann
D.________ die Übernahme der Kosten für die  Extraktion eines Milchzahnes und
die nachfolgende Brückenversorgung beantragten, wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern mit Entscheid vom 8. Oktober 2002 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen R.________ und D.________
wiederum die Übernahme der Kosten der Behandlung (Fr. 77.50 zuzüglich Zins zu
5 % seit 30. August 2000 und Fr. 2171.60 zuzüglich Zins zu 5 % seit 30.
September 2001) durch die Krankenversicherung.

Die Helsana schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

In ihrer Eingabe vom 24. Januar 2003 halten R.________ und D.________ an
ihrem Standpunkt fest und ersuchen sinngemäss um Abklärung der medizinischen
Fragen durch ausgewiesene Fachpersonen in neuraltherapeutischen Belangen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen über die Übernahme der
Kosten für ärztliche und zahnärztliche Behandlungen durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung (Art. 25 und 31 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die
Krankenversicherung [KVG], Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit Art. 33
lit. d der Verordnung über die Krankenversicherung [KVV], Art. 17-19a der
Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
[Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV]) zutreffend dargelegt. Richtig ist
insbesondere, dass gemäss ständiger Rechtsprechung die in Art. 17-19 KLV
erwähnten Erkrankungen, welche von der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung zu übernehmende zahnärztliche Behandlungen
bedingen, abschliessend aufgezählt sind (BGE 128 V 137 Erw. 2c). Korrekt
wiedergegeben sind schliesslich die gemäss Rechtsprechung im Vordergrund
stehenden Kriterien für die Abgrenzung zwischen ärztlicher und zahnärztlicher
Behandlung, nämlich der Ansatzpunkt und die therapeutische Zielsetzung der
Behandlung (BGE 128 V 145 Erw. 4).

2.
Streitig und zu prüfen ist die Übernahme der Kosten für die Extraktion eines
Milchzahnes und die nachfolgende Brückenversorgung durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung.

2.1 Das Gesuch um Kostenübernahme vom 30. November 1999 begründete die
Versicherte damit, dass gemäss Dr. med. T.________ zwischen ihren chronischen
Dickdarmentzündungen und dem eingewachsenen Milchzahn im Oberkiefer ein
energetischer Zusammenhang bestehe und die Extraktion dieses Zahnes eine
rasche Ausheilung der Darmprobleme bewirken würde.

2.2 Die Krankenkasse verneinte eine Leistungspflicht mit der Begründung, dass
die Kosten für zahnärztliche Behandlungen der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung nur in eingeschränktem Masse, nämlich nur in den in
Art. 17-19a KLV abschliessend aufgelisteten Fällen, überbunden werden
könnten. Die vorliegend durchgeführte zahnärztliche Behandlung falle nicht
darunter.

2.3 Nachdem die Beschwerdeführer anfänglich von einem zahnärztlichen bzw.
zahnchirurgischen Eingriff sprachen, stellten sie sich im Laufe des
vorinstanzlichen Verfahrens auf den Standpunkt, mit einer zahnärztlichen
Behandlung habe der vorliegende Fall nichts zu tun, vielmehr liege ein
chirurgischer Eingriff am Verdauungstrakt, welcher den Mundbereich
einschliesse, zur Behebung einer schweren Darmstörung vor. Das
neuraltherapeutische Vorgehen sei wissenschaftlich anerkannt.

3.
3.1 Das kantonale Gericht hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung
überzeugend dargelegt, dass die Extraktion eines Milchzahnes und die
nachfolgende Brückenversorgung eine zahnärztliche Behandlung darstellen,
weshalb allein Art. 31 Abs. 1 KVG für die Leistungspflicht massgebend ist.
Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, ist für die Abgrenzung zwischen
ärztlicher Behandlung nach Art. 25 KVG und zahnärztlicher Behandlung nach
Art. 31 KVG zunächst der Ansatzpunkt der Behandlung massgebend. Setzt sie -
wie vorliegend - am Kausystem an, ist die soziale Krankenversicherung nur
leistungspflichtig, wenn die in Art. 31 Abs. 1 KVG in Verbindung mit Art.
17-19a KLV enthaltenen Voraussetzungen erfüllt sind. Selbst wenn man mit den
Beschwerdeführern das Kausystem als Teil des Verdauungstraktes bezeichnet,
ist mit aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber für die
Behandlungen des Kausystems eben eine besondere, von der Behandlung des
übrigen Körpers abweichende Regelung aufgestellt hat.

3.2 Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Kostenübernahme einer
zahnärztlichen Behandlung hat das kantonale Gericht richtig dargelegt, dass
die Extraktion des Milchzahnes mit nachfolgender Brückenversorgung zur
Behandlung einer Colitis in den abschliessenden Aufzählungen von Art. 17-19
KLV nicht enthalten ist und somit nicht in den Leistungsbereich der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung fällt. Diesen Ausführungen ist
vollumfänglich beizupflichten. Daran vermag die Argumentation in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts zu ändern.

3.2.1 Wenn die Beschwerdeführer den abgestorbenen Milchzahn der Versicherten
als verlagerten Zahn mit Krankheitswert gemäss Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV
betrachten und den Krankheitswert in der Dickdarmentzündung als Folge dieses
abgestorbenen Milchzahnes sowie in «früher oder später» entstehenden Infekten
im Umfeld des Zahnes erblicken, sind sie ergänzend darauf hinzuweisen, dass
der Krankheitswert verlagerter Zähne dann gegeben ist, wenn erhebliche
Schäden an benachbarten Zähnen, am Kieferknochen oder an benachbarten
Weichteilen entstanden sind oder gemäss radiologischem Befund mit hoher
Wahrscheinlichkeit entstehen werden und wenn durch einfache Massnahmen nicht
Abhilfe geschaffen werden kann (BGE 127 V 328). Ein Körperschaden im Bereich
des Dickdarms fernab des Kausystems ist - wie die Vorinstanz zu Recht
festgestellt hat - kein Schaden im dargelegten Sinne, selbst wenn ein
Zusammenhang zwischen dem abgestorbenen Milchzahn und der Dickdarmentzündung
bestehen sollte. Für weitere diesbezügliche medizinische Abklärungen besteht
demzufolge kein Anlass.

3.2.2 Eine Ausweitung des Krankheitswertes in dem Sinne, dass jegliche
Körperschäden, welche Folge verlagerter oder überzähliger Zähne sein können,
mitumfasst werden, fällt nicht in Betracht. Zunächst deutet nämlich die in
Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV in Klammer gesetzte Veranschaulichung an, was
unter Krankheitswert verstanden werden kann, nämlich Abszess und Zyste, somit
pathologisches Geschehen in unmittelbarer Nähe verlagerter oder überzähliger
Zähne. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass nicht nur bei Erkrankung der
Zähne nach Art. 17 lit. a KLV, sondern bei allen Erkrankungen des Kausystems
gemäss Art. 17 KLV der Krankheitswert nicht infolge Erkrankungen ausserhalb
des Kausystems, sondern innerhalb desselben gesehen wird. Einen Grenzfall
dürften die Dysgnathien darstellen, bei denen der Krankheitswert in einer
schweren Störung des Schluckens besteht (Art. 17 lit. f Ziff. 2 KLV). Eine
Ausweitung im erwähnten Sinne wäre systemwidrig. Sie würde auch den
Intentionen des Gesetzgebers, die Leistungspflicht bei Erkrankungen des
Kausystems einzuschränken, zuwiderlaufen. Nicht nur bei verlagerten oder
überzähligen Zähnen sondern bei zahlreichen andern Zahnschäden werden
vielerlei negative Auswirkungen auf andere Organe und Körperteile behauptet,
vermutet oder zumindest für möglich gehalten. Da die Leistungspflicht nicht
davon abhängt, ob im konkreten Fall tatsächlich Heilung oder Linderung
allfälliger Folgeschäden erzielt wird, könnten solche Krankheiten mit der
Begründung eines Zusammenhangs mit Zahnschäden zum Anlass einer Sanierung
derselben genommen werden.

3.2.3 Was die behaupteten, «früher oder später» möglicherweise entstehenden
Infekte im Umfeld des extrahierten Zahnes anbelangt, ist festzustellen, dass
aus den Akten keinerlei Hinweise hervorgehen, wonach wegen des abgestorbenen
Milchzahnes erhebliche Schäden an benachbarten Zähnen, am Kieferknochen oder
an benachbarten Weichteilen mit grosser Wahrscheinlichkeit bevorgestanden
hätten. Die Versorgung des Zahnes erfolgte denn auch zur Behandlung der
Dickdarmentzündung und nicht zur Vermeidung von Beeinträchtigungen des
Kausystems.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 16. April 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: